Zankl / Zanol / Klettenhammer | Joseph Zoderer | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 328 Seiten

Zankl / Zanol / Klettenhammer Joseph Zoderer

Leben – Werk – Rezeption

E-Book, Deutsch, 328 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6333-8
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Das literarische Werk des Südtiroler Schriftstellers Joseph Zoderer (1935–2022) ist äußerst vielfältig. Es umfasst Romane, Erzählungen, Lyrik, Essays, einen Theatertext, aber auch Tagebücher und Notizen. Seine Prosatexte zeigen in immer wieder neuer erzählerischer Ausgestaltung und Sprache Individuen in ihren historischen, sozialen und emotionalen Verstrickungen sowie deren Suche nach Befreiung des Selbst von äußeren und innerseelischen Begrenzungen. Auch in Zoderers Gedichten spricht das Ich von Grenzüberschreitungen, intensiven existenziellen Erfahrungen und Emotionen, von Auflehnung, Selbstzweifel und Verlustangst sowie der Sehnsucht nach Lebensintensität. Zoderers vielfach ausgezeichnetes Werk wurde überregional, insbesondere auch von der italienischen Literaturkritik, rezipiert und gewürdigt, es wurde ins Italienische und in andere Sprachen übersetzt und verfilmt.
Das vorliegende Handbuch zu Joseph Zoderer umspannt – ausgehend von den ersten literarischen Versuchen Anfang der 1960er-Jahre – eine Schaffenszeit von mehr als 60 Jahren. Erstmals in die Werkinterpretationen einbezogen wird der seit 2007 im Forschungsinstitut Brenner-Archiv aufbewahrte Zoderer-Materialbestand. Die tabellarische Biografie mit einem Bildteil dokumentiert zentrale Wegstationen in Zoderers Biografie und zeigt seine vielfältigen schriftstellerischen Aktivitäten auf.
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I. VORWORT
    Am 1. Juni 2022 ist Joseph Zoderer, einer der bedeutendsten Autoren Südtirols, in Bruneck verstorben. In seiner Biografie spiegeln sich die Geschichte Südtirols und ihre Verflechtungen mit der Geschichte Österreichs, Italiens und Deutschlands im 20. und 21. Jahrhundert sowie die Umbrüche im literarischen und kulturellen Leben Südtirols nach 1968. 1935 in Meran geboren, kam Zoderer mit seiner Familie im Zuge der Option nach Graz, wo er seine weitere Kindheit verbrachte. 1948 wurde ihm der Besuch des klassisch-humanistisch ausgerichteten Internats des römisch-katholischen Ordens der Weißen Brüder in Widnau in der Ostschweiz ermöglicht, dessen Schüler er bis 1952 war. Nach dem Austritt aus dem Internat arbeitete Zoderer kurze Zeit als Hilfsarbeiter in der Schweiz, 1954 kehrte er nach Südtirol zurück. Durch das sogenannte Optanten-Dekret vom 2. Februar 1948 konnten seine Eltern bereits 1950 von Graz nach Südtirol rückübersiedeln. 1957 legte Zoderer in Meran die Matura ab und zog noch im selben Jahr nach Wien, wo er Rechtswissenschaft und Theaterwissenschaft inskribierte und zudem Lehrveranstaltungen aus Philosophie und Psychologie besuchte. Zugleich arbeitete er bis 1967 als Journalist für mehrere österreichische Tageszeitungen (Kurier, Kronen Zeitung, Die Presse). Ende der Fünfziger-/Anfang der Sechzigerjahre entstanden erste literarische Arbeiten und Zoderer versuchte im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. 1965 und 1969 nahm er an den Österreichischen Jugendkulturwochen in Innsbruck teil und verfolgte die kulturelle Aufbruchsbewegung 1968 in Österreich. So besuchte er u. a. am 7. Juni 1968 die skandalisierte Aktion „Kunst und Revolution“ an der Universität Wien und befasste sich mit der Kunstauffassung Oswald Wieners, der die fortgesetzte Revolutionierung, ja Zerstörung der staatlichen Ordnungsstrukturen durch die Kunst forderte – ein Postulat, dem Zoderer skeptisch gegenüberstand, wie aus seiner Tagesnotiz vom 19. Juni 1968 hervorgeht. Überzeugender als das Revolutionspostulat Wieners fand