E-Book, Deutsch, Band 11, 239 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Beier / Gabriel / Wermke Religion und Bildung – Ressourcen im Alter?
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-374-04513-6
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zwischen dem Anspruch auf Selbstbestimmung und der Einsicht in die Unverfügbarkeit des Lebens
E-Book, Deutsch, Band 11, 239 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Studien zur Religiösen Bildung (StRB)
ISBN: 978-3-374-04513-6
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie können Religion und Bildung aus medizinischer, theologischer, psychologischer, psychotherapeutischer und bildungstheoretischer Sicht als Ressourcen im Alter beschrieben wer-den? All diesen Perspektiven ist gemeinsam, dass sie, durchaus mit unterschiedlicher Betonung, Alter(n) im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Unverfügbarkeit betrachten. Zugleich haben die sog. Best Ager einen umfassenden Bildungsanspruch und, auch wenn sich dies durch die Vervielfältigung der Lebensstile zukünftig ausdifferenzieren wird, eine im Ver-gleich zu anderen Altersgruppen enge Bindung an Kirche oder Religion.
Die Zuschreibung „Best Ager“ konstruktiv-kritisch in den Blick nehmend, hat sich eine interdisziplinäre Jenaer Tagung mit der Frage auseinandergesetzt, wie Religion und Bildung für Gesundheitsbewusstsein, Lebensqualität und Engagement im Alter förderlich sein können.
[Religion and Education – Resources For the Old Age? Between the Claim to Self-Determinaton and the Realisation of the Unavailability of Life]
How can religion and education be described as resources for the old age from a medical, theological, psychological, psychotherapeutic and education-theoretical perspective? All these perspectives have in common that they consider old age between the poles of autonomy and unavailability. At the same time the so called Best Agers have extensive claims to education and, in comparison with other age groups, close ties to church and religion. An interdisciplinary conference in Jena has addressed the question how religion and education can be conducive to health awareness, quality of life and engagement in the old age.
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ALTER(N) WÜRDIG AUSGESTALTEN!
SELBSTBESTIMMUNG UND UNVERFÜGBARKEIT AM BEISPIEL »HIOB«
Ralph Kunz Der Bibelvers »Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gelobt sei der Name des Herrn« (Hi 1,21) ist ein fester Bestandteil der jüdischen Bestattungsliturgie. Das Wort hilft denen, die Abschied nehmen, den Verstorbenen Gott zu überantworten. Die Demut und Ehrfurcht, aber auch das Gottvertrauen, die der rezitierte Spruch zum Ausdruck bringt, ist in gewisser Hinsicht sprichwörtlich für die Haltung der Frommen. Hilft eine solche Frömmigkeit auch, die Belastungen des Alter(n)s zu verstehen und zu bestehen? Und ist der Sprecher, der zitiert wird, tatsächlich ein überzeugendes Exempel? 1. DER HERR HAT’S GEGEBEN… 1.1 HIOBS THEMA – UNVERSCHULDETES LEID Die Aussage »der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen« ist zunächst eine lakonische Feststellung. So könnte man den Satz, für sich genommen, zumindest verstehen. Er erinnert an Statements, die man manchmal auch beim Besuch im Altenheim zu hören bekommt. »Es ist, wie es ist« heißt es dort etwa – oder sinngemäß: »Man muss halt schauen, wie man zurechtkommt.« Manchmal gleicht die Feststellung mit einem Stoßseufzer verbunden auch einer Kapitulationserklärung: »Man kann doch nichts machen«. 1.2 ÜBERPRÜFUNG DES TUN-ERGEHEN-ZUSAMMENHANGS Man kommt nach 38 Kapiteln Reden und Gegenreden nicht weiter als Hiob in seiner ersten Reaktion auf das Unglück, das ihn trifft. Das Klagen und die Gespräche mit Freunden münden in eine Rede Gottes, die in der Quintessenz dem Satz vom Herrn, der gibt und nimmt, entspricht. Aber auch das erfährt man in der Auseinandersetzung: Wie sich Hiobs Lob in eine bittere Klage verwandelt und wie er den Tag seiner Geburt verflucht, aber Gott doch nicht lästert. In seiner Klage bleibt er ein Beter und mit Gott verbunden. Er appelliert an Gottes Güte und erinnert an sein Wesen. Also besteht Hiob den Test. Rahmenerzählung Kap. 1–2 Hiobs Klage und Antwort der Freunde Kap. 3–37 Gott Kap. 38–41 Hiob Kap. 42,1–6 Rahmenerzählung Kap. 42,7–16 Ist mit der Rahmenerzählung alles gesagt? Man könnte die Lektüre abkürzen und direkt zum Schluss springen: dem zweiten Teil, der von der wundersamen Wiederherstellung des guten Lebens spricht (Hi 42, 7–16). So würde man sich einiges an Lese- und Denkarbeit ersparen. Einige Exegeten haben tatsächlich die Meinung vertreten, die Rahmengeschichte sei eine ältere Fassung eines frommen Märchens und ein Bearbeiter habe die Reden dazwischen geschoben. Die sogenannte »Sandwichthese« wurde aber glaubwürdig widerlegt.11 Man muss das Buch als Ganzes lesen. Die Reden, in denen Hiob coram hominibus und coram deo sein Geschick beklagt, machen keinen Sinn ohne die märchenhafte Erzählung. Diese bildet den Hintergrund für das Hin und Her zwischen dem