E-Book, Deutsch, 214 Seiten
Reihe: Pulp-Krimis bei Null Papier
Fletcher Kampf um das Erbe
Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-558-5
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 214 Seiten
Reihe: Pulp-Krimis bei Null Papier
ISBN: 978-3-96281-558-5
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Brite Joseph Smith Fletcher gilt als einer der meistgelesenen Pulp-Autoren der Krimiszene. In England kommt er gleich nach Agatha Christie und Edgar Wallace. Seine Figuren wissen immer ganz genau, wo es langgeht. Seine Helden sind knallhart, seine Frauen weiblich, seine Action reißerisch. Kurz, schnell, gnadenlos.
Weitere Infos & Material
1. Kapitel
Vermisst.
Mr. Selwood war nun seit drei Wochen Sekretär bei dem bekannten Parlamentarier Jacob Herapath, der als Junggeselle eins der vornehmsten Häuser am Portman Square bewohnte. Mr. Herapath war bekannt wegen seiner Arbeit in der sozialen Fürsorge. Er hatte eine große Zahl moderner Wohnhäuser erbaut, die in jeder Beziehung als Vorbild dienen konnten, was Lüftung, Heizung, Beleuchtung und alle sonstigen sanitären Einrichtungen betraf. Als Selwood seine Stellung antrat, erhielt er von seinem Chef die Anweisung, eine geeignete kleine Wohnung in der Upper Seymour Street zu beziehen, die in der Nähe lag, damit er auch in der Nacht leicht zu erreichen war. Jacob Herapath hatte manchmal gerade mitten in der Nacht geniale Einfälle, und er gehörte zu den aktiven, energischen Männern, die es lieben, solche Einfälle sofort in allen Details durchzuarbeiten. Selwood war jedoch während der vergangenen drei Wochen noch niemals aus seiner Nachtruhe gestört worden. Aber plötzlich klingelte eines Morgens um halb acht die Telefonglocke, als er gerade aufstehen wollte. Er nahm den Hörer vom Apparat, der direkt neben seinem Bett stand. Es meldete sich jedoch nicht Herapath, sondern der Hausmeister Kitteridge, dessen Stimme ängstlich klang.
Plötzlich wurde er unterbrochen; es schien jemand dicht neben ihm zu stehen. Der Anruf war etwas verwirrt, aber Selwood verstand doch soviel, dass er sofort zur Wohnung herüberkommen sollte. In größter Eile kleidete er sich an und eilte nach Portman Square. Als er dort ankam, fand er den Hausmeister und den Chauffeur Mountain, der sich in aller Eile angekleidet hatte, und den man allem Anschein nach auch eben aus dem Bett geholt hatte.
»Was ist denn los, Kitteridge?« fragte Selwood. »Ist Mr. Herapath krank geworden?«
Der Hausmeister schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Daumen nach der offenen Tür des Arbeitszimmers.
»Wir wissen überhaupt nicht, wo er ist. Er hat nicht hier geschlafen und ist auch nicht im Hause.«
»Vielleicht ist er gestern gar nicht heimgekommen«, meinte Selwood. »Er kann doch in seinem Klub oder auch in einem Hotel geschlafen haben.«
Der Chauffeur, ein kleiner Mann mit scharfem Blick, schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe ihn doch selbst um eins hierher gefahren, und ich habe gesehen, wie er die Tür aufschloss und hineinging. Sicher ist er nach Hause gekommen!«
»Das stimmt«, pflichtete Kitteridge bei. »Kommen Sie mit, Mr. Selwood.« Er führte den Sekretär in das Arbeitszimmer und zeigte auf einen kleinen Servierwagen, der neben dem großen Schreibtisch stand. »Sehen Sie das? Jeden Abend stelle ich ihm dort eine Flasche Whisky, einen Siphon mit Sodawasser und einige Butterbrote und Keks hin. Er hat aus dem Glase getrunken, und er hat auch von dem Butterbrot gegessen. Also muss er nach Hause gekommen sein. Aber er ist nicht mehr hier. Der Kammerdiener Charlesworth, der ihn jeden Morgen Viertel nach sieben weckt, hat ihn nicht im Schlafzimmer gefunden.«
Selwood sah sich in dem Raum um. Die Vorhänge waren noch nicht aufgezogen; die elektrische Krone brannte und ließ alles in ihrem kalten, klaren Licht hervortreten. Er schaute auf den Schreibtisch, ob Mr. Herapath nicht einen Brief zurückgelassen hatte, aber er fand nichts.
