Zerbolesch | Verhaltet euch unauffällig | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 242 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

Zerbolesch Verhaltet euch unauffällig

Roman
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95996-021-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 242 Seiten

Reihe: Edition Periplaneta

ISBN: 978-3-95996-021-2
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Drogen. Party. Liebe. Nach zwei Jahren Exzess spuckt die Afterhour Hank wieder aus. Die Bilanz ist ernüchternd: Keine Frau. Kein Geld. Keine Wohnung. Nur ein Berg Schulden und ein Dutzend Gläubiger im Nacken. Um der Beugehaft zu entgehen, zwängt Hank sich in den Nadelstreifenanzug einer kapitalistischen Gesellschaft, sucht sich einen Job, holt sich seine Frau zurück und entwirft einen Tilgungsplan für seine Schulden. Schlafen. Arbeiten. Essen. Schlafen. Arbeiten. Gefangen in der Monotonie merkt er nicht, wie der Knoten der Krawatte immer enger wird. Eine Geschichte über das Scheitern. Das Aufstehen. Das Hinfallen. Das Aufstehen. Das Hinfallen. Und vom Liegenbleiben.

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1 Sommer 2003 „Die Schicht, in der Sie eingesetzt werden würden, geht von Montag bis Freitag von 17:00 bis 21:00 Uhr. Es kann auch mal früher oder später werden, je nach Volumen. Stoßzeiten sind Weihnachten und nach den Ferien. Das ist eine körperlich sehr anspruchsvolle Arbeit“, sagte er und sah mich genau so an, wie das Sicherheitspersonal am Kennedy Airport Männer mit Gebetsmützen und Bärten ansieht. Dieser Blick schien hier zum guten Ton zu gehören. Schon am Eingang wurde ich damit empfangen. Meine Taschen wurden durchsucht und ich wurde gründlicher abgetastet, als beim Fußballderby Düsseldorf gegen Köln. Das Büro als schlicht zu bezeichnen, würde dem hier vorherrschenden Spartanismus in keiner Weise gerecht werden. Der Raum war so klein, dass mein Gegenüber es nur unter Anstrengung um seinen Schreibtisch geschafft hätte. Es gab keine Bilder. Keine Blumen. Der einzige Bonus waren die dunkelbraunen Jalousien, die zur Hälfte heruntergelassen waren. Und das Namensschild auf dem alten Holztisch. Herr Kling stand da aus einzelnen Buchstaben zusammengescrabbelt. Seiner Hautfarbe nach schien er viel Zeit in diesem Zimmer zu verbringen. Das unterschrieb auch sein Moschusduft. „Im Schnitt verladen wir 17.000 Pakete pro Schicht und knapp 50.000 Pakete am Tag.“ ‚Dein arielweißes Hemd sieht mir nicht danach aus, dass du dich in das wir mit einbeziehst‘, dachte ich. „Sie sind gelernter Altenpfleger?“ Er machte sich erst gar nicht die Mühe, für diese Frage von meinem Lebenslauf aufzublicken. „Jawohl“, sagte ich. ‚Jawohl. Wer sagt denn bei einem Vorstellungsgespräch jawohl?‘ „Und warum arbeiten Sie nicht mehr als Pfleger?“ „Das Problem ist doch Folgendes“, begann ich. Überlegte kurz und fuhr fort. „Jede Arbeit beruht auf Erfolgserlebnissen. Das ist genau das, was Sie weitermachen lässt. Was Sie auch durch die schlechtesten Tage zieht. Aber genau diese Erfolgserlebnisse bleiben in der Altenpflege völlig auf der Strecke, denn am Ende sterben sie alle. Und glauben Sie mir: Das ist nicht nur ziemlich frustrierend, das geht auch ganz schön an die Substanz.“ Eine mindestens genau so billige Ausrede wie der erfundene Job an sich. Doch so schnell fiel mir halt nichts Besseres ein. Wer macht sich schon für ein Vorstellungsgespräch Gedanken über seine ehemaligen Arbeitgeber? „Wie sind Sie denn überhaupt auf uns aufmerksam geworden, Herr Zerbolesch?