E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Zimmermann Küsse, Flirt & Torschusspanik
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-522-65342-8
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
Reihe: Freche Mädchen - freche Bücher
ISBN: 978-3-522-65342-8
Verlag: Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Irene Zimmermann lebt in Baden-Baden und ist seit den neunziger Jahren erfolgreich auf dem Kinder- und Jugendbuchmarkt vertreten, zuerst mit Kinderkrimis, dann in der Kultserie 'Freche Mädchen - freche Bücher!', in der sie diverse Bestseller schrieb. Viele ihrer Bücher wurden übersetzt, u.a. ins Türkische, Italienische und Chinesische, insgesamt in 14 Sprachen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
– 1 –
Sandra?«
Am liebsten hätte ich mich schlafend gestellt, aber das hätte wahrscheinlich nichts genutzt. Manchmal konnte meine Mutter nämlich ziemlich hartnäckig sein.
»Sandra!«, rief sie nochmals, aber nun noch etwas lauter, und dann hörte ich auch schon ihre hochhackigen Schuhe auf der Treppe.
Sekunden später riss sie meine Zimmertür auf. »Sag mal, was soll das? Es ist halb zehn und du liegst immer noch im Bett! Und warum lässt du die Rollos nicht hoch?« Sie schüttelte den Kopf. »Also, ich muss jetzt in die Redaktion. Vielleicht kannst du dich im Haus mal ein bisschen nützlich machen. Kisten ausräumen und so. Schließlich sind ja Ferien. Tschüss, ich muss los.«
Ich nickte bloß. Genau so hatte ich mir meine Sommerferien immer gewünscht: in einem wahnsinnig modernen Haus, in dem alles vollautomatisch gehen sollte, aber nichts funktionierte, in einer fremden Stadt, in der ich keine Menschenseele kannte. Und dann sollte ich auch noch Umzugskisten ausräumen, bloß weil Mama und Papa beruflich so engagiert waren, dass sie für solche Dinge keine Zeit hatten.
Am liebsten hätte ich mich umgedreht und weitergeschlafen, aber dann beschloss ich, nach meinem Bruder zu sehen. Vielleicht konnte man ihn überreden, zum Bäcker zu gehen. Irgendwo in Friedingen musste es ja eine Bäckerei geben!
Aber von Albert keine Spur. Aus irgendwelchen mir absolut schleierhaften Gründen schien er früh aufgestanden zu sein. Unschlüssig tappte ich durchs Haus in Richtung Küche. Ich musste überall Licht anmachen, denn die Chipkarte, mit der sich die Rollos angeblich öffnen ließen, hatte ich leider gleich am Tag unseres Einzugs verschlampt und Mama hatte natürlich vergessen, ihre Karte dazulassen. Tolle Perspektive, dachte ich, als ich in der Küche stand und versuchte, mir aus dem, was ich im Schrank gefunden hatte, ein Frühstück zu machen.
Ich fröstelte und das lag nicht nur daran, dass ich barfuß auf den Fliesen stand. Ein Blick auf den Monitor, der alle wichtigen Vorgänge in und vor dem Haus anzeigte, machte mir klar, dass es draußen zwar bereits sechsundzwanzig Grad hatte, im Haus selbst aber nur dreizehn Grad. Die Klimaanlage schien wieder zu spinnen. Dabei hatte Papa am Abend vorher behauptet, die Sache voll im Griff zu haben. Von wegen angenehme zwanzig Grad!
Ich zog mir zwei Winterpullis und dicke Socken an, schmierte Honig auf mein Knäckebrot und überlegte, wie ich den Tag verbringen könnte. In dieser komischen Grabkammer jedenfalls nicht!
»So ein Hightechhaus erfordert Mitdenken«, hatte Albert ganz stolz erklärt. »Du musst dich eben dran gewöhnen, dass du nicht mehr in irgendeinem 08/15-Bau lebst. Du bist jetzt Trendsetter. Wenn du verstehst, was ich meine.« Er hatte dabei ziemlich blöd gegrinst. »Das ist nämlich hier das Haus der Zukunft!«
Ich hatte bloß mit den Schultern gezuckt.
