E-Book, Deutsch, 110 Seiten
ISBN: 978-3-8463-3512-3
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einführung
Hauptteil
1 Die vielen Facetten der Angst 16
2 Von der Angst zur Störung 35
3 Panik 43
4 Wer hat Angst vor Virginia Woolf? Spezifische Phobie,
Soziale Phobie und Agoraphobie 56
5 Traumata und die PTBS 71
6 Angststörungen und ihre Behandlung 80
Anhang
Glossar 92
Literatur 98
Register 109
1 Die vielen Facetten der Angst
Die Angst hat viele Facetten und einige grundlegende sollen in diesem Kapitel dargestellt werden. Zunächst ist Angst eine Emotion und als solche erfüllt sie wichtige Aufgaben. Was diese sind und wie Angst diesen dient ist eine spannende Frage. Angst hat einen starken Einfluss auf unser Denken und Handeln, sie kann unsere Weltsicht prägen, teilweise ohne dass es uns bewusst wird. Wie sieht dieses komplexe Zusammenspiel der Kognition und Emotion aus? Was verrät uns die neueste neuro-kognitive Forschung? Verschiedene wichtige Theorien der Angst werden vorgestellt und durch Forschungsbeispiele ergänzt – oder auch in Frage gestellt. Zuletzt wird die Angst in ihren kulturellen Zusammenhang gestellt, und es werden einige Angststörungen vorgestellt, die nur in bestimmten Kulturen auftreten.
Angst als Emotion Angst ist eine ? Emotion, aber was ist eine Emotion?
Definition Emotionen sind vererbte und erworbene motivationale Prädispositionen, auf bestimmte innere oder äußere Reize mit subjektivem Erleben, Kognitionen, physiologischer Erregung und Verhalten zu reagieren.
Emotionen hängen somit sowohl von unseren Genen als auch von unseren Erfahrungen ab. Sie entstehen nicht aus dem Nichts, sondern als Reaktion auf ganz bestimmte, persönlich bedeutsame Ereignisse. Diese 17liegen in uns selbst oder außerhalb, somit können z. B. auch Erinnerungen oder körperliche Empfindungen Emotionen auslösen. Emotionen sollen uns motivieren, d. h. dazu bringen, etwas zu tun. Sie legen bestimmte Reaktionen nahe (z. B. Flucht bei Angst), lassen uns aber viel Spielraum bei Art und Ausmaß der Reaktion. Merkmale von Emotionen Allgemein lassen sich Emotionen auf Grund ihrer Qualität (von angenehm bis unangenehm) sowie ihrer Intensität (von schwach bis stark) beschreiben. Zusätzlich hat jede Emotion eine ganz spezielle Gefühlstönung, die sie als spezifische Emotion kennzeichnet. Emotionen werden von bestimmten Mustern körperlicher Erregung sowie von spezifischen Verhaltensweisen begleitet. Sie gehen mit bestimmten Gedanken einher, wobei sich die Gedanken und Emotionen gegenseitig beeinflussen. Diese und ähnliche Definitionen finden sich in vielen Lehrbüchern der Emotionspsychologie, z. B. Carlson und Hatfield (1991), Merten (2003) oder Oatley und Kollegen (2006). Nach Robert Plutchik (1980) sind Emotionen ererbte, adaptive Verhaltensmuster, die sich entwickelt haben, weil sie dem Individuum helfen zu überleben. Dabei ist die Evolution ultrakonservativ: Genetisch bedingte Verhaltensweisen werden auch dann weitergegeben, wenn sie in unserer modernen Welt nicht mehr ? adaptiv sind. Ein Beispiel ist die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, die durch Angst ausgelöst wird. Sie ist sehr adaptiv, falls die Bedrohung körperlich ist (z. B. durch einen Angreifer), aber bei vielen alltäglichen Herausforderungen, z. B. einem Gespräch mit einem Vorgesetzten, hilft die Angstreaktion uns weniger. Wenn wir weiter die vorherige Definition betrachten, dann ist Angst eher eine der unangenehmen Emotionen. Sie soll uns warnen. Die typischen Symptome einer Angstreaktion sind: Motorische Anspannung • Zittern, Zucken, Beben • Muskelanspannung, -schmerzen • Ruhelosigkeit • Ermüdbarkeit Autonome Hyperaktivität • Atemnot • Herzklopfen, -rasen • Schwitzen, kalte Hände • Mundtrockenheit • Schwindel, Benommenheit • Magen-Darm-Beschwerden • Hitze- oder Kältewallungen • Vermehrter Harndrang • Kloß im Hals Wachsamkeit/Vigilanz • Schreckhaftigkeit • Konzentrationsstörungen • Schlafstörungen • Reizbarkeit 18 Angstverhalten zur Überlebenssicherung Das typische Verhalten zur Angst, ist Angriff oder Flucht. Dabei ist das ? Vermeidungsverhalten das Verhalten, das am stärksten mit Angst und vor allem Furcht assoziiert ist. Unzählige Tierstudien zeigen, dass Tiere, denen Elektroschocks verabreicht wurden, später den Schock vermeiden oder auch Orte vermeiden, an denen ihnen der Schock zugefügt wurde. Interessanterweise vermeiden die Tiere diese Situationen auch noch nach mehreren