Andreevski | Quecke | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 445 Seiten

Andreevski Quecke

Aus dem Mazedonischen
Erste Auflage
ISBN: 978-3-945370-96-4
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aus dem Mazedonischen

E-Book, Deutsch, 445 Seiten

ISBN: 978-3-945370-96-4
Verlag: Guggolz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Petre M. Andreevski (1934-2006) hat mit 'Quecke' den großen Roman über das Mazedonien zu Beginn des 20. Jahrhunderts geschrieben, in seiner Heimat ist er längst ein Klassiker und Schullektüre. In der ersten deutschen Übersetzung von Benjamin Langer erfahren nun auch wir vom Schicksal von Jon und Velika, einem Ehepaar aus einem kleinen Dorf in den Bergen, das von den Umbrüchen der mazedonischen Geschichte erfasst wird. Es ist die Zeit der Balkankriege, des Ersten Weltkriegs und der Jahre nach diesen einschneidenden Erfahrungen. Jon und Velika erzählen in immer abwechselnden Kapiteln von ihrem Leben - und zeigen, wie sie zwischen politischen Verwerfungen, Besitzansprüchen und Auseinandersetzungen fast zerrieben werden. 'Quecke' ist eine Erzählung von tragischem Ausmaß, in ihr nimmt der unablässige Kampf ums Überleben eine eigenartige Schönheit an. Es ist nicht nur die immer neu geschöpfte Hoffnung, die Widerstandskraft und die Fähigkeit, Schläge hinzunehmen und wieder aufzustehen - es ist auch die Schönheit der Einfachheit, der Landschaft, des täglichen Schuftens, die berührt und fasziniert. Andreevski hat in seinem ganz eigenen suggestiven Erzählton, nahe an mündlicher Rede, mit Jon und Velika Figuren geschaffen, die wie die Quecke für das mazedonische Volk stehen und eine tiefe Wahrheit vermitteln. 'Quecke' lässt uns Leser viel über die Geschichte Mazedoniens erfahren und auch, dass es etwas gibt, das weit stärker ist als politische Interessen und nationalistische Kleinheit: die Liebe zu den Seinen und die unbändige Sehnsucht nach einem friedlichen Leben.

Petre M. Andreevski (1934-2006) wurde im Dorf Sloe?tica in der Region Demir Hisar im südwestlichen Mazedonien geboren. Nachdem er die dortige ländliche Volksschule besucht und später im nahe gelegenen Bitola an einer pädagogischen Mittelschule seinen Abschluss gemacht hatte, arbeitete er für kurze Zeit in den Dörfern seiner Heimatregion als Lehrer. Danach begann er in Skopje südslawische Philologie zu studieren und wandte sich schließlich dem Journalismus zu. Er arbeitete als Redakteur für das Mazedonische Fernsehen, war dort verantwortlich für Film und Volksmusik, später arbeitete er auch für das Literaturmagazin Razgledi. Nachdem er sich ab den sechziger Jahren zuerst als Lyriker einen Namen gemacht hatte, veröffentlichte er 1980 mit 'Quecke' seinen ersten Roman, der zu einem der bis heute meistgelesenen Bücher Mazedoniens wurde. Neben seiner vielfach ausgezeichneten Lyrik und Romanen schrieb Andreevski auch Theaterstücke und Kurzprosa sowie Kinderbücher. Er war Mitglied des mazedonischen Schriftstellerverbands, des mazedonischen P.E.N. und der mazedonischen Akademie für Kunst und Wissenschaft. 2006 starb Andreevski in Skopje, beerdigt wurde er jedoch in seinem Geburtsort Sloe?tica.