Ich hatte Sehnsucht nach Ludwigsstadt, nach meinem gemütlichen Zimmer direkt unter dem Dach, nach der Nachbarskatze, die mich oft besucht hatte, nach Anne, meiner besten Freundin, nach meiner Klasse, ja sogar nach meinen alten Lehrern. Stattdessen musste ich in Friedingen in einem wahnsinnig modernen Haus mit allen erdenklichen technischen Schikanen leben, bloß weil mein Vater hier Karriere als Stararchitekt zu machen gedachte.
Nach dem dritten Knäckebrot beschloss ich, Anne anzurufen. Eigentlich hatte sie ja versprochen, sich bei mir zu melden – was sie bisher nicht getan hatte –, aber das war jetzt auch egal. Ich brauchte dringend jemanden, dem ich was vorjammern konnte.
Verschlafen und mit ziemlich schlechtem Gewissen meldete sich Anne nach dem dreizehnten Klingeln. »Entschuldige«, gähnte sie. »Ich wollte dich die ganzen Tage schon anrufen, aber weißt du, es ist so wahnsinnig viel passiert.« Sie gähnte nochmals. »Ich hab die halbe Nacht nicht geschlafen, weil … Sag mal, hast du meinen Brief nicht gekriegt?«
»Brief? Nein, ich hab keinen Brief von dir gekriegt.« Dann musste ich lachen. »Sag mal, hast du vielleicht einen rosa Briefumschlag verwendet?«
»Dann hast du den Brief doch gekriegt. Ich habe nämlich –«
»Anne, du kannst dir nicht vorstellen, was für ein verrücktes Haus das hier ist! Der Brief liegt seit gestern im Briefkasten, man sieht ihn von außen, aber wir kommen nicht dran, weil wir den Zugangscode nicht wissen. Irgend so ’ne siebenstellige Nummer. Und mein Vater hat einen Techniker bestellt, weil er glaubt, dass der Brief aus den USA kommt und ihm darin vielleicht ein neuer toller Job angeboten wird.«
»Quatsch«, sagte Anne bloß. »Aber der Brief ist schon wichtig. Da steht nämlich alles über mich und …« – sie machte eine kurze Pause – »also, über mich und Jonas drin.«
»Jonas?«
»Jonas!« Ihre Stimme klang verschwörerisch. »Kannst du dich an Jonas aus der Bio-AG erinnern? Du weißt doch, er hatte letztes Jahr die Rastalocken.«
»Klar«, sagte ich. »Ich werde Jonas bestimmt nie vergessen. Der war schließlich schuld daran, dass wir unser Referat nicht fertiggekriegt haben. Wenn er nicht die ganzen Unterlagen verschlampt hätte, wäre das ein tolles Referat geworden und ich hätte in Bio garantiert eine bessere Note –«
»Das Referat war bescheuert«, fiel mir Anne ins Wort. »Wir können froh sein, dass Jonas seinen Ordner im Bus vergessen hat. Mit dem Mist, den wir da zusammengeschrieben haben, hätten wir uns vor der ganzen Klasse grauenhaft blamiert. Aber das ist ja auch alles egal. Jedenfalls«, sie zögerte kurz, »Jonas und ich sind jetzt zusammen.«
»Aber du warst doch in Torsten verliebt!«
»Torsten hat nur Stress gemacht. Er hat sich nicht wirklich für mich interessiert. Ich hab ihn mal gefragt, ob er sich daran erinnert, was ich am Tag zuvor anhatte, und – stell dir vor – er hatte nicht die geringste Ahnung.«
»Ja«, sagte ich. Es klang ziemlich lahm.
