Zach | Donaumelodien - Morbide Geschichten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 249 Seiten

Zach Donaumelodien - Morbide Geschichten

11 Kurzgeschichten aus dem historischen Wien
2021
ISBN: 978-3-8392-6676-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

11 Kurzgeschichten aus dem historischen Wien

E-Book, Deutsch, 249 Seiten

ISBN: 978-3-8392-6676-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wien und der Tod - eine ewige Liebe. In kaum einer anderen Stadt sind unbändige Lebensfreude und der Hang zum Morbiden so präsent. Daher ist es kaum verwunderlich, dass manch dunkles Geheimnis die Zeiten überdauert hat: Über einen Mann und seine Angst, lebendig begraben zu werden. Die mysteriösen Machenschaften des lieben Augustins. Von den Hexenprozessen über die Wiener Fiaker bis zur Kaiserin Sisi - jede der 11 „Morbiden Geschichten“ erzählt aus einer anderen Zeit und ist doch tief in Wien verwurzelt.

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II.
Strotter
Wien, 1903
Wie jeden Tag machte er sich zum Strottgang auf. Worum es sich bei einem Strottgang handelte, war Georg Maria Rosner, den ob seiner stets geröteten Nase alle nur »Gimpljoschi« nannten, noch vor acht Jahren völlig unbekannt, ja unvorstellbar gewesen. Er hatte ein bescheidenes Leben als Bierabtrager gelebt, verdingte sich also als einer jener besonders kräftigen Männer, die die schweren Fässer von Brauerei-Fuhrwerken abluden. In einem Haus am Spittelberg hatte er ein kleines Zimmer bewohnt, das er nur zum Schlafen benötigte, denn seine Abende hatte er stets in einem seiner drei Lieblings-Wirtshäuser verbracht, wo das Bier günstig und das Essen deftig war. Ab und an hatte er dort auch die Bekanntschaft eines Frauenzimmers gemacht, die ihn ob seines kraftstrotzenden Körpers zumeist erst zu und anschließend in sich eingeladen hatte. Georg Maria Rosner konnte also mit Fug und Recht behaupten, dass er mit seinem beschaulichen Leben als Junggeselle zufrieden war. Irgendwann jedoch ließ er sich von Trinkfreunden in die Kunst des Tarockspielens einweihen, und als ihm die Karten Mond, Gstieß und Pagat so geläufig waren wie das kleine Einmaleins, begann er, um Geld zu spielen. Erst nur um Heller, dann um Kreuzer. Irgendwann war ihm auch das nicht mehr Anreiz genug, und er suchte sich illustrere Kartenrunden, in denen um Gulden gespielt wurde. Schließlich drehte sich in Georgs Kopf alles nur mehr darum, die angehäuften Schulden wieder wettzumachen. Er lieh sich Geld bei Freunden und Bekannten, erbettelte unter falschem Vorwand einen Vorschuss auf seinen Lohn und stundete die Miete für sein Zimmer. Letzten Endes kam es, wie es kommen musste – erst verlor er seine Freunde, dann seine Arbeit und schließlich das Dach über dem Kopf. Eine Zeitlang hielt er sich als Tagelöhner über Wasser und wurde Bettgeher, konnte also für geringes Entgelt tagsüber die noch warme Schlafstätte eines anderen benutzen. Jedoch hatte er am frühen Abend wieder zu verschwinden. Aber er spürte immer mehr, wie sich seine Sicht auf die Welt im Allgemeinen und seine Mitmenschen im Besonderen veränderte. Missmut, Zorn und Bitterkeit machten sich in ihm breit, verzehrten nach und nach die schönen Erinnerungen, bis diese nur noch fahl wie die Lebensbeichte eines anderen wirkten. Er wollte sich mehr und mehr zurückziehen, und so entdeckte er die Unterwelt, im wahrsten Sinne des Wortes. An seinem dreiunddreißigsten Geburtstag verschwand er unter der Stadt. Hier stand er nun, acht Jahre später, bis zu den Knien in einem Abwasserkanal, der sich wie ein Hufeisen über ihm wölbte, tief im Bauch der Kaiserstadt. Die