E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Zeman Immerjahn
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-455-00513-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-455-00513-4
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Barbara Zeman, geboren 1981 im Burgenland, lebt in Wien, wo sie Geschichte studierte und als Journalistin für den Falter, The Gap und Die Presse schrieb. Für ihre Kurzgeschichten wurde sie mehrfach mit Aufenthalts- und Arbeitsstipendien ausgezeichnet. 2012 gewann sie den Wartholzpreis. Immerjahn (2019) ist ihr erster Roman.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Widmung
Der Vorhang wallte, wieder [...]
Das Geräusch seiner Schritte [...]
Dunstiger Himmel, knirschender Kies, [...]
Nur zufällig war er [...]
Im Alter von ungefähr [...]
An einem Morgen ging [...]
Seine Mutter hatte Immerjahn [...]
Immerjahn sah auf die [...]
Immerjahn sah die Auffahrt [...]
Immerjahn ging selten zum [...]
Immerjahn umrundete das letzte [...]
Katka und er hatten [...]
Er erinnerte sich, es [...]
Immerjahn beobachtete, wie Frau [...]
Früher wäre es unmöglich [...]
Neben der Tür ein [...]
Auf einer Bank vor [...]
Oben am Hang sah [...]
Immerjahn zählte, eins, zwei, [...]
Eine Wolke gelblichen Lichts [...]
In einigen Häusern brannte [...]
Hallo Bild, sagte Fritzwalter [...]
Mit der Trägheit einer [...]
Raffael hatte sich einen [...]
Quer über die Matratze [...]
Flatternd und gurrend staksten [...]
Sie hatten sich im [...]
Als Immerjahn die Küche [...]
Langsam war er aus [...]
Immerjahn hielt inne, denn [...]
Es lag ein Brot [...]
Es hatte zu regnen [...]
Er schloss die Augen, [...]
Dank
Biographie
Impressum
Der Vorhang wallte, wieder angestoßen von schwüler Luft, ins Zimmer hinein und wich knapp vor dem Fauteuil zurück, ohne Immerjahn zu berühren, der dort mit offenen Augen saß. Er starrte auf den durchsichtigen Stoff und versuchte sich zu sammeln. Trübe taumelten die sinkenden Brocken eines Traumes vor seinen Augen, um die Beine strichen ihm weiße Tiere, die verblassten, dann gänzlich verschwanden. Während er die Wärme ihrer Körper noch schwach an den Waden spürte, versuchte er sich bereits vergebens an ihre Form, ihre Größe zu erinnern, größer als kleine Katzen und kleiner als große Hunde waren sie gewesen, aber Gesichter, die ihre Zuordnung erlaubt hätten, hatten sie keine gehabt.
Immerjahn rieb sich die Augen, er durfte sie nicht mehr schließen, er musste sich jetzt sofort um jemanden kümmern, der ihm half. Er hatte Polly am Vormittag entlassen. Schenkte seiner ehemaligen Assistentin, obwohl sie nicht weinte, das Taschentuch, in das seine Großmutter ein schnörkeliges gestickt hatte, und setzte sich im Salon seines Anwesens zornig an den Computer. Er tat so, als sehe er nicht, wie sie das Taschentuch auf das Bukett aus Rosen, Tulpen und gelber Iris warf, was ihn aber nicht störte, weil sein Stoff von der gleichen Farbe wie die Blütenblätter der blassen Schwertlilie war, auf der es hängen blieb, die den ganzen Strauß dominierte.
Ja, er war erleichtert, aber er fühlte sich auch ein wenig verwirrt. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu entlassen, und es war ungewohnt, schon graute ihm, an die Eröffnung zu denken, ohne Polly in die Planung einzubeziehen. Nach dem Mittagessen hatte er das Speisezimmer verlassen, um etwas aus dem ersten Stock zu holen, hatte aber, sobald er dort gewesen war, nicht mehr gewusst, was er tun wollte, und er konnte sie nicht anrufen. Er war durch das Onyx-Badezimmer und das gläserne über den Flur gestreift, war wieder die Treppen hinuntergestiegen und in den Salon zurückgekehrt und hatte sich auf den Fauteuil gesetzt, in dem er dann eingeschlafen war.