»Jedenfalls ist das mit Jonas völlig anders. Er war hin und weg, als ich mir das giftgrüne Shirt gekauft habe. Weißt du, das mit dem Spitzenbesatz. Also, er findet mich einfach super darin. Und vielleicht kann ich mir demnächst noch die Hose dazu kaufen. Aber dann fehlen mir natürlich noch die passenden Schuhe. Und …«
Ich klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter, schmierte Apfelmus auf ein Knäckebrot und klapperte ein bisschen mit den Zähnen. Mir war so entsetzlich kalt! Vielleicht half es ja, wenn man einfach auf dem Monitor rumdrückte, um die Klimaanlage auszustellen. Versuchsweise tippte ich auf irgendwelchen Hieroglyphen rum, die man mit einem bisschen guten Willen als Symbole für die Klimaanlage betrachten konnte.
Anne klang beleidigt. »Nerv ich dich irgendwie? Findest du das mit Jonas denn nicht auch wahnsinnig? Ich meine, Jonas ist ein irre toller Typ, ganz anders als die aus unserer Klasse. Er ist viel reifer und … na ja, er hat mir erzählt, dass er mich schon immer toll gefunden hat und dass ich sowieso die Einzige in der ganzen Schule bin, mit der man vernünftig reden kann. Die anderen seien eigentlich total oberflächlich und hohl.«
Ich nickte. Mir hatte er vor einem halben Jahr auch erzählt, dass ich die Einzige sei und so weiter. Jonas schien nur ein begrenztes Repertoire an Komplimenten zu haben, aber ich sagte lieber nichts. Meine Freundin schwebte auf Wolke sieben und würde da bestimmt nicht runterkommen. Ich drückte nochmals auf dem Monitor rum.
»Sag mal, was ist denn das plötzlich für ein Höllenlärm?«, brüllte Anne ins Telefon. »Bist du noch dran? Sandra?«
»Ja«, brüllte ich zurück. »Anne, das ist hier ein total verrücktes Haus. Ich wollte die Klimaanlage runterdrehen, aber jetzt hab ich versehentlich den CD-Player angestellt und muss erst mal rausfinden, wie ich das Ding wieder auskriege.«
»Oder vielleicht könntest du ja auch ’ne andere CD einlegen. Ist das Wagner oder so?«
»Beethoven. Steht jedenfalls auf dem Monitor. Warte mal, ich hab’s gleich.«
Wie wild drückte ich auf der Bedienungsleiste herum, aber die Musik wurde nicht leiser. Stattdessen schien ich den Fernseher angestellt zu haben. Aber dann erkannte ich, dass das Schneegrieselbild von der Überwachungskamera an der Eingangstür kam. Jemand stand dort und schien zu klingeln. Albert?
Das Bild wurde wie von Zauberhand schärfer. Ich sah, dass der Himmel strahlend blau war, erkannte ganz deutlich die Sommerblumenwiese auf dem Nachbargrundstück und dann schob sich ein dunkler Lockenkopf ins Bild. Der Junge musste etwas älter sein als ich und schien etwas zu sagen … Ich schluckte.
»Was ist los mit dir? Alles okay?«, hörte ich Anne rufen.
»Ja, warte, ich ruf dich gleich wieder an«, sagte ich und legte auf.
Das Bild auf dem Monitor verschwamm und verwandelte sich wieder in graue und weiße Punkte, die wild durcheinandertanzten. Ich rannte zur Tür und wollte sie aufreißen, aber dann fiel mir ein, dass sie nur mit einem speziellen Code geöffnet werden konnte. Verflixt, warum mussten meine Eltern auch eine solche Angst vor Einbrechern haben!
Aber es war sowieso schon zu spät. Durch den Türspion sah ich, dass niemand mehr draußen war. Ich lehnte mich gegen die Tür. Der Junge hatte so süß ausgesehen und ich hätte gerne mit ihm geredet. Vielleicht wohnte er in der Nähe und würde mir die Stadt zeigen? Wir würden uns ineinander verlieben und ich hätte endlich auch einen richtigen Freund! Beethovens neunte Sinfonie dröhnte im Hintergrund. Vielleicht hatte ich mir alles auch nur eingebildet. Es war so unwirklich gewesen, fast wie ein Traum.
Endlich fiel mir der Code wieder ein und ich gab ihn in das...