Fenkart / Khan / Krainer | Die Kunst des Widerstands | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6, 312 Seiten

Reihe: Klagenfurter Beiträge zur Bildungsforschung und Entwicklung

Fenkart / Khan / Krainer Die Kunst des Widerstands

Festschrift für Marlies Krainz-Dürr
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7065-6275-1
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Festschrift für Marlies Krainz-Dürr

E-Book, Deutsch, Band 6, 312 Seiten

Reihe: Klagenfurter Beiträge zur Bildungsforschung und Entwicklung

ISBN: 978-3-7065-6275-1
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses Buch ist Marlies Krainz-Dürr anlässlich ihres Ausscheidens aus der Funktion der (Gründungs-)Rektorin der Pädagogischen Hoch schule Kärnten gewidmet. Aus ihrem breiten Tätigkeitsbereich wurden vier Themenbereiche gewählt – Schulentwicklung, Führen und Leiten, Lehrer*innenbildung sowie Zwei- und Mehrsprachigkeit –, die sie über einen langen Zeitraum theoretisch und/oder praktisch intensiv begleitet hat.
Als Titel der Festschrift wurde "Die Kunst des Widerstands" gewählt, weil die Herausgeber*innen – und offensichtlich auch viele der Autor*innen – der Geehrten ein adäquates Maß an Widerständigkeit nach innen und außen, nach unten und oben, aber auch gegen sich selbst und andere zuschreiben. Marlies Krainz-Dürr ist und war nie eine, die auf Problemlösungen von anderen oder gar "von oben" gewartet hätte oder sich unreflektiert etwas "aufdrängen" ließe, ohne sich selbst ein Bild zu machen und aktive Bei träge und nötigenfalls kritische Rückmeldungen zu leisten.

