Fallada / Schulze | Anton und Gerda | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 311 Seiten

Reihe: Hans Fallada bei Null Papier

Fallada / Schulze Anton und Gerda


Überarbeitete Fassung
ISBN: 978-3-96281-350-5
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 311 Seiten

Reihe: Hans Fallada bei Null Papier

ISBN: 978-3-96281-350-5
Verlag: Null Papier Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Falladas Frühwerk - »Menschen? Hungrige Hirne, mit Schleckerei gefüttert, schlaff gemacht.« Der mittellose Dichter Anton Färber ist bei Freunden auf dem Land untergekommen. Aus einer plötzlichen Laune heraus, begibt es er sich auf eine Wanderung ans Meer. Und er (oder der Autor?) erinnert sich zurück an sein Elternhaus. Das experimentelle Frühwerk Falladas, das zwischen langen Monologen, knappen Dialogen und rätselhaften Geschehnissen changiert und schwer zu erarbeiten ist. Man weiß nie genau, ob das, was passiert, real ist, ob es vielleicht mal passiert ist oder ob es nur den Wünschen Färbers (Falladas?) entspringt. Null Papier Verlag

Hans Fallada (21. Juli 1893-5. Februar 1947), eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen, war ein deutscher Schriftsteller. Sein nüchterner, objektiver Stil, in dem er seine fiktionalen Berichte über meist scheiternde Gestalten verfasste, macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der 'Neuen Sachlichkeit'.
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Fiebertag


Längst schlug die Uhr fünf. Lichter wurde die Nacht.

Schon erkennt er, vernebelt noch, die schnörkligen Hochgiebel der alten Häuser mit ihren Ladeluken, am Wall.

Nicht nur sie. Eine kleine holde Gestalt streicht ihm entgegen – sein Herz stockt: »Nein, nein, wie sollte sie es sein?« –, eine Hand fasst ihn, und aus dem Stimmklang ahnt er das frohe Lächeln hinterm Schleierhauch, als sie ihn grüßt: »Siehst du, da bist du!« Und: »Du musstest ja kommen.«

»Freilich, ich wollte wählen, überlegen, doch dann merkte ich, dass alles längst beschlossen.«

(»Aber das sage ich dir nicht, dass ich dich verriet. Selbst dir nicht!«)

»Nun aber hinauf mit dir! Wie kalt deine Hände sind und wie feucht!«

(»Ja – doch! Einmal werde ich dir auch das sagen können … einst.«)

»So, und nun hier die Stufen. Wart einen Augenblick, schließe das Haus nur noch zu. – Hier sind wir.«

Der Schalter knackt, Licht flammt auf, und in ihrem Aufschrei – »Gott, wie siehst du aus!« – erblickt er vor sich einen Jungen, blutleeren Gesichtes, Haare wild in der Stirn, mit flammendem Mund wie ein Wundriss, gebeutelten Kleidern, feuchten, verdreckten, und dem irrenden Blick eines Zweiflers.

Ja, auch er zweifelt, wendet sich ab, zweifelt mit dem Mund, irrt mit den Augen, wendet sich ab.

Da begreift der Achtzehnjährige, dass er in diesen regengestrichenen, winddurchsausten Nachtstunden noch andere Wege ging wie die lehmfeuchten des Walls, bittere Wege, begreift’s, dass die gradlinigen amönen Wiesenpfade passiert sind, dass nun die Hecken und Knicks kommen, die so stachlig sind, unübersichtlich, eng.

War es dies, das ihn murmeln machte: »Verurteilt vor der Schuld und verdammt ohne Berufung …?«

Sie stand neben ihm, sah das Weicherwerden des Gesichts – schon zuckte die Lippe –, und sie ahnte vielleicht, dunkel und trübe, das Zerren der alten Bande, das Erwachen einer Stallmüdigkeit, das Erinnern an welche Eltern, aber weichhändig spielt sie die Strähnen aus der Stirn, schmeichelt die Falten fort, ruft: »Was schaust du dich an? Wirst dich doch kennen. Dort hinein und ins Bett. Einen Tee koch ich dir …«

Im Zimmer stand er, sah um sich, atmete auf. »Allein! Sie hat mich nicht erraten!«

?

Wundersam streichelt die glatte Kühle der Laken die erhitzten Glieder, seidig schmiegt sich das Kissen in den Nacken, die Lider sinken zu, und nur die Nase noch schnuppert nach einem Gemisch von Düften, das sie zu unterscheiden beginnt, aber dessen Bestandteile sie nicht bestimmen kann. Kleine Bilder blühen hinter den geschlossenen Lidern auf: ein ovaler Ring in lila Farbe, bläuliche Flämmchen zacken von ihm, dann ein tiefblauer Ball mit weißgoldenem Rand, dann – und er reißt die Augen auf, faltet die Hände, als ihm einfällt, dass es vielleicht sinnlos ist, das Abendgebet zu sprechen, da sich doch alles so veränderte. Aber auch das muss erst durchdacht werden, er wird das Gebet so lange zurückstellen und auch gerade hier, ob es nicht hier geschmacklos ist?

