E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Zwagerman Duell
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95988-053-4
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-95988-053-4
Verlag: CulturBooks Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Was passiert, wenn die Faust eines Museumsdirektors ein 30 Millionen Euro teures Gemälde durchschlägt? Eine meisterhafte Satire auf den Kunstbetrieb: Jelmer Verhooff ist der junge Direktor des »Hollands Museum« in Amsterdam, ein hipper Aufsteiger innerhalb der Kunstwelt. Nun aber muß sein Museum wegen Brandschutzmängeln geschlossen werden. Als letzte Ausstellung vor der Schließung hat er sich etwas ganz Besonderes ausgedacht: Junge holländische Künstler sollen sich mit Meisterwerken der Sammlung auseinandersetzen. Der Titel der Schau: »Duel. Dutch Artists Challenged by Modern Masters.« Besonders angetan ist er von einer jungen Malerin, die sich darauf spezialisiert hat, bedeutende Gemälde detailgenau zu kopieren. Diese wählt ein Schlüsselwerk von Mark Rothko und schafft ein verblüffend originalgetreues Abbild. Nach dem Ende der Ausstellung stellt dann allerdings der Restaurator des Museums fest, daß nun die Kopie in der Sammlung ist. Das Original wurde von der Malerin gestohlen. Und Jelmer Verhooff stellt seinerseits fest, daß Emma Duiker nicht nur Gemälde kopiert, sondern eine Konzeptkünstlerin ist, deren eigentliches Werk darin besteht, Rothkos Gemälde ohne jeden Hinweis auf dessen Wert und Bedeutung an alltäglichen Orten auf einfache Menschen wirken zu lassen. Verhooff macht sich sofort daran zu recherchieren, wo sich das Original befindet, um es zurückzustehlen. Er läßt Emma Duikers Computer hacken, und als er erfährt, daß sich der Rothko in der Schule für Lernbehinderte einer slowenischen Kleinstadt befindet, macht er sich zusammen mit dem Restaurator auf den Weg. Doch er hat Emma Duiker weit unterschätzt ...
Joost Zwagerman (1963-2015) war einer der bedeutendsten niederländischen Autoren seiner Zeit. Er schrieb Gedichte, Essays, Erzählungen und Romane. Sein Erstling, De Houdgreep (»Der Halt«), kam 1989 in Holland heraus und machte ihn sozusagen über Nacht berühmt. In Deutschland erschien zuerst sein großartiger dritter Roman Falsches Licht (1995), es folgten Die Nebenfrau (2000, beide übersetzt von Rolf Erdorf), Kunstlicht (2002, übersetzt von Martina den Hertog-Vogt) und Onkel Siem und die Frauen (2005, übersetzt von Gregor Seferens).
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Nein, das ist der Prolog
Amerikaner können das sehr gut: eine rhetorische Frage stellen und diese dann mit fast denselben Worten zustimmend beantworten. Is Muhammad Ali the best boxer of all times? I’ll say, Muhammad Ali is definitely the best boxer of all times! In der Art. Genau so sprach der Kurator des Museum of Modern Art in New York während eines Dinners mit vielen Kunstkollegen in Amsterdam über meine vorläufige Unterkunft. Der Kurator, ein hübscher, blonder Bursche mit Mittelscheitel und einem Schuppenhalbkreis auf dem dunkelblauen Blazer, kriegte sich nicht mehr ein über meinen, ja, Coup – denn das war es irgendwie. Y’know, it’s incredible when you think about it. Does Jelmer Verhooff have the most sensational loft in Amsterdam? Well, in my opinion Mr Verhooff surely has the most sensational loft in Amsterdam! Wie ich schon sagte: in der Art. Seit es aus MoMA-Kreisen auf diese Weise in Worte gefaßt wurde, ist es offiziell und unwiderlegbar: Ich habe die spektakulärste Wohnung in Amsterdam. Das darf man unter Niederländern selbstverständlich niemals so direkt sagen. Doch nach dem Blitzbesuch des amerikanischen Kurators (im Zusammenhang mit der Ausleihe eines Malewitsch aus unserer Sammlung) sage ich es dennoch weiterhin: Niemand in Amsterdam wohnt schöner als ich. Mein Wohnzimmer ist ein halber Museumssaal. Nur um einen Eindruck zu vermitteln. Ehe bei anderen Neid auflodert, füge ich schnell hinzu, daß es »nur befristet« ist. Und wenn ich