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Weitere Infos & Material


Konrad Paul Liessmann Antigone
oder
Widerstand ist keine Kunst
Den Begriff des Widerstands umgibt seit geraumer Zeit eine heroische Aura. Sie zehrt von den Widerstandsbewegungen und Widerstandskämpfern1, die sich unter extremen Bedingungen der totalitären Herrschaft des Nationalsozialismus entgegengestellt haben. Von paramilitärischen Aktionen über geplante und misslungene Attentate auf Adolf Hitler bis zum Kampf um das nackte Überleben in den Konzentrationslagern (Därmann, 2021, S. 84–85) reichten die Formen, in denen sich dieser Widerstand ausdrückte. Auf dem Spiel standen dabei immer das eigene Leben und Überleben. Dieser historisch eingrenzbare Widerstand und das davon später abgeleitete Widerstandsrecht setzte und setzt eine Herrschaft des Unrechts voraus, die den Widerstand dagegen, also gegen Organe, Einrichtungen, Intentionen und Institutionen des Unrechtsstaates, moralisch legitimierten. Dass Widerstand zur Pflicht wird, wenn staatliches Recht die Form des Unrechts, der Willkür, der Menschenrechtsverletzung annimmt und infolgedessen Individuen oder Gruppen aufgrund ihrer ethnischen, religiösen, sexuellen oder sprachlichen Identität verfolgt, vertrieben und vernichtet werden, gehört zu den Übereinkünften, auf denen die Zivilisation der Nachkriegsordnungen beruht. Bei der terminologischen Einordnung von Aktionen und Bewegungen gegen totalitäre Herrschaftsformen gibt es dabei feine Unterschiede. So werden die Akteure, die gegen stalinistische und poststalinistische Systeme im kommunistischen Herrschaftsbereich kämpften, selten als Widerstandskämpfer, sondern eher als Regimegegner oder Regimekritiker bezeichnet. Darin drückt sich auch das lange Zögern aus, das vornehmlich die westeuropäische Linke in Hinblick auf die Einschätzung des Kommunismus an den Tag gelegt hatte. Bei allen Brutalitäten, die kommunistische Herrschaftsformen gezeitigt hatten, war man lange geneigt, darin nur Verirrungen auf einem an sich richtigen Weg zu sehen. Diese konnte man vielleicht kritisieren, aber dagegen prinzipiell Widerstand zu leisten, wäre den intellektuellen Sympathisanten des Kommunismus doch zu weit gegangen. Fraglich jedoch, ob jede Form des Aufstands und der Rebellion gegen ein als unrechtmäßig oder überholt empfundenes Regime als Widerstand bezeichnet werden sollte. Revolutionen, Revolten und Rebellionen drücken eine politische Dynamik aus, die mit dem Begriff des Widerstands nur unzureichend erfasst werden kann. Der moralische Wert des Widerstands ist an ein individuelles Handeln gebunden, das oft ausweglos erscheint und nicht in Formen des organisierten Protestes und Kampfes eingebunden ist. Die Bereitschaft zum Widerstand erscheint dann als eine Frage des Gewissens, der Haltung, der Überzeugung, der Opferungsbereitschaft eines einzelnen Menschen, die durchaus in der Teilnahme an einer Bewegung, einer konspirativen und koordinierten Form ziviler und militärischer Einsatzbereitschaft münden kann. Der Nimbus, der den Widerstand umgibt, ist nicht unabhängig davon, gegen wen und gegen welche Zustände Widerstand geleistet und moralisch legitimiert werden muss. Nicht jeder Putschversuch oder politisch motivierte Terroranschlag kann als Widerstand gewertet werden. Auch wenn es aus der Innenperspektive von Aktivisten immer so aussieht, dass sie gegen ungerechte und inhumane Verhältnisse aufbegehren und deshalb das Widerstandsrecht für sich beanspruchen, muss doch zwischen den politischen Ordnungen unterschieden werden, innerhalb derer der Widerstand gesetzt wird. Zum Selbstverständnis rechtsstaatlich verfasster Demokratien gehört, dass es für die Artikulation von Kritik und die Durchsetzung politischer Vorstellungen genug legale Mittel gibt, die ein Widerstandsrecht obsolet erscheinen lassen. Zivilgesellschaftliche Akteure, die dennoch mit dem Bruch der Legalität kokettieren, müssen deshalb auch demokratischen Staaten autoritäre Tendenzen, einen verborgenen Faschismus oder systemische Gewaltverhältnisse unterstellen, um ihren Widerstand moralisch zu nobilitieren. Wie prekär solche Ansprüche auf Widerstand werden können, zeigte sich nicht nur im Falle der Roten Armee Fraktion (RAF), die glaubte, einen bewaffneten Kampf gegen eine funktionierende Demokratie führen zu müssen, und dabei vor Brandlegungen, Geiselnahmen, Erschießungen und Morden nicht zurückschreckte, sondern auch in jenen aktuellen Widerstandsposen, die im Zuge der Demonstrationen gegen die Maßnahmen, die verschiedene Regierungen gegen die Verbreitung des Coronavirus gesetzt hatten, zur Schau gestellt wurden. Die Verblüffung, die sich einstellte, als sich „Jana aus Kassel“, eine junge, von der Polizei völlig unbehelligte Demonstrantin, mit Sophie Scholl, die von den Nazis hingerichtet worden war, verglich, war dann auch unübersehbar. Unter den gegebenen Bedingungen schien die Berufung auf diese Widerstandskämpferin entweder Ausdruck mangelnder Geschichtskenntnisse oder blanker Hohn (Pichler, 2020). Die Frivolität, mit der bei genehmigten Demonstrationen gegen Coronamaßnahmen und Impfpflicht das Recht auf Widerstand auch von jenen beschworen wird, die in einer geistigen Nähe zum Rechtsradikalismus stehen, verweist darauf, dass der Widerstand zu einer pathetischen Geste entleert wurde, um nahezu jede Form von Unbehagen, Dissens oder auch nur eine pubertäre Lust am Protest mit einer politischen Weihe zu versehen. In diesem Sinne ist Widerstand wahrlich keine Kunst. Die Idee des Widerstands ist durch solch eine Ambivalenz allerdings grundlegend gekennzeichnet. Selten sind die Verhältnisse so klar, dass zwischen einer illegitimen Herrschaft, die jede Form des Widerstands zu einem legitimen und moralisch wertvollen Akt werden lässt, und Rechtsverhältnissen, die Widerstand selbst als prekären Akt der Durchsetzung partikularer Interessen am Rande oder jenseits der Legalität erscheinen lassen, ohne langes Nachdenken unterschieden werden könnte. Diskutieren lässt sich diese Ambivalenz am besten noch immer anhand der paradigmatischen mythischen Widerstandsfigur, an Antigone, vornehmlich in der uns von Sophokles überlieferten Tragödie. Dazu vorab einige grundsätzliche Überlegungen. Was hält der Mythos, was halten Mythen an sich für uns bereit? Wollen wir uns vor allzu einfachen und doch naheliegenden Aktualisierungen hüten, stellt der Mythos vorab eine Provokation für das rationale Denken dar. Auch wenn die alte und beliebte These, dass es einen geradlinigen Weg des europäischen Denkens „vom Mythos zum Logos“ gegeben hätte (Nestle, 1940), mittlerweile an Plausibilität verloren hat und, nach einem Wort von Hans Blumenberg, der Mythos selbst ein „Stück hochkarätiger Arbeit des Logos“ darstellt (Blumenberg, 1979, S. 18), bleibt die beunruhigende Einsicht, dass in der mythischen „Rede“ die Welt in einer poetischen Form hervorgebracht wird, die sich weder an unseren Kriterien für Literatur noch an den Bedingungen für eine vernunftgeleitete Durchdringung der Welt messen lässt. Der Mythos repräsentiert aber auch nicht schlechthin ein religiöses Denken. Selbst wenn Götter in den meisten Mythen eine Rolle spielen – beileibe nicht in allen –, kennen Mythen weder Dogmen noch Gläubigkeit im strengen Sinn. Es gibt deshalb – zu unserer Freude – von jedem Mythos unzählige Varianten. Die literarisierten Formen der Mythen, an denen wir uns heute orientieren, stellen immer schon Versuche dar, den Mythos einem ästhetischen und im Falle der griechischen Tragödie auch einem politischen Programm anzuverwandeln. Mythen verkünden keine Lehre, sondern erzählen Geschichten. Im Mythos ereignen sich Schicksale und Konflikte vor der Folie einer Welt und einer Weltsicht, die nicht mehr unsere ist. Dennoch markieren diese Erzählungen Bruchlinien, die aus unserem Leben weder eliminiert noch ein für alle Mal gekittet werden konnten. Das Spannende am Mythos ist diese Einheit von Vertrautheit und Fremdheit, von anstößiger archaischer Denkweise und einer unüberbietbaren Einsicht in die Verfasstheit des menschlichen Daseins. In der Antigone des Sophokles verdichtet sich diese Ambivalenz in mehrfacher Hinsicht. Dies lässt sich an einigen Aspekten zeigen, die im weiteren Sinn das Feld der Moral, im engeren Sinn die Frage nach dem Bösen und in einem politischen Sinn das Recht auf Widerstand thematisieren. Antigone, die Tochter des Ödipus, will, gegen den Beschluss und Befehl Kreons, des alten und neuen Königs von Theben und Vater ihres Verlobten Haimon, ihren Bruder Polyneikes begraben. Kreon hatte angeordnet, dass der Leichnam des Polyneikes vor den Stadtmauern den Hunden zum Fraß dienen sollte. Da Kreon Polyneikes für einen Hochverräter hielt, der sich gegen seinen Bruder Eteokles und gegen Theben gestellt hatte, wollte er durch diese grausame Anordnung seiner Macht und dem Gesetz der Stadt Geltung verschaffen. Dem widersetzt sich Antigone, die ihren Bruder begräbt, dies Kreon gegenüber einbekennt, von ihm verurteilt wird und, kurz bevor Kreon durch die Mahnung des Sehers Teiresias einsichtig geworden ist, gemeinsam mit Haimon Selbstmord begeht. Wir tendieren gerne dazu, dieses Stück in einer glatten Schwarz-Weiß-Manier zu lesen. Auf der einen Seite Kreon, machtgierig, grausam, unbeherrscht, jähzornig, tyrannisch (bei Bertolt Brecht mutiert er vom...


