Effektive Interventionen von der Aufnahme bis zur Entlassung
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-608-12273-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Universell: Gesprächstechniken und Krisenmanagement für alle Behandelnden
Konkret: Viele Beispielsituationen – direkt umsetzbar
Praxisrelevant: Für alle, die in der Psychiatrie arbeiten
Ganz gleich, ob Sie Ärztin, Psychotherapeut oder Pflegekraft sind: Mit den Psychotherapie-Basics gestalten Sie effektiv und zuverlässig den Kontakt zu Ihren psychiatrischen Patient:innen, strukturieren Ihre Therapiesitzungen und verhelfen Ihren Patient:innen zu einer nachhaltigen Motivation. Eine Psychologin und ein Mediziner haben gemeinsam mit einer Pflegeverantwortlichen zahlreiche wirksame Interventionen, Strategien und Haltungen zusammengestellt, die für alle Fachleute in der Psychiatrie von großem Nutzen sind: Pflegekräfte, die 24/7 mit Patient:innen arbeiten, finden hier Techniken für ihren Dienst. Ärzt:innen bekommen Tools für den Umgang mit Patient:innen in der Einzeltherapie und in der Krise. Und Psycholog:innen erhalten erleichterten Zugang zum psychiatrischen Arbeiten. Von der Aufnahme bis zur Entlassung bietet dieses Buch direkt einsetzbare Werkzeuge zur Behandlung, einschließlich der Krisenintervention, und schafft gleichzeitig die Basis für spätere, planbare Therapien.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Psychiatrie, Sozialpsychiatrie, Suchttherapie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete AINS Notfallmedizin & Unfallmedizin (inkl. Notdienste)
Weitere Infos & Material
Wir brauchen dieses Buch! Eine Einleitung
Ziele des Buches
Dieses Buch widmet sich der Behandlung von Patientinnen in der Psychiatrie. Es stellt Basismodule (? Abb. 0-1) für die Psychotherapie von psychiatrischen Patienten zur Verfügung. »Psychiatrisch« bedeutet hier: Es geht nicht nur um die Behandlung von primär psychotherapiemotivierten und -fähigen Patienten. Es geht explizit auch um die nicht-motivierten, oft komorbiden, »psychisch schwerkranken« (Delespaul 2013; Franz 2019; Franz & Franz 2022) Menschen mit weniger hohem Funktionsniveau, eingeschlossen auch diejenigen mit herausforderndem Verhalten, inklusive die als »Systemsprengerin« oder – freundlicher – als »Systemprüferin« (Längle 2024) bezeichnet werden. Für eine angemessene Behandlung dieser Patienten braucht man Teams, die in psychiatrischen Kontexten diese Patienten behandeln. Sie werden mit den vorliegenden Psychotherapie-Basics grundlegend in die Lage versetzt, »typische« psychiatrische Patienten, von der einfachen Belastungsstörung bis zu komplexen, herausfordernden Fällen mit ihren Komorbiditäten und Funktionsstörungen von Anfang an, d. h. auch schon in der Krise, multiprofessionell mit psychotherapeutischen Mitteln zu behandeln, in einen sinnvollen Behandlungsplan zu integrieren, der in eine erfolgreiche störungsbezogene elektive Behandlung oder ganz zur Entlassung in ambulante Behandlung führt. Das Buch gibt einen psychotherapeutischen Basis-Leitfaden und Werkzeugkasten an die Hand, wie sich eine therapeutische Umgebung herbeiführen lässt, die sich an evidenzbasierten Regeln von Lernen und Verhalten orientiert, zielführendes Verhalten verstärkt, dysfunktionales Verhalten abschwächt und den Patienten die Kompetenzen vermittelt, die sie brauchen, um außerhalb der Psychiatrie leben und ambulante Behandlung