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E-Book, Deutsch, 204 Seiten
Bürgel / Inal Fremdsprachenlehren und -lernen im Spannungsfeld von digital und analog
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-381-10713-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 204 Seiten
ISBN: 978-3-381-10713-1
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Christoph Bürgel ist Inhaber des Lehrstuhls für Didaktik des Französischen und Spanischen an der Universität Paderborn. Dr. Benjamin Inal ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der Didaktik des Französischen und Spanischen an der Europa-Universität Flensburg.
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2. Zur Frage der Nachhaltigkeit der Digitalisierung
In diesem ersten Abschnitt möchte ich einen knappen, aber umfassenden Blick auf die Digitalisierung werfen und deren Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit sowie Dauerhaftigkeit kritisch hinterfragen. Es wird sich zeigen, dass das meiste, was die Digitalisierung bietet, nicht sinnvoll, nicht nachhaltig und daher glücklicherweise auch nicht von längerer Dauer sein wird.
Fragen wir uns zunächst, in welchem gesellschaftlichen Rahmen die Digitalisierung steht. Ökonomisch betrachtet stechen zwei Aspekte heraus: zum einen stellt die digitale Ausstattung der Schulen ein Milliardengeschäft für die einschlägigen Konzerne dar, insbesondere auch deshalb, weil es niemals allein bei der Erstausstattung bleibt, sondern aufgrund der ökologisch höchst fragwürdigen geplanten Obsoleszenz der Geräte in sich stetig verkürzenden Zyklen bereits die nächste Gerätegeneration erworben werden muss. Die Notwendigkeit dieser Ausstattung wird von Organisationen wie der OECD mit der sogenannten begründet, einer Ausbildung für den zukünftig als stark digitalisiert imaginierten Arbeitsmarkt – was durchaus bezweifelt werden kann: zwar werden in Zukunft mehr Fachkräfte z. B. in der Softwareentwicklung benötigt werden, gravierender werden aber Engpässe in Pflegeberufen, medizinischen Gesundheitsberufen, Handwerk, Handel und den sog. MINT-Bereichen ausfallen, die zwar auch Anteile von Digitalisierung enthalten, aber letztlich nur Bedien- bzw. Nutzerkompetenzen verlangen.
In Wirklichkeit gehe es nach Meinung vieler Kritiker darum, „[d]ie Schulen … faktisch zu Keimzellen eines BigData-Ökosystems“ zu machen, wie es sogar in einem Buch heißt, das Big Data befürwortet (Mayer-Schönberger/Cukier 2014: 52). D.h., es geht um die undemokratische Totalüberwachung der Verhaltens-, Kommunikations-, Lern- und Entwicklungsdaten und den Handel mit den persönlichen Daten der Schüler. Die Digitalisierung schafft „ein viel unauffälligeres und zugleich wirksameres Machtmittel, nämlich die Beherrschung des Rückkanals, also aller Reaktionen auf die Angebote und Entwicklungen der smarten Diktatur. Solche Herrschaft kann kontrollieren, was die Beherrschten selbst zu sein glauben und sein wollen. Das ist herrschaftstechnisch die innovativste Übergangszone ins Totalitäre.“ (Welzer 2016: 234)
Neben dem ökonomischen Rahmen sind die ökologischen bzw. materiellen Grundlagen der Digitalisierung in den Blick zu nehmen. Dabei sind vereinfacht gesprochen zwei verschiedene Gesichtspunkte wichtig: zum einen verbrauchen Herstellung und Nutzung digitaler Geräte Energie und tragen somit in nicht unerheblichem Maße zur Erderwärmung bei, zum anderen werden für ihre Herstellung ca. 30 Metalle, darunter 17 sogenannte seltene Erden verwendet.
Der Begriff ,seltene Erden‘ geht darauf zurück, dass der weltweite Vorrat derselben in seiner Gesamtheit z. B. etwa 15000-mal weniger als der Vorrat an Eisen beträgt; vor allem sind seltene Erden jedoch in sehr geringen Mengen in den jeweiligen Lagerstätten vorhanden (meist 1 %, maximal 5 %). Zur Herstellung eines typischen Windkraftwerks benötigt man beispielsweise 17 kg seltene Erden. Der Bedarf an seltenen Erden steigt im Durchschnitt um 6 % pro Jahr, für einzelne Metalle, wie Dysprosium (z. B. in Magneten in Windkraftanlagen eingesetzt) oder Neodym (z. B. in Kernspintomographen oder Festplatten zu finden), jedoch um einen wesentlich höheren Faktor (700 % bzw. 2500 %). Das bedeutet in einfachen Zahlen ausgedrückt, dass wir in den nächsten 25 Jahren genauso so viel seltene Erden (ver)brauchen werden wie in den 50.000 vorhergehenden Jahren der Menschheitsgeschichte. Für die ,zukunftsweisenden‘ Sektoren der Robotik und Drohnen werden übrigens sämtliche dieser Metalle benötigt.
Ca. 60 % der seltenen Erden sowie Zwischenprodukte wie Magnete und Batterien kommen aus China, was ein Versorgungsrisiko darstellt. So reduzierte China z. B. im Jahr 2011 die Exportquoten, was zur Folge hatte, dass sich die Preise einzelner seltener Erden im Jahr 2011 außerhalb Chinas versechsfachten. Neben geopolitischen Auseinandersetzungen wird auch der bald einsetzende Rückgang fossiler Brennstoffe für Probleme bei der Extraktion und beim Transport von Metallen sorgen, auch aus anderen Förderländern wie Brasilien, Kanada und Chile. Bei wachsender Energieknappheit wird gleichzeitig immer mehr Energie benötigt werden, um die in immer geringerer Dichte im Erdboden vorhandenen Metalle zu extrahieren. Schließlich sei erwähnt, dass der Bergbau einen sehr hohen Wasserbedarf hat und durch Grabungen sowie das Einbringen von Chemikalien in den Boden die Wasserqualität beeinträchtigt. Schon jetzt tritt er in Abbauländern wie Chile und Peru in Konflikt mit der Grundversorgung der Bevölkerung mit Wasser (vgl. z. B. Leprince 2022).
