Zwölf Profile aus dem 20. Jahrhundert
E-Book, Deutsch, 332 Seiten
ISBN: 978-3-290-17735-5
Verlag: TVZ Theologischer Verlag Zürich
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Matthias Zeindler, Dr. theol., Jahrgang 1958, ist Titularprofessor für Systematische Theologie/Dogmatik an der Theologischen Fakultät Bern und Leiter Bereich Theologie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn.
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|23| Karl Barth (1886–1968) – ein reformierter Reformierter
Theologie für eine durch Gottes Wort zu reformierende Kirche Michael Weinrich Vor allem in Deutschland wurde Karl Barth von seinen Kritikern immer wieder mit dem Stigma seines Reformiertentums etikettiert – besonders intensiv zur Zeit des Kirchenkampfes. Häufig wurde damit zumindest indirekt eine grundsätzliche Disqualifikation annonciert, die Grund genug war, Barth gegenüber einen prinzipiellen Abstand zu wahren. Gleichzeitig befand sich Barth in einer durchaus bemerkenswerten Konstanz gerade auch mit den Reformierten in einer kritischen Auseinandersetzung – und das keineswegs nur am Rande. Von beiden Seiten schlug ihm Skepsis entgegen, die zwar sehr unterschiedlich begründet war, aber in jedem Fall mit dem reformierten Profil seiner Theologie zu tun hatte; was den einen (in der Regel ohne nähere Benennung der problematischen Aspekte) zu reformiert war, erschien den anderen zu wenig reformiert, weil die spezifische Prägekraft der reformierten Tradition zu wenig herausgestellt werde (Barth liess jeden reformierten Stallgeruch vermissen). Bei aller Unterschiedenheit waren beides mehr gefühlte als tatsächlich ausgewiesene Vorbehalte. Tatsächlich aber wirkte Barth, verglichen mit den geltenden konfessionellen Verlässlichkeiten, wie ein programmatisch agierendes unregelmässiges Verb, indem er nicht nachliess, die überkommene Regelmässigkeit in den theologischen Deklinationen anzugreifen. |24| Barth attackiert die Harmlosigkeit gewohnheitsmässigen Theologietreibens, das mit den üblichen Regelmässigkeiten verbunden ist und eben dann in der Regel auch nur zu mässigen Einsichten führt. Die angedeutete diffuse Gemengelage legt die Frage nahe, wie es sich nun tatsächlich mit Barths Beziehung zur reformierten Tradition verhält. Ist Barth im konfessionellen Verständnis ein reformierter Theologe und wenn ja, in welchem Sinne ist er es? Der erste Teil der Frage wird sich relativ einfach beantworten lassen, während eine Antwort auf den zweiten Teil der Frage durchaus mit einigen Schwierigkeiten verbunden ist. Immerhin wurde Barth 1921 ausdrücklich für die reformierte Theologie von seiner Schweizer Pfarrstelle an die Theologische Fakultät in Göttingen berufen, nicht zuletzt unter dem Einfluss des profunden Kenners der reformierten Bekenntnisschriften in Erlangen, Ernst Friedrich Karl Müller (1863–1935). Es wurde von Barth erwartet, dass er insbesondere den reformierten Studierenden das spezifische Profil der reformierten Theologie lehren solle, wozu er als Mitglied einer reformierten Kirche in der Schweiz als besonders prädestiniert angesehen wurde. Barth hingegen war zwar Mitglied einer reformierten Kirche, weil in der Schweiz die protestantische Kirche eben vorzüglich reformiert ist, aber er sah sich nun durch den Ruf nach Göttingen seinerseits das erste Mal dazu herausgefordert, sich in substantiell vertiefter Weise mit der reformierten Tradition auseinanderzusetzen, um schliesslich auch für sich selbst eine Antwort auf sein Verhältnis zur reformierten Tradition zu finden. In der volkskirchlichen Mehrheitssituation der Schweiz war offenkundig auch für Barth die reformierte Tradition die selbstverständlich hingenommene geschichtliche Prägung seiner Kirche, die er in ihrem Alltag von anderen Fragen in Atem gehalten sah als von ihrem konfessionellen Profil.1 Das änderte sich grundlegend mit dem Wechsel nach Göttingen. Barth war nun zu differenzierter akademischer Auskunft über die reformierte Theologie herausgefordert und hat diese Herausforderung auch entschlossen und intensiv angenommen. |25| Barth hat dabei einen ganz eigenen Weg eingeschlagen, auf dem er sich zwar auf verschiedene Leitmotive der reformierten Tradition beruft, die er aber ausdrücklich einem reformierten Traditionalismus mit seinen konfessionalitischen Neigungen entgegenstellt.2 Wenn Barth sich auf die reformierte Tradition bezieht, will er konsequent als ein Theologe evangelischer Freiheit verstanden werden, der sich um eine unter den gegenwärtig gegebenen Umständen einzunehmende Position bemüht. Das möchte ich an drei ausgewählten Beispielen ein wenig illustrieren. Zunächst möchte ich mich mit Barths Verhältnis zum Bekenntnis beschäftigen (1.). Sodann soll mit einigen Andeutungen Barths besonderes Verständnis des Wortes Gottes angesprochen werden, das die Theologie einerseits zu einer prinzipiellen Vorbehaltlichkeit nötigt – dafür steht der bleibend dialektische Charakter seiner Theologie – und andererseits ihr eine Freiheit eröffnet, hinter der sie in ihren geschichtlichen Koalitionen und mit ihren ängstlichen Zögerlichkeiten faktisch in beschämender Permanenz zurückbleibt (2.). Schliesslich möchte ich mich einer unbeachteten Platzanweisung zuwenden, die Barth für die Reformierten in der Ökumene gleichsam als eine konkrete Konsequenz der Freiheit im Auge hatte (3.). Zum Schluss wird dann eine vorläufige Bilanz gezogen (4.). 1. Von der Besonderheit des Bekenntnisses
