Zopfi | Garibaldis Fuss | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

Zopfi Garibaldis Fuss

Aus dem Leben des Homöopathen Samuel Zopfy 1804-1890
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-03855-069-3
Verlag: Limmat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Aus dem Leben des Homöopathen Samuel Zopfy 1804-1890

E-Book, Deutsch, 152 Seiten

ISBN: 978-3-03855-069-3
Verlag: Limmat Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als er im Kanton Glarus lebte, erhielt Emil Zopfi ab und zu einen kleinen Geldbetrag von der ZopfiStiftung in Schwanden. Ein Dr. Samuel Zopfy (1804-1890) hatte verfügt, dass ab dem hundertsten Jahr nach seinem Tod alle erwachsenen "männlichen und weiblichen Glieder des Zopfi-Geschlechtes" im Kanton jährlich in den Genuss der Zinsen des Stiftungsvermögens kommen sollten. Bei Recherchen zu einem anderen Buch stösst Zopfi auf eine interessante Geschichte: Im Oktober 1862 wird Dr. Zopfy mit den berühmtesten Ärzten Europas nach La Spezia ans Krankenlager des italienischen Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi gerufen, um über dessen Schussverletzung zu beraten. Wie kam der Hausarzt, Chirurg, Zahnarzt und Homöopath aus dem Glarnerland, der sich auch als Weinbauer, Fabrikant und Erfinder betätigte, zu diesen Ehren? Mit Hilfe vieler Quellen und seiner Imagination erzählt Emil Zopfi die Geschichte eines armen Bäckerssohns, der es mit Bildung zu Wohlstand und einem Renommee als Arzt und Homöopath brachte, sich im Alter aber zunehmend verkannt fühlte, vor allem in seiner Heimat.

Emil Zopfi, geboren 1943, studierte nach einer Berufslehre Elektrotechnik und arbeitete als Computerfachmann und Erwachsenenbildner für Informatik und Sprache. Autor von Romanen, Hörspielen, Kinder- und Jugendbüchern. Er lebt heute als Schriftsteller in Zürich. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Schweizer Jugendbuchpreis, dem Kulturpreis des Kantons Glarus und dem Albert Mountain Award.