Wer nun der Meinung ist, dass sich diese Problematik durch das Recycling von Altgeräten lösen lasse, der verkennt mehrere wesentliche Punkte. Erstens ist zu beobachten, dass die Anzahl der elektronischen Geräte stetig zunimmt. Zweitens müssen diese Geräte aufgrund der geplanten Obsoleszenz regelmäßig ersetzt werden. Drittens stehen diesen Herausforderungen bisher nur sehr begrenzte Recyclingmöglichkeiten gegenüber. Aktuell wird die Recyclingrate bei seltenen Erden auf weniger als 1 % geschätzt. Aus einem Smartphone z. B. sämtliche Metalle wieder separat zu entfernen ist bisher unmöglich, und selbst die entnehmbaren Anteile können nur per Hand entfernt werden, was ökonomisch nicht machbar ist. Die Realität sieht derzeit so aus, dass ein Großteil der Altgeräte in Müllverbrennungsanlagen landet. Etwa 15 % der Geräte werden in Städte des ,Globalen Südens‘ wie Akkra (Ghana), Lagos (Nigeria), Karachi (Pakistan) exportiert, wo u. a. Kinder die elektrischen Kabel und Stromkreise verbrennen, wodurch Schadstoffe wie Blei, Arsen und Kadmium in Wasser und Böden gelangen.
Damit kommen wir zu einem weiteren zentralen Problemfeld: dem Energieverbrauch. Die Digitalisierung ist abhängig von elektrischem Strom, dessen Verfügbarkeit für alle konkurrierenden Nutzer möglicherweise nicht in ausreichendem Maße gewährleistet ist. Um die Tragweite dieses Problems zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass aktuell etwa 84 % des weltweiten Energieverbrauchs aus fossilen Quellen stammen, während lediglich 16 % durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Auch in Deutschland ist der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch mit etwa 17,7 % (Herrmann 2022: 138) nicht wesentlich höher. In einer Welt, die eine Reduktion von CO2 oder gar eine vollständige Dekarbonisierung anstrebt, müsste theoretisch dieser 84 %-Anteil durch erneuerbare Energien ersetzt werden. Der Wandel vollzieht sich aber langsamer als es wünschenswert wäre: Im Verlauf der ersten zwei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts nahm der Anteil der Erneuerbaren zwar um den auf den ersten Blick eindrucksvoll erscheinenden Faktor 50 zu, was aber vor allem mit dem Ausbau der Wasserkraft zusammenhing. Gleichzeitig blieb der Anteil fossilen Kohlenstoffs aber etwa auf dem gleichen Niveau (87 % im Jahre 2000). Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie kommt daher für den Fall einer Dekarbonisierung zu dem Schluss, dass wir in der Zukunft mit mindestens der Hälfte weniger Energie auskommen müssen. Die aktuellen Prognosen der EIA z. B. gehen jedoch aufgrund demographischer und makroökonomischer Entwicklungen davon aus, dass auch 2050 fossile Brennstoffe noch einen erheblichen Anteil am Gesamtenergieverbrauch haben werden, auch wenn der Anteil der nicht-fossilen Brennstoffe an der Primärenergie auf 29 % bis 34 % im Jahr 2050 in allen angenommenen Szenarien steigen wird (EIA 2023).
Vor dem Hintergrund dieser Kombination aus Energie- und Rohstoffmangel gehen realistische Zukunftsszenarien von einer Rationierung und einem generellen Rückgang in allen Bereichen aus. Daher stehen uns im Grunde zwei Möglichkeiten offen: Entweder wir organisieren dieses Schrumpfen systematisch oder wir steuern auf katastrophale Versorgungsengpässe zu. Ein solches ,Vor-die-Wand-Fahren‘ kann man sich vorstellen als abrupten Zusammenbruch essenzieller Infrastrukturen, wie beispielsweise den Ausfall der Wasserversorgung in Großstädten von einem Tag auf den anderen, eine gnadenlose Abholzung der Wälder bis zum letzten Baum, letztlich einen Kampf ums Überleben, der jeden gegen jeden stellt, verbunden mit einem Massensterben.
Die geringere Verfügbarkeit von Energie führt unweigerlich zu einer Einschränkung der Nutzungsspielräume. In den üblichen Szenarien wird z. B. vom Wegfall des Flugverkehrs und seiner Ersetzung durch elektrifizierten Bahnverkehr ausgegangen. Hinzu kommt die Problematik der zeitweise aussetzenden Stromversorgung durch Wind- oder Dunkelflauten.
Schauen wir uns noch einmal spezifisch das Internet als Basis für die heutige Form der Digitalisierung an. Die Frage nach dem Stromverbrauch des Internets ist komplex und nicht einfach zu beantworten. Berücksichtigt man jedoch Datenspeicher, Endgeräte und Aktivitäten wie Krypto-Mining, so kommt man einem Bericht der Königlichen Technischen Hochschule (KTH) Schwedens aus dem Jahr 2019 zufolge auf etwa 10 % des weltweiten Gesamtstromverbrauchs. Dieses Ergebnis deckt sich mit einem Bericht der aus dem Jahr 2013 (vgl. Mills 2013). Wäre das Internet ein Land, würde es also beim Stromverbrauch weltweit an dritter Stelle stehen –...