E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
Zweig / Matuschek »Ich wünschte, dass ich Ihnen ein wenig fehlte«
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-401759-4
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Briefe an Lotte Zweig 1934-1940
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Fischer Klassik Plus
ISBN: 978-3-10-401759-4
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stefan Zweig wurde am 28. November 1881 in Wien geboren und lebte ab 1919 in Salzburg, bevor er 1938 nach England, später in die USA und schließlich 1941 nach Brasilien emigrierte. Mit seinen Erzählungen und historischen Darstellungen erreichte er weltweit in Millionenpublikum. Zuletzt vollendete er seine Autobiographie ?Die Welt von Gestern? und die ?Schachnovelle?. Am 23. Februar 1942 schied er zusammen mit seiner Frau »aus freiem Willen und mit klaren Sinnen« aus dem Leben.
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1933
Salzburg
Hochsommer 1933. Festspielzeit in Salzburg. Die Hotels der Stadt sind ausgebucht, obwohl die von der deutschen Reichsregierung kurz zuvor eingeführte Tausend-Mark-Sperre die Zahl der Besucher erheblich reduziert hat. Nach der neuen Regelung muss jeder Deutsche, der die Grenze nach Österreich übertritt, diesen horrenden Betrag entrichten. Eine Provokation für ein Land, das auf zahlungskräftige Touristen angewiesen ist.
Neben den offiziellen Veranstaltungen der Festspiele wie Max Reinhardts Neuinszenierung von Goethes mit einem spektakulären Bühnenbild in der Felsenreitschule gab es wie in jedem Jahr auch eine ganze Reihe privater Empfänge und Festlichkeiten. Die Schauspielerin Frida Richard lud an einem Nachmittag zum Künstlertee in ihren Garten. Ihre Kollegen Dagny Servaes, Richard Eybner, der Kammersänger Franz Völker und viele andere erschienen zu diesem gesellschaftlichen Ereignis. Einen Herrn im hellen Sommerhemd mit gestreifter Krawatte verabschiedete Frida Richard besonders herzlich: »Herr Doktor, ich freue mich riesig, dass Sie mir das Vergnügen gemacht haben, heute bei uns zu Gast zu sein!« Darauf lächelte der Angesprochene verlegen, sprach kein Wort, wechselte seine glimmende Zigarre von der rechten in die linke Hand und gab der Gastgeberin einen Handkuss. Eine formvollendete Verabschiedung, und dennoch wirkt die Szene ein wenig ungelenk. Zwar ist der Gast weltberühmt, doch Auftritte vor Publikum oder in größeren Gesellschaften sind ihm ein Graus. Dass hier eine Tonfilmkamera mitlief, muss die Angelegenheit für ihn noch unangenehmer gemacht haben. Es ist Stefan Zweig deutlich anzusehen, dass er es nicht gewohnt ist, im Rampenlicht der Öffentlichkeit oder gar vor Filmkameras zu stehen, und dass er sich auch nicht daran gewöhnen möchte.
Stefan Zweig zu Besuch beim Künstlertee der Schauspielerin Frida Richard während der Salzburger Festspiele im Sommer 1933
Quelle: Filmarchiv Austria, Wien
Es war schon bemerkenswert genug, dass Zweig sich während der Festspielzeit überhaupt in der Stadt aufhielt. Zwar wohnte er hier seit 1919 in einer beeindruckenden Villa auf dem Kapuzinerberg, doch versuchte er für gewöhnlich, der sommerlichen Massenveranstaltung aus dem Weg zu gehen. Seine Frau Friderike, die er 1912 kennengelernt hatte, konnte dem mondänen Leben dagegen viel mehr abgewinnen. In der Szene, die in einem Dokumentarfilm über die Festspiele des Jahres 1933 später vor die oben erwähnte Sequenz mit dem Handkuss geschnitten wurde, sieht man Friderike Zweig inmitten des Trubels mit einem kleinen Kind auf dem Schoß neben der Gastgeberin sitzen.
