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E-Book, Deutsch, 204 Seiten, E-Book
Zander Die faulen Deutschen?
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-68951-055-8
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
(Schein-)Debatten und Lösungen für eine zukunftsfähige Arbeitswelt. Warum wir keine anderen Arbeitszeiten, sondern Innovation, Flexibilität und Transformation brauchen
E-Book, Deutsch, 204 Seiten, E-Book
ISBN: 978-3-68951-055-8
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Guido Zander ist Diplom-Wirtschaftsinformatiker und seit 2005 geschäftsführender Gesellschafter der SSZ Beratung. Das Beratungsunternehmen ist spezialisiert auf die Themenschwerpunkte strategische Personalplanung, Personalbedarfsermittlung und Arbeitszeitberatung. Mit fast 30 Jahren Praxiserfahrung in der umsetzungsorientierten Beratung zählt Guido Zander zu den gefragtesten Experten, wenn es um die teuerste Ressource in Unternehmen geht: das Personal. Der unverstellte Blick auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Unternehmen zieht sich wie ein roter Faden durch Zanders Berufsleben: Als IT Consultant führte er Zeiterfassungs- und Personaleinsatzplanungssysteme ein und verantwortete später den Beratungsbereich bei einem führenden Softwarehersteller für Workforce Management. Bis heute hat Guido Zander mehr als 200 Projekte bei namhaften Kunden unterschiedlicher Branchen und Größen realisiert. Sein Fokus liegt dabei nicht nur auf der Konzeption einer Lösung, sondern vor allem auf deren Umsetzung und Verankerung in der Organisation. Als Vordenker ist er ein gefragter Keynote Speaker in den Themen Arbeitszeit und Zukunft der Arbeit. 2023 und 2025 wurde er vom Personalmagazin als einer der 40 führenden HR-Köpfe ausgezeichnet.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Management: Führung & Motivation
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Spezielle Soziologie Wirtschaftssoziologie, Arbeitssoziologie, Organisationssoziologie
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehre Allgemein Arbeitsmarkt
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Personalwesen, Human Resource Management
- Wirtschaftswissenschaften Volkswirtschaftslehre Volkswirtschaftslehre Allgemein Beschäftigung, Arbeitslosigkeit
Weitere Infos & Material
1. »Den Fachkräftemangel gibt es gar nicht«
Worum geht es?
Eines der größten aktuellen Probleme der Unternehmen ist der Fachkräftemangel. Glaubt man manchen Medien und LinkedIn-Debatten, ist allerdings nach wie vor umstritten, ob es ihn überhaupt gibt bzw. geben wird. Den demografischen Voraussagen, dass durch geburtenschwache Jahrgänge weniger Menschen ins Erwerbsleben starten, als in Rente gehen, kann niemand ernsthaft widersprechen, der noch an Fakten und Mathematik glaubt – was leider immer mehr aus der Mode kommt. Was die Auswirkungen der so entstehenden Lücke angeht, ist man sich jedoch uneins. Manche behaupten, der Effekt lasse sich durch Zuwanderung, Automatisierung, künstliche Intelligenz und dergleichen lindern. Außerdem befänden wir uns gerade in einer Wirtschaftskrise, in der sowieso mehr Beschäftigte freigesetzt würden als üblich. Andere Stimmen behaupten, der Fachkräftemangel sei selbstgemacht. Wer keine Leute finde, sei selbst schuld, schließlich müsse man einfach nur mehr zahlen oder bessere Arbeitsbedingungen schaffen.
Spätestens hier sind wir bei einer Unschärfe in der Diskussion angelangt, denn zunächst einmal muss man zwischen volks- und betriebswirtschaftlichem Fachkräftemangel unterscheiden. Volkswirtschaftlich stellt sich die Frage, ob die Anzahl der Erwerbstätigen zurückgehen wird und ob die vorhandene Humankapazität noch reicht, die offenen Stellen zu besetzen. Und selbst wenn es volkswirtschaftlich einen Fachkräftemangel geben sollte, muss ein Unternehmen betriebswirtschaftlich gesehen keinen solchen Mangel haben, solange es bessere Arbeitsbedingungen bietet als die Konkurrenz. Am Ende müssen wir auch noch zwischen Fachkräftemangel und Arbeitermangel unterscheiden, weil der jeweilige Mangel je nach Qualifikation unterschiedlich ausgeprägt sein kann. So lassen sich etwa entlassene Lagermitarbeitende nicht automatisch anderswo als IT-Fachkräfte einsetzen.
