Yates | Easter Parade | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

Yates Easter Parade

Roman
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-24607-5
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 304 Seiten

ISBN: 978-3-641-24607-5
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



»Ein Meister der Zwischentöne« Deutschlandradio Kultur

Sarah und Emily wachsen in den USA der 1930er-Jahre auf. Sie leiden unter den Launen ihrer rastlosen Mutter, die mit den Mädchen von einer Stadt in die nächste zieht. Über die Jahre hätten sich die Schwestern nicht unterschiedlicher entwickeln können. Sarah heiratet früh und bekommt drei Söhne, Emily macht Karriere und stürzt sich von einer Affäre in die nächste. Beide scheinen endlich das Leben zu führen, das sie immer wollten. Doch Sarahs Ehe ist nicht so glücklich, wie alle glauben. Und erst als Emily ihren Job verliert, wird ihr bewusst, wie einsam sie in Wirklichkeit ist …

Richard Yates wurde 1926 in Yonkers, New York, geboren und lebte bis zu seinem Tod 1992 in Alabama. Obwohl seine Werke zu Lebzeiten kaum Beachtung fanden, gehören sie heute zum Wichtigsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Wie Ernest Hemingway prägte Richard Yates eine Generation von Schriftstellern. Die DVA publiziert Yates’ Gesamtwerk auf Deutsch, zuletzt erschien der Roman "Eine strahlende Zukunft". Das Debüt "Zeiten des Aufruhrs" wurde 2009 mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in den Hauptrollen von Regisseur Sam Mendes verfilmt. „Cold Spring Harbor“, zuerst veröffentlicht 1986, ist Yates‘ letzter vollendeter Roman.
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1. KAPITEL
Keine der Grimes-Schwestern sollte im Leben glücklich werden, und rückblickend schien es stets, daß die Probleme mit der Scheidung ihrer Eltern begonnen hatten. Das war 1930, als Sarah neun Jahre alt war und Emily fünf. Ihre Mutter, die von den Mädchen »Pookie« genannt werden wollte, zog mit ihnen fort aus New York und mietete ein Haus in Tenafly, New Jersey, weil sie glaubte, die Schulen wären dort besser, und weil sie hoffte, in der Vorstadt eine Laufbahn als Immobilienmaklerin einschlagen zu können. Es klappte nicht – kaum einer ihrer Pläne, unabhängig zu werden, klappte -, und sie verließen Tenafly nach zwei Jahren wieder, aber die Mädchen verbrachten dort eine unvergeßliche Zeit.
»Kommt euer Vater denn nie nach Hause?« fragten andere Kinder, und immer übernahm es Sarah, zu erklären, was eine Scheidung ist.
»Seht ihr ihn manchmal?«
»Klar sehen wir ihn.«
»Wo lebt er?«
»In New York City.«
»Was macht er?«
»Er schreibt Überschriften. Er schreibt die Überschriften für die New York Sun.« Und so, wie sie es sagte, war klar, daß die anderen beeindruckt sein sollten. Jeder konnte ein großtuerischer, verantwortungsloser Reporter sein oder ein verläßlicher Langweiler, der die Artikel überarbeitete; aber der Mann, der die Überschriften verfaßte! Der Mann, der täglich die komplizierten Nachrichten durchlas, um die wesentlichen Punkte auszuwählen, und sie dann mit ein paar wohl überlegten Worten kunstvoll zusammenfaßte, damit sie auf begrenztem Raum Platz fanden – das war ein vollendeter Journalist und ein Vater, der diese Bezeichnung verdiente.
Einmal, als die Mädchen ihn in der Stadt besuchten, führte er sie durch das Haus der Sun, und sie sahen alles.
»Die erste Ausgabe wird gleich gedruckt«, sagte er, »wir gehen runter in die Druckerei und schauen zu; dann führe ich euch oben herum.« Er ging mit ihnen eine eiserne Treppe hinunter, auf der es nach Druckerschwärze und Zeitungspapier roch, und in einen großen unterirdischen Raum, in dem in Reihen die hohen Rotationspressen standen. Überall liefen Arbeiter herum, die steife kleine quadratische Hüte aus kompliziert gefalteten Zeitungen trugen.