Gabriele Fenkart, Mag.a Dr.in, Direktorin am BRG Klagenfurt-Viktring, bis 2013 Mitarbeiterin am Österreichischen Kompetenzzentrum für Deutschdidaktik, am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung, Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, und an der Pädagogischen Hochschule Kärnten – Viktor Frankl Hochschule. Schwerpunkte: Lehrerinnenaus- und -fortbildung, Hochschullehrgänge, Leseforschung und Lesedidaktik, Sprache in den Naturwissenschaften.

Gabriele Khan-Svik, Univ.-Doz.in Mag.a Dr.in, (Gründungs-)Vizerektorin (i. R.) für Forschung und Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten – Viktor Frankl Hochschule. Lektorin an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt und an der Pädagogischen Hochschule Kärnten. Forschungsschwerpunkte: Interkulturelle Pädagogik/Migrationspädagogik, Schulpädagogik, Evaluationen, Teacher educators.

Konrad Krainer, Mag. Dr., Universitätsprofessor für Didaktik der Weiterbildung unter besonderer Berücksichtigung der Schulentwicklung am Institut für Unterrichts- und Schulentwicklung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Dekan der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung. Forschungsschwerpunkte: Mathematikdidaktik in Verbindung mit Lehrer*innenbildung, Schulentwicklung und Bildungssystementwicklung.

Norbert Maritzen, bis zur Pensionierung 2018 Direktor des Instituts für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung (IfBQ) Hamburg, seither mit der Leitung der Weiterentwicklung der Bildungsstandards am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) Berlin beauftragt. Arbeitsschwerpunkte: Schulentwicklung, Bildungsmonitoring, Steuerung des Bildungswesens.



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