Zopfi Garibaldis Fuss jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Grande Consulto
Am 29. Oktober 1862 versammelten sich die berühmtesten Ärzte Europas in der ligurischen Hafenstadt La Spezia am Lager des Generals und Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi. Eine Gewehrkugel war ihm zwei Monate zuvor bei einem Gefecht auf dem Aspromonte in Kalabrien in den rechten Fuss gedrungen. Der «Grande Consulto», wie man die Konferenz der Ärzte nannte, sollte entscheiden, ob eine Amputation notwendig sei oder ob es andere Möglichkeiten der Heilung gebe. Unter den siebzehn medizinischen Kapazitäten, die den menschlich und po­litisch folgenschweren Entscheid zu fällen hatten, war auch ein Schweizer. Der Hausarzt, Chirurg, Zahnarzt und Homöopath Dr. Samuel Zopfy aus dem Dorf Schwanden im Kanton Glarus. Die Stiftung
Ich erinnere mich, wie mich mein Vater auf dem Friedhof der reformierten Kirche von Schwanden vor ein Grabmal aus schwarzem Marmor führt und erklärt, hier liege der berühmte Doktor Zopfy begraben, der Begründer der Zopfi-Stiftung. Wenn ich erwachsen sei und im Glarnerland wohne, würde ich von seiner Stiftung jedes Jahr Geld ­erhalten. Zopfy hatte verfügt, dass ab dem hun­dertsten Jahr nach seinem Tod alle im Kanton lebenden erwach­senen «männlichen und weiblichen Glieder des Zopfi-Geschlechtes» alljährlich in den Genuss der Ausschüttung aus dem durch Zinsen gemehrten Stiftungsvermögen kommen würden. «Zur künftigen ökonomischen Besserstellung des Zopfi-Geschlechtes, das mit irdischen Glücksgütern spärlich ausgestattet», heisst es in der Stif­tungs­ur­kun­de. Während der Jahre, in denen ich mit meiner Fami­lie im Kanton Glarus wohnte, wurde mir einige Male ein Be­trag von etwa vierzig Franken überwiesen. Einmal nahm ich an einer Jahresversammlung der Stiftung teil und schrieb darüber einen Bericht in einer Zeitung. Zwei Dut­zend Zopfis hatten sich in der Gaststube der «Sonne» eingefunden, Frauen waren nicht dabei. Das Gasthaus befindet sich neben dem Rothaus, das einst dem Doktor Zopfy gehört und in dem er ab den 1830er-Jahren seine erste medizinische Praxis geführt hatte. Protokoll und Jahresrechnung wurden ­abge­nommen, der Verstorbenen ge­dacht, über Geld­an­lagen diskutiert, der Vorstand bestätigt. Ver­eins­ge­schäfte. Anschliessend lud die Stiftung zu einem Imbiss mit Sauerkraut und Speck ein. Man trank Wein und Bier, unterhielt sich, rauchte. Bei Kaffee und Schokoladentorte erzählte mir ein älterer Zopfi, dass vor Jahren ein Onkel meines Vaters, Polizist in Schwanden, den Antrag gestellt hatte, auf den tra­­ditionellen Imbiss zu verzichten. Heisst es doch in der Stiftungsurkunde: «Das Kapital darf niemals, unter keinerlei Titel noch ­Vorwand, verteilt oder geschmälert werden.» Die männlichen «Glieder des Zopfi-Geschlechtes» lehnten den Antrag ab, speisten weiter an den Versamm­lungen, denen der «Landjäger Zopfi» von da an aus Protest fernblieb. Doch wer war dieser kuriose Doktor, der laut Nach­ru­fen auch mit Grundstücken handelte, seinen eigenen Wein kelterte, eine Seidenspinnerei und -weberei betrieb, die eines Nachts abbrannte, der eigentlich Ingenieur ha­be werden wollen, nebenbei Erfindungen machte und an einer Flugmaschine bastelte? Über seine sechzigjährigen Erfahrungen als Mediziner und Homöopath gab er im hohen Alter ein 670 Seiten umfassendes Werk im Selbstverlag heraus, Zopfys «Heilkunde». An der Wand in der Gaststube der «Sonne» hing ein gemaltes Porträt des Stifters in einem Goldrahmen. Es zeigt einen nachdenklich dreinblickenden alten Mann mit Stirnfalten, grossen Ohren und einer vorspringenden Nase, wie sie nicht selten ist bei uns Zopfi-Männern. Die leicht nach vorn geneigte Haltung wirkt etwas resigniert und müde, melancholisch beinahe. Lachfältchen, die von den blauen Augen ausstrahlen, lassen jedoch vermuten, dass der Herr Doktor auch eine heitere Seite besass, vielleicht sogar Humor. Das kahle Haupt umgibt ein Kranz schütterer Haare. Der weisse Bart unter den schmalen Lippen, der in einer dunklen Jacke verschwindet, ist dem Maler schlecht gelungen, er sieht aus wie angeklebt. Zopfy wirkt auf diesem Gemälde wie ein strenger, aber im Grunde gütiger Sankt Nikolaus. Durch einen Zufall beim Recherchieren einer ganz anderen Geschichte bin ich darauf gestossen, dass Zopfy zu den Teilnehmern des «Grande Consulto» am Krankenlager des verwundeten Generals Garibaldi gehört hatte. Ich sammelte weitere Informationen, und allmählich begann ich mir ein Bild dieses eigenartigen und eigenwilligen Angehörigen unseres Geschlechtes zu machen, der seinen Namen mit einem vornehmen Y schmückte. Die wenigen und zum Teil widersprüchlichen Fakten, die von ihm überliefert sind, bilden eine Art homöopathischer Grundsubstanz meiner Erzählung. Der General
Ich stelle mir vor: ein Tag in Schwanden im Herbst 1890, Zopfys letztem Jahr. Zum Beispiel Samstag, der 27. September, es ist Kirchweih, die traditionelle «Schwander Chilbi». Sein Mund ist trocken, als er erwacht. Die Zunge fühlt sich rau und dick an. Mit der rechten Hand tastet er über die Decke, aber da ist nichts. Das Bett neben ihm ist leer. Er wischt sich Tränen aus den Augen, starrt in die Dunkelheit. Seine Lippen bewegen sich. «Anna Maria.» Fahl schimmert das Viereck des Fensters an der Südseite der Kammer. Anna Maria ist tot, dämmert ihm allmählich. Tot, im Himmel oder wo immer. All seine Arznei und Erfahrung hatte ihr nicht helfen können. Wozu denn alles, das Studium, die Praxis, die lebenslange Erfahrung, wenn man seinen Nächsten, seinen Liebsten in ihrem Leiden nicht beistehen kann? Ihren Schmerz nicht einmal lindern, ihre Not nicht besänftigen. Wozu, wozu? Mit dem Handrücken fährt er sich über die Wangen, die feuchten Stoppeln. Er dreht sich zur Seite, schiebt die Decke weg, tritt mit blossen Füssen auf den kalten Boden. Tastet mit den Zehen nach den Pantoffeln, findet nur den einen. Einer ist besser als keiner. Mit ausgebreiteten Armen wankt er durch die Kammer zur Tür. Sich an den Möbeln abstützend, ertastet er wie ein Blinder den Weg zur Küche. Im Herd glimmt Asche, es riecht nach Bratfett und Kohl. Er streicht ein Zündholz an, die Flamme zittert, verlöscht. Noch eines, dann brennt der Docht des Kerzenleuchters auf dem Tisch. Mit einer Kelle schöpft er Wasser aus dem Kessel neben dem Herd, trinkt und schöpft nach. Das trockene Gefühl im Mund bleibt, die Zunge geschwollen. Über die Laube schlurft er zum Abtritt, hebt den Deckel. Der Geruch, der ihm entgegenschlägt, raubt ihm den Atem. Faule Eier, Ammoniak. Man müsste das Jauchegas in Behältern fassen und verwerten, geht ihm durch den Kopf. Durch eine Öffnung in der Wand des Aborts sieht er über dem Dorf die schwarzen Konturen der Berge, ihre Spitzen und Grate zeichnen sich wie ein Scherenschnitt in den fahlen Himmel. In den Fabriken auf der andern Seite des Flüssleins Sernf brennt schon Licht in einer Reihe von Fenstern. Elektrisches Licht! Eine neue Zeit ist angebrochen, das Zeitalter der Elektrizität, der sogenannte Fortschritt. Was wird er brin­gen? Die Häuser geheizt und hell erleuchtet mit elektrischem Strom, der das Kochen zum Kinderspiel machen soll. Eine Welt, die sich heute niemand vorstellen kann, so wie man sich in seiner Kindheit weder Glühbirnen noch von Wasserrädern getriebene Spinnmaschinen und Webstühle vorstellen konnte. Geschweige denn die Ei­sen­bahn, die das Tal an die Welt bindet. Selbst von Lokomotiven liest man, die mit elektrischem Strom statt mit Dampf getrieben werden. Schneller und heller alles, die Nacht wird zum Tag, die Welt zum Dorf. Mit dem Kerzenleuchter in der Hand wankt er mit kleinen Schritten in die Stube. Er stellt den Leuchter auf das Bufett unter das Bild des Generals. Im flackernden Kerzenlicht scheint er lebendig zu werden. Die Brust wölbt sich unter dem roten Hemd, eine Hand stützt er in die Seite, die andere hält den Degen. Rötlich der Bart, schüttere Haare über der hohen Stirn. Die stahlblauen Augen scheinen den Betrachter zu hypnotisieren. So hat er ihn damals angeschaut, durchbohrt mit seinem Blick. Und dann dieser feine, ironische Anflug eines Lächelns. Er nickt ihm zu, die Lippen bewegen sich. «Zopfy, Sie waren der Beste!» Der alte Mann strafft sich, murmelt: «Danke, mein General.» Er bläst die Kerze aus. Tastet sich mit der Hand das Bufett entlang zur Kammertür, streift den einen Pantoffel ab, kriecht unter die Decken und rollt sich ein. Ein Traum
Der Duft von frischem Brot dringt in seine Träume. Immer die gleichen wiederkehrenden Bilder. Fliegen kann er, weit über die Berge hinweg, über das graue Gestein, die Felswände, die weissen Firne. Fliegen wie Ikarus, von dem Lehrer Tschudi in der Schule erzählt hat. Der Sonne entgegen. Er hebt den Kopf. Licht dringt durch den Vorhang in die Kammer, es ist wohl spät. Er fühlt sich müde, lässt den Kopf sinken und dreht sich gegen die Wand. Das Bett ist zerwühlt, er hat geschwitzt. Wieder diese Trockenheit im Mund, als habe er Staub geschluckt. Fieber? Kein Fieber. Er schliesst die Augen, hört im Halbschlaf das Bimmeln von Glöcklein. Hell und aufgeregt, die Ziegen, die der Geissbub ins Niederental treibt. Wie gern wäre er als Kind mitgegangen, früh am Morgen, wenn die Bergspitzen im ersten Licht leuchteten, als seien sie aus lauterem Gold. Die Ziegen aus den Ställen hinter den Häusern der Arbeiter drängten zur Herde, der Geissbub lockte sie mit seinen Rufen. Eine seltsame Sehnsucht erfasste ihn. Welch freies Leben müsste es sein dort oben auf den Weiden der Mettmenalp. Man müsste den Geissvogt fragen, aber der Vater wollte davon nichts wissen. Geissbub, das war etwas für Dummköpfe. Wir sind bessere Leute als die Fabrikarbeiter mit ihren Ziegen und Scharen von...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.