E-Book, Deutsch, 412 Seiten
Campbell Moorlande
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-7499-0862-2
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte der Whiteheart-Frauen | Frauenroman | Für Fans von »Die Unbändigen« und »Gesang der Flusskrebse« | Eindrucksvolle Naturbeschreibungen | Weibliche Widerstandskraft
E-Book, Deutsch, 412 Seiten
ISBN: 978-3-7499-0862-2
Verlag: HarperCollins eBook
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Versteckt im Great Massasauga Sumpf in Michigan, liegt eine kleine Insel, die kein Mann zu betreten wagt. Hier lebt Hermine, von den Menschen der Region ehrfürchtig 'Herself' genannt, die schon Generationen von Frauen von ihren Leiden heilte und in dieser Wildnis selbst drei Töchter und eine Enkeltochter aufzog.
Donkey, benannt nach der Eselsmilch die ihr Leben als Säugling rettete, wächst fern ihrer eigensinnigen Mutter, umgeben von Insekten, wuchernden Pflanzen und Klapperschlangen auf. Fasziniert von allem, vor dem ihre Großmutter sie warnt, versinkt die elfjährige in Mathematikbüchern und Träumen von einem Vater. Doch Donkey ahnt nicht, wie gefährlich ihre Wünsche sind. Denn die Stammbäume im Great Massasauga Sumpf, sind durchzogen von Missbrauch und Gewalt.
Bonnie Jo Campbell, Finalistin beim National Book Award und beim National Book Critics Circle Award, Guggenheim-Stipendiatin, Preisträgerin des AWP Grace Paley Prize for Short Fiction und eines Pushcart Prize, lebt außerhalb von Kalamazoo, Michigan, mit Eseln. Sie ist die Autorin von »American Salvage«, »Mothers, Tell Your Daughters«, »Women & Other Animals« und den Romanen »Q Road« und »Once Upon a River«.
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1
Rose Thorn kommt immer wieder nach Hause.
Irgendwann einmal, im schwarzschlammigen Feuchtland des gemeindefreien Whiteheart, wo die Steuern niedrig sind, zogen Farmerfamilien den feinsten, zartesten Sellerie der Welt, den weißen Staudensellerie. Will heißen, der Ort wurde nicht nach den europäischen Siedlern benannt, die die reichhaltige Potawatomi-Kultur, die vor ihnen da war, zu zerstören suchten, sondern vielmehr nach der Feldfrucht, die die Siedler anbauten, jener Feldfrucht, die ein halbes Jahrhundert lang den Menschen hier ihren Lebensunterhalt lieferte.
Massasauga Island selbst hat eine Geschichte, die Jahrhunderte zurückreicht, aber der Teil, um den es auf diesen Seiten geht, beginnt erst am achten Mai vor vierzehn Jahren, als die Sonne hell schien, wenn auch nicht auf die Menschen hier, weil sie die dichte Wolkendecke nicht zu durchdringen vermochte. Zu dieser Zeit lebte Herself noch auf der Insel und kurierte Beschwerden, wenn auch ihre Arzneien in letzter Zeit besonders bitter schmeckten, weil ihr ihre drei Töchter fehlten. Im September war ihre Jüngste, Rosie, auf und davon gegangen, zu ihrer Schwester Primrose, die in Kalifornien lebte, so weit weg von Herself, wie sie nur konnte. Molly, die mittlere Tochter, arbeitete im nahe gelegenen Krankenhaus, war aber derzeit in Lansing wegen eines Intensivausbildungsprogramms zur eigenverantwortlich arbeitenden Pflegefachkraft. Die Geschichte der Töchter beginnt also mit deren Abwesenheit.
An diesem Tag tranken eine Handvoll Männer, darunter drei Farmerssöhne und ein Farmarbeiter, im Muck Rattler ihr Sonntagsvormittagsbier oder -softgetränk und versuchten das sehnsüchtige Ziehen zu lindern, das sie jetzt immer nach dem Gottesdienst verspürten. Nach den Predigten des vorigen Reverend hatten die Leute die Kirche fröstelnd, benommen und überwältigt verlassen wie nach einer Geistergeschichte, und jetzt verließen sie sie mit einer Liste von Anweisungen, Verboten und Urteilen. Heute hatte Reverend Roy, der Neffe des alten Reverend, gesagt, sie müssten der Versuchung widerstehen, irgendetwas von Hermine Zook zu wollen. Christus habe gelitten, sagte er, also würden sie ebenfalls leiden. »Gotteserkenntnis«, hatte er gesagt, »erwächst aus dem Schmelzofen des Elends.«
Bei diesen Worten durchzuckte ein Schmerzblitz seine Kreuzgegend – eine kürzlich erfolgte Operation hatte keine Erleichterung gebracht –, und der echte Schmerz in seiner Stimme verlieh seiner Botschaft Gewicht. Sein Leiden verschlimmerte sich, seit Molly weg war. Er erkannte zwar ihre Abwesenheit nicht als Ursache des Schmerzes an, betrachtete aber die doppelte Heimsuchung als eine weitere Prüfung, der ihn der Allmächtige unterzog.