er die Anschauungen des jüdischen Literaturhistorikers und Kafka-Forschers Eduard Goldstücker. Goldstückers Auffassung, dass die Literatur auch utopische Funktion habe, kommentierte Zoderer in der Tagesnotiz vom 19. Juni 1968 nach dessen Vortrag im Auditorium Maximum der Universität Wien am 18. Juni wie folgt: „Der Schriftsteller hat aufzuklären, zu integrieren, zu psychoanalysieren u. zu, kurz Irrationales für uns [unleserl.] urbar machen für Logisches, und trotz allem: zu heilen, Teilhabe an der Illusion, ohne die wir nicht überleben könnten, denn sie ist die Schönheit u. Hoffnung“. (Tagesnotizen Mai–Juni 68, Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Bestand Zoderer, Sig. 184-8-2) 1969 erreichte die ‚Studentenbewegung‘ auch Südtirol. Zoderer wurde zu einem der Wortführer der jungen Südtiroler Autoren, die gegen einen verkrusteten Literatur- und Kulturbetrieb aufbegehrten und eine Erneuerung des literarischen und kulturellen Lebens in Südtirol forderten – so auf der Studientagung der „Südtiroler Hochschülerschaft“ in der Cusanus-Akademie in Brixen im August 1969 und im Anschluss daran auf dem ebenfalls von der Südtiroler Hochschülerschaft organisierten „Literarischen Kolloquium“ in Bozen im September 1969. Zoderer übernahm dort das Eröffnungsreferat, das den zeittypischen Titel „Wozu schreiben?“ trägt und Manifest-Charakter hat. Der Ruf nach einer Literatur, die sich aktuellen literarischen Schreibweisen zuwendet, war mit der Forderung nach einer bislang politisch tabuisierten Öffnung zum italienischen Kulturraum verbunden. In diese Zeit des Umbruchs fiel auch Zoderers Zusammenarbeit mit dem Links- und späteren Grünpolitiker Alexander Langer (1946–1995) in der Monatszeitung die brücke (1967–1969) und in der Roten Zeitung (1972–1974), die ihren Blick auf die revolutionäre Protestbewegung der Linken im Italien der frühen Siebzigerjahre richtete. 1970 führte eine Amerikareise Zoderer quer durch die USA (u. a. in die Hochburg der Hippiebewegung San Francisco), nach Südostkanada und Mexiko. Die Eindrücke dieser Reise wurden später in den Romanen Lontano (1984) und Das Schildkrötenfest (1995) literarisch verarbeitet. Ab 1971 arbeitete Zoderer dann als Rundfunkredakteur beim Sender RAI in Bozen. Südtirol wurde zu seinem ständigen Wohnort, wobei der Autor bemüht war, Kontakte und Freundschaften zu Schriftstellern und Künstlern im Ausland sowie zu Zeitschriften und Verlegern zu pflegen (vgl. Zankl 2017, S. 179–205) und seine Position im Literaturbetrieb über den regionalen Raum hinaus zu festigen. Ein Jahr später heiratete Zoderer die Malerin und Architektin Sandra Morello. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Ihren literarischen Niederschlag hat die politische und kulturelle Aufbruchszeit der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre vor allem im sprachexperimentellen Roman Schlaglöcher. Dauerwellenroman (entst. 1968; veröff. 1993) und im Band S Maul auf der Erd oder Dreckknuidelen kliabn (1974) mit Gedichten in Südtiroler Dialekt und Zeichnungen von Luis Stefan Stecher gefunden. Diese im Kontext der kritischen Dialektlyrik stehende Gedichtsammlung – sie ist Zoderers erste selbstständige Publikation – verschaffte dem Autor erstmals größere Bekanntheit, wenngleich „die Rezeption nur kleinräumig stattfand“ (Esterhammer 2006, S. 18) und der Band vornehmlich von der Presse in Nord- und Südtirol wahrgenommen wurde. In Südtirol wurde er kontrovers rezipiert. Die Besprechungen zeigen hier sehr deutlich die Spaltung zwischen der älteren Generation von Kulturschaffenden, die am Wertkriterium des politisch abstinenten ‚autonomen Sprachkunstwerks‘ festhielt, und der jüngeren Generation, die keinen Gegensatz zwischen politischem Engagement und Literatur sah. Die österreichischen Printmedien, u. a. die