E-Book, Deutsch, 340 Seiten
Ziegler Tot wie Oskar
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7568-2982-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-7568-2982-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Oskar Weber wird vor seinem Haus tot aufgefunden. Das Buch erzählt die Geschichte von drei Familien aus dem Berliner Westend Wochen vor Oskars Tod. Konkurrenzneid, ärztliche Kunstfehler, Zickenkrieg , Sünden der Vergangenheit und tödlicher Hass sorgen für eine ständig wachsende Zahl von Verdächtigen. Auf den ersten Blick ist alles offensichtlich, aber das Leben hat immer Überraschungen parat.
Martin Ziegler ist 73 Jahre alt, aktiver Rentner, Musiker, Maler und optimistischer Autor, mehr unter http://www.bigzig.de
Autoren/Hrsg.
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Sonntag, 23.8.2020
Familie Weber, Anna, die Vase und das Zittern Auch an diesem Sonntagmorgen liegt die seit Wochen andauernde Hitze wie ein Schleier über Berlin. In den Nachrichten sprechen sie vom wärmsten August seit 1881. Die Nacht hat wieder einmal nicht die erhoffte Abkühlung gebracht, die geöffneten Fenster der Villa in der Eichenallee saugen weiterhin warme Luft in die Zimmer. Das dichte Blätterwerk einer alten, mächtigen Eiche legt kühlenden Schatten auf das Mauerwerk. Eine alte Dame überquert mühsam die Kreuzung. Unter dem dichten Blätterdach des Kirschlorbeers lehnt sie sich kurz an die Gitterstäbe und gönnt sich eine Ruhepause. Sie vermisst seit Wochen das Konzert der Vögel, dem sie besonders hier im Frühling und bis in den Juli hinein stundenlang zuhören konnte. Durch die schwüle Stille drängen sich Klänge an ihr Ohr, einige kurze, einige langanhaltende Töne eines Pianos ohne erkennbaren melodischen Zusammenhang. Ein geschultes Gehör identifiziert daraus sicher das Grundgerüst einer Tonleiter, würde aber dem Erzeuger dieser Darbietung kein gutes Zeugnis ausstellen. Die alte Dame wendet sich dem Haus zu und blickt durch die Blätter nach oben. Der musikalische Vortrag kommt aus dem Fenster im ersten Stock. Sie lauscht den dilettantischen Kostproben dieses Künstlers noch ein paar Minuten und setzt ihren Weg entlang der Eichenallee fort. Im Musikzimmer im ersten Stock sitzt Ben einsam und schwitzend auf der Klavierbank vor dem Bechstein-Flügel. Bens langes, blondes Haar klebt an der Stirn, an den Ohren, im Nacken. Das weiße T-Shirt ist mit der Haut am Rücken verschmolzen, vorne steht es wie ein nasser Lappen vom Körper ab. Die kurze Sporthose ist übersät mit Schweißflecken und ständig nimmt deren Anzahl zu. Auf seinem Schoß liegt ein weißes Handtuch, das längst seinen Zweck nicht mehr erfüllt. Ben hat aufgegeben, den Schweiß abzuwischen. Mit seiner linken Hand hat er sich an der Vorderkante der Klavierbank festgekrallt, die Rechte liegt unschlüssig auf der Klaviatur. „Hallo! Warum höre ich nichts?“ Eine laute, ungeduldig klingende Frauenstimme dringt vom Untergeschoß nach oben, quetscht sich vehement durch die geschlossene Zimmertür und bohrt sich gnadenlos in Bens Ohren. Lustlos setzt er seine Finger auf die Tasten und blickt auf das Notenblatt vor sich. Er weiß genau, dass sie in einigen Minuten neben ihm stehen wird. Sie wird nicht aufhören, ihre Art von Motivation beim ihm loszuwerden. Resigniert beginnt er mit den ersten Takten der zu übenden Etüde. Corinna Weber hat an diesem Morgen bereits eine Trainingseinheit im Fitnessstudio hinter sich, ihre schwarze Bubikopf-Frisur ist noch nass vom Duschen und ihr Gesicht zeigt noch eine leichte Rötung. Ab und zu richtet sie den Blick nach oben und registriert kopfschüttelnd Bens Bemühungen. Bis vor fünf Jahren saß sie noch im Vorzimmer des Chefarztes des Helios Klinikums in Berlin-Buch. Dr. Oskar Weber war dort als Oberarzt in der Neurochirurgie beschäftigt. Die tägliche Arbeit brachte es mit sich, dass sich beide regelmäßig begegneten und schätzen lernten. Als Oskars Frau 2014 bei einem Autounfall ums Leben kam, hat sie alle weiblichen Register gezogen, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bei einem Ärztekongress in Madrid wachten sie dann das erste Mal gemeinsam im gleichen Bett auf, vier weitere Wochen später hatte sie einen Ring und den angestrebten Heiratsantrag. Ben war alles andere als glücklich über diese Verbindung. Er war gerade 11 Jahre alt, der Tod seiner Mutter nagte noch gewaltig an ihm und ihm fehlte jegliches Verständnis für die Entscheidung seines Vaters. Corinna brachte ihre 9-jährige Tochter Sarah mit in die Ehe und vom ersten Tag an war es ein andauernder Wettkampf um Zuneigung und Aufmerksamkeit. Ben hat sich mit Sarah arrangiert und akzeptiert sie als Schwester, das Verhältnis zu seiner Stiefmutter blieb kompliziert. Ben erkannte bald, was für Corinna wichtig war. Er registrierte ihre regelmäßigen Besuche im Fitnessstudio, ihre kostspieligen Einkäufe in Boutiquen, ihre häufigen Anwendungen bei den noblen Friseuren, Nagelstudios, Beautysalons und Wellnessoasen. Corinna weiß, wie aufmerksam sie von Ben beobachtet wird. Sie hat ihm von Beginn an das Leben so schwer wie möglich gemacht. Bens Vater hilft dabei unbewusst mit, indem er ihre Tochter Sarah immer öfter bevorzugt und dem kleinen, süßen Mädchen jeden Wunsch von den Augen abliest. Corinnas Tochter hat zwei Jahre zuvor mit dem Klavierspielen begonnen, also war es für Corinna keine Frage, sogar eine Selbstverständlichkeit, dass im Hause Weber ein Flügel stehen muss. Und Oskar Weber widersprach nicht, als Corinna darauf bestand, dass auch Ben eine musikalische Ausbildung nicht schaden würde. Und da sitzt er nun vor dem schwarzen Ungetüm, versucht durch seine wässrigen Augen die schwarzen Punkte auf dem Papier als Noten zu entziffern und die dazugehörigen weißen oder schwarzen Tasten zu treffen. „In einer Stunde wird gegessen“, kommt die befehlende Stimme von unten, „geh duschen, zieh dir was Vernünftiges an und sei dieses Mal pünktlich!“ Erleichtert klappt Ben den Deckel zu, trocknet sich etwas ab und macht sich auf den Weg in sein Zimmer. Er wirft das feuchte Handtuch in den Wäschekorb, holt sich ein neues T-Shirt und eine Jeans aus dem Schrank und macht sich auf den Weg zur Dusche. Ben drückt die Klinke der Badezimmertür. „Besetzt!“ Sarahs Stimme kommt schneidend und vorwurfsvoll. „Wie lange dauert das denn? Ich muss duschen!“, ruft Ben durch die Tür. „Ich brauch noch, geh doch nach unten!“ Ben sieht ein, dass es keinen Sinn hat zu warten und springt die Treppe nach unten. Im linken Seitenflügel ist gottseidank ein weiteres, großzügiges Badeparadies. „Besetzt!“, tönt es auch hier, als Benjamin versucht, einzutreten. „Geh doch nach oben!“ Vaters Stimme hat nicht den vorwurfsvollen Klang wie vorher bei Sarah, trotzdem wird Ben langsam unruhig. „Brauchst du noch lange, Papa? Oben ist Sarah, ich fürchte, ihr Zeitaufwand ist wohl höher anzusetzen als deiner.“ Ben hört ein leises, unterdrücktes Lachen und das Rascheln von Zeitungsblättern, Sekunden später wird die Spülung betätigt und sein Vater öffnet die Tür. „Bitteschön, Herr Sohn, genießen Sie die Dusche!“ Das Mittagessen mit der gesamten Familie jeden Sonntag um Punkt 12 Uhr wurde von Oskars erster Frau Hermine eingeführt und das Ritual hat man über alle folgenden Jahre eisern beibehalten. Anna Rabe, die langjährige Haushälterin, war lange vor Corinnas Auftauchen für die Familie Weber tätig. Es war nicht leicht für Oskar Weber, Anna zum Bleiben zu überreden, nachdem Corinna mit ihrer Tochter eingezogen war. Eine Reduzierung der Arbeitszeiten, aber damit trotzdem verbunden eine nicht unerhebliche Erhöhung der Bezüge halfen dabei, Anna das Schlucken vieler Kröten zu erleichtern. Oskar und seine verstorbene Frau lernten Anna Rabe gemeinsam kennen. Hermine hatte Oskar überreden können, sie an einem Mittwoch im Januar 2004 zum Schwangerschaftsvorbereitungskurs zu begleiten. Anna fiel ihnen im Kreis der Teilnehmer sofort auf, denn sie saß als Einzige allein auf ihrer Übungsmatte. Der hellblaue Trainingsanzug war sicher zwei Nummern zu groß und an den nackten Füßen bekamen die schwarz lackierten Fußnägel Aufmerksamkeit von allen Seiten. Einige der Übungen waren ohne Partner nicht ausführbar. Die Kursleiterin schlug vor, dass Oskar als Nächstsitzender Anna unterstützen sollte. Hermine wunderte sich, dass sich Oskar zunächst dagegen wehrte. Es fiel ihr auch nicht auf, dass Anna Oskar lange und intensiv ansah und auch er seine Blicke nicht von ihr abwenden konnte. Nach der Übungsstunde sprach Hermine Anna an, unterhielt sich lange mit ihr und sie verabredeten sich. Zwischen den Frauen entstand zunächst nur eine lose Freundschaft. Aber Hermine überraschte Oskar dann eines Tages damit, dass sie Hermine als Haushaltshilfe und Kindermädchen eingestellt und ihr auch ein Zimmer in ihrem Haus vermietet hatte. Von da an war Anna ein fester Bestandteil der Familie Weber. Anna ist gerade dabei, das kochende Kartoffelwasser abzugießen, als sie aus dem Wohnzimmer ein lautes Klirren vernimmt. Sie zieht den heißen Topf von der Herdplatte und eilt den Gang entlang, der von der Küche zum Wohnzimmer führt. Ihr erster Blick fällt auf die großen Scherben, die weit verteilt auf dem weißen Marmorfußboden liegen. Eine große Wasserlache breitet sich langsam aus und erfasst auch bereits den großen Berberteppich. Anna erkennt die schwarz-weiß gemusterten Trümmer und sie weiß sofort, dass es Teile der japanischen Gien-Vase sind, die jetzt darauf warten, entsorgt zu werden. Anna war damals zugegen, als der im Haus Weber als Besucher weilende japanische Arzt dieses kostbare Stück großzügig als Gastgeschenk...