Was ist dran?
Eine der relevanten Größen zur Entwicklung der Zahl der Erwerbstätigen ist die Bevölkerungsentwicklung, die ihrerseits von verschiedensten Variablen abhängt und daher nur in Szenarien abgebildet werden kann. Die folgende Abbildung 1 zeigt drei solcher Szenarien auf. Die Einflussparameter sind dabei die Entwicklung der Geburtenrate (Geburten), die Entwicklung der Lebenserwartung (LE) und ein mögliches Einwanderungsszenario, hier Wanderungssaldo (WS) genannt. Innerhalb dieser Parameter kann die Ausprägung »niedrig«, »moderat« und »hoch« bzw. »stark« gewählt werden. Ich habe mich in allen gewählten Szenarien für die weitere Betrachtung sowohl bei der Geburtenrate als auch bei der Lebenserwartung für »moderat«, also die goldene Mitte entschieden. Bei der Geburtenrate heißt dies konkret 1,55 Kinder je Frau (2023 lag der Wert bei 1,38)2 und bei der Lebenserwartung 86,4 Jahre bei Jungen und 90,1 Jahre bei Mädchen, die im Jahr 2070 geboren werden.
Der Unterschied in den drei dargestellten Linien in Abbildung 1 liegt also rein in der Ausprägung des Wanderungssaldos, der zwischen niedrig (Linie mit Punkten), moderat (Linie mit Rauten) und hoch (Linie mit Rechtecken) differenziert wird. Die gepunktete Linie geht davon aus, dass die Nettozuwanderung bis 2033 auf 150 000 Personen jährlich zurückgeht, die Linie mit Rauten geht von einem Rückgang auf 250 000 Personen und die Linie mit Rechtecken von einem geringen Rückgang der Einwanderung auf 350 000 Personen jährlich aus.3 Im Jahr 2024 lag der Wanderungssaldo bei 418 000 Personen nach 662 000 im Jahr zuvor.4
Abb. 1: Varianten der Bevölkerungsvorausberechnung5
Bei einer niedrigen Einwanderung würde Deutschland also bis 2070 circa zehn Millionen Einwohner verlieren, bei einer moderaten Nettozuwanderung wäre der Bevölkerungsrückgang moderat, und bei einer hohen Einwanderung würde sie sogar um etwa fünf Millionen Einwohner wachsen. Unter dem Strich bleibt festzuhalten: Ohne Nettozuwanderung würde Deutschland erheblich an Einwohnern verlieren und mit der aktuell vorherrschenden Geburtenrate sogar noch mal deutlich mehr. Ohne Zuwanderung wäre das demografische Problem, also die wachsende Zahl von alten Leuten im Verhältnis zu immer weniger jungen Leuten, außerdem deutlich größer als dargestellt. Im gepunkteten Szenario stünden im Jahr 2035 20,4 Millionen Personen im Alter von 67 oder mehr Jahren nur 46,7 Millionen Personen im Alter zwischen 20 und 66 Jahren gegenüber, im Szenario mit den Rauten wären es 48,3 Millionen und im Szenario mit den Rechtecken 49,8 Millionen. Konkret heißt das, dass eine Person im Rentenalter jeweils durch 2,2 bis im besten Fall 2,44 Personen im arbeitsfähigen Alter finanziert werden müsste. Im Jahr 2024 lag der Wert bei 3,1. In jedem der drei Szenarien müssten 56 bis 57 Prozent der Bevölkerung die anderen knapp 45 Prozent finanzieren.
Abb. 2: Entwicklung Altersgruppen je Szenario6
Das Best-Case-Szenario, wonach es auf Dauer jährlich 350 000 Zuwanderer direkt in den Arbeitsmarkt geben wird, ist de facto eher unrealistisch. Deutschland ist aktuell nicht attraktiv genug, um aus dem Ausland Fachpersonal in dieser Größenordnung anzuziehen, und bei der derzeitigen politischen Gemengelage dürfte das in Zukunft eher noch schwieriger werden. Abgesehen davon ist unsere Gesellschaft offenkundig auch nicht bereit, eine so hohe Zahl an ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aufzunehmen. Im Gegenzug verlassen jährlich rund 210 000 Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft im Alter von 20 bis 40 Jahren das Land, drei Viertel davon mit Hochschulabschluss – Tendenz steigend.7 Im moderaten Zuwanderungsszenario mit einem Saldo von 250 000 Personen müssten demnach 460 000 Personen einwandern. Wir können also ziemlich gesichert davon ausgehen, dass die Bevölkerung beständig sinken wird.
