E-Book, Deutsch, 318 Seiten
Reihe: Narr Studienbücher
Eine Einführung
E-Book, Deutsch, 318 Seiten
Reihe: Narr Studienbücher
ISBN: 978-3-8233-0360-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Prof. Dr. Ute K. Boonen lehrt Niederländische Sprachwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Ingeborg Harmes, M.A., lehrt Niederländische Sprache und Kultur am Institut für Niederländische Philologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Dr. Roland de Bonth ist Sprachwissenschaftler am Instituut voor de Nederlandse Taal (INT), Leiden. Dr. Ronny Boogaart lehrt Niederländische Sprachwissenschaft an der Universiteit Leiden. Dr. Truus Kruyt arbeitete als Lexikographin am Instituut voor Nederlandse lexicologie (INL), Leiden, und leitete dort die Abteilung Taal(data)bank. Dr. Michaela Poß (Menken) lehrte Sprachwissenschaft am Institut für England- und Amerikastudien der Universität Frankfurt am Main; sie leitet eine Agentur für datenbasierte Strategieplanung. Prof. Dr. Gunther de Vogelaer lehrt Niederländische Sprachwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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1.1 Die Verbreitung des Niederländischen
Spuren der niederländischen Sprache findet man weltweit. Die vielen Handels- und Kulturkontakte innerhalb und außerhalb Europas haben dazu geführt, dass wir bis heute noch sprachliche Einflüsse in verschiedenen Regionen der Welt finden. Dabei handelt es sich hauptsächlich um niederländische Wörter, die in anderen Sprachen übernommen wurden. Viele dieser Wörter beziehen sich auf das alltägliche Leben, die Seeschifffahrt, den amtlichen Bereich und den Handel. Beispiele für solche Wörter sind biru (bier) im Japanischen, brote (brood) im brasilianischen Portugiesisch, smear-case (smeerkaas) im amerikanischen Englisch, mápka (map) und kanál (kanaal) im Russischen, gávan (haven) und kontorá (kantoor ‚Büro‘) im Polnischen, kasir (kassier) im Javanischen oder notaris (notaris) und kakkussi-ya (kakhuis) im Singalesischen (Sri Lanka). In der Stadt New York erinnern bestimmte Ortsnamen noch an die niederländische Anwesenheit im 17. Jahrhundert: Broadway (Breede Weg), Brooklyn (Breukelen), Harlem (Haarlem) oder Coney Island (konijneneiland ‚Kanincheninsel‘). Derzeit ist Niederländisch die offizielle Amtssprache in den Niederlanden, Belgien, auf den Karibikinseln Aruba, Curaçao, Sint Maarten, Bonaire, Sint Eustatius und Saba sowie in Suriname. In den folgenden Kapiteln wird die Position des Niederländischen in den jeweiligen Gebieten vorgestellt. Anschließend gehen wir noch kurz auf die niederländische Sprache in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien, heute Indonesien, und die Tochtersprache Afrikaans ein. 1.1.1 Niederlande
Niederländisch ist die offizielle Amtssprache für die etwa 17,5 Mio. Einwohner:innen der Niederlande. Außerdem hat seit 1995 auch Friesisch (Fries) den Status einer offiziellen Sprache, allerdings nur in der Provinz Friesland. Friesisch wurde 1995 gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen als Regionalsprache (streektaal) anerkannt. Es gibt etwa 350.000 Sprecher:innen des Friesischen. Außer im familiären Umfeld wird Friesisch in bestimmten Bereichen wie in der Schule, der Verwaltung und der Rechtsprechung verwendet (s. Textbeispiel). Weder die niederländische noch die friesische Sprache sind übrigens in der Verfassung festgelegt. Sinds 1 januari 2014 hebben Friezen het recht om in Nederlandse rechtszalen Fries te praten, de tweede rijkstaal van Nederland. Dat is wettelijk bepaald in de Wet gebruik Friese taal. “Je had ooit een boer, ergens uit het noorden van Friesland. Hij had zijn hele leven alleen maar Fries gesproken. En na de lagere school had hij geen opleiding meer gehad. Het was een zaak over het oormerken van zijn vee. En hij wist echt niet meer wat het woord ‘twaalf’ in het Nederlands was. ‘Tolve!’, riep hij door de rechtbank. Als de rechters dat niet begrijpen, heb je toch echt een tolk nodig.” Algemeen Dagblad, 24.09.2021 Limburgisch (Limburgs) und Nedersaksisch sind seit 1997 bzw. 1996 auch als Regionalsprache anerkannt, haben aber nicht den gleichen Status wie das Friesische. Mit der Anerkennung als Regionalsprache verpflichten sich die Niederlande, die Regionalsprachen zu schützen und zu fördern. So subventionieren sie beispielsweise lokale Theatervereinigungen und lokale Radiosender, die auch in der eigenen Regionalsprache senden. Außerdem werden in den Niederlanden – wie in vielen anderen Ländern auch – weitere Sprachen verwendet, die aber keinen offiziellen Status haben. In den Niederlanden sind das vor allem die Sprachen der Immigrant:innen wie Türkisch, Marokkanisch-Arabisch, Papiamento (vgl. Kap. 1.1.3), Indonesisch und Sranantongo (vgl. Kap. 1.1.3). 1.1.2 Belgien
