Roman. Übersetzt von Bernhard Robben
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-31723-2
Verlag: Manesse
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
«You must know Gatsby.» - «Gatsby?», demanded Daisy. «What Gatsby?» Long Island in den Zwanzigerjahren: Altes Geld trifft auf neues Geld, Glamour auf Stil, Moral auf Amoral. Wer hier wohnt, hat es geschafft, so auch der aufstrebende Broker Nick Carraway. Schon bald hört er von einem mysteriösen Nachbarn, der in seiner Nobelresidenz die exzentrischsten Partys von ganz Long Island gibt. Bei Jay Gatsby tanzt die New Yorker Society ums goldene Kalb, und plötzlich ist Nick ein Teil davon. Was er nicht weiß: Die Aufnahme in den inner circle war kein Glücksfall, sondern kalte Berechnung. Der Strippenzieher Jay Gatsby hat es nämlich auf Nicks Cousine abgesehen, auf seine Jugendliebe Daisy Buchanan. Dass Daisy inzwischen standesgemäß verheiratet und heillos versnobt ist, steigert den Reiz des Verlangens nur noch. Ein wilder Reigen von Ekstase und Ernüchterung, Betörung und Überdruss, Gier und Verrat beginnt.Von Bernhard Robben neu übersetzt, sorgfältig ediert und attraktiv inszeniert: Die Manesse-Jubiläumsausgabe erzählt die spannende Geschichte eines Bestsellers, der erst einmal partout keiner sein wollte. Mit 100-Jahre-Gatsby-Zeittafel, Briefen sowie prominenten Stimmen zum Werk und Rezensionen kann dieser Klassiker nun nicht nur von Klassik-Aficionados (wieder)entdeckt werden.
Francis Scott Fitzgerald (1896-1940), geboren in St. Paul, Minnesota, ging nach seinem Studium in Princeton als Reporter nach New York. Sein erster Roman »This Side of Paradise«, erschienen 1920, brachte ihm schnellen Ruhm und plötzlichen Reichtum. Zwei Jahre später erschien seine Kurzgeschichtensammlung »Tales of the Jazz Age«, mit der er den ausgelassenen 1920er Jahren ihren Namen gab. Eine ganze Generation erkannte sich in seinen Figuren wieder. Fitzgerald war jedoch nicht nur der Chronist, sondern auch selbst die Hauptfigur der endlosen, verschwenderischen Parties des Jazz-Zeitalters. Gemeinsam mit seiner Frau Zelda inszenierte er sich als charmanter, mondäner Weltenbummler und extravaganter Lebemann; die Ausschweifungen des Paares füllten die New Yorker Klatschblätter. Dieses Leben forderte jedoch seinen Tribut: Zelda erlitt 1930 einen Nervenzusammenbruch und wurde in eine psychiatrische Klinik eingewiesen; Scott verfiel zusehends seiner Alkoholsucht. Seine Veröffentlichungen in den 1930er Jahren konnten an die großen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Die letzten drei Jahre seines Lebens verbrachte er als Drehbuchautor in Hollywood. Finanziell und gesundheitlich ruiniert, starb Fitzgerald im Alter von nur 44 Jahren an Herzversagen.
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Kapitel I In meinen jüngeren und empfindsameren Jahren gab mir mein Vater einen Rat, der mir seither im Kopf herumgeht. «Wenn du meinst, jemanden kritisieren zu müssen», sagte er, «so denk daran, dass nicht alle Menschen auf der Welt dieselben Vorteile hatten wie du.» Mehr hat er nicht gesagt, doch haben wir uns auf eine reservierte Weise stets gut verstanden, weshalb ich wusste, dass weit mehr damit gemeint war. Seither neige ich folglich dazu, mich jeglichen Urteils zu enthalten, eine Angewohnheit, dank der sich mir viele seltsame Charaktere anvertrauten, die mich allerdings auch zum Opfer manch eines ausgemachten Langweilers werden ließ. Findet sich diese Eigenheit in gewöhnlichen Menschen, wird sie vom ungewöhnlichen Geist gleich entdeckt und vereinnahmt, weshalb mir im College ungerechterweise vorgeworfen wurde, allzu diplomatisch zu sein, besaß ich doch Kenntnis von den geheimen Nöten ungestümer, mir ansonsten unbekannter Menschen. Dabei hatte ich das mir derart Anvertraute meist gar nicht wissen wollen – hatte mich oft schlafend gestellt, beschäftigt getan oder eine abweisende Unbekümmertheit an den Tag gelegt, sobald unfehlbare Anzeichen verrieten, dass am Horizont ein vertrauliches Geständnis drohte, denn