E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Boeck / Lammel Von Rechtsquellen und Studentenverbindungen, Lateinamerikanistikpionieren und politisch Unangepassten
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-7431-8557-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Facetten Rostocker Universitätsgeschichtsschreibung (1)
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-7431-8557-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die vier in diesem Band vereinten Texte stellen die Ergebnisse neuester Forschung zur Rostocker Universitätsgeschichte vor. Was sie vereint, ist das Bestreben nach einer intensiven Durchsicht und Auswertung vorhandenen Quellenmaterials. So trägt Christian Halbrock auf der Basis der Unterlagen der DDR-Staatssicherheit Erkenntnisse zu "politisch abweichendem Verhalten" an der Universität Rostock zusammen, bei denen Haltungen vorherrschen, die sich mit den Begriffen "Verweigerung", Protest und Widerstand fassen lassen. Harald Lönnecker nimmt mit seiner archivalischen Studie das Rostocker Studentenvereinswesen seit dem späten 18. Jahrhundert bis 1935 in den Blick, während Susi-Hilde Michael die wesentlichen normativen Rechtsquellen der Universität Rostock für das 15. und 16. Jahrhundert einer genaueren Prüfung unterzieht. Ralf Modlich stellt den Pionier der deutschen Lateinamerikanistik Adalbert Dessau (1928-1984) vor, der das Fach in Rostock aufgebaut hat und durch seine internationalen Kontakte von besonderer Bedeutung für die Hochschule wurde.
Dr. rer. nat Gisela Boeck geb. Engel. Chemiestudium in Rostock 1973-1977, Aspirantur an den Universitäten Rostock und Leipzig 1977-1980, 1981 Prom. Dr. rer. nat. mit der Arbeit "Quantenchemische Berechnungen zur Thermodynamik chemischer Gleichgewichte", seit 1981 wissenschaftliche Mitarbeiterin bzw. geschäftsführende Assistentin am Institut für Chemie, Lehrbeauftragte für die Grundlagen der Chemie für Studierende der Humanmedizin, der Zahnheilkunde, der Medizinischen Biotechnologie, der Biomedizintechnik und des Maschinenbaus, Lehrbeauftragte für Geschichte der Chemie, Arbeiten zur Geschichte der Chemieunterrichts, zur Popularisierung der Chemie im 19. Jahr-hundert, zur Rezeption des Periodensystems in Deutschland, zu Deutsch-Russischen Wissenschaftsbeziehungen, zu Chemikerinnen sowie zur Universitätsgeschichte, seit 2003 Sprecherin des Arbeitskreises "Rostocker Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte" (gemeinsam mit Prof. Dr. H.-U. Lammel), seit 2011 Sprecherin der Arbeitsgruppe "Geschichte der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät", Mitglied der Fachgruppe "Geschichte der Chemie" und der Arbeitsgruppe "Chemie für Mediziner" der GDCh, Vertreterin der GDCh bei der Working Party on the History of Chemistry der European Association for Chemistry and Molecular Science und Mitglied der Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte
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Harald Lönnecker
„... auch das wackere und freie Burschenleben kam nicht zu kurz, wie es von alters her den deutschen Universitäten eigen“ – Zum Rostocker Studentenvereinswesen seit dem späten 18. Jahrhundert bis 1935. Ein Überblick Studentenstatus und Studentenvereinigungen Friedrich Wilhelm Schirrmacher (1824–1904), in Rostock lehrender „Polyhistor“ mit rechtshistorischem Interesse, Ehrenmitglied des 1871 gegründeten Rostocker Akademisch-Juristischen Vereins (AJV), den es ohne ihn nicht gegeben hätte und den er fast 34 Jahre hindurch maßgeblich als Protektor „begleitete u. belebte“, hielt bei dessen 30. Stiftungsfest 1901 eine Rede, in der er u. a. ausführte: „Der akad.