„Der Unterschied zwischen euch deutschen und uns polnischen Juden“, erklärte mir einmal mein Doktorvater, der damalige Doyen der israelischen Historiker, Jacob Talmon, „liegt darin, daß ihr zur nichtjüdischen deutschen Kultur von unten nach oben hinaufgeschaut habt, während wir auf die polnische Kultur von oben nach unten hinabgeschaut haben.“ Diese Worte fielen im Jahre 1972, lange nach 1933, lange nach 1945. Und natürlich verbarg sich hinter dem hinabschauenden „Wir“ für Jacob Talmon (früher Fleischer), der 1916 in polnischen Landen geboren worden war, eher ein konkretes Kollektiv als für mich, den 1943 in Jerusalem geborenen Sohn deutscher Juden.
Talmons Worte verraten viel über die Beziehungen zwischen den „Jeckes“, den „echten deutschen Juden“, und den „Ostjuden“ in der Diaspora oder auch später in Israel. Sie sind eine prägnante Aussage über die Nachhaltigkeit jüdischer Identitäten, vor allem aber über das Idealbild der sogenannten deutsch-jüdischen Symbiose und deren Klischees.
Zimmermann / Welker
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Zimmermann, Moshe
geboren am 25. Dezember 1943 in Jerusalem, israelischer Historiker und Publizist. Seit 1986 ist er Direktor des „Richard-Koebner-Center for German History“ an der Hebräischen Universität Jerusalem. Humboldt-Preis 1993, Jakob- und Wilhelm-Grimm-Preis des DAAD 1997, Dr.-Leopold-Lucas-Preises der Universität Tübingen 2002 und Lessing-Preises für Kritik 2006. Seine Forschungsschwerpunkte sind die deutsche Sozialgeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts sowie die Geschichte der deutschen Juden und des Antisemitismus, Film und Geschichte, Sport in der Geschichte.