dann auch noch erwähne, daß ich nicht einmal über ein Badezimmer oder eine Dusche verfüge und in meiner spektakulären Unterkunft eigentlich nichts anderes bin als ein besserer Besetzungsverhinderer, ist jeder Wohnungsbrand aus Neid schnell gelöscht. Trotz des phantastischen Gebäudes und der gigantischen Quadratmeterzahl muß man durchaus auch Abstriche machen. Die Räume lassen sich im Winter kaum heizen. Und kann man ein Minimum an häuslicher Atmosphäre in den Bürotrakten und dem kleinen Museumssaal im sogenannten Neuen Flügel schaffen, die jetzt mein Wohn-, Arbeits-, Eß- und Schlafzimmer bilden? Gut, ich habe Ausblick auf den Museumplein, doch tagsüber gehen auf dieser Grünfläche allerlei freudlose Figuren mit ihren Hunden Gassi – daher ist dieser über das übliche Maß hinausgewachsene Rasen natürlich ein einziger Scheißhaufen –, und am Wochenende bevölkern Hobbyfußballer ihn, die ihre Grätschen auf einer Schicht aus breitgetretenem Hundekot machen und beim Schuß aufs Tor – mit zwei Kleiderhäufchen als provisorische Pfosten – einen hart gewordenen Bolusbrocken mit in die Luft treten. Abends und nachts gibt es kaum Beleuchtung, und die diagonale Linie, die einen streng geometrischen Lichtstreifen über das Gelände ziehen soll, ist immer kaputt, so daß von der anvisierten Grandezza eines von einer futuristischen Bodenbeleuchtung geschmückten Platzes nicht viel mehr übrigbleibt als eine zwielichtige Fläche, ein finsteres Vakuum zwischen dem Concertgebouw und dem Koninklijk Museum. Währenddessen kann ich mein Glück kaum fassen. Ich bewohne einen Teil des ersten und zweiten Stockwerks im Neuen Flügel (der schon längst nicht mehr neu ist und demnächst abgerissen werden soll) des Hollands Museums, und mit dieser Heldentat in der Tasche ist der dreckige Rasen des Museumpleins eine Bagatelle. Auf der einen Seite habe ich Ausblick auf das geschäftige Treiben in der Van Baerlestraat; auf der anderen Seite erstreckt sich die weitläufige Fläche, und ich kann sozusagen dem Direktor des Koninklijk Museums ins Büro gucken, das, einen Steinwurf vom eigentlichen Museum entfernt, in einem imposanten Haus untergebracht ist. Kollege Henfling residiert dort. Zu meiner Zeit als Direktor der Kunstloods in Rotterdam hatte ich gelegentlich, etwa um die Ausleihe eines Hobbema zu besprechen, einen Termin bei ihm. An der Wand hinter seinem Schreibtisch hing ein Interieur von van der Helst, das man so hätte ausstellen können. Ich kenne fast alle Direktionsbüros der niederländischen Museen für moderne Kunst. Man schaut überall ein paarmal im Jahr vorbei, um über die Planungen und zukünftigen Ausleihen zu sprechen. Wo ist der Aufenthalt am angenehmsten? Bei uns, am Museumplein. Im Van Effen Museum in Eindhoven liegen die Räume der Kuratoren und der Direktion zur Hälfte unterirdisch. Durch eine Reihe von Oberlichtern auf der Straßenseite fällt ein spärlicher Streifen Tageslicht ins Innere. Angestellte des Van Effen wußten zu berichten, daß Künstler der albernen Art oft durch die Oberlichter ins Direktionszimmer klettern, wenn sie einen Termin haben. Im IJzinga in Maastricht befindet sich das Direktionszimmer im Erdgeschoß, und man muß erst um eine Ecke schauen, wenn man die Maas sehen will. Die Aussicht wird zum Teil durch eine schäbige Terrasse versperrt. Außerdem steht noch etwas Rauhes und Rostiges von Richard Serra ziemlich im Weg. Im Direktionszimmer des Krammer-Steinbach mitten in der Veluwe herrscht, wie zu erwarten, eine pastoral-arkadische Atmosphäre. Manchmal hoppeln Hasen am Fenster vorüber. Geräusche von außen beschränken sich auf die Rasenmäher der Gemeinde, die während der Sommermonate wöchentlich den Rasen stutzen. Natürlich übertrifft der Direktor des Hoofdstadmuseums in Den Haag all seine Kollegen. Die Architektur dieses Museums ist dergestalt, daß der Direktor dort auch tatsächlich residiert, in einem Zimmer, das selbst ein Kunstwerk ist. Doch keiner meiner Kollegen durfte oder konnte je in seinem Museum wohnen. Konservatoren