Belgien hat drei offizielle Sprachen: Niederländisch, Französisch und Deutsch. Von den etwa 11,5 Mio. Einwohner:innen leben über 6,6 Mio. Belgier:innen im niederländischsprachigen Flandern (Vlaanderen), 4,8 Mio. in der französichsprachigen Wallonie (auch: Wallonien; Wallonië), 1,2 Mio. in der französich-niederländischsprachigen Hauptstadtregion Brüssel (Hoofdstedelijk Gewest Brussel) und circa 78.000 in der deutschsprachigen Region Ostbelgien (Oost-België). Der belgische Föderalstaat ist in Gemeinschaften und Regionen eingeteilt. Die Gemeinschaften (gemeenschappen) sind sprachlich-kulturell ausgerichtet und gliedern sich in eine flämische, französische und deutschsprachige Gemeinschaft. Die Regionen (gewesten) sind politisch-administrativ ausgerichtet, im Norden liegt die Region Flandern und im Süden die Region Wallonien. Die Stadt Brüssel bildet eine eigene Region: die Region Brüssel-Hauptstadt (Brussel-Hoofdstad). Zudem werden auch hier – ohne offiziellen Status – verschiedene Immigrant:innensprachen verwendet, vor allem Italienisch, Marokkanisch-Arabisch, Portugiesisch und Türkisch. Die geografische Verteilung der drei offiziellen Sprachen ist in Artikel 4 der Verfassung festgelegt (s. Kasten): België omvat vier taalgebieden: het Nederlandse taalgebied, het Franse taalgebied, het tweetalige gebied Brussel-Hoofdstad en het Duitse taalgebied. Elke gemeente van het Rijk maakt deel uit van een van deze taalgebieden. De grenzen van de vier taalgebieden kunnen niet worden gewijzigd of gecorrigeerd dan bij een wet, aangenomen met de meerderheid van de stemmen in elke taalgroep van elke Kamer, op voorwaarde dat de meerderheid van de leden van elke taalgroep aanwezig is en voor zover het totaal van de ja-stemmen in beide taalgroepen twee derden van de uitgebrachte stemmen bereikt. Belgische Grondwet, Gecoördineerde tekst van 17 februari 1994 Laut Gesetz besteht Belgien also aus vier Sprachgebieten (Abb. 1.2): dem niederländischen Sprachgebiet in Flandern, dem französischen Sprachgebiet in Wallonien, dem deutschen Sprachgebiet in Ostbelgien bei Eupen und dem zweisprachigen Sprachgebiet in der Region Brüssel-Hauptstadt. Darüber hinaus gibt es die sog. Fazilitäten-Gemeinden (faciliteitengemeenten). In diesen Gemeinden, die unmittelbar an den Sprachgrenzen liegen, ist gesetzlich festgelegt, dass die Einwohner:innen das Recht haben, gewisse Verwaltungsdienste in der jeweils anderen Sprache zu erhalten. In einer Gemeinde, die eigentlich im französischen Gebiet liegt, können Bürger:innen auch auf Niederländisch oder Deutsch Leistungen beantragen, Formulare erhalten etc., und umgekehrt. Aus sprachpolitischen Gründen erkennt Belgien keine Regionalsprachen gemäß der europäischen Charta an. Abb. 1.2: Sprachgebiete in Belgien Wer in Belgien ist, bemerkt schnell, dass sich die gesprochene Sprache dort anders anhört als in den Niederlanden: (1) Ik heb een heel schoon kleedje gekocht in Antwerpen. (2) ja en hebde gij wiskunde al gemaakt? (CGN fv900251) (3) We gaan volgend jaar twee miljoen moeten bezuinigen. (ANS) Einige typische Merkmale des Niederländischen in Flandern sehen wir im Wortschatz: schoon statt mooi und kleedje statt jurkje. Andere Merkmale sind das Anredepronomen gij statt jij, die dialektale Variante mit doppelter pronominaler Markierung (gij in Kombination mit der klitischen Form de für gij), und die grammatische Konstruktion gaan moeten bezuinigen statt (zullen) moeten bezuinigen. In den letzten Jahrzehnten sprechen immer mehr Flam:innen eine bestimmte Form des Niederländischen, die kein Dialekt (mehr) ist, aber sich erheblich vom Niederländischen in den Niederlanden unterscheidet. Diese Form des Niederländischen ist unter dem Namen Verkavelingsvlaams oder auch tussentaal bekannt. Tussentaal (s. Textbeispiel) ist ein äußerst facettenreiches Phänomen, das in den letzten Jahren verstärkt im Zentrum des Interesses steht, sich aber nicht einfach beschreiben lässt. Tussentaal in de soapserie Thuis Amai waar da gij nog mee afkomt. Daar moet ik eens over nadenken ze. Euh mag et iets heel duur zijn? / Nee want al mijn geld steekt in de Fit&Fun. / Ah want ‘k ad anders een heel schoon kleedje gezien zo’n avondkleedje in rode zijde of die ring eh die bij de juwelier aan de kerk ligt weette nog de welke? / Mmmm. / Seg ben u maar aan ’t plagen hé. Ik wil toch maar één ding en da is nog jaren gelukkig zijn met u. Of ja ‘k eb misschien toch ook nog nen anderen...