“, fragte er. Faltete seine Hände wie zum Sonntagsgebet und wuchtete die Ellbogen auf den Tisch. „Ein Freund von mir arbeitet schon sehr lange hier. Und ich höre immer nur Gutes über Sie. Der PAKETDIENST hier, der PAKETDIENST da, Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, nette Kollegen, nette Vorgesetzte“, log ich. „Wie heißt denn Ihr Freund?“, fragte Kling. Mein Blick flackerte über seinen Schreibtisch und blieb an einem Kaffeebecher hängen, der mit einer Landschaft bedruckt war, wie man sie aus alten Karl May Filmen kennt. „Michael Herbig“, fiel es mir aus dem Mund. „Der Name sagt mir etwas.“ Er fuhr sich mit der Hand über sein aalglattes Kinn. „So’n kleiner, schlaksiger Kerl. Immer gute Laune. Immer einen witzigen Spruch auf den Lippen. Ein richtiges Arbeitstier“, sagte ich. „Ach ja. Richtig. Der Michael. Netter Kerl. Aber lassen Sie sich gesagt sein, dass wir dafür auch einiges erwarten. Es gibt hier klare Vorgaben, die Sie erfüllen müssen. Unser Soll liegt momentan bei 500 Paketen in der Stunde.“ Mein rechter Fuß begann zu zucken. „Aber Sie sehen recht sportlich aus. Ich denke nicht, dass das für Sie ein Problem wird. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“ „Wie sind denn die Verdienstmöglichkeiten?“, fragte ich. „Das kommt ganz darauf an, wie viel Sie arbeiten wollen.“ „Ich hab nichts weiter vor“, sagte ich. „Na das klingt doch schon mal ganz gut. Voraussichtlich werden Sie von 17:00 bis 21:00 Uhr arbeiten. Sie verdienen anfangs 12,63 Euro die Stunde und nach Ablauf der Probezeit 13,50 Euro. Was die Arbeitszeiten angeht, haben wir des Öfteren Sonderaktionen. Wenn zum Beispiel Kemmer und Kreuz neue Kataloge verschicken, dann brauchen wir ein paar Leute schon ab 14:00 oder 15:00 Uhr.“ Ich überschlug die Information grob im Kopf und landete bei knappen 1.000 Euro im Monat. ‚Müsste zu schaffen sein‘, dachte ich. „Ist super. Nehm’ ich“, sagte ich. Kling lehnte sich in seinen Stuhl. Ließ die Hände gefaltet und sah mich an, als hätte ich keinen blassen Schimmer, worauf ich mich hier einlassen würde. „Vertun Sie sich da nicht, Herr Zerbolesch. Das ist eine körperlich sehr anstrengende Arbeit. 50 Prozent geben in den ersten zwei Wochen wieder auf.“ ‚50 Prozent haben wahrscheinlich auch eine andere Wahl‘, dachte ich. „Ich bin einiges gewohnt. Ich kann das ab“, sagte ich. „Das glaube ich Ihnen gerne.“ Der Anflug eines Lächelns deponierte sich auf seine Lippen und Wangen. „Wer alte Leute aus dem Bett heben kann, der sollte bei ein paar Paketen keine Probleme haben.“ „Wann fang ich an?“ „Ich würde sagen, Sie gucken sich erst mal alles an, arbeiten ein paar Stunden mit und dann sehen wir weiter.“ „Super. Wo muss ich hin?“ Er stempelte meinen Lebenslauf. Griff einen Ausweis mit Kette aus seiner Schublade und reichte mir beides. „Aus der Tür raus und die zweite wieder rechts. Die Treppe runter und dann wieder rechts zum ersten Container. Da fragen Sie nach Olli. Der wird Ihnen alles Weitere zeigen. Viel Glück“, sagte er und reichte mir die Hand. ‚Ein bisschen wie auf’m Amt‘, dachte ich. Schlug ein. Und ging. 2 Als ich die zweite Tür rechts aufzog, stand ich in einem Hexenkessel aus blauschwarzem Lärm, Schmutz und getriebenem Kapitalismus. Meine Nase erahnte etwas, das dem Geruch von Metall, Schmierfett und Abgasen nahekam. Ich sah in ein monumentales Wellblechkonstrukt, bei dessen Anblick mir kurz der Atem stockte. Wie damals. Als ich mit meinen Eltern zum ersten Mal in den Urlaub gefahren war und sich dieses gigantische Alpenpanorama vor mir ausgebreitet hatte. Die Halle war durchzogen von Stahlrahmen und sich bewegenden Bändern, die aussahen, als stecke Leben in ihnen. Beeindruckt von dieser Konstruktion, stieg ich Stufe um Stufe die Treppen hinab. Unten angekommen hatte ich das Gefühl, als wäre ich kopfüber in ein anarchisches Chaos eingetaucht. Hubwagen, mannshoch beladen mit Päckchen, steuerten aus allen Richtungen auf mich zu. Die ersten Minuten verbrachte ich damit, ihnen im letzten Augenblick aus dem Weg zu springen. Ich fühlte mich wie ein Gefangener in einer Slapstick-Nummer. Was mir ein Grinsen entlockte. Bis ich jemanden hinter den Paketgebirgen zu packen bekam. „Tschuldigung? Ich such den Olli.