nutzen zu können. Aufbauend auf der Umsetzung dieses Basis-Werkzeugkastens können bei Bedarf spezielle oder störungsspezifische Therapieformen leicht(er) eingeführt werden, weil sie auf ein psychotherapeutisch denkendes und geschultes Team treffen, das eine gemeinsame psychotherapeutische Betriebssprache spricht (Franz 2019; Lucke et al. 2020). Abb. 0-1: Basismodule zum Erlernen und Umsetzen für Mitarbeiterinnen aller Berufsgruppen. Die einzelnen Module untergliedern sich in weitere Kapitel Der gute Grund für eine praktikable Psychotherapie für »psychiatrische« Patientinnen
Psychotherapie ist ein bedeutsamer, bei manchen Störungen ausschließlich wirksamer, Bestandteil leitliniengerechter Behandlung von Patienten in der Psychiatrie. In der Breite der psychiatrischen Versorgungspraxis haben traditionelle Psychotherapieverfahren jedoch bisher keine systematische Umsetzung gefunden. Störungsspezifische Verfahren der »dritten Welle der Verhaltenstherapie«, wie Dialektisch Behaviorale Therapie (DBT), Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP), Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT) u. a., konnten sich zumindest in einem Teil psychiatrischer Kliniken in Form entsprechend störungsbezogener, meist elektiver, Psychotherapieeinheiten etablieren. Sie ebneten insofern den Weg für mehr Psychotherapie in der Psychiatrie und stellten für monosymptomatische psychische Störungen mit intensiver Symptomausprägung einen wirklichen Fortschritt dar (vgl. Bohus 2020). Dieser Weg ist an zwei Grenzen gestoßen: Zum einen haben sie relativ hohe Zugangsvoraussetzungen wie z. B. Motivation, Verständnis und Interesse für eine Psychotherapie, hinreichendes Durchhaltevermögen, keine Suizidalität, die eine große Anzahl psychiatrischer Patienten nicht aufweisen. Sie kommen auch häufig in der Krise, ohne primäre Motivation für eine Therapie, zudem erfüllen sie mindestens zur Hälfte die Kriterien einer schweren psychischen Erkrankung (s. o.) mit entsprechendem Funktionsniveau. Zum anderen weisen psychiatrische Patienten extrem häufig behandlungsbedürftige Komorbiditäten auf, bei denen störungsspezifische Programme an ihre Grenzen stoßen. Die folgenden Daten verdeutlichen die Dimension: Am Beispiel der stationären Versorgung wurden alle 20 252 stationären Behandlungsfälle eines Jahres aus neun psychiatrisch-psychotherapeutischen Krankenhäusern eines Bundeslandes störungsbezogenen Fallgruppen im Hinblick auf ihre erfolgten fachlich-inhaltlichen Interventionen zugeordnet (Franz et al. 2020). Deren Komorbiditäten, die (mit)behandelt, dokumentiert und abgerechnet wurden, zeigt ? Abb. 0-2 (Franz et al. 2020). Lediglich 13 % aller Fälle hatten keinen weiteren, über die Hauptdiagnose hinausgehenden therapeutischen Behandlungsbedarf. Der Median lag bei drei Nebendiagnosen, die Hälfe der Behandlungsfälle hatte zwischen einer und fünf, etwa 10 % der Fälle hatten mindestens sieben Nebendiagnosen, die therapeutische Interventionen erforderten. Abb. 0-2: Häufigkeit von Fällen mit unterschiedlicher Anzahl therapeutischer Interventionen pro Fall, N = 20 252 (Franz et al. 2020) Somit wird klar, dass Psychiatrie das Behandlungssetting von Patienten mit Komorbiditäten und Funktionsstörungen ist. Störungsbezogene elektive Programme helfen bei diesen nicht weiter, störungsspezifische Behandlungen zeigen bei komorbiden Patientinnen einen schlechteren response (Riper