Ausweislich des Protokolls der Sitzung der Göttinger Theologischen Fakultät am 12. Mai 1921 wird Barths Lehrtätigkeit ausdrücklich auf die «Einführung in das reformierte Bekenntnis, reformierte Glaubenslehre und reformiertes Gemeindeleben» beschränkt.3 Barth musste sich also unweigerlich intensiv mit dem reformierten Bekenntnis und seiner Tradition |26| beschäftigen. Gleich in seinem ersten Semester hält Barth eine Vorlesung über den Heidelberger Katechismus. Es folgen Vorlesungen über Calvin4 und Zwingli5 und im Sommer 1923 eine Vorlesung über die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften6. In dieser Zeit erwirbt Barth nicht nur umfängliche Kenntnisse über das reformierte Bekenntnis und die reformierten Bekenntnisse, sondern er bestimmt zugleich auch sein eigenes Verhältnis zur reformierten Tradition und erarbeitet sich ein eigenes Verständnis von der Bedeutung und Reichweites eines Bekenntnisses einschliesslich der damit verbundenen Konsequenzen. Das bedeutet weniger, dass er nach seinem persönlichen Zugang zu den Bekenntnissen fragt, wohl aber, dass er konsequent die Forderung erhebt, dass es nicht allein darum gehen könne, die reformierten Bekenntnisse zu pflegen, sondern auch die Art und Weise dieser Pflege habe eine reformierte zu sein. Es reiche nicht aus, die reformierten Bekenntnisse in Ehren zu halten und sich an ihnen zu orientieren, sondern es komme auf einen seinerseits ausdrücklich reformierten Umgang mit ihnen an, der sich durchaus von dem lutherischen Umgang mit den Bekenntnissen unterscheidet. Ich möchte dies an einem konkreten Beispiel veranschaulichen. Gerade weil es in diesem Beispiel um die Frage eines erst zu formulierenden Bekenntnisses geht, wird an ihm besonders deutlich, was für Barth mit einem Bekenntnis auf dem Spiele steht. Am 30. Juni 1924 erhielt Barth vom Generalsekretär des Reformiertes Weltbundes, John Robert Fleming, die offizielle Anfrage, ob er bereit wäre, in einem Vortrag auf der zwölften Generalversammlung 1925 in Cardiff auf die Frage zu antworten, ob eine gemeinsame Glaubenserklärung bzw. Bekenntnis für die reformierten Kirchen der Welt wünschenswert und möglich sei.7 Das ist eine Frage, |27| die den Reformierten Weltbund schon länger bewegt hat und offenkundig bis heute immer wieder aufbricht, wenn erneut nach der reformierten Identität gefragt wird.8 In der veröffentlichten Langfassung des Vortrags formuliert Barth folgende konzise Definition für ein Bekenntnis im reformierten Verständnis: «Ein reformiertes Glaubensbekenntnis ist die von einer örtlich umschriebenen christlichen Gemeinschaft spontan und öffentlich formulierte, für ihren Charakter nach aussen bis auf weiteres massgebende und für ihr eigenes Lehren und Leben bis auf weiteres richtunggebende Darstellung der der allgemeinen christlichen Kirche vorläufig geschenkten Einsicht von der allein in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarung Gottes in Jesus Christus.»9 Beim einmaligen Hören lassen sich die vielen Aspekte kaum fassen, die in dieser kompakten Definition stecken. Da stehen relativierende Aspekte (örtlich, bis auf weiteres, vorläufig geschenkte Einsicht) neben anderen, in denen die Verbindlichkeit annonciert wird (massgebend, richtunggebend, allgemeine christliche Kirche). Das entscheidende Kriterium wird am Schluss genannt: die Offenbarung Gottes in Jesus Christus, wie sie in der Heiligen Schrift bezeugt wird – eine Assoziation zu der ersten These der einige Jahre später verabschiedeten Barmer Theologischen Erklärung drängt sich geradezu auf. Doch bevor wir auf die theologische Kriteriologie zu sprechen kommen, wollen wir uns zunächst mit den äusseren Anforderungen beschäftigen, unter denen sich für Barth die Formulierung |28| eines Bekenntnisses als sinnvoll und dann eben auch als notwendig darstellt. Die entscheidende Anforderung ist die, dass ein Bekenntnis konkret sein muss. Aus dieser Anforderung leiten sich im Grunde alle weiteren Anforderungen ab. Was aber meint hier «konkret»? Um dies näher erfassen zu können, müssen wir uns den spezifischen Akzent ansehen, den Barth für das reformierte Kirchenverständnis reklamiert. Gewiss gilt für die Kirche entschieden, dass sie eine über die ganze Erde verstreute und somit im substantiellen Sinne eine katholische, d. h. universale Kirche ist. In ihr wird auf das Wort Gottes gehört, geglaubt,...