»Warum haben sie Papierhüte auf, Daddy?« fragte Emily.
»Also, wahrscheinlich werden sie behaupten, damit keine Druckerschwärze in ihre Haare kommt, aber ich glaube, sie haben sie auf, damit sie keß aussehen.«
»Was heißt ›keß‹?«
»Na, ungefähr so wie dein Bär«, sagte er und deutete auf eine mit Granaten besetzte Anstecknadel in Form eines Teddybären, die sie an diesem Tag an ihrem Kleid trug und von der sie gehofft hatte, daß er sie bemerken würde. »Das ist ein sehr kesser Bär.«
Sie sahen zu, wie die geschwungenen, frisch gesetzten Metalldruckplatten auf Förderrollen zu den Zylindern glitten, in denen sie festgeklemmt wurden; dann ertönte ein Klingeln, und die Pressen setzten sich in Bewegung. Der Stahlboden unter ihren Füßen bebte, und es kitzelte, und der Lärm war so überwältigend, daß sie nicht sprechen konnten: Sie konnten einander nur anschauen und lächeln, und Emily hielt sich die Ohren zu. Weiße Streifen Zeitungspapier liefen in alle Richtungen durch die Maschinen, und fertige Zeitungen kamen in ordentlicher, überlappender Fülle heraus.
»Wie findet ihr das?« fragte Walter Grimes seine Töchter, als sie die Treppe wieder hinaufgingen. »Jetzt schauen wir uns die Redaktion an.«
Es war eine weite Fläche voller Schreibtische, an denen Männer saßen und auf Schreibmaschinen einhämmerten. »Dort vorn, wo die Schreibtische zusammengeschoben sind, das ist die Lokalredaktion«, sagte er. »Der Lokalredakteur ist der kahle Mann, der gerade telefoniert. Und der Mann dort drüben ist noch wichtiger. Er ist der Chefredakteur.«
»Wo ist dein Schreibtisch, Daddy?« fragte Sarah.
»Oh, ich arbeite am Redaktionstisch. Am Rand. Siehst du, dort drüben?« Er deutete auf einen großen halbrunden Tisch aus gelbem Holz. Ein Mann saß in der Mitte, und sechs weitere Männer saßen zu beiden Seiten neben ihm, lasen oder schrieben mit Bleistiften.
»Schreibst du dort die Überschriften?«
»Überschriften sind ein Teil meiner Arbeit, ja. Es ist folgendermaßen: Wenn die Reporter und Redakteure mit ihren Geschichten fertig sind, geben sie sie einem Laufburschen – zum Beispiel dem jungen Mann dort -, und er bringt sie zu uns. Wir prüfen die Grammatik, die Rechtschreibung und die Zeichensetzung, dann schreiben wir die Überschriften, und dann sind sie druckfertig. Hallo, Charlie«, sagte er zu einem Mann, der auf dem Weg zum Wasserspender an ihnen vorbeikam. »Charlie, darf ich dir meine Mädchen vorstellen. Das ist Sarah, und das ist Emily.«
Der Mann beugte sich aus der Hüfte vor und sagte: »Hallo, ihr Süßen, wie geht’s euch?«
Als nächstes zeigte er ihnen den Raum mit den Fernschreibern, wo sie zusahen, wie Nachrichten aus aller Welt eingingen, dann die Setzerei, wo alles gesetzt und die Seiten gestaltet wurden. »Seid ihr bereit fürs Mittagessen?« fragte er. »Wollt ihr zuerst auf die Toilette?«
Als sie im Frühlingssonnenschein durch den City Hall Park gingen, hielt er sie beide an der Hand. Sie trugen leichte Mäntel über ihren besten Kleidern, weiße Söckchen und schwarze Lacklederschuhe, und es waren hübsche Mädchen. Sarah war dunkelhaarig mit einem Ausdruck vertrauensvoller Unschuld, den sie nie verlieren würde; Emily war einen Kopf kleiner, blond, dünn und sehr ernst.
»Das Rathaus macht nicht viel her, meint ihr nicht auch?« sagte Walter Grimes. »Aber seht ihr dort drüben zwischen den Bäumen das große Gebäude? Das dunkelrote? Das ist die World – war, sollte ich sagen; sie hat letztes Jahr zugemacht. Die wichtigste Tageszeitung in ganz Amerika.«
»Aber jetzt ist die Sun die beste Zeitung, oder?« sagte Sarah.
»O nein, Liebes. Die Sun ist keine besondere Zeitung.«
»Nein? Warum nicht?« Sarah schien bekümmert.
»Sie ist ziemlich reaktionär.«
»Was bedeutet das?«
»Das bedeutet sehr, sehr konservativ; sehr für die Republikaner.«
»Sind wir keine Republikaner?«
»Deine Mutter schon, Liebes. Ich nicht.«
»Oh.«
Er trank zwei Whiskeys vor dem Essen, für die Mädchen bestellte er Ginger-ale; dann, als sie ihr Chicken à la King und Kartoffelbrei aßen, sprach Emily zum ersten Mal, seit sie das Büro verlassen hatten. »Daddy? Wenn du die Sun nicht magst, warum arbeitest du dann dort?«
Sein langes Gesicht, das beide Mädchen als gutaussehend empfanden, wirkte müde. »Weil ich arbeiten muß, Häschen«, sagte er. »Es wird immer schwieriger, Arbeit zu finden. Wenn ich sehr talentiert wäre, würde ich vermutlich woanders hingehen, aber ich bin nur – ihr wißt schon – ich bin nur ein Mann am Redaktionstisch, ein Korrektor.«
Es war nicht viel, was sie nach Tenafly mitnahmen, aber zumindest konnten sie noch immer sagen, daß er die Überschriften schrieb.
»… Und wenn du glaubst, daß es einfach ist, Überschriften zu schreiben, dann täuschst du dich!« sagte Sarah eines Tages nach dem Unterricht zu einem unverschämten Jungen auf dem Schulhof.
Emily aber nahm es immer sehr genau, und kaum war der Junge außer Hörweite, erinnerte sie ihre Schwester an die Tatsachen. »Er ist nur ein Korrektor«, sagte sie.
Esther Grimes, oder Pookie, war eine kleine rührige Frau, die ihr Leben dem Ziel verschrieben zu haben schien, die schwer faßbare Eigenschaft, die sie »Flair« nannte, zu erlangen und beizubehalten. Sie brütete über Modezeitschriften, kleidete sich geschmackvoll und versuchte, ihr Haar auf verschiedene Weise zu frisieren, aber ihre Augen blickten immer verwirrt, und sie lernte nie, den Lippenstift innerhalb der Grenzen ihres Mundes aufzutragen, so daß ihr Gesicht einen Ausdruck benommener und verletzlicher Unsicherheit annahm. Sie fand mehr Flair bei den Reichen als in der Mittelklasse und war so in der Erziehung ihrer Töchter bestrebt, ihnen die Posen und Verhaltensweisen des Wohlstands nahezubringen. Sie entschied sich stets für »feine« Gemeinden, ob sie es sich nun leisten konnte oder nicht, und sie versuchte, in Dingen der Schicklichkeit strikt zu sein.
»Liebes, ich wünschte, du würdest das nicht tun«, sagte sie eines Morgens während des Frühstücks zu Sarah.
»Was tun?«
»Die Toaststücke in die Milch tunken.«
»Oh.« Sarah zog ein langes vollgesogenes Stück gebutterten Toasts aus ihrem Glas Milch und hob es tropfend an ihren gespitzten Mund. »Warum nicht?« fragte sie, nachdem sie es gekaut und geschluckt hatte.
»Darum. Es sieht einfach nicht fein aus. Emily ist ganze vier Jahre jünger als du, und sie macht keine solchen Babysachen.«
Das kam noch dazu: Sie suggerierte immer, auf Hunderte von Arten, daß Emily mehr Flair besaß als Sarah.
Als klar war, daß ihr als Immobilienmaklerin in Tenafly kein Erfolg beschieden sein würde, begann sie, regelmäßig ganztägige Ausflüge in andere Kleinstädte oder nach New York zu machen und die Mädchen bei anderen Familien zu lassen. Sarah schien sich an ihren Abwesenheiten nicht zu stören, Emily dagegen schon: Sie mochte die Gerüche fremder Häuser nicht; sie konnte nichts essen; sie sorgte sich den ganzen Tag und stellte sich gräßliche Verkehrsunfälle vor, und wenn Pookie ein, zwei Stunden zu spät kam, um sie abzuholen, weinte sie wie ein...


Yates, Richard
Richard Yates wurde 1926 in Yonkers, New York, geboren und lebte bis zu seinem Tod 1992 in Alabama. Obwohl seine Werke zu Lebzeiten kaum Beachtung fanden, gehören sie heute zum Wichtigsten, was die amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts zu bieten hat. Wie Ernest Hemingway prägte Richard Yates eine Generation von Schriftstellern. Die DVA publiziert Yates’ Gesamtwerk auf Deutsch, zuletzt erschien der Roman "Eine strahlende Zukunft". Das Debüt "Zeiten des Aufruhrs" wurde 2009 mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet in den Hauptrollen von Regisseur Sam Mendes verfilmt. „Cold Spring Harbor“, zuerst veröffentlicht 1986, ist Yates‘ letzter vollendeter Roman.



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