eben diese vertraulichen Geständnisse junger Menschen oder doch die Umstände, unter denen sie geäußert werden, sind meist wenig originell und von offenkundig Unterdrücktem entstellt. Solange man sich des Urteils enthält, gibt es stets Hoffnung. Ich fürchte immer noch ein wenig, etwas zu verpassen, falls ich vergesse, was mein Vater einst so hochmütig andeutete und was ich hier ebenso hochmütig wiederhole, dass nämlich der Sinn für fundamentalen Anstand bei der Geburt sehr ungleich verteilt wird. Nachdem ich solcherart meine Toleranz gerühmt habe, muss ich bekennen, dass sie ihre Grenzen hat. Mag das Benehmen auf festem Fels oder matschigem Sumpf gründen, ab einem gewissen Punkt ist mir egal, worauf es ruht. Als ich letzten Herbst aus dem Osten zurückkehrte, empfand ich den Wunsch, die Welt möge Uniform tragen und gleichsam auf alle Zeit moralisch strammstehen; ich wollte keine weiteren wilden Exkurse mit privilegierten Einsichten ins menschliche Herz. Nur Gatsby, jener Mann, nach dem dieses Buch benannt ist, blieb davon ausgenommen – Gatsby, der für alles stand, wofür ich freimütige Verachtung hegte. Sofern die Persönlichkeit eine ungebrochene Abfolge stimmiger Gebärden ist, verkörperte er etwas Hinreißendes, eine gesteigerte Empfindsamkeit für die Verheißungen des Lebens, fast als wäre er mit einer jener komplizierten Apparaturen verwandt, die Erdbeben aus tausend Meilen Entfernung registrieren. Dieses Feingefühl hatte nichts mit jener schwammigen Beeindruckbarkeit gemein, die sich als «kreativer Geist» selbstbeweihräuchert – sie ist vielmehr eine außergewöhnliche Gabe der Hoffnung, eine romantische Bereitschaft, wie ich sie bei keinem anderen Menschen kenne und vermutlich auch in keinem anderen je wieder antreffen werde. Nein – an Gatsby war letztlich nichts auszusetzen; vielmehr war es, was Gatsby plagte, dieser stickige Staub, der im Gefolge seiner Träume aufgewirbelt wurde und mein Interesse am fruchtlosen Leid und den kurzlebigen Freuden der Menschen zeitweilig erstickte. Seit drei Generationen schon ist meine angesehene, wohlhabende Familie in dieser Stadt des Mittleren Westens ansässig. Die Carraways sind so etwas wie ein Clan und stammen, einer Überlieferung zufolge, von den Dukes of Buccleuch ab;2 der eigentliche Begründer meines Familienzweigs aber war der Bruder meines Großvaters, der 1851 dort hinkam, einen Stellvertreter in den Bürgerkrieg schickte3 und jenes Eisenwarengeschäft gründete, das mein Vater noch heute führt. Ich habe diesen Großonkel nie kennengelernt, sehe ihm aber offenbar ähnlich – zumindest dem recht schonungslosen Porträt zufolge, das im Büro meines Vaters hängt. Meinen Abschluss habe ich 1915 in New Haven gemacht,4 exakt ein Vierteljahrhundert nach meinem Vater, und bald darauf nahm ich an jener verspätet einsetzenden teutonischen Wanderung teil, die als der Große Krieg bekannt wurde.5 Ich schätzte unsere Gegenoffensive6 so sehr, dass ich als rastloser Mensch zurückkehrte – also entschied ich, nach Osten zu gehen und das Aktien- und Anleihegeschäft zu erlernen. Jeder, den ich kannte, war im Aktiengeschäft, weshalb ich annahm, dass es noch einen weiteren alleinstehenden Menschen ernähren konnte. All meine Tanten und Onkel erörterten meinen Entschluss, als ginge es darum, die richtige Grundschule für mich zu finden, um dann mit gewichtiger Miene, aber in zögerlichem Ton zu verkünden: «Tja, warum eigentlich nicht?» Vater willigte ein, ein Jahr lang für mich aufzukommen, und nach diversen Verzögerungen reiste ich im Frühjahr zweiundzwanzig in den Osten, für immer, wie ich glaubte. Richtig wäre es gewesen, sich in der Stadt ein Zimmer zu suchen, aber es war die warme Jahreszeit, und ich hatte gerade ein Land mit weiten Rasenflächen und freundlichen Bäumen verlassen, weshalb ich die Idee gut fand, die ein junger Mann im Büro vorbrachte, nämlich dass wir uns ein Haus in der Vorstadt teilen sollten. Er fand auch eins, ein verwittertes Holzhaus für achtzig Dollar im Monat, im letzten Moment beorderte ihn seine Firma jedoch