»Aber es liegt doch kein Grund vor, sich zu ängstigen, Kitteridge«, meinte er. »Mr. Herapath war vielleicht gezwungen, heute Morgen ganz früh mit dem Zuge wegzufahren.«
»Entschuldigen Sie, Mr. Selwood, aber das ist wohl ziemlich ausgeschlossen. Ich hatte selbst schon daran gedacht, aber wenn er tatsächlich einen Nachtzug benützen wollte, hätte er seinen Reisemantel, seinen Koffer und auch eine Decke mitgenommen. Aber er hat nichts von alledem angerührt. Ich bin nun schon sieben Jahre hier im Hause und kenne seine Gewohnheiten genau. Er hätte mich und den Kammerdiener gerufen, damit wir für ihn gepackt hätten. Nein, er ist bestimmt nach Hause gekommen und wieder fortgegangen, das ist das Ungewöhnliche. Solange ich hier im Hause bin, ist das noch nicht passiert.«
»Sie haben also Mr. Herapath um ein Uhr nach Hause gefahren?« wandte sich Selwood an den Chauffeur. »War er allein?«
»Es war niemand bei ihm«, entgegnete Mountain. »Am besten erzähle ich Ihnen alles, was ich weiß. Gerade als Sie kamen, sprach ich mit dem Hausmeister darüber. Ich holte Mr. Herapath gestern Abend um Viertel nach elf vom Parlament ab. Ich hielt an der gewöhnlichen Stelle, und er stieg gerade ein, als die Uhr schlug. ›Fahren Sie mich zu dem Büro in der Siedlung, ich habe dort zu tun‹, sagte er. Ich brachte ihn also nach Kensington, und beim Aussteigen meinte er, dass er wohl in einer Dreiviertelstunde fertig wäre. Ich wartete also auf meinem Sitz, aber es dauerte eine gute Stunde. Schließlich kam er wieder und sagte nur ›Nach Hause‹. Und dann habe ich ihn hierher gefahren. Als er ausstieg, schlug es ein Uhr. Ich sagte noch gute Nacht zu ihm und sah, wie er die Treppe hinaufstieg und aufschloss, bevor ich zur Garage fuhr. Das ist alles, was ich weiß.«
Selwood wandte sich an den Hausmeister.
»Zu der Zeit war wohl niemand mehr auf?«
»Nein, Mr. Herapath sieht strikt darauf, dass die Hausordnung eingehalten wird, und dass alle Leute um halb zwölf zur Ruhe gehen. Er duldet nicht, dass jemand von der Dienerschaft auf ihn wartet. Deshalb steht jeden Abend noch ein kleiner Imbiss im Arbeitszimmer für ihn bereit. Gewöhnlich kommt er gegen zwölf Uhr nach Hause.«
»Nun ja, vielleicht war aber doch noch jemand wach. Haben Sie schon gefragt, ob jemand gehört hat, dass Mr. Herapath in der Wohnung umherging und das Haus nachher wieder verließ?«
»Ich werde danach fragen«, entgegnete Kitteridge. »Aber bis jetzt hat mir noch niemand etwas gesagt, obwohl die Dienstboten schon wissen, dass Mr. Herapath nicht im Hause ist.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine junge Dame trat herein.
»Haben Sie Miss Wynne schon verständigt?« fragte Selwood den Hausmeister leise, als er sie sah.
»Sie hat es sicher von ihrem Mädchen gehört. Alle sprechen darüber. Ich wollte sie nicht stören, bevor sie aufgestanden war.«
Miss Wynne war die Nichte von Mr. Herapath, die Tochter seiner verstorbenen Schwester, die er sehr geliebt hatte. Er hatte das Mädchen in sein Haus genommen, als sie noch ein Kind war. Aber nun zählte sie schon zweiundzwanzig, war hübsch und hatte charaktervolle, schöne Züge und kluge Augen.
Selwood trat näher, um sie zu begrüßen.
»Was hat dies alles zu bedeuten?« fragte sie ruhig. »Soviel ich höre, ist mein Onkel nicht im Hause? Aber deshalb braucht man doch nicht den Kopf zu...