Tageszeitung Die Presse, besprachen die Dialektgedichte dagegen wohlwollend und bescheinigten ihnen künstlerische Wahrhaftigkeit, die sie nie zur plakativen politischen Botschaft werden ließe. Sowohl Schlaglöcher. Dauerwellenroman als auch S Maul auf der Erd oder Dreckknuidelen kliabn zeigen, dass das gesellschaftspolitische Engagement des Autors von Beginn an untrennbar mit der Reflexion der Sprache und literarischer Schreibweisen verbunden war. Das Wissen um die Bedeutung der Sprache in der Sozialisation des Individuums sowie der Kommunikation, deren Teil das Schweigen ist, charakterisieren auch die späteren lyrischen und erzählerischen Werke Zoderers, so u. a. die Pappendeckelgedichte (1979) oder den autobiografisch grundierten Internats- und Adoleszenzroman Das Glück beim Händewaschen (1976), weiters die Romane Lontano (1984) und Der Schmerz der Gewöhnung (2002) sowie die autofiktionalen Erzählungen in Der Himmel über Meran (2005) und Mein Bruder schiebt sein Ende auf (2012). Vielfach changieren Zoderers Texte dabei zwischen sprachlicher Schlichtheit und sachlichem Berichtstil (z. B. in Mein Bruder schiebt sein Ende auf, 2012), bildhafter Verkürzung (u. a. Die Erfindung der Sehnsucht, 2017; Bäume im Zimmer, 2022) und dem obsessiven Bestreben, die intensiven und emotional aufgeladenen existenziellen Erfahrungen nicht nur des lyrischen Ich, sondern auch jene der Figuren in seinen Prosatexten in immer neue Bilder zu fassen, was diesen wiederholt lyrische Züge (z. B. Dauerhaftes Morgenrot, 1987; Der Irrtum des Glücks, 2019) gibt. Die Bedeutung, die Joseph Zoderer im Literaturbetrieb Südtirols in den Siebzigerjahren hatte, zeigt sich auch darin, dass er maßgeblich an der Gründung der Südtiroler Autorenvereinigung (SAV, heute SAAV) mit Sitz in Bozen beteiligt war. Sie wurde auf seinen Vorschlag hin zunächst in einem noch sehr kleinen Kreis mit Matthias Schönweger, Oswald Waldner und Konrad Rabensteiner im September 1979 beschlossen und ging dann mit der Sezession der Autor*innen vom Südtiroler Künstlerbund einher, um die Position der Schreibenden und der Literatur in Südtirol zu stärken. Nach der weitgehend verhaltenen Rezeption des im Münchner Kleinverlag Relief erschienenen Romans Das Glück beim Händewaschen (1976) sowie der ebenfalls in Kleinverlagen erschienenen Gedichtbände Die elfte Häutung (1975) und Pappendeckelgedichte (1979) brachte Zoderer die Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im Juni 1981, auf dem er aus dem noch unveröffentlichten Roman Die Walsche las, den literarischen Durchbruch. Maßgeblichen Anteil daran hatten Christoph Buchwald, der Lektor des Hanser-Verlags, mit dem Zoderer auch in den Folgejahren eng zusammenarbeitete, weiters Michael Krüger, Lektor und Geschäftsführer bei Hanser und wie Buchwald lange Jahre mit Zoderer freundschaftlich verbunden, sowie das Marketing des Hanser-Verlags. In einer konzertierten Aktion wurde Zoderer quasi über Nacht als Autor eingeführt und bekannt gemacht. So erschien 1982 im Hanser-Verlag nicht nur Die Walsche, sondern zeitgleich auch das Glück beim Händewaschen in einer überarbeiteten Neuauflage. Parallel dazu erfolgte am 7. Oktober...


Verena Zankl, Mag. Dr., Forschungsund Publikationsschwerpunkte: Editionsphilologie, Briefforschung, Literatur aus Südtirol, Literatur der Nachkriegszeit und der 1950er und 1960er Jahre in Tirol u. Österreich.

Irene Zanol, Mag., Mitarbeiterin im FWF-Projekt "Der Südtiroler Autor Joseph Zoderer – Neuverortung und kritische Neubewertung des Gesamtwerks unter Einbeziehung des erstmals zugänglichen Vorlasses" am Forschungsinstitut Brenner-Archiv.

Ao. Univ.-Prof. Dr. Sieglinde Klettenhammer, Dozentin am Institut für Germanistik, Abteilung Neuere deutsche Literaturwissenschaft.


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