nach Washington, weshalb ich allein aufs Land zog. Ich hatte einen Hund – zumindest für einige Tage, bis er mir dann fortlief –, einen alten Dodge und eine Finnin, die mir das Bett und mein Frühstück machte und die am Elektroherd finnische Weisheiten vor sich hin brummelte. Etwa einen Tag lang fühlte ich mich einsam, bis mich eines Morgens ein Mann, der nach mir aufs Land gezogen war, anhielt und nach dem Weg fragte. «Wie komme ich zum Dorf West Egg?», erkundigte er sich ratlos. Ich verriet es ihm. Und als ich weiterging, fühlte ich mich nicht länger einsam. Ich war ein Fremdenführer, ein Pfadfinder, einer der ursprünglichen Siedler. Eher beiläufig hatte mir der Mann die Bürgerrechte der Gegend verliehen. Und mit dem Sonnenschein und der Laubexplosion der Bäume, den schnell wie im Zeitraffer hervorschießenden Blättern, überkam mich das vertraute Gefühl, mit dem Sommer würde auch das Leben von Neuem beginnen. Es galt zum einen viel zu lesen, zum anderen aber auch der jungen, atemspendenden Luft viel Heilsames abzugewinnen. Ich kaufte mir ein Dutzend Bücher über das Bank- und Kreditwesen oder über sichere Kapitalanlagen, die auf meinem Regal in Rot und in Gold versammelt waren wie frisch aus der Prägeanstalt kommende Münzen und jene leuchtenden Geheimnisse zu offenbaren versprachen, die nur Midas, Morgan und Maecenas kannten.7 Außerdem hegte ich die hehre Absicht, darüber hinaus noch viele Bücher zu lesen. Im College war ich meinen literarischen Neigungen nachgegangen – hatte für die Yale News ein Jahr lang eine Reihe ebenso ehrwürdiger wie erwartungskonformer Leitartikel geschrieben –, und nun würde ich alldem wieder mehr Platz in meinem Leben einräumen, würde erneut einer dieser beschränktesten aller Spezialisten werden: ein «vielseitig gebildeter Mann». Das ist keineswegs bloß ein Epigramm – schließlich betrachtet man das Leben am erfolgreichsten aus nur einem einzigen Fenster. Es war reiner Zufall, dass ich ein Haus in einer der sonderbarsten Gemeinden Nordamerikas mietete. Es befand sich auf jener schmalen, wilden Insel, die sich von New York aus direkt gen Osten erstreckt, zwei ungewöhnliche Landformationen inmitten anderer Absonderlichkeiten der Natur. Zwanzig Meilen außerhalb der Stadt zwei gewaltige, eiförmige Inseln mit ähnlichem Umriss und anstandshalber nur durch eine Bucht voneinander getrennt, Inseln, die in das wohl erschlossenste Stück Salzwasser der westlichen Hemisphäre hineinragen, den großen nassen Scheunenhof der Long-Island-Bucht. Es sind keine perfekten Ovale – wie das Ei des Kolumbus8 sind ihre Enden, da, wo sie sich fast berühren, abgeflacht –, doch musste ihre äußerliche Ähnlichkeit den sie überfliegenden Möwen Anlass zu stetigem Staunen bieten. Für uns Flügellose aber ist das interessantere Phänomen ihre Unähnlichkeit in jeder anderen Hinsicht abgesehen von Größe und Form. Ich wohnte auf West Egg, der kleineren und, nun ja, nicht ganz so mondänen Insel, womit der bizarre und durchaus ein wenig unheilvolle Unterschied zwischen den beiden allerdings nur höchst unzureichend beschrieben ist. Mein Haus stand an der äußersten Spitze der eiförmigen Insel, kaum fünfzig Schritte von der Bucht entfernt und eingezwängt zwischen zwei riesige Anwesen, die den Sommer über sicher an die zwölf- bis fünfzehntausend Miete einbrachten. Das zu meiner Rechten war in jeglicher Hinsicht ein kolossales Etwas – der originalgetreue Nachbau irgendeines Hôtel de Ville aus der Normandie mit einem Turm an der einen Seite, nigelnagelneu unter dem flaumigen Bart noch jungen Efeus, dazu ein marmorner Swimmingpool und mehr als vierzig Morgen9 Rasen und Garten. Das war Gatsbys Landsitz. Vielmehr, da ich Mr. Gatsby noch nicht kannte, ein von einem Gentleman dieses Namens bewohnter Landsitz. Mein eigenes Haus war dagegen ein Schandfleck, aber nur ein kleiner, der übersehen worden war, und so konnte ich den Blick aufs Wasser genießen, den Blick auf einen Teil des Rasens meines Nachbarn und die tröstliche Nähe von Millionären – all das für achtzig Dollar im...