E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Feichtner Bodenschätze
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-86854-428-2
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Über Verwertung und Vergesellschaftung
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-86854-428-2
Verlag: Hamburger Edition HIS
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Isabel Feichtner ist Professorin für Öffentliches Recht und Wirtschaftsvölkerrecht an der Julius- Maximilians-Universität Würzburg. 2023/2024 leitet sie am The New Institute in Hamburg das Forschungsprogramm »Reclaiming Common Wealth: Towards a Law and Political Economy of Land Commons«. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das internationale Wirtschaftsrecht, transnationales Rohstoffrecht, Geld- und Finanzrecht sowie das Recht der Commons.
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2 | Koloniale Landnahme und Vertreibung
Für viele ist Grundeigentum heute eine Selbstverständlichkeit. Wir mögen uns darüber aufregen, dass es ungleich verteilt ist, fragen uns jedoch selten, wie eine Welt ohne Grundeigentum aussehen könnte. Vielleicht fehlt es sogar an Vorstellungskraft dafür. Ich habe bereits angedeutet, welche Abstraktion notwendig ist, um aus belebtem Boden das Objekt privater Eigentumsrechte zu machen. Welcher Techniken wie Vermessungen und Verzeichnisse es bedarf, um mobile Grundstücke »herzustellen«, die natürliche und juristische Personen sich aneignen, als Ware handeln und als Kapitalanlage zur Vermögensbildung nutzen können. In diesem Kapitel möchte ich die vermeintliche Selbstverständlichkeit des Grundeigentums noch weiter infrage stellen, indem ich anhand der deutschen Kolonisation in Afrika den Fokus auf die Gewalt und Vertreibung lege, die mit der Aneignung von Land einhergehen.
Mit Blick auf die koloniale Landnahme wird deutlich, wie eng private Akteure und der Staat in der Vertreibung, Aneignung und Etablierung territorialer Herrschaftsansprüche zusammenwirken. Die deutschen Kolonien in Afrika können deshalb als Public-private-Partnerships beschrieben werden. In der Kolonisation traf das (Eigentums-)Recht der Kolonisierer auf das Recht der Bewohnerinnen. Hier befasse ich mich vor allem mit dem Recht Ersterer und den Argumentationen, mit denen die deutschen Kolonisierer Vertreibung und Aneignung rechtfertigten.92
Kolonisation als Public-private-Partnership
Genau zu der Zeit, in der sich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch eine liberale Privatrechtsordnung für das vereinigte Deutschland etablierte, wurde das Deutsche Reich zu einer späten Kolonialmacht. Von Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs beanspruchte es Kolonialbesitz in Afrika, China und dem Pazifik. Es wurde zu dieser Zeit, gemessen an der Fläche seiner Kolonien, zur drittgrößten Kolonialmacht nach Großbritannien und Frankreich. Zu den afrikanischen Kolonien, auf die ich mich hier konzentriere, gehörten Territorien, die heute in den Staaten Namibia, Tansania, Burundi, Ruanda, Kamerun, Togo und Ghana liegen. Im Pazifik wurde Nauru, von dem später noch die Rede sein wird, als Teil der Marshall-Inseln deutsche Kolonie.
Zunächst überließ die Regierung des Kaiserreichs die Kolonisation privaten Akteuren – Kolonialagitatoren, Kaufleuten, Handels- und Kolonialgesellschaften.93 Reichskanzler Bismarck zögerte, formale Kolonien zu schaffen, also territoriale Souveränität außerhalb des Staatsgebiets des Kaiserreichs zu beanspruchen. Auch weite Teile der wirtschaftlichen Eliten Deutschlands waren zurückhaltend. Insbesondere die sogenannte Hochfinanz investierte lieber in andere Projekte, beispielsweise die Bagdadbahn im Osmanischen Reich oder Eisenbahnbauten in Südamerika, die nicht der Aneignung von Kolonien, sondern der imperialen »wirtschaftlichen Durchdringung« dienten.94 Die Regierung stellte sich den Aktivitäten der privaten Kolonisierer aber auch nicht entgegen. Vielmehr überließ sie die Kolonisation zunächst bewusst privaten Akteuren, die den persönlichen Schutz des Reichs genossen, aber ansonsten auf eigenes Risiko handeln sollten. Als das Reich dann in den 1880er Jahren formal Gebiete im Südpazifik, in Afrika und China als Schutzgebiete deklarierte und damit als seine Kolonien beanspruchte, hatten die privaten Kolonisierer und die von ihnen gegründeten Kolonialgesellschaften durch ihre Aktivitäten die staatliche Machtübernahme schon vorbereitet.