Stefan Zweig mit seiner italienischen Übersetzerin Lavinia Mazzucchetti vor dem Salzburger Festspielhaus
Stefan und Friderike Zweig mit einer Freundin in der Hofstallgasse in Salzburg
Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem
Friderike und ihre beiden Töchter aus erster Ehe, die 1907 geborene Elisabeth Maria Alexia, genannt Lix oder Alix, und die drei Jahre jüngere Susanne Benediktine Louise, genannt Suse, lebten gemeinsam mit Stefan Zweig in dem großen Haus mit weitläufigem Garten. Es gab dort einen von Friderike so genannten »Herrschaftsdiener« namens Johann, eine Köchin und einen Gärtner, und selbstverständlich beschäftigte Stefan Zweig für seine Arbeit eine Sekretärin. Sie hieß Anna Meingast und hatte kurz nach seinem Einzug in das Haus ihre Aufgabe übernommen. Seitdem hatte sie Tausende von Manuskriptseiten und Briefen für ihren Chef getippt, der zur Optimierung der Arbeit sogar eines jener neuartigen Diktiergeräte mit Wachswalzen anschaffte, so dass sie seine Texte auch während seiner Abwesenheit zu Papier bringen konnte.
Stefan Zweig war zu Beginn der dreißiger Jahre auf dem Höhepunkt seines Erfolges. Seine allseits bekannten Bücher und die Novellensammlung waren in den vergangenen Jahren erschienen. Fast alle seine Werke wurden umgehend in mehrere Sprachen übersetzt und erreichten Leser in aller Welt. Finanzielle Sorgen musste Zweig sich im Gegensatz zu vielen Autorenkollegen nicht machen, zumal er auch noch Anteile am Unternehmen seiner Familie besaß. Sein bereits 1926 verstorbener Vater Moriz Zweig hatte noch vor Stefans Geburt eine Weberei in Böhmen gekauft, die er bis zur Jahrhundertwende zu einem gut laufenden Industriebetrieb ausbaute. Die Geschäfte der Fabrik führte seit langem Stefan Zweigs zwei Jahre älterer Bruder Alfred von Wien aus, wo die beiden als einzige Kinder von Moriz und Ida Zweig 1879 und 1881 zur Welt gekommen waren. Eigentlich schien alles in bester Ordnung zu sein, doch war es gerade in den vergangenen Jahren zu einigen Spannungen in der Familie gekommen.
Stefan Zweig, Suse und Alix von Winternitz und Friderike Zweig mit dem Hund Kaspar im Garten ihres Salzburger Hauses
Friderike Zweig war eine brillante Organisatorin und eine resolute Dame mit gewissen Ansprüchen an eine großbürgerliche Lebensweise, gepaart mit einer Bewunderung für die Welt des Adels. Außerdem hatte sie eigene schriftstellerische Ambitionen, die sie an der Seite ihres Mannes nie im größeren Stil verwirklichen konnte. Und sie hatte ihre beiden Töchter. Nachdem Friderike 1914 von deren Vater, dem Finanzrat Felix von Winternitz, geschieden worden war, schien sie ihren Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen gehabt zu haben, das sie oftmals mit Großzügigkeit und Nachsichtigkeit auszugleichen versuchte. Stefan Zweig wiederum sah sich nie wirklich in der Rolle des Ersatzvaters. Er hatte die beiden Mädchen nach der Hochzeit mit Friderike im Jahr 1920 nicht adoptiert und konnte sich, je älter Alix und Suse wurden, immer weniger mit deren zeitweise demonstrativ zur Schau gestellten Desinteresse an seinem Leben, seinen Freunden und seiner Arbeit abfinden. Der Streit um das Verhalten der Töchter führte so weit, dass Zweig am Ostermontag 1931 in einem Brief an den Vater der beiden deutliche Worte fand und Felix von Winternitz dringend darum bat, ein Machtwort zu sprechen. Doch Aktionen wie diese führten letztlich eher zu größeren Anspannungen als zu einer Lösung des Konfliktes.
