Yap | Memory Game - Erinnern ist tödlich | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Reihe: Penhaligon Verlag

Yap Memory Game - Erinnern ist tödlich

Thriller
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-20828-8
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Thriller

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Reihe: Penhaligon Verlag

ISBN: 978-3-641-20828-8
Verlag: Penhaligon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie findet man einen Mörder in einer Welt, in der es keine Erinnerungen gibt?
In Claires Welt gibt es zwei Arten von Menschen: solche, die wie sie sind und sich nur an die Ereignisse des vorangegangenen Tages erinnern können, und solche wie ihren Ehemann Mark, deren Gedächtnis zwei Tage zurückreicht. Claire hat nur eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit: ihr Tagebuch. Was sie nicht rechtzeitig aufschreibt, geht für immer verloren. Eines Morgens steht die Polizei vor Claires Tür. Die Leiche einer Frau wurde im Fluss gefunden. Nach Aussage der Beamten war sie Marks Geliebte und er wird des Mordes verdächtigt. Sagt die Polizei die Wahrheit? Kann Claire ihrem Ehemann vertrauen? Und vor allem: Kann sie sich selbst vertrauen?



Felicia Yap wuchs in Kuala Lumpur auf, studierte Biochemie in London und erwarb ihren Doktor der Geschichte an der University of Cambridge. Sie arbeitete bereits als Biologin, Historikerin, Dozentin, Kritikerin und Journalistin, unter anderem für The Economist und Business Times. Sie lebt in London, wo sie vor kurzem ein Programm zu Kreativem Schreiben an der Faber Academy abschloss. Memory Game - Erinnern ist tödlich ist ihr Debüt.

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Kapitel 1

Claire

Der Mann in der Küche wimmert. Er versperrt mir den Weg zum Tresen, auf dessen Marmoroberfläche mein iDiary liegt und in regelmäßigen Abständen violett aufleuchtet. Der