-jurist. Verein zu R[ostock]. trat ins Leben, weil Studierende das tiefempfundene Bedürfnis fühlten, ihre Fachwissenschaft nicht nur hinnehmend anzunehmen, sondern teilzunehmen an ihrem Aufbaue und ihrer Gestaltung, weil sie sich bilden wollten und nicht nur eine Ausbildung anstrebten, die ihnen dereinst Lohn und Brot gewähren würde. Sie wollten Wissenschaft in ihrem festen Kreise treiben, sie suchten im Gespräch den Austausch und die Belehrung und die Fortbildung ihrer Person, zu welchem Behufe sich der deutsche Jüngling an die Universität und unter seinesgleichen begibt. [...] Aber auch das wackere und freie Burschenleben kam nicht zu kurz, wie es von alters her den deutschen Universitäten eigen. [...] Zugleich Fachverein und Verbindung, tritt der akad.-jurist. Verein zu R[ostock]. jetzt ein in ein neues Lebensjahrzehnt, wird er seinen alten Kurs fortsetzen, der ihn auf solch schöne Höhe gebracht! Möge er immerdar blühen, wachsen und gedeihen!“98 Schirrmachers Wunsch erfüllte sich nicht, bereits wenige Jahre nach seinem Tod fehlte dem Verein der Nachwuchs, bei Kriegsausbruch 1914 verschwand er. Ihm setzte der Krieg so zu, dass keine Erholung mehr möglich war. Das galt auch für neun weitere akademisch-juristische Vereine an anderen Hochschulen und ihren Zusammenschluss, den ab 1887 entstandenen Kartellverband Rechts- und Staatswissenschaftlicher Vereine. Er war kaum mehr als der von ständigen Streitigkeiten geprägte kleinste gemeinsame Nenner nicht einmal aller Vereine, der unter den akademischen Verbänden wie der Deutschen Burschenschaft, der Deutschen Landsmannschaft oder den Kösener Corps zu den kleineren zählte, im Gegensatz zu diesen über keine auf Dauer ausgerichtete Struktur verfügte und daher entsprechend einflusslos war. Nichtsdestoweniger war er wie bei anderen Verbänden das Band zwischen der Mehrzahl der Vereine, erlaubte ihnen Kommunikation, Austausch und Verständigung über interessierende Themen.99 Akademisch-juristische Studentenvereine sind ein Phänomen vornehmlich des deutschen Kaiserreichs, rund 40 wurden zwischen 1871 und 1914 gegründet, davon 24 in den ersten anderthalb Jahrzehnten nach der Reichsgründung mit einem Schwerpunkt zwischen 1880 und 1885. Allein in diesem Jahrfünft entstanden 15 Vereine, eine Folge der zunehmenden Studentenzahlen.100 Die neu an die Universität drängenden Studenten fanden angesichts zunehmender Exklusivität der besitz- und bildungsbürgerlich geprägten alten Verbindungen wie Corps und Burschenschaft keine Aufnahme in diese und gründeten daher eigene Korporationen. Das galt ebenso für andere Fach- und Interessenvereine wie Theologen und Mathematiker, Turner und Sänger.101 Sie adaptierten den studentischen Traditionalismus, die älteren Formen, historisierten, archaisierten und romantisierten sich dadurch und gewannen so festen Boden unter den Füßen. Corps und Burschenschaften setzten den Vereinen die Maßstäbe studentischen Lebens, gleich, ob man ihnen folgte oder sie als Anlass zum Ärgernis nahm. So oder so ließen sich die als traditionell, alt und ehrwürdig empfundenen Rituale und Gebräuche des Studententums instrumentalisieren und mit ganz unterschiedlichen Inhalten füllen – was zugleich Auskunft über die erstaunliche Flexibilität der korporativen Struktur gibt. Rituale und Gebräuche boten den neuen Vereinigungen aber auch eine Basis, die ihnen Halt und Dauer, Würde und Autorität gab, die sie in soziales Kapital umsetzen konnten, das sie als besonders wertvolle und herausgehobene Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft des Kaiserreichs erscheinen ließ.102 Voraussetzung dieser Entwicklung ist der Studentenstatus.103 Studenten sind als künftige Akademiker das Führungspersonal von morgen. Das macht sie als Gegenstand der Forschung interessant. Zudem vereinen sich in der Studentenschaft Aspekte einer juristisch, kulturell und gesellschaftlich relativ geschlossenen Gruppe: Zunächst ist das Studententum eine zeitlich begrenzte Phase im Leben junger Erwachsener, die ein ausgeprägtes, studentische Traditionen weitergebendes Gruppenbewusstsein aufweisen und daher wenig soziale Kontakte zu anderen Schichten pflegen. Studenten sind familiärer Sorgen weitgehend ledig, auf Grund des deutschen, wissenschaftlichen