Stefan Zweig vor seinem Haus in Salzburg im Sommer 1931
Quelle: Österreichisches Theatermuseum Wien
Aber auch wenn die Nerven gelegentlich blank lagen, war Stefan Zweigs Arbeitskraft offenbar durch nichts wirklich zu erschüttern, denn trotz politischer Wirren und familiärer Unruhe erschienen seine Bücher im Jahrestakt. Um seinen 50. Geburtstag am 28. November 1931 verdüsterte sich seine Stimmung allerdings erheblich. Ohnehin zu Depressionen neigend, sah er diesem besonderen Datum in seinem Leben mit Grauen entgegen. Alle Lobgesänge auf den großen Autor nutzten wenig. Er trat die Flucht an, fuhr von Salzburg nach München und feierte dort allein mit seinem Schriftstellerkollegen und Freund Carl Zuckmayer.
Zwar besserte sich Zweigs Zustand bald wieder, und er schrieb gerade in diesem Jahr an der Biographie der französischen Königin Marie Antoinette, die vor dem Weihnachtsfest 1932 erschien und noch lange darüber hinaus zum Verkaufsschlager werden sollte, doch in seinem Leben machte sich zu diesem Zeitpunkt eine immer größere innere Unruhe und Unzufriedenheit bemerkbar. In seinen frühen Jahren war er viel und weit gereist, und auch jetzt packte er wieder häufiger seine Koffer. Hatte ihn damals noch eher die Neugierde getrieben, so zeigte sich nun immer deutlicher seine Tendenz zur Flucht vor unangenehmen oder als bedrohlich empfundenen Begebenheiten. Andererseits bemerkte Zweig im Frühjahr 1933 mehrfach, dass er sich kaum von zu Hause fortbewegen möge, weil nicht zu ahnen sei, was nach der Machtübernahme Adolf Hitlers als Nächstes in Deutschland geschehen werde und welche Auswirkungen auf Österreich damit verbunden seien. Die bereits erwähnte Tausend-Mark-Sperre bekam man knapp hinter der deutschen Grenze in Salzburg ganz direkt zu spüren, von anderen Maßnahmen hatte man gehört und betrachtete sie je nach eigener politischer Ausrichtung ganz unterschiedlich, wobei die Zustimmung nicht gering war. Stefan Zweig verfolgte die Nachrichten mit größter Aufmerksamkeit. Reisen in das Nachbarland, in dem die meisten seiner Leser zu Hause waren, kamen für ihn unter den gegebenen Umständen nicht mehr in Betracht. Einige seiner Werke standen in Deutschland inzwischen auf der Liste jener Bücher, die auf öffentlichen Kundgebungen verbrannt wurden. Wie lange konnten sie überhaupt noch erscheinen? Hatte er als Jude auch im Ausland mit Repressalien zu rechnen? Fragen, die sich zu diesem Zeitpunkt kaum beantworten ließen, doch waren Zweig bereits Gerüchte zu Ohren gekommen, die nichts Gutes verhießen. Willkürlich hatten die Nationalsozialisten 1933 das bestehende Waffengesetz der Weimarer Republik zu ihren Gunsten ausgelegt und im Sommerhaus Albert Einsteins in Caputh bei Potsdam eine Durchsuchung nach Waffen vorgenommen. Dass dabei angeblich einzig ein Brotmesser als Fundstück registriert wurde, nahm der Angelegenheit nichts von ihrer symbolischen Bedeutung, die Stefan Zweig sehr wohl erkannte, wie aus einem der Briefe an seinen argentinischen Übersetzter Alfredo Cahn deutlich wird.
Nach dem Ende der Festspielzeit war Zweig wieder auf Reisen. Zunächst arbeitete er einige Zeit in der Schweiz, doch dann fuhr er weiter nach Norden an ein für ihn sehr ungewöhnliches Ziel. Seit seiner...