Eine Sekunde kam es ihm vor, als fehlte nicht mehr viel, bis aus seinem Anwesen ein Museum geworden sein würde, dann aber geriet er ins Schwanken. Sie hatten heute Nachmittag die Öffnung des Hagebuttenbergs bekanntgeben wollen, im gleichen Atemzug den Termin der Eröffnung. Auf den neunundzwanzigsten August hatten sie ihn festgelegt, in knapp zwei Wochen war das. Bevor er aber irgendeinen Schritt unternahm, musste er sich einen Überblick verschaffen. Das Problem war nur, dass heute schon jemand von den hier gewesen war, der alles fotografiert hatte, und alles, was sie sagten, aufgeschrieben, in dreizehn Tagen würde der Fotograf für die abschließenden Aufnahmen wiederkommen, und der Bericht über die Rückführung seiner Mies-van-der-Rohe-Villa in den Originalzustand würde exakt einen Tag später, anlässlich der Eröffnung des Museums, erscheinen. Es ließ sich also nichts mehr verschieben.
Seine Gemäldesammlung war so groß und der Hagebuttenberg war mindestens zwanzig Jahre vollkommen abgeschottet gewesen, und er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken an Hunderte, die um den Brunnen des Vorplatzes versammelt standen und in sein Haus wollten. Im Dorf raunte man, auf dem Hagebuttenberg seien die Zimmer der Nachfahren des Zementfabrikanten Benedickt Immerjahn sen., die Wände, die Böden mitsamt der aus ihnen emporwachsenden Möbel aus Zement gegossen. Im Reflexionsbecken hielten sie sich Regenbogenforellen und Regenbogenforellen fressende Hechte, nach jedem Regen würden Hunderte Schnecken über die Steinwiesen kriechen, die der einzige Sohn, der Schwimmer, in Körben sammelte und in Butterschmalz gebacken verspeiste. Seine mondäne Großmutter sei eine Nymphomanin gewesen, die eine Liebschaft mit dem Lehrer hatte, was man daran erkannte, dass sie an den Tagen, an denen sie zu ihm ging, tafelgrüne Kleider trug. Des Weiteren gab es Spekulationen über einen Keller, den die Immerjahns nun schon in dritter Generation mit Spitzhacken unter ihr Haus in die Steinwiesen trieben, weil Mies van der Rohe ihm keinen gegeben hatte.
Es war ihm klar, dass sein Haus eher einer Wunderkammer denn einem Museum glich, sein Haus, dachte Immerjahn, hätte Rudolf II. gefallen. Er überlegte. Er könnte Holm rufen, nur würde der ihn nicht hören, weil er bestimmt schon wieder auf seiner Matratze im Großen Ausstellungssaal lag und so fest schlief, dass er erst aufwachen würde, wenn Immerjahn seinen Namen schrie, aber auf Schreien hatte er keine Lust mehr heute. Sein Vater, Benedickt jun., hatte Holm aufgenommen, ein Jahr bevor Immerjahn ausgezogen war, er selbst war achtzehn gewesen, Holm Anfang zwanzig. Holms Vater, ein spielsüchtiger Ingenieur, der in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, konnte seinem Sohn nicht mehr das Zimmer in der Stadt und das Architekturstudium finanzieren und bat Immerjahns Vater um Hilfe, der ihn, ohne lange zu überlegen, im Großen Ausstellungssaal unterbrachte, in dem sich damals noch die Sammlung seines Großvaters, Benedickt sen., befand. Immerjahn bewunderte Holm wegen der Musik, die er hörte, seiner Pilotensonnenbrille, der Mädchen, die sich mit ihm treffen wollten, und seiner Intelligenz. Anfangs schlief Holm schlecht inmitten der vielen Gesichter, die unbewegt vor goldglänzendem Grund auf ihn herabstarrten, nach wenigen Wochen aber begann er, sich für die Ikonen zu interessieren. Immerjahn sah ihn oft in der Bibliothek sitzen, wo er die Aufzeichnungen seines Großvaters zu ihrer Herkunft studierte, die Haare wie ein Vorhang vor dem Gesicht. Er kommunizierte damals alles, was zu sagen war, mit Hilfe seiner langen Haare. Immerjahns Mutter zog ihn auf, weil er parallel dazu Adorno las, aber sein Vater war erleichtert, dass sich endlich wieder jemand für die Holzbilder interessierte. Mittlerweile waren die meisten verkauft – Holm, siebenundfünfzig Jahre alt, wohnte umgeben von Kunst der Moderne –, jene Ikonen ausgenommen, die er vor Immerjahn versteckt hatte. Immerjahn fand sie circa zweimal im Jahr an ungewöhnlichen Plätzen. Dieses Jahr eine Maria von Andrej Rubljow im Ärmel des kasachischen Schafhirtenmantels seines Urgroßvaters und eine in einen wasserdichten Beutel verpackte Darstellung eines unbekannten byzantinischen Meisters der zwölf Apostel unter der Küchenspüle.
Immerjahn streifte mit dem Blick die vielen Flügel der vor über einem Jahrhundert von Étienne-Jules Marey angefertigten Bewegungsstudie einer Möwe, die im Salon auf einem schmalen Sockel stand, dort, wo sich in allen anderen ihm bekannten Salons der Fernseher befand. Er senkte den Kopf, sah unter den Flügeln der Möwe hindurch auf die geschwungene Arbeitsfläche seines Sezessionsschreibtischs, die wegen der vielen grellgrünen und grellgelben Klebezettelchen, die so eng aneinander und übereinander klebten, wirkte wie die ausgebreiteten Schwingen eines Raubvogels, der, geschmacklos gefiedert und schwer, seiner flatternden Möwe nachstellte.
Sollte er Polly anrufen und so tun, als habe er vor ein paar Stunden kurz den Verstand verloren, ihr sagen, sie solle in spätestens zwanzig Minuten wieder hier, zurück am Hagebuttenberg sein? Aber nein, dachte Immerjahn, während er dem Lauf der makellosen Bügelfalte seiner kurzen Hose folgte, das wollte er nicht. Gegen zehn Uhr hatte er im Salon gewartet, sich gefragt, wo Polly und der Redakteur der denn blieben, und war sie nach einer guten halben Stunde suchen gegangen. Er war es gewohnt, dass Polly zu ungewöhnlichen Zeiten an leicht zugänglichen Orten mit irgendwelchen Personen, meist jungen Künstlern, die sie besuchen kamen, schlief, ihr Körper nackt war ihm beinahe schon so vertraut wie ihr Körper angezogen, und er hatte sich gedacht, vielleicht half es, den Redakteur positiv auf die Besichtigung einzustimmen. Dass Holm dabei gewesen war, war ungewöhnlich, aber schockierend gewesen war es nicht. Er ärgerte sich, dass es ihm kaum gelang, den Anblick der drei abzuschütteln, wie sie vor seinem Bett gestanden waren, als versuchten sie, die Laokoongruppe darzustellen. Holm hatte ihn zuerst entdeckt und noch versucht, sich unbemerkt davonzustehlen, was ein Akt von aufsehenerregendem Optimismus gewesen war.
Immerjahn hätte unter normalen Umständen einfach wieder sein Schlafzimmer verlassen, an dessen schneeweißer Wand, gegenüber dem Bett, seine zwei liebsten Bilder hingen. Er hatte sich schon halb umgewandt, als Polly sich splitterfasernackt auf ihn zuzubewegen begann, worauf Immerjahn realisierte, dass man gerade zu viel von ihm verlangte. Er hatte wegen dieser vielen nackten Personen vielleicht etwas überreagiert. Sonst sprach er eher leise, sodass es sofort still war um ihn, weil man ihn sonst überhörte. Contenance, das hatten ihm sowohl der Vater als auch die Mutter beigebracht, sei alles, und wirklich war er auch bekannt dafür, Haltung zu bewahren. Wenn er aber die Fassung verlor, dann vollständig, und das, obwohl er nicht gerne schrie.
Er klopfte sich ein Haar von der Hose und versuchte, entspannter zu sitzen. Er konnte Fritzwalter anrufen, der früher sein bester Freund gewesen war und ein Künstler, steinreich seit ein paar Jahren, und sich mit der Instandsetzung desolater Unterkünfte auskannte, aber sicherlich sofort mit Schwingschleifer und Säbelsäge alle Pläne Immerjahns über den Haufen werfen würde. Nein, dachte Immerjahn, auch Fritzwalter anrufen wollte er nicht, außerdem würde er wieder nur von seiner neuen Serie sprechen, die er ihm anlässlich der Öffnung seines Hauses schenken wolle, für das Speisezimmer, das Fritzwalter sich als Fritzwalterzimmer vorstellte, das sich seit Jahren mit...