»Aber nein, grade hier …« und steigenden Trotz in sich und das Bewusstsein, wie kindisch doch solcher Trotz, betet er – gegen die anderen, gegen die Eltern und auch gegen ihn, den Gott – sein Vaterunser, atmet ein paarmal rasch, schluckt, fühlt das Bedürfnis, laut zu sagen: »Alles egal!«, und bläst wieder in die Kissen.

Als die Tür aufgeht und er hellwach tastenden Schritten lauscht.

»Jo?«

»Ja?«

»Ich habe dir deinen Tee gebracht. Aber alles Licht ist aus. Ja, hättest du nur wenigstens die Nachtlampe angelassen. Wie soll man denn …«

Ganz leise und zag: »Verzeih nur.«

Das Licht glüht sanft, sie sagt: »O du Dummer du, wie soll ich denn im Dunkel mein Bett finden?«

»Ich dachte … dein Bett …«

»Ja, mein Bett … wie …?«

»O verzeih nur …«

»Da schaust du. Wo steht es wohl, mein Bett?«

»Aber, Gerda! Hättest du das doch gesagt. Ich gehe, einen Moment …«

Und er will hinaus, hält voll Scham inne, angelt mit dem nackten Fuß in der Kühle, sieht sie so verzweifelt an, dass sie ihn auslacht. »Dieses eine Zimmer hab ich eben nur. Nein, schau nicht so ängstlich aus, wir werden uns schon vertragen. Leg dich rum, schau dir die Tapete an, gleich bin ich bei dir.«

(Es ist ein Märchen. Ein Traum. Gleich wache ich auf, und Martha ruft mich zum Kaffee. Aufstehn, junger Herr …! Gott!)

»O Gerda, Gerda, was habe ich gemacht! Ich muss doch nach Haus. Was sollen denn die Eltern denken, wenn ich um sieben nicht zum Kaffee da bin?«

»Gleich legst du dich wieder hin.«

Aber er hat es schon getan, denn im Auffahren sah er etwas Weißes, atmend Bewegtes. ›O Gott ich habe ihre Brust gesehen. Nein, nein, ich darf nicht so an sie denken. Ich beschmutze sie und mich und all meine Gefühle für sie, wenn ich so an sie denke. Aber wenn sie wüsste!‹

Und wieder kommt die Angst, und wieder bettelt er: »Lass mich doch aufstehen, Gerda. Du weißt nicht, was geschieht …«

»Du bleibst liegen. Das wäre noch schöner, so nass und verfroren gleich wieder heraus. Wo du grade ein bisschen warm geworden bist. Da trinken die Herren Eltern eben einmal allein Kaffee. Was ist dabei? Ein so großer Sohn …«

»Aber du verstehst nicht, es ist unmöglich …«

Doch sie lacht nur, lacht seine Unmöglichkeiten in den Grund. »Wenn du jetzt nicht ganz still bist, so stelle ich mich wie ich bin, splitterfadennackt, vor dein Bett und nehme dich in meine Arme …«

Er sagt kein Aber mehr, er schweigt, doch er muss immer daran denken, was sein wird, morgen früh, am Kaffeetisch, die Eltern, das unberührte Bett, die Fragen … Und sein Kopf ist so seltsam heiß, nun dreht sich alles, das Bett scheint unter ihm fortzurutschen, wird lang, länger, schräg, und er gleitet darauf hinab, reißend schnell … Nein, das ist ja die Warnow. Er steht auf dem Dampfersteg, das Wasser gleitet so schnell unter ihm, gluckst an den Pfosten, als lachte es … Nun treiben Blasen, schwindlig greift er zum Geländer, will sich halten, aber das Geländer ist fort, er greift ins Leere. Und immer schneller treibt das Wasser, immer schneller, singt leise, kühl, kühl, etwas Weißes treibt darauf, ein Blatt Papier, der Examensaufsatz: Iphigenie, ein Inbegriff deutscher Sehnsucht, nein, es ist eine Blüte, eine große weiße Blüte, und sie treibt näher, immer näher, sie rührt ihn kühl an –: er schreit, er reißt die Augen auf. Da ist ihr Gesicht über ihn geneigt: ein Leben genügt nicht, diesen ihren Blick zu erschöpfen, in dem alles liegt: Liebe, Not, Nichthelfenkönnen und die Angst der zu oft Enttäuschten.

»Ist dir besser, armer Junge?«

»Das ist dein Gesicht, Gerda? O das ist gut. Halte es nahe. Es weht kühl von ihm, aber in mir ist eine Hitze, ich verbrenne. Das ist die Sünde in mir, die den Leib verbrennt …«

»Was solltest du wohl für eine Sünde in dir haben, mein kleiner Kerl?«

»Das ist die Sünde, dass ich falsch gedacht habe und sündhaft, dass ich hochmütig gewesen bin und ehrgeizig und stolz. Er aber hat gesagt: ich will deine Sünden von dir nehmen und dich rein waschen wie ein Lamm, das zur Scherbank kommt. Nein, das ist nicht der Spruch, den ich meine. Wo steht er doch? Er steht im ersten Buche Mosis und...



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