und Direktion des Hollands Museums sind für die Zeit des Umbaus in den Büros im westlichen Hafengebiet untergebracht, in einer alten Zigarettenfabrik, wo sich auch die Depots befinden. Ich pendle am Morgen vom Herzen der Stadt in die Peripherie und abends wieder zurück. In den ersten Monaten besuchten mich Politiker, CEOs, Medienleute, Schriftsteller und Künstler, die sich meine Wohnung von innen ansehen wollten. Manche sprachen davon, daß sie »dabeisein« wollten; als erwarteten sie ein Event. Die meisten hatten sich an den drei Büroräumen, in denen ich mich eingerichtet hatte, rasch sattgesehen – die Museumssäle selbst ließ ich »unbewohnt«. Niemand hatte ein Auge für den Konferenztisch, den Donald Judd für das Hollands gemacht hatte. Heute sage ich meinen Gästen manchmal, daß sie sich gerade mit den Ellenbogen auf einem echten Judd abstützen, der anderthalb Millionen wert ist. Wohlmeinende streicheln dann pflichtbewußt mit der Hand über die Tischplatte, doch die meisten Besucher pressen ganz unwillkürlich den Rücken gegen die Stuhllehne, aus Verärgerung ein wenig zurückweichend. Man sieht ihnen an, was sie denken: Treib es nicht zu bunt, du blutjunger Direktor. Eine Studentengruppe von der Kundstakademie machte große Augen. Die jungen Leute starrten die Tischplatte an, als würde sich Donald Judd persönlich jeden Moment daraus erheben. Sie nahmen, bereits am Tisch sitzend, Haltung an. Ich machte mit ihnen eine extralange Führung. Für die meisten Gäste ist es vor allem ein Erlebnis, durch die leeren Säle zu streifen. Manche waren dutzendmal dort und haben sich Ausstellungen angesehen, und jetzt, da alle Säle leer sind, schwebt für sie pure Magie durch das Gebäude. Unbewohnt und ungenutzt – leere Räume regen immer die Phantasie an, nicht nur die von Kindern. In jedem Mann steckt ein ungezogener Junge. Sogar wenn sie schon beinahe sechzig sind, müssen sie etwas in den Saal hineinrufen. »E-chooo!« Das leere Gebäude verschafft jedem das – wie soll ich es nennen? – Nachts-im-Museum-Gefühl, allerdings ohne die Kunstwerke, die nach Sonnenuntergang zum Leben erwachen. Man kann nicht alles haben. Praktische Details finden die Leute weniger spannend. Leer oder nicht, die Säle müssen mit Blick auf den bevorstehenden Umbau saubergehalten werden. Die Reinigungsfirma arbeitet daher einfach weiter. Ich darf nicht den Eindruck entstehen lassen, eine Putzfrau zu haben, die für fünftausend Euro im Monat den Laden sauber hält, denn das riecht nach Verschwendung und Bevorzugung. Und über die Heizkosten schweige ich lieber ganz. Das sind Beträge, die auch mir für einen Moment die Sprache verschlagen haben. Dennoch habe ich während der Wintermonate ordentlich gefroren. An manchen Januarabenden, wenn der Museumplein am dunkelsten ist, hockte ich zitternd unter drei Decken auf meinem Chesterfield, und es kostete mich keine allzu große Mühe, mich in den sprichwörtlichen Künstler in seinem Mansardenzimmer hineinzuversetzen. Doch auch in solchen Momenten vergesse ich nicht, daß mein Aufenthalt hier befristet ist. Meine Wohnung wird zu einem der beeindruckendsten Museen Europas umgebaut werden. Das ist ein Satz wie aus einem Knabentraum. Zweimal habe ich mit meinen beiden Söhnen Inliner angezogen. Wie Königskinder sind wir durch die Säle geflitzt. Der erste Saal oben an der Treppe bot das größte Spektakel. Sonnenlicht fiel durch die großen Dachfenster. Hier und da hinterließen wir Streifen auf dem alten Parkett. Das war nicht weiter schlimm – nichts ist noch schlimm, weil alles gut war so. Zwei Jungen und ein Mann, die eine zermürbende Leere bezwangen. In einem der Säle hatten wir ein provisorisches Ziel eingerichtet, mit einem alten Fußballwimpel und drei zusammengeknoteten Gürteln von alten Bademänteln. Alle drei schafften wir es bis zum Ziel. Der Stadtlärm von draußen war wie ein Applaus aus der Ferne, hin und wieder begleitet vom Klingeln einer Straßenbahn, die durch die Paulus Potterstraat fuhr. Ein kunstliebendes...