Aber was heißt das nun für die Entwicklung der Anzahl der Beschäftigten? Aus Zuwandernden werden schließlich nicht automatisch Erwerbstätige, und nicht jeder Auswanderer muss vorher beschäftigt gewesen sein. Bis zum Jahr 2020 verzeichneten wir keinen Rückgang bei der Anzahl der Beschäftigten, da der demografische Wandel erst ab dann relevant wirksam wurde. Die Erwerbspersonenvorausberechnung des Statistischen Bundesamtes von 2019 ist ebenfalls szenarienbasiert je nach Wanderungssaldo und Erwerbstätigenquote aufgebaut. Nehmen wir auch hier das Szenario mit moderater Zuwanderung bei stabiler Erwerbstätigenquote. In diesem Fall wurde vorausgesagt, dass die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 2020 und 2030 um etwa 3,4 Millionen zurückgeht, also von 43,57 Millionen auf 40,14 Millionen. Bis 2060 wird ein Rückgang auf 35,55 Millionen, also um weitere knapp fünf Millionen, vorhergesagt. Das bedeutet, dass bis 2030 durchschnittlich 340 000 Personen pro Jahr mehr in Rente gehen, als Berufsanfänger in den Arbeitsmarkt eintreten. Mittlerweile schreiben wir das Jahr 2025, das heißt, dass bereits jetzt circa 1,36 Millionen Erwerbstätige mehr den Arbeitsmarkt verlassen haben müssten, als eingetreten sind.
Die Schätzungen stammen aber, wie gesagt, aus der Zeit vor 2020.8 Werfen wir deshalb mal einen Blick darauf, was seither tatsächlich passiert ist. Im Jahr 2019 gab es laut den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder 45,3 Millionen Erwerbstätige, deren Zahl 2020 auf 44,9 Millionen zurückging, um dann 2022 auf 45,6 und 2023 auf 45,9 Millionen Erwerbstätige anzusteigen.9 Diese Zunahme ist auch für mich zunächst überraschend, weil ich bis dato immer nur die Erwerbspersonenvorausberechnung im Kopf hatte. Bezeichnenderweise ändert sie jedoch nichts an der Tatsache, dass inzwischen zahllose Stellen nicht besetzt werden können, unsere Lieblingsgaststätten seltener und kürzer geöffnet haben (sofern sie nicht gleich ganz dichtgemacht haben) und selbst in besten Innenstadtlagen die Geschäfte bereits um 19 Uhr wegen Personalmangel schließen müssen. Zudem höre ich bei allen meinen Kunden, dass sie sich durchgehend schwertun, Mitarbeitende zu finden. Dies geht so weit, dass man auf manche Ausschreibungen noch nicht einmal mehr Bewerbungen erhält.
Daraus ergeben sich zwei Fragestellungen: Woher kommt der erwähnte Anstieg bei den Erwerbstätigen? Und warum gibt es trotzdem den Fachkräftemangel? Eine erste Erklärung für den Anstieg der Anzahl der Erwerbstätigen ist die Entwicklung der Erwerbstätigenquote seit 2020. Waren 2019 noch 76,7 Prozent der Bevölkerung erwerbstätig, waren es 2023 77,2 Prozent.10 Ein halbes Prozent von 50 Millionen sind immerhin 250 000 Personen mehr in Arbeit, wobei das nicht unbedingt Vollzeitstellen sein müssen. Eine zweite Erklärung ist die gestiegene Anzahl von erwerbstätigen Zuwanderern. 2019 gab es 4,87 Millionen erwerbstätige Ausländer, 2024 waren es 6,28 Millionen, also über 1,3 Millionen mehr11, darunter rund 130 000 Geflüchtete aus der Ukraine. Das heißt, ohne Zuwanderung hätten wir tatsächlich über eine Million...