et al. 2014). Es fehlt bisher eine praktikable Psychotherapie, die wie oben ausgeführt, die Krisenintervention und akute Notfallbehandlung, Postakutbehandlung einschließlich einer störungsbezogenen elektiven Psychotherapie oder Entlassung in einem durchgängigen Behandlungsplan umfasst. Jedes Teammitglied bringt im herkömmlichen traditionellen Setting der Psychiatrie notgedrungen seine eigene Ausbildung, Sichtweise, Erfahrung ein. Ergebnis sind oft zeitraubende Aushandlungsprozesse, manchmal anstrengend oder demotivierend. Psychiatrischen Teams fehlt das gemeinsame Konzept mit gemeinsamen Modulen. Auch bei der Implementation einzelner störungsspezifischen Verfahren (wie CBASP, ACT, DBT etc.) in die Psychiatrie zeigt sich ein Haupthindernis darin, dass psychiatrischen Teams die Basics psychotherapeutischen Arbeitens in der Psychiatrie fehlen. Wegen dieser »Lücke« haben wir den vorliegenden pragmatischen Ansatz einer modularen Psychotherapie für die Psychiatrie auf verhaltenstherapeutischen Grundlagen erarbeitet. Einen solchen Werkzeugkasten legen wir in zwei Schritten vor. Dieses Buch ist der erste in Form von störungsübergreifenden und berufsgruppenübergreifenden Basismodulen für das psychiatrisch-psychotherapeutische Arbeiten (? Abb. 0-1). In einem weiteren Buch (Franz & Franz, im Druck) werden aufbauende, störungsspezifische und kompetenzorientierte Module dargestellt – psychotherapeutisches Handwerkszeug, um die erhobenen Probleme und abgeleiteten therapeutischen Ziele in der Behandlung mit der Patientin in Einzelsitzungen und Gruppentherapien anzugehen (? Abb. 0-3). Abb. 0-3: Störungsspezifische Module zur Behandlung verschiedener Diagnosen bei Patientinnen von der Krisenbehandlung bis zur elektiven Therapie der jeweiligen Störung (am Beispiel der Borderline-Störung) sowie kompetenzspezifische Module, aus denen Patientinnen ein individuelles Behandlungsprogramm zusammengestellt bekommen nach vorheriger Diagnostik (Franz & Franz 2022 in Herpertz & Schramm 2022) Für wen ist das Buch relevant?
Es wird ein praktikables, verständliches, anwendungsorientiertes Basisbetriebssystem von Psychotherapie für die Psychiatrie vorgestellt, das für Ärztinnen und Pflegefachpersonen erlern- und umsetzbar ist und Psychologinnen Einstieg und Arbeit in psychiatrische Kontexte erleichtert. Auch Sozialarbeiterinnen und Ergo- und Physiotherapeutinnen brauchen psychotherapeutisches Wissen und werden von einer psychotherapeutischen Basissprache der Psychiatrie unbedingt profitieren, v. a. wenn sie in die Teams integriert arbeiten. Einige Teile sind für psychiatrische Teams und angehende Therapeutinnen wichtig, andere unerlässlich. Aus der Erfahrung der Autoren gehören zu Letzterem beispielsweise der richtige, gezielte und bewusste Einsatz von Verstärkern (? Kap. 3) für alle Professionen, sowohl in der Einzeltherapie als auch und gerade im Team. Viele von uns kennen Patientinnen, bei denen sich bereits in der Adoleszenz herausforderndes Verhalten zeigte und die über multiple Kliniksaufenthalte und -wiederaufnahmen hinweg ein immer dysfunktionaleres Verhalten entwickelten, was, trotz höchster Mühe und Einsatz aller Beteiligten, nicht selten Ergebnis unbemerkter intermittierender Verstärkung dysfunktionalen Verhaltens darstellt. Auch in der Arbeit mit schwer traumatisierten, emotional instabilen oder sehr psychotischen Patienten sowie in der Gerontopsychiatrie...