Die Männer tranken lieber draußen am Picknicktisch des Muck Rattler zur Straße hin, weil es nach einem Unwetter letzte Nacht im fensterlosen Inneren der Kneipe dunkel sein würde, bis der Strom wieder da war. Die fünf standen unter dem Himmel, der so milchig war wie das Auge eines blinden Pferds, und brüllten, um einander beim Lärm des Dieselaggregats, das die Kühlschränke des Rattler am Laufen hielt, verstehen zu können. Wären sie drinnen gewesen, hätten sie verpasst, was da die Lovers Road entlangkam.
Nach Osten und nach Westen reihten sich, so weit die Männer blicken konnten, uralte Schwarzweiden, manche fünfundzwanzig Meter hoch – höher, als diese Baumart normalerweise wird. Der Boden war weich vom Unwetter der Nacht und das Blattwerk ein einziges üppiges Grün, noch nicht vergällt von den sirrenden Mücken, die im Sumpf und in den Straßengräben schlüpfen würden, sobald es wärmer wurde. Diese Woche halfen die Farmerssöhne, auch wenn ihre Großväter gesagt hätten, dass es für die Aussaat noch zu früh war, ihren Vätern, die Maschinen bereit zu machen. Die Farmer säten mit den Jahren immer früher, sagten es aber nicht gern. Von den Mustern ihrer Großväter und Urgroßväter abzuweichen, setzte sie unter Spannung, und manche entwickelten bereits etwas, was sich wie eine merkwürdige Form von Spielsucht anfühlte. Es konnte sein, dass ein Farmer um drei Uhr morgens aus einem Albtraum erwachte, in dem seine Seele im Bett aus seinem Körper entwich und durch einen Fensterspalt davonschwebte, und dass er dann hinaus in seine dunkle Scheune ging, seine Sämaschine anwarf und auf der leeren Straße zu seinem nächstgelegenen Feld tuckerte.
Die betreffenden Farmer wussten nicht, was sie trieb, aber die frühe Aussaat war zum Teil eine natürliche Reaktion auf die leichte Erwärmung des Planeten, die sie tief in ihrem Inneren fühlten; und wenn ein Mann sein erstes Feld angesät hatte, witterten die anderen den Aufstieg eines neuen Anführers und folgten ihm, indem sie ebenfalls früh säten. Die Männer taten dies, obwohl ihre Väter und Großväter sie gelehrt hatten, dass Getreide in kaltem Boden nicht keimt – obwohl die übereilten Aktionen ihnen schlaflose Nächte bringen würden, erfüllt von der Sorge, dass die Saat erfrieren könnte.
Die meisten Frauen warteten, wie sie es immer getan hatten, mit der Aussaat in ihren Gemüsegärten, bis sie Hermine in ihrem Garten vor Wild Wills Boneset House – die Insel selbst war für Gemüse zu schattig – säen sahen, aber einige bekundeten Solidarität mit den Männern, indem sie ebenfalls früh säten. Diese Frauen zogen jedoch, einfach nur sicherheitshalber, auch noch Setzlinge in den Eierkartonanzuchtschalen im Schutz der kleinen Gewächshäuser, die sie aus alten Einfachfenstern gebaut hatten. Das ganze Jahr sammelten sie Eierkartons, wie sie es immer getan hatten, und hinterließen die, die sie selbst nicht brauchten, auf dem Boneset-Tisch, damit Herself sie mit Eiern der mit Kräutern gefütterten Inselhühner füllen konnte.