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I
»Was für ein schöner Frühlingstag, ihr Leute«, sagten die Frauen, »was für ein schöner Tag geht über das Feld! … Jetzt ist Velika wieder mit ihren Kindern vereint«, sagten sie. Der Tag stand weit über dem Dorf, aus dem der Geruch von gekochten Bohnen und der Gestank brennender Misthaufen bis hinunter zur Schule drangen. Auf dem Schulhof putzten die Soldaten »Großbulgariens« ihre Waffen und schauten zur Straße, und aus dem Schulgebäude hörte man: »Gesundheit wünschen wir! Alt werden wir! Für wen leben wir? Für Bulgarien, hurra, hurra, hurra!« Die Rufe vermengten sich mit dem spröden Geläute der Kirchenglocke. So ein Geschrei kam sonst nur von den Kranichen, die im Herbst über das Dorf flogen. Aus dem Dorf trugen sie Velika Meglenoska. Vor ihr gingen drei Kreuze, hinter ihr barhäuptige Männer und Frauen mit schwarzen Kopftüchern. Der Weg lag tiefer als die Feldraine, und man sah von den Leuten nur die Köpfe, die sie hängen ließen wie ausgescholtene Kinder. Ihre Gesichter lösten sich mal im Licht auf (wie Zuckerkrümel in einem Glas klaren Wassers), mal wurden sie von den traurigen Blicken verdüstert, mit denen man die alte Frau zur letzten Ruhe geleitete. »Der Mensch kommt unter Tränen zur Welt, und unter Tränen geht er aus der Welt«, sagte Duko Vendija, der Schulter an Schulter mit Roden Meglenoski schritt. Roden Meglenoski wischte sich nur über die von Tabakrauch, Schnaps und vereinzelten Tränen geröteten Augen. Es war vielleicht das erste Mal seit seiner Geburt, dass er weinte, denn Roden Meglenoski lebte schon längst nicht mehr im Dorf. Jetzt war er bloß zum Begräbnis seiner Mutter Velika Meglenoska gekommen. »Dieser Tag ist nur zum Malen, wie bestellt zum Malen«, sagte einer beim Blick über die Felder. Und von den Feldern flossen vielerlei Farben herbei, zerliefen auf den Äckern und den Weiden, krochen an den Bäumen empor und ließen sich in neuen Höhen nieder. Sie zogen sogar die wie benommen dahinschreitenden Trauernden in ihren Bann. Als die Leute an der Schule vorbeikamen, äugten sie zu den Soldaten hinüber und tuschelten: »Der Zar soll seine Krone los sein.« »Auf den Papagali führt Ganjo Makedonija am Arm fort, um sie zu vögeln.« »Die Steuereintreiber verlangen jetzt sogar, dass wir Kamele anmelden.« Die Pflüger, die gerade vom Feld zurückkamen, blieben kurz stehen, nahmen die Mützen ab und bekreuzigten sich. Ein frommer bulgarischer Soldat auf dem Schulhof tat es ihnen gleich. Da kam ein Junge angerannt, um seine Waffe anzufassen. Doch der Soldat hielt mitten im Bekreuzigen inne und verpasste dem Jungen eine kräftige Ohrfeige. Mit derselben Hand, mit der er sich bekreuzigt hatte. Der Junge rannte davon. »Verfluchter Partisanenbastard«, sagte der Soldat, hob das Gewehr und nahm den Jungen aufs Korn. Doch der blieb stehen, drehte sich um und rief: »Wir sind doch Bulgaren, oder?« Da senkte der Soldat die Waffe, und der Junge mischte sich unter die Leute im Trauerzug. »Was für ein Staat kommt wohl nach dem hier«, fragte der Junge, »wer wird kommen, Onkel Duko, wenn die da hochgenommen worden sind?« Über den Köpfen der Menschen schien die Sonne hell und klar in ihrem neuen Gewand, sie streichelte die Erde und ließ sich von nichts eintrüben. Und die Erde hob sich ihr entgegen wie die Flanke einer trächtigen Kuh. Das heißt, eigentlich wurde sie angehoben, von Werren und Maulwürfen, verborgen sprießenden Samenkörnern und aufs Neue austreibenden Pflanzen. Alles war in Bewegung: Die Rinder rieben sich an den Baumstämmen und legten so ihr Winterkleid ab, ein junger Windhauch neckte verstohlen die Obstbäume, und die Obstbäume knarrten, zusätzlich ins Wanken gebracht von Blüten, Schmetterlingen und Bienen. Und es war schwer, ach Gott, wie schwer es doch war, inmitten all dieser Aromen und Brisen, Knospen und Tierjungen, Vogelrufe und Lichtstrahlen einem Trauerzug zu folgen. »Es ist schwer, an einem so schönen Tag traurig zu sein«, sagte Roden Meglenoski, »so ein Tag taugt nicht für Begräbnisse.