“ Ich schrie, so laut ich konnte. Und verstand mich selbst kaum. Der Kerl zeigte mit dem Finger auf einen kahlgeschorenen Hinterkopf. Und gerade als ich die Hand zum Dank heben wollte, war er schon wieder weg. ‚Der arbeitet wohl schon länger hier‘, dachte ich. ‚Versucht gar nicht erst zu reden. Hat eh keinen Sinn.‘ Ich schlängelte mich um die Hubwagen herum auf Olli zu und tippte ihm von hinten auf die Schulter. „Hi. Henry. Herr Kling schickt mich. Ich soll Probe arbeiten.“ Olli hielt mir seine Hand hin. Ich schlug in die mit aufgerissener Haut überzogene Pranke und schüttelte sie. Er sah mich irritiert an. Riss mir mit der anderen den Lebenslauf aus den Fingern. Warf einen Blick darüber und bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir stiegen ein paar Stahltreppen hoch, und schon stand ich in einem Container, der zu Dreiviertel gefüllt war mit Paketen. Es gab kleine, große, dicke, dünne, runde, eckige; und trotzdem war nicht ein Zentimeter Platz verschwendet. Wie Tetris. Nur in echt. Olli brüllte dem Entlader etwas ins Ohr, während der sich selbiges zuhielt. Dann drehte er sich um, gab mir den Lebenslauf zurück und ging. Ich trat zu dem jungen Kerl in den Anhänger. Sein Kopf war gekrönt von einer Haarpracht, die ich einmal in der Cinema gesehen hatte. Da hatten sie einen Flyer abgedruckt, der unter den Walt Disney Mitarbeitern verteilt worden war und genau zeigte, welche Art von Frisur geduldet wurde und welche nicht. Der Typ hier ging mit den kalifornischen Ansprüchen ganz klar konform. Er zog seinen rechten Handschuh aus und hielt mir die Hand hin. Ich drückte meinen Lebenslauf hinein. Er lachte und zog sich seinen schwarzen Gewichthebergürtel zurecht. Dann deutete er an, dass ich mir die Ohren zuhalten solle. Ich tat es und er lehnte sich zu mir. „Hi. Sebastian“, rief er. Ich verstand. Und schlug ein. „Hi. Hank. Was muss ich tun?“ Meine Stimme klang fahl und stumpf. Als stünde ich in einem schallabsorbierenden Raum. „Alle Pakete von hier drin auf das Band legen“, rief Sebastian. „Das ist alles?“, fragte ich. Er lachte wieder. „Das ist alles.“ Getrieben von einer Mischung aus Angst und Eifer griff ich das erste Paket und wurde gleich mal ausgebremst. Dieses kleine Scheißding mit seinen geschätzten 30 mal 20 mal 20 Zentimetern wog mindestens 40 Kilo! Sebastians Perlweiß-Lächeln überstrahlte die Ränder seiner Lippen. Er nahm mir das Paket ab und schmiss es auf das Band, als wäre es ein leerer Pizzakarton. Dann drehte er sich wieder um. Schnappte sich das nächste, schmiss es auf...


Zerbolesch, Hank
Henry ‚Hank‘ Zerbolesch (*1981 in Düsseldorf) lebt seit 2004 in Wuppertal. Irgendwann fand er zur Literatur und schlussendlich zum Poetry Slam.
2014 erschien sein erster Kurzgeschichtenband „Rausch-Hour“. Mit dem darauf aufbauenden Programm „Vom Scheitern“ bespielte er zusammen mit dem Gitarristen PolyDil bundesweit Kleinkunstbühnen.
Seit Ende 2014 schreibt Hank Zerbolesch Live-Hörspiele und führt diese auf. Die Arbeiten des Wuppertaler Künstlers sind inspiriert von der Theorie des Minimalismus, der Kunst des Weglassens und Künstlern wie Richie Hawtin, Mark Rothko und Charles Bukowski.



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