Wichtig für die spätere Deklaration als Kolonien (das Reich nutzte den Begriff »Schutzgebiete«) waren die Verträge, die private Akteure mit lokalen Herrschern abschlossen und die euphemistisch »Freundschaftsverträge« genannt wurden.95 Damit wollten Erstere sowohl Privateigentum an Land als auch Hoheitsrechte erwerben. Der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz beispielsweise, der sich Reichtum durch Diamantenfunde erhoffte, schloss am 1. Mai 1883 mit Josef Fredericks, Kaptein der Bethanien-Nama, einen solchen Vertrag. Für die Zahlung von fünf Pfund Sterling und 200 Gewehren wollte er als Gegenleistung die Bucht Angra Pequena und angrenzendes Land in Westafrika, dem Territorium des heutigen Namibia, erhalten. Weitere Beispiele sind die Verträge, die der Kolonialagitator Carl Peters mit Mafungu Miniani, in den Vertragsdokumenten als Sultan von Nguru bezeichnet, in Ostafrika abschloss. Sie sind in einer Abhandlung des staatswissenschaftlichen Seminars Jena von 1913 abgedruckt.96 In einem dieser Verträge heißt es, Mafungu Miniani trete als »alleiniger Souverän des Landes Quaniani Quatunge in Nguru« sowohl private Rechte an Land als auch solche Rechte ab, »die nach Begriffen des deutschen Staatsrechts die Staatsoberhoheit« bedeuten. Diese Rechte sollten unter anderem das alleinige Recht umfassen, Grund und Boden, Forste und Flüsse »in jeder ihm [Carl Peters] beliebenden Weise« auszunutzen wie auch eine eigene Justiz und Verwaltung einzurichten sowie Steuern und Zölle zu erheben. Im Gegenzug sollte Peters beziehungsweise die Kolonialgesellschaft, für die er handelte, den Schutz des Sultans und seines Volkes übernehmen. Die Verträge sollten »für ewige Zeiten gültig« sein.97
Die deutschen Vertragspartner waren häufig juristische Personen, sogenannte Kolonialgesellschaften. So schloss Carl Peters seine Verträge für die im März 1884 gegründete Gesellschaft für deutsche Kolonisation, die später zur Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft wurde.98 In die Rechte der von Lüderitz geschlossenen Verträge trat nachträglich die Deutsche Kolonialgesellschaft für Südwestafrika ein. Neben diesen beiden gab es eine Reihe weiterer »Kolonialgesellschaften«. Die Gründung von Gesellschaften allein zum Zweck der Kolonisation diente zum einen der Kapitalbeschaffung, also der Finanzierung der kolonialen Projekte. Zum anderen erlaubte sie es den Kolonisierern, ihre persönliche Haftung auszuschließen und damit die finanziellen Risiken für die beteiligten natürlichen Personen zu minimieren. Die Notwendigkeit, Kapital für das risikoreiche Projekt der Kolonisation zu gewinnen, war eine wichtige Motivation für die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform Ende des 19. Jahrhunderts – der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH).99
Die von privaten Akteuren abgeschlossenen Verträge dienten der Legitimation der Kolonialherrschaft durch das Reich. Als deutlich wurde, dass ihnen die Mittel fehlten, ihre »Erwerbungen« gegen den Widerstand der lokalen Bevölkerung zu verteidigen, änderte das Reich seine Kolonialpolitik. 1884 proklamierte der Reichstag die »Unterschutzstellung« der von Lüderitz vertraglich »erworbenen« Bucht Angra Pequena. Es folgte die Ausrufung weiterer Schutzgebiete.100 Das Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Schutzgebiete von 1886 legte fest, dass der Kaiser in den Kolonien die »Schutzgewalt« im Namen des Reiches ausübte. »Schutz« sollte sich hier sowohl auf den Schutz der weißen Europäer und der von ihnen erworbenen Rechte in den Kolonien als auch den Schutz der Kolonisierten beziehen, zu dem sich die Kolonialmächte bei der Berliner Konferenz, die bis heute die Aufteilung Afrikas unter den Kolonialmächten symbolisiert, verpflichteten. 1884 hatte Reichskanzler Bismarck die Konferenz einberufen. Sie diente den europäischen Staaten vor allem dazu, ihre Herrschaftsansprüche und gegenseitigen Verpflichtungen auf dem afrikanischen Kontinent festzulegen, die sie mit der Abschlussakte von 1885 verabschiedeten.101
Die Aufteilung eines ganzen Kontinents ohne Beteiligung der Bewohnerinnen war durch das Völkerrecht legitimiert. Das »Europäische Völkerrecht« privilegierte die europäischen Staaten als »zivilisierte« Nationen. Es erlaubte ihnen die Kolonisation von Gebieten außerhalb Europas durch Okkupation »unbesiedelten Gebiets«, sogenannter terra nullius, und durch den Abschluss von Protektoratsverträgen, mit denen sich die Kolonialmächte Souveränitätsrechte von anderen Staaten übertragen ließen. Die deutsche Kolonisation entsprach allerdings keinem dieser beiden durch das Völkerrecht anerkannten Wege.102Die von Deutschland beanspruchten Gebiete waren besiedelt und konnten deswegen nicht als herrenlos qualifiziert und damit auch nicht völkerrechtmäßig durch Okkupation kolonisiert werden.103 Deutsche Völkerrechtler wussten sich damit zu helfen, dass sie das Konzept umdeuteten. Okkupation sollte auch dann den Kolonialerwerb ermöglichen, wenn es sich nicht um »herrenloses Land« handelte, sondern nur eine »herrenlose Souveränität«, wenn auf dem betreffenden Gebiet also keine Staatlichkeit bestand. Mit der Konstruktion der »herrenlosen Souveränität« verwickelten sich die deutschen Kolonisierer aber in weitere Widersprüche. Einerseits sprach das Reich den kolonisierten Gemeinschaften politische Souveränität ab, andererseits schloss es mit politischen Führungspersönlichkeiten Verträge, die schon genannten Schutzverträge, in denen es sich Souveränitätsrechte übertragen ließ. Mit diesen Verträgen wollte das Reich im Verhältnis zu den anderen europäischen Kolonialmächten eine Art Anwartschaft begründen, bis durch Okkupation der volle Kolonialerwerb des betreffenden Territoriums erfolgen würde. Die deutschen Kolonien konnten völkerrechtlich also auch nicht als Protektorate gelten. Denn das hätte erfordert, die Souveränität der Vertragspartner anzuerkennen.104
Das zeitgenössische Völkerrecht ließ rein symbolische Handlungen wie das Hissen von Flaggen für eine Okkupation nicht ausreichen, sondern...