« »Deine Mutter verdient mehr als einen schönen Tag«, antwortete Duko Vendija, »auch wenn ein guter Tag endet wie ein guter Mensch.« »Meine Mutter war ihr ganzes Leben lang gut«, meinte Roden Meglenoski. »Aber über meinen Vater hat sie nie sprechen wollen.« »So wie der Tag zur Neige geht«, sagte Duko Vendija, »so auch das Leben des Menschen. Und wenn man von vornherein wüsste, dass es böse ausgeht, würde man gar nichts anfangen wollen.« Als der Trauerzug am Friedhof ankam, sah man die Leute wieder vollständig. Auch Velika Meglenoskas Sarg war jetzt zu sehen. Sie lag friedlich mit über der Brust gefalteten Händen da. Als verberge sie etwas unter den Handflächen. Zwischen ihren Fingern steckte eine erloschene Kerze. Die Augen waren tief in den Höhlen unter den Brauen versunken, ganz offensichtlich hatte man sie ihr mit Gewalt geschlossen. Doch ein Lid war noch leicht geöffnet, und das Weiß des Auges strahlte ein kaltes Licht aus, das die ganze verderbte Welt, mit der sie es zu tun gehabt hatte, durchscheinen ließ. Auf ihrem verkniffenen Mund lag der Tod wie eine klaffende, vernarbte Wunde. So als habe er sie lange geküsst und davon sei ein Wundmal zurückgeblieben. Kleine rote Wollbüschel lugten ihr aus den Ohren und Nasenlöchern. Das Grab war ausgehoben; Ameisen und Eidechsen brachten die daneben aufgehäufte Erde ins Rutschen. Die Kinder lösten die Tücher von den Kreuzen, die sie getragen hatten, und der Pope sang: »Gelobt sei unser Gott allezeit, jetzt und immerdar und in alle Ewigkeit. Amen.« Ein betrunkener Totengräber schwankte über das Grab, die Umstehenden packten ihn unter den Achseln und hielten ihn fest. »Erbarme dich unser, o Gott, in deiner großen Barmherzigkeit, wir bitten dich, erhöre uns und erbarme dich.« »Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich.« Vom Weg herüber schrie ein Esel, und jemand knurrte: »Der Wolf soll dich holen!« Der betrunkene Totengräber schnäuzte sich, und auf dem Kirschbaum, der auf dem Kirchhof stand, begann ein Spatz zu tschilpen. »Wir bitten dich um die Ruhe der Seele der entschlafenen Dienerin Gottes Velika und um die Vergebung ihrer absichtlich und unabsichtlich begangenen Sünden.« »Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich, Herr, erbarme dich.« »He, der Spatz da schaut uns zu«, rief der betrunkene Totengräber und reckte sich inmitten der Gemeinde empor. Die anderen knufften ihn zwischen die Rippen und zogen ihn am Ärmel. »Ich schwör’s, ein kleiner Spatz, bestimmt grad erst flügge, beobachtet uns von dem Kirschbaum da«, rief der Totengräber und stolperte Richtung Kirschbaum. »Da ist er, er versteckt sich im Laub, da, er pickt Mücken!« »Deiner in seligem Entschlafen vollendeten Dienerin Velika gib, o Herr, die ewige Ruhe und verleihe ihr ewiges Andenken!« »Ewiges Andenken, ewiges Andenken, ewiges Andenken!« »Weg ist er«, sagte der betrunkene Totengräber und kam vom Kirschbaum zurück, »der Spatz ist weggeflogen. Vielleicht war es ja gar kein Spatz«, sagte er, »vielleicht war es die Seele von Velika Meglenoska. Hat uns zugeschaut und ist dann weggeflogen.« »Bitte, Pope, jetzt auch die Gebeine der Kinder«, sagte Ulja Meglenoska, die Tante von Roden Meglenoski. »Wir bitten dich auch um die Ruhe der Seelen der entschlafenen Diener Gottes – wie hießen sie?« »Angele.« »Angele.« »Und Kapinka.« »Kapinka.« »Dann noch Rosa.« »Rosa.« »Und Zdravko.« »Zdravko.« »Und Dzvezdan.« »Dzvezdan. Und verleihe ihnen ewiges Andenken, ewiges Andenken, ewiges Andenken, ewiges Andenken! Der Herr sei ihnen gnädig … Legt die Knochen obendrauf … Und ihr Mann?«, fragte der Pope. »Warum habt ihr ihren Mann nicht erwähnt?« »Sie waren zerstritten, Pope«, sagte Ulja Meglenoska. »Sie sind im Zorn auseinandergegangen, bevor der Herr ihn zu sich nahm, und Velika wollte nicht, dass wir sie mit ihm zusammen begraben. Einmal beschwor sie mich bei den Seelen der Kinder: Wenn ich sterbe, Schwesterchen, hat sie zu...



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