Titus Clay war nicht unter den Farmerssöhnen an diesem Spätvormittag im Muck Rattler, noch nicht. Nach dem Gottesdienst hatte er gesagt, er wolle mit seinem Vater nach Hause gehen, um nach ihren Notstromaggregaten zu sehen, und werde bald nachkommen, aber die Männer im Muck Rattler waren sich nicht ganz sicher, ob sein Vater, Titus Clay senior, nicht vor ihnen allen mit der Aussaat beginnen würde. Trotz des dünnen Bluts, an dem er litt und das er Titus junior vererbt hatte, lebte der bedeutende ehrbare Farmer in einer Welt der Gewissheit und war bekannt dafür, unverrückbare und bindende Entscheidungen von jetzt auf gleich zu treffen. Während die Sonne sich durch den Nebel zu kämpfen versuchte, hielten sie Ausschau nach Titus’ Pick-up. Alles ergab mehr Sinn, wenn Titus dabei war. Obwohl erst vierundzwanzig, hatte er immer den passenden Witz parat, das passende Bibelzitat, den passenden Kommentar, wenn ein Mann ein Loch grub (»Larry, sieht aus, als ob du deinem schlimmsten Feind eine Grube gräbst – ich seh dich schon selbst reinfallen«) oder eine verführerische Frau im Ort auftauchte (»Zurrt eure Planen fest, Jungs, da kommt ein Tornado im Rock«). Während sie auf ihn warteten, waren sie in nervöser Bewegung, als könnte keine Steh- oder Sitzposition, die sie einnähmen, wirklich richtig sein, und rückten ihre Kragen und Gürtel zurecht. Die Mehrzahl der Männer trug zum Kirchgang Jeans und ein sauberes Sportshirt und Rick Dickmon sogar ein Button-down-Hemd, Jamie Standish aber hatte seine üblichen Tarnhosen und ein grünes T-Shirt an, und es war bekannt, dass er immer eine kleine Pistole in der Tasche trug, selbst im Haus des Herrn.
Diese Männer versuchten ein anständiges, behagliches Leben zu leben. Sie alle – auch Smiley, der Barmann, der bald herauskommen würde – hatten die Vorstellung, von ihrer Familie und ihren Freunden aufrichtig gemocht und respektiert zu werden und locker und nett mit jedem im Ort reden zu können. Ihr Hang zur Bescheidenheit wurde nur durch den Wunsch gemildert, als Männer wie ihre Väter und Großväter anerkannt zu werden, aber sie hielten sich nicht für sonderlich wichtig im Gesamtgefüge der Dinge. Standish dachte, er wäre vielleicht wichtig geworden, wenn er zu den Marines hätte gehen können, aber mit seinen dreiundzwanzig Jahren hatte er bereits die Füße eines alten Mannes – platt und mit Ballenzehen und eingewachsenen Fußnägeln, die sich leicht entzündeten.
»Denkt ihr, es ist noch okay, Aspirin zu nehmen?«, fragte Tony Martin. »Reverend Roy hat gesagt, wir sollen uns einfach zusammenreißen.«
Niemand hatte darauf eine Antwort oder auch nur einen spöttischen Kommentar. Sie alle hofften, dass es nicht das war, was der Reverend meinte. Standish schüttelte den Kopf, sauer, dass Tony das Dilemma ansprach. Tony, genannt Two-Inch-Tony, war nicht aus Whiteheart, seine Eltern waren aus Potawatomi auf der anderen Seite des Flusses; er hatte vor sechs Jahren die rothaarige Cynthia Darling geheiratet und bemühte sich immer noch dazuzugehören. Cynthia hatte sich im letzten Monat mit Standishs Frau Prissy in Standishs Küche betrunken, und Standish, der nebenan fernsah, hatte gehört, wie sie lachend über die mangelnde sexuelle Leistungsfähigkeit ihrer Ehemänner herzogen. Am nächsten Morgen hatte er seinen Pick-up an der Lovers Road geparkt und war hinüber zum Boneset-Tisch gegangen, wo Hermine Zook, Herself, wie so oft um diese Tageszeit in einem großen Holzstuhl saß, die Zöpfe zu einem Kranz um den Kopf geschlungen und diese verdammte gruselige Kaurimuschelkette auf dem Busen. Jetzt kam er sich wie ein Idiot vor. Schon beim Gedanken, dass er auf dem Klappstuhl neben dieser Hexe gesessen und ihre Hand gehalten hatte, wo ihn jemand hätte sehen können, ließ ihn schamrot werden und bewirkte, dass seine Füße schmerzten. Als Herself ihn angesehen hatte, waren ihr Tränen in die Augen getreten. Wer, zum Teufel, war...