hundert Versuchsdurchgängen, ohne dass weitere Schocks zugefügt wurden. Eigentlich würde man eine langsame ? Löschung des Verhaltens erwarten. Aber das Vermeidungsverhalten, das durch Furcht ausgelöst und aufrechterhalten wird, scheint resistent gegen Löschung, es ist ? persistierend. Wurde einmal gelernt etwas zu fürchten und zu vermeiden, dann wird diese Reaktion also beibehalten. Ein Verhalten, das im Tierreich auch stark mit Furcht assoziiert ist, die Schreckstarre, wird beim Menschen kaum betrachtet. Solch eine Reaktion kann man z. B. bei Kaninchen beobachten, die völlig still verharren, während ein Beutetier an ihnen vorbei jagt. Viele Raubtiere werden durch Bewegung geleitet, somit erhöht das Stillhalten in Gefahrensituationen die Überlebenschance vieler Beutetiere. Auch beim Menschen ist das Erstarren ab und zu auch als Furchtreaktion zu beobachten, am deutlichsten bei Opfern z. B. von Vergewaltigungen. Ein großer Teil von Vergewaltigungsopfern berichtet von Phasen während der Vergewaltigung, in denen sie sich erstarrt, leblos oder auch ganz kalt und wie gelähmt fühlten. Tritt eine solche Reaktion auf, dann wehrt sich 19das Opfer nicht mehr und versucht auch nicht zu entkommen. Diese Reaktion kann hilfreich sein, um weitere Aggressionen des Angreifers zu verhindern. In Strafprozessen wird die Schreckstarre leider manchmal als implizite Einwilligung zur Vergewaltigung interpretiert. Bei Verletzungen oder dem Anblick von Blut und Spritzen kann es zu einer Angstreaktion kommen. Der Blutdruck steigt schnell an, fällt dann aber rasant wieder ab. Dies führt zu einer Ohnmacht. Auch hier wird angenommen, dass es sich um einen Mechanismus handeln könnte, der dem Überleben dient. Ist man bewusstlos, blutet man weniger und ist nicht mehr in Gefahr, durch die Verletzung in einen Schockzustand zu geraten. Angst als Mittel der Verständigung Emotionen dienen nicht allein dem Überleben, sondern auch der Kommunikation. Eines der ersten Werke über die Emotionen stammt von Darwin „The Expression of Emotions in Man and Animals“ (1872). Darwin sah das Ausdrucksverhalten beim Menschen, vor allem die Mimik, als den fundamentalen Aspekt von Emotionen an. Emotionen dienen seiner Meinung nach vor allem der Kommunikation. Auf dieser Betrachtungsweise aufbauend war eine lang diskutierte Frage der Emotionsforschung die nach Art und Anzahl der „grundlegenden“ universalen Emotionen. Welche Emotionen sind ? Basisemotionen, die sich bei jedem Menschen und in jeder Kultur entwickeln und von allen Menschen „verstanden“ werden? Die überzeugendste Antwort auf diese Frage lieferte Paul Ekman (1972) mit seinen Untersuchungen zum emotionalen Gesichtsausdruck. Er fand, dass mindestens sechs Emotionen universell sind, d. h. überall auf der Welt auf dieselbe Weise ausgedrückt und verstanden werden: Freude, Traurigkeit, Ärger, Angst, Überraschung und Ekel (siehe z. B. Ekman, 1972). Somit gehört die Angst zu den Basisemotionen, die überall auf der Welt ausgedrückt und verstanden werden. Diese Basisemotionen werden schon von kleinen Kindern gezeigt und auch von Blinden, die die Emotionen ja nicht bei anderen sehen können. Dies unterstreicht den genetischen und kommunikativen Aspekt der Emotion. 20 Wie beeinflusst das Denken die Angst? Geht es um Emotionen, spielen auch die Kognitionen eine Rolle, denn Menschen können denken, und was sie denken beeinflusst ihre Gefühle. Ein wichtiger Vertreter der kognitiven Emotionstheorien war Richard Lazarus (1966). Er betonte, dass die kognitive Bewertung einer Situation (cognitive appraisal) entscheidend dafür ist, welche emotionale Reaktion die Situation hervorruft und wie reagiert wird. Dieselbe Situation kann ganz unterschiedlich bewertet werden, z. B. wird das Fahren in einer Achterbahn von manchen Menschen als angenehm, von anderen als bedrohlich empfunden. Entsprechend unterschiedlich fallen dann auch die emotionalen Reaktionen dieser Menschen aus. Nach Lazarus finden drei Arten der Bewertung statt: Bei der „primären Bewertung“ (primary appraisal) wird nur grob unterschieden, ob die Situation angenehm, unangenehm oder irrelevant ist. Bei der „sekundären Bewertung“ (secondary appraisal) geht es darum, welche Handlungsmöglichkeiten man hat und was man tun soll. Strategien und Handlungen, mit denen ein emotionales Ungleichgewicht behoben werden soll, werden beurteilt. Dies geschieht natürlich vor allem dann, wenn die Situation primär...