Leidgeprüften und seinen Freunden. Und sie entfaltet in Form der Auseinandersetzung eine würdige Ausgestaltung im Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Unverfügbarkeit – religiös konzentriert und fokussiert auf einen Schmerzpunkt hin! »Jung bin ich an Jahren, ihr aber seid alt; darum war ich zaghaft und fürchtete mich, mein Wissen euch zu offenbaren. Ich dachte: Das Alter mag reden und die Menge der Jahre Weisheit lehren. Aber der Geist erleuchtet die Menschen, und der Hauch des Allmächtigen macht sie verständig. Die Hochbetagten sind nicht immer weise, noch wissen Greise stets, was Recht ist. Darum sage ich: Höret mir zu; auch ich will mein Wissen offenbaren. Denn siehe, keiner war, der Hiob zurechtwies, keiner von euch erwiderte auf seine Worte […] Hiob ist ein Lästerer. Denn er sagt: »Dem Menschen nützt es nichts, wenn er Gott gefällig lebt.« Darum, ihr Verständigen, höret mir zu! Fern sei es von Gott, dass er Unrecht tue, und vom Allmächtigen, dass er frevle! Nein, er vergilt dem Menschen nach seinem Tun, nach seinem Wandel lässt er’s jedem ergehen. Denn das ist gewiss: Gott tut nicht Unrecht und der Allmächtige verdreht das Recht nicht.« 1.3 HIOB GIBT AUF Hat Elihu recht? Ist Hiob der exemplarische Fall eines störrischen Sünders? Ist er zu tadeln? Fakt ist, dass Elihus Rede theologisch korrekt ist.12 Er zitiert den Tun-Ergehen-Zusammenhang der Weisheitstradition. Der Gottesfürchtige, der die Thora studiert und gerecht lebt, wird gesegnet. Er ist wie ein Baum an Wasserbächen, der Frucht bringt zu seiner Zeit. Spötter aber sind wie die Spreu im Wind (Ps 1,1 f.). »Ich weiß, dass du alles vermagst. Nichts, was du willst, ist dir unmöglich. Wer behauptet ohne Einsicht, mein Walten sei finster? Darum habe ich vorgebracht, was ich nicht verstehe, was zu wunderbar ist für mich und was ich nicht begreife. Höre, und ich will reden, ich will dich fragen, und du lehre mich! Vom Hörensagen hatte ich von dir gehört, jetzt aber hat mein Auge dich gesehen. Darum gebe ich auf und tröste mich im Staub und in der Asche.« Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen und Hiob »gibt auf«. So übersetzt die Zürcher Bibel. Erst danach kommt die Wiederherstellung plus Wiedergutmachung (Hi 42,7–14). 1.4 VERLEGENHEIT(EN) UND AUSLEGUNG(EN) Was lehrt uns das? Der Rebell, der aufbegehrt, wird wieder zum Dulder, aber im Dulder steckt in Wahrheit ein Rebell, der sich gegen theologische Korrektheiten auflehnt. Dabei geht es um die Würde. Hiob gibt auf, aber er kriecht nicht zu Kreuze. Er fordert Gott heraus, sich als derjenige zu zeigen, als der er sich mit seinem Namen ausgibt: als der Gott der Väter und als einer, der segnet und gesegnet wird: als ein »Ich bin für Euch da« – und nicht nur ein »Es ist wie es ist« – Gott. Der abwesende Gott provoziert Hiob, seinen Freunden zu widersprechen. Er hinterfragt ihre Weisheit. Es ist diese Weisheitskritik des Hiob, die wiederum den Schriftgelehrten sauer aufstößt. Ihre Theologie wird – mit dem genialen Kunstgriff der Einführung einer Himmelsszene – als ein Mutmaßen über Gott dekonstruiert. Die Freunde haben nicht den Schimmer einer Ahnung. Aber der Einblick, der dem Leser hinter die Kulissen gewährt wird, löst die Sache nicht, sondern macht sie nur noch komplexer. Ist Gott am Ende der Bösewicht, dass er alle diese schrecklichen Dinge zulässt? 2 SELBSTBESTIMMUNG IM KONTEXT DER [UN]VERFÜGBARKEIT 2.1 WÜRDE AUS SELBSTBESTIMMUNG Die kurze Auslegung der Hiobsgeschichte lässt also das Spannungsfeld von Selbstbestimmung und Unverfügbarkeit in einem bestimmten Licht – dem Licht der Weisheitskritik – sehen. In einem zweiten Schritt kommen nun Konzepte der Selbstbestimmung zur Sprache. Sie lassen die DNA der rebellischen Anthropologie wiedererkennen, schieben aber die Thematik in andere Referenzrahmen und lassen sie von einer anderen Lichtquelle beleuchtet sein.18 »Diese Haltung der Pietät oder der Würdigung des menschlichen Gegenübers leitet dazu an, bei der Konstruktion des Gegenübers und Verfügung über das Gegenüber Maß an dessen Selbstkonstruktion zu nehmen – im medizinethischen Kontext [wird dies] als »Respekt vor der Autonomie des Gegenübers« bezeichnet. So hat beispielsweise der alte Mensch selbst ein gewichtiges Wort über sein Altsein, seine Hoffnungen und seine Ängste als alter Mensch […] zu sprechen, und die Altersmedizin tut gut daran, diesem Wort Gehör zu schenken.«19 Müller verweist auf die Tradition des deutschen Idealismus, in der sich ein Begriff der Würde herausbildete. Im Reich der Zwecke, sagt Kant, hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was seinen Preis hat, ist durch ein Äquivalent ersetzbar, was über allen Preis erhaben ist, also nicht ersetzbar ist, hat eine Würde.20 Mit anderen Worten: der Selbstzweck ist die Basis der Würde und zugleich das individualethische Leitprinzip einer Behandlung des Menschen. Er kann auch auf das Altern angewandt werden. Das ist zweifellos wichtig, aber hat auch problematische Aspekte. Müller nennt zwei: »Es ist möglich, dass ein reales Individuum unvernünftige und...