und nicht erzieherischen Studiensystems in ihrem Tun und Lassen ausgesprochen unabhängig und wegen ihrer vorrangig geistigen Beschäftigung wenig auf vorhandene Denkmodelle fixiert. Besonderen Nachdruck verleihen studentischem Engagement die berufliche, soziale und finanzielle Ungewissheit, der instabile Sozialstatus: Studenten sind noch nicht gesellschaftlich integriert und stehen daher auch Kompromissen weitgehend ablehnend gegenüber. In ihren politischen Ideen und Idealen neigen Studenten deshalb zum Rigorismus. Daraus resultiert, Gegner zu bekehren, oder, wenn das nicht möglich ist, sie niederzukämpfen oder zu vernichten. Zudem: Bis weit in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein begriffen die Gesellschaft wie die Studenten sich selbst als Elite, die als Akademiker die führenden Positionen des öffentlichen Lebens einnehmen würden, woraus letztlich das für eine Avantgarderolle unerlässliche Selbstbewusstsein entstand. Damit einher ging eine anhaltende Überschätzung der eigenen Rolle, aber auch eine Seismographenfunktion gesellschaftlicher Veränderungen. Mehr noch, studentische Organisationen, die akademischen Vereine und Verbindungen, hatten für die politische Kultur des bürgerlichen Deutschland von jeher eine Leitfunktion, spiegeln die Vielgestaltigkeit des gesellschaftlichen Lebens und sind mit den Problemen der einzelnen politischgesellschaftlichen Kräfte und Gruppen verzahnt. Während der keiner Korporation angehörende Student nur mehr die Statistik bereichert und in der Regel mangels Hinterlassung von Quellen für die Geschichtsforschung kaum greifbar ist, hat der Beitritt zu einer Verbindung – das „Aktivmelden“ – den Charakter eines (weltanschaulichen) Bekenntnisses.104 Der Student gewinnt Konturen, indem er für die Prinzipien seiner Verbindung einsteht und sie lebt. Aber durch die Traditionspflege der Korporationen überlebt er auch, bleibt er in seiner Zeit für die folgenden Generationen sichtbar, wird Beispiel. Studentengeschichte ist daher in erster Linie Geschichte der Korporationen. Zugehörigkeit zu einer Verbindung war für viele führende Persönlichkeiten und zahlreiche Akademiker des 19. und 20. Jahrhunderts ein konstitutives Element ihres späteren Lebens, das nicht überschätzt, keinesfalls aber auch unterschätzt werden sollte. Dabei muss allerdings klar sein, dass sich hinter ähnlichen Lebensformen gänzlich verschiedene Zielsetzungen verbergen, die von der betont „deutschen“ Burschenschaft bis zu den katholischen Korporationen der Zeit nach dem Kulturkampf reichen – in Rostock als einer ausgesprochen evangelischen Hochschule setzte das katholische Studentenvereinswesen allerdings erst 1929 mit der Nordmark ein, obwohl es Vorläufer seit 1896 gab.105 Studenten schlossen sich seit Beginn der mitteleuropäischen Universitätsgründungen im 14. Jahrhundert an der Hochschule zusammen.106 Diese Zusammenschlüsse, die akademischen Verbindungen oder Korporationen, sind keine rein kulturelle Besonderheit der deutschsprachigen Hochschulen, sondern beruhen auf einer besonderen Entwicklung. Sie war seit dem späten Mittelalter durch den Modus des freien Wohnens, Studierens und Lebens der Studenten und nicht zuletzt durch Territorialisierung geprägt, die ihren Ausdruck in den Staat und Kirche mit akademisch gebildeten Juristen und Klerikern versorgenden „Landesuniversitäten“ fand. Dies galt nach der Reformation jedoch nicht mehr für die katholisch gebliebenen oder neugegründeten Universitäten, wo Studium und Studenten einem mehr oder weniger strengen Reglement unterworfen wurden. Auf den nicht-katholischen Hochschulen entwickelte sich im 18. Jahrhundert, gebrochen durch die studentische, selbstdisziplinierend und verantwortungsethisch wirkende Reformbewegung ab etwa 1770, der Typus der Korporation, der für das 19. und 20. Jahrhundert bestimmend wurde: „Die Besonderheiten der Verbindungen sind das Lebensbundprinzip“ – das lebenslange Zusammenstehen –,...