Kanalsohle war rutschig und voller Schlamm, der alles enthielt, wovon man sich in der Oberwelt entledigen wollte. Der Kanalgang war so nieder, dass Georg seinen Oberkörper beinahe in die Waagrechte beugen musste, wobei er zusätzlich die Knie anwinkelte. Derart gebückt watete er stundenlang durch das stechend riechende Abwasser, das je nach Stelle nach Moder, nach Verwesung oder nach Fäkalien stank. Auf seinem Rücken trug er einen kleinen Rucksack, dessen Leder spröde und rissig war. Vor sich hielt er eine kleine Öllampe, deren flackerndes Licht sich in die alles vereinnahmende Dunkelheit schnitt, und deren offene Flamme bei jedem Schritt einen rußigen Rauchschwall in Gesicht und Lungen dampfte. Von dem starken, wohlgenährten Mannsbild, das er einst darstellte, war nichts mehr übrig geblieben. Sein Magen wurde vom Hunger eisern umklammert, seine Gelenke schmerzten bei jeder Bewegung ob der immerwährenden Feuchtigkeit. Er fühlte sich, als wäre er in acht Jahren um dreißig Jahre gealtert. Gerade als die Muskeln seiner Oberschenkel zu brennen anfingen und sich sein Kreuz anfühlte, als wollte es wie ein trockener Zweig abbrechen, öffnete sich der Kanal vor Georg und er kam in einen Raum, der sich wie ein Gugelhupf aus roten Backsteinziegeln über ihm wölbte und genug Platz bot, um endlich aufrecht stehen zu können. Georg stellte seine Öllampe in eine Mauernische, legte seinen Rucksack auf einen trockenen Platz zu seinen Füßen und begann mit seiner Harke im Schlamm, der die Kanalsohle bedeckte, zu scheren. Georgs Blick blieb starr, seine Bewegungen wirkten mechanisch. Mit einem Mal trat etwas an die Oberfläche. Der Strotter bückte sich, griff es flink mit der linken Hand und spülte es im trüben Abwasser: zwei Heller und ein Kreuzer, der erste Fund des Tages. Er verstaute die Münzen in seinem Rucksack, dann begann er mit seiner Tätigkeit von Neuem. Wann immer er Knochen fand, nahm er diese, legte sie jedoch nicht in seinen Rucksack, sondern an den Rand des Kanals, denn ein »Banerstrotter« war er keiner, und warum sollte er jenen, die mühsam Knochen sammelten, nicht unter die Arme greifen? Zwei Kreuzer bekamen die Knochensammler fürs Kilo Gebeine, die sie zuvor jedoch noch trocknen mussten. Erst dann schleppten sie diese nach Atzgersdorf und verkauften sie an die Seifenfabriken, damit sich die feinen Bürger in der Oberwelt damit die Hälse waschen konnten. Solidarität war unter den Strottern also ein ebenso unausgesprochenes Gesetz wie die Gewissheit, hier unten nicht bestohlen zu werden. Wer es doch tat und dabei erwischt wurde, den ersäufte man kurzerhand und ließ seinen Leichnam zum Wienfluss hinaustreiben. Nach etlichen Stunden des Schürfens hatte sich Georgs Rucksack zur Hälfte gefüllt: Blechlöffel, Knöpfe, Nägel, abgebrochene Messerklingen und die Bleihauben von Flaschenhälsen häuften sich, verbunden durch den Schlamm des Kanals. Sogar ein fein ziseliertes blechernes Zigarettenetui hatte er gefischt, doch dieses hatte er in die Innentasche seiner Joppe verstaut, auf dass es ihm Glück bringen möge. Allmählich spürte Georg, wie ihm schwummrig zumute wurde. So schulterte er seinen Rucksack, nahm die Öllampe und verließ den Raum. Gebückt schritt er erneut durch die Arme des Kanals, bis er zu einem Schacht kam, der zur Oberfläche führte. Zärtlich säuselnd drang durch ihn frische Luft nach unten. Georg nahm seine graue Ballonmütze vom Kopf, deren Filz speckig glänzte, und reckte das Gesicht nach oben. Tief sog er die frische Luft ein, hielt sie einen Augenblick in sich wie einen schönen Gedanken, den man nicht vergessen mochte, und stieß sie schließlich wieder