... südafrikanische Erinnerungen
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-7528-3669-1
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In Berlin-Spandau 1939 geboren, kam der Autor, ältestes von neun Kindern, als Neunjähriger nach Südafrika, wo sein Vater als Missionar tätig war. Insgesamt 17 Jahre seines Lebens verbrachte er mit Schul- und Universitätsbesuch in Süd- und Südwestafrika, promovierte dann in Deutschland und war in Niedersachsen, u.a. als Akademischer Rat und in Schleswig-Holstein, u.a. in der dortigen Staatskanzlei sowie als Geschäftsführer des SHMF tätig. Nach der Wiedervereinigung wirkte er beim Aufbau der Staatskanzlei in Schwerin mit, ehe er zum Landrat in Mecklenburg-Vorpommern gewählt wurde. Zuletzt war er Direktor der Hermann Ehlers Akademie in Kiel.
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Eigentlich klang alles gut: Nach etwa drei Jahren, die wir auf der Missionsstation im Sekukuniland in Nordtransvaal verbracht hatten, sollten wir aus dem afrikanischen Busch nach Bloemfontein, die Landeshauptstadt des Oranje-Freistaat ziehen. Wir, das waren die Eltern und damals noch sieben Geschwister - sechs Jungen und ein Mädchen. Dem Alter nach waren das Christian, Martin, Brigitte, Hans-Joachim, gerufen Achim, Friedrich-Wilhelm, gerufen Fritz, Michael, später gelegentlich Mike, Klaus-Dieter, später mal Klaus. In Bloemfontein lag das Missionshaus, in das wir einziehen würden, in der Goddardstraat. Unsere Eltern hätten zwar schon deutlich früher umziehen wollen, aber der Vorgänger, Amtsbruder Müller, Onkel Müller, wie wir Kinder ihn nannten, zögerte seinen Auszug auch nach seiner Pensionierung noch hinaus. Dieses hatten unsere Eltern wiederum als nicht gerade sehr entgegenkommend empfunden. Endlich war es so weit und alle waren sehr froh - bis unsere Eltern das Haus sahen und vor allem das Innenleben des Hauses. "Es war, kurz gesagt, eine Bruchbude...oder jedenfalls fast," sagte unsere Mutter im Rückblick, und fügte hinzu: "Nie habe ich mich in einem Haus so unwohl gefühlt...Es war eine wirkliche Zumutung für uns alle...eigentlich ein Alptraum." Mit Wohnungen kannte sie sich aus, denn sie hatte mit ihrer Mutter bis zu ihrer Hochzeit in Potsdam in einer Mietwohnung gelebt. Und danach in einem großen Pfarrhaus in Pritzerbe. Und danach im großen Missionshaus in Ost-Berlin. Daß es tatsächlich eine "Bruchbude" war, wurde meinen Eltern bescheinigt, nachdem ein Mitglied der Missionsleitung in Berlin auf einer Rundreise das Haus persönlich in Augenschein genommen hatte. Das aber war zwei Jahre später. Es war ein heruntergekommenes Gebäude und wenig gepflegt. Die Räume waren düster. An den Wänden gab es keine Tapeten, weil diese nicht hielten, sondern sich von alleine ablösten. Die Dielen knarrten. Ursprünglich als Missionshaus am Rande der Stadt gebaut, war es den damaligen Verhältnissen entsprechend ausgelegt und eingerichtet worden. Da es sich im Laufe der Zeit jedoch als zu klein erwies, hatten die Vor-Benutzer das Haus dadurch erweitert, daß sie einfach neue Räume anbauten. Die sanitären Einrichtungen stammten noch aus "Vorzeiten". Das Klo - von einer Toilette mit Wasserspülung weit entfernt - lag außerhalb in einem Nebengebäude und war nur über den Hof zu erreichen. Für uns Kinder hatte das Haus mit dem großen Grundstück eher den Charakter eines Abenteuer-Spielplatzes. Nach vorn zur Straße hin hatte das Haus eine kleine überdachte Veranda; einige Stufen führten von ihr in den schmalen Vorgarten. Sie wurde als solche eigentlich nie benutzt, da sie im Schatten lag und dazu noch dicke Pfeiler hatte. Die größere Veranda lag an der linken Seite des Hauses, neben der Auffahrt zum früheren Kirchengebäude. Von dieser mit Steinplatten ausgelegten Veranda führte eine große Tür direkt in das Wohnzimmer. Auf der einen Seite der Veranda lag ein Außenzimmer, das auch nur über eine Außentür betreten werden konnte. Die Küche des Hauses lag nach hinten oberhalb des Innenhofes. Sie war sehr klein und äußerst sparsam eingerichtet, hatte aber fließend Wasser. Warmes Wasser gab es allerdings nur dann, wenn vorher der Warmwasserspeicher, der "Boiler", erhitzt wurde. Dafür mußte unter dem "Boiler" Feuer angemacht werden. Gegenüber der Küche lag das sehr kleine Badezimmer; auch hier gab es Warmwasser nur, wenn der "Boiler" dieses lieferte. Neben dem Wohnzimmer lagen im Hausinneren die Schlafzimmer unserer Eltern und der jüngeren Brüder. Der Putz an den Wänden im Haus wurde lediglich durch die in den Jahren aufgetragenen Farbschichten vor dem Abbröckeln bewahrt. Beim Bettenabziehen an einem Vormittag traute unsere Mutter ihren Augen jedoch nicht. Michael hatte in Höhe des Kopfkissens eine ganze Reihe von Löchern fein säuberlich in regelmäßigem Abstand in die Wand gebohrt. "Ich wollte doch nur mal sehen, wie fest die Wand ist," war seine ihm damals einleuchtende Erklärung. Die Löcher wurden daraufhin mit Gips zugeschmiert und es herrschte von da an absolutes Löcherbohr-Verbot. Martin teilte zunächst mit Brigitte das Außenzimmer neben der Veranda. Später bemerkten unsere Eltern, daß Brigitte unter erheblichen Schlafstörungen litt. Sie konnten dies lange nicht begreifen, bis sie durch Zufall mit einem Amtsbruder, dem von uns verehrten Onkel Jäckel, dem Verfasser mehrerer Bücher über Südafrika, darüber redeten. Dieser sagte dann: "Habt Ihr schon mal daran gedacht, daß es eine Wasserader sein könnte, die unter ihrem Bett verläuft und die dafür sorgt, daß Eure Tochter nicht schlafen kann?" Nein, das hatten sie nicht. Beim nächsten Besuch brachte Onkel Jäckel, ein groß gewachsener Mann mit einer schon weißen Haarmähne, seine Wünschelrute mit. Er ging in das Zimmer mit der Wünschelrute vor sich und dort, wo Brigittes Bett stand, bogen sich die beiden Enden deutlich nach unten. Dort verlief also eine Wasserader, die Brigitte um den Schlaf brachte. Die Betten wurden umgestellt und von da an schlief sie eindeutig besser. Da Michael und Klaus sich ein Zimmer teilten, konnte Michael seine bereits in Nord-Transvaal entwickelte besondere Schwäche für die Milchflasche seines um ein Jahr jüngeren Bruders weiter pflegen und zwar vor allem dann, wenn diese noch ziemlich voll und lauwarm war. Klaus-Dieter konnte damals noch nicht energisch protestieren und hatte sich zudem bereits daran gewöhnt, beziehungsweise gewöhnen müssen. Außerdem sagte Michael vorher immer ganz liebevoll, wenn auch bestimmend "Meine!". Für Michael war das zugleich ein Vorgriff auf seine spätere Turnlehrerkarriere, denn er übte so ziemlich früh schon den Auf- und Abstieg von seinem Bettchen auf den Boden, dann zum Ställchen, dann mit der Flasche von Klaus-Dieter wieder zurück ins Bettchen und das Ganze dann noch einmal von vorn mit der nunmehr fast leeren Flasche. Darüberhinaus entstand zwischen den beiden allerdings so ein Art brüderlicher Symbiose. Die Betten in den Zimmern der jüngeren Brüder dienten mehreren Zwecken, unter anderem auch dem Trampolinspringen. Dafür kletterten sie auf den Kleiderschrank und sprangen dann aufs Bett herunter. Dabei erwies sich das Draht- und Federngeflecht, auf dem die Matratzen lagen, als sehr elastisch und federte etwas nach. Einmal jedoch war der Sprung wohl etwas zu heftig oder das Gestell schon zu arg strapaziert worden, jedenfalls endete der Schranksprung damit, daß das Bettgestell einstürzte. Der Springende landete etwas unsanfter als sonst auf der Matratze, aber es war ihm nichts zugestoßen. Das Drahtgeflecht jedoch war gerissen und nun lag eine Menge einzelner Kettenglieder verstreut auf dem Fußboden. Wie so oft in solchen Fällen wurde der praktisch veranlagte Martin zu Hilfe gerufen, noch ehe die Eltern etwas bemerkten. Er hatte alle Hände voll zu tun, um Kettenglied für Kettenglied wieder zusammenzustecken und mit Draht jene zusammenzubinden, die beim Sprung demoliert waren. Da er sich andere Tätigkeiten als sinnvoller vorstellen konnte, trat er lebhaft dafür ein, diese Art von Springübungen künftig zu unterlassen. Im Haus gab es elektrisches Licht - für eine Stadt wie Bloemfontein eigentlich selbstverständlich. Für uns, die aus der Zeit auf der Missionsstation in Nord-Transvaal vor allem Paraffin-Leuchten und Kerzen kannten, war dies eine zivilisatorische Errungenschaft. Die Stromkabel im Haus liefen auf Putz zwischen Schaltern, Steckdosen und Deckenlampen und hatten mit der Zeit eine dicke Schicht Farbe bekommen. In allen Zimmern stand eine Kerze, weniger, um Stimmung zu verbreiten, als vielmehr aus praktischen Gründen, denn es passierte regelmäßig, daß der Strom ausfiel. Das lag vor allem an den Leitungen im Haus. Regelmäßig brannte eine Sicherung durch, allein schon, wenn mehr als ein elektrisches Gerät angeschlossen war. Für diesen Not-Fall war die Kerze gedacht. Da neben der Kerze auf dem Kerzenhalter auch Streichhölzer lagen, trat ein "Not-Fall" bei den jüngeren Brüdern recht häufig ein, selbst tagsüber. Sie zündeten die Kerze an und kokelten mit Begeisterung und zwar so lange, bis unsere Mutter erschien, die den Rauch unbeschadet der verschlossenen Tür gerochen hatte. Dennoch blieb die Versuchung, trotz Ermahnung und trotz "großem Indianer-Ehrenwort" die nun einmal für den Not-Fall bestimmte Kerze immer wieder auch ohne Not anzuzünden. Im Wohnzimmer stand eine Stehlampe mit einem sehr ausladenden Schirm. Sehr aufmerksam beobachtete der dreijährige Michael, welche Mühe aufzuwenden war, um sie zum Leuchten zu bringen. Dafür wurde ein großes weißes Ding mit drei Stiften genommen, in die Wand in ein weiteres Dings mit drei Löchern gesteckt und schon erstrahlte das Licht der Stehlampe in hellem Glanz. Dieses, so dachte Michael, wolle er mal selber ausprobieren. Er suchte einen Stift, fand aber keinen und nahm dafür einen Nagel, der immerhin...