aus. Gedämpft drang das Geklapper von Hufen zu ihm herunter, das Knirschen der eisenbeschlagenen Räder von Fuhrwerken, das Bellen eines Hundes – Geräusche, die es hier unten nicht gab, und die Georgs Vorstellungskraft anregten, sich zu entsinnen, wie es war, als auch er ein karges, aber zufriedenes Leben an der Oberwelt geführt hatte. Er schloss die Augen. Was gäbe er dafür, noch einmal ein heißes Bad zu nehmen, sich schick mit einem Frack zu kleiden, um dann so ausgiebig zu dinieren, bis ihm der Bauch zu platzen drohte. Dann würde er sich dezent erleichtern, eine dicke Zigarre schmauchen, und ein weiteres Festmahl einnehmen. Einmal noch in diesem Leben, wünschte er sich derart intensiv, dass er beinahe versucht war, die Bilder vor seinem geistigen Auge mit Händen zu greifen. Doch die Anmut des vornehmen Restaurants, der Duft von gebratenem Fleisch und der Geschmack von edlem Wein entglitten ihm, verflüchtigten sich unwiederbringlich wie ein Atemstoß in eiskalter Nacht. Erneut sog Georg tief die Luft von oben ein. Augenblicke wie dieser kamen ihm jedes Mal vor wie ein erfrischender Regen, obgleich ihm auch immer sofort gewahr wurde, dass die nächsten Minuten, die er wieder in den Kanälen zubringen würde, aufs Übelste stinken würden. Gleich einer Dusche rieb sich der Strotter über das blasse Gesicht, dessen Haut grobporig von der immer feuchten Luft und so fahl wie das Licht des Mondes war. Seine kurzen schwarzen, strähnigen Haare strich er nach hinten, dann setzte sich Georg die Mütze wieder auf. Er sah an sich herab, bemerkte seine ausgemergelte Statur, an der das verschlissene Gewand wie die Fahne an einer Stange hing … wo war der Kraftlackel1 von einst geblieben? Seine Glieder schmerzten, sein Husten ging rasselnd. Mit tiefem Seufzen beugte er seinen Rücken und verschwand erneut in der Dunkelheit des Kanals, die ihn alsbald völlig verschluckt hatte. Kurz bevor Georg das Ende seiner Schlieftour erreicht hatte, kam er zu einem schmächtigen alten Mann, der mit einem kleinen Sieb, das an einen abgebrochenen Besenstiel genagelt war, Fettstückchen und Speisereste fischte, um sie ebenfalls an die Seifenindustrie zu verkaufen. »Habe d’Ehre2, Gimpljoschi«, grüßte ihn der Fettfischer, welcher die unterste Zunft in der Hierarchie unter den Kanalstrottern bildete. Georg tippte sich an die Mütze. »D’Ehre, der Specklhansl. Alles im Lot, wie immer?« »Alles im Lot«, entgegnete der Fettfischer. »Auch wenn die heutige Ausbeute mehr a Häklerei3 ist als sonst was.« Er warf einen traurigen Blick in den blechernen Eimer neben sich, der weniger als zur Hälfte mit graugelben Fleisch- und Fettbatzen gefüllt war. »Ist doch noch keine Fastenzeit, dort oben, oder?« »Nein, es ist September. Da sollten im Wurstelprater Bier und Wein in Strömen fließen und Schweinsbraten und Stelzen sich türmen.« »Die feinen Herren Großbürger.« Der Fischer schüttelte verständnislos den Kopf. »Lieber den Magen verrenken, als dem Wirt was schenken.« »Wird schon wieder besser werden, wirst sehen«, meinte Georg. »D’Ehre, der Specklhansl.« »D’Ehre, der Gimpljoschi.« Georg ging einige Schritte weiter und erreichte ein Holzbrett, das über einen Schacht gelegt war,...


Zach, Bastian
Bastian Zach wurde 1973 in Leoben geboren und verbrachte seine Jugend in Salzburg. Das Studium an der Graphischen zog ihn nach Wien, als selbstständiger Schriftsteller und Drehbuchautor lebt und arbeitet er seither in der Hauptstadt. Die Liebe zu historischen Geschichten, die in seiner Wahlheimat Wien an jeder Ecke lauern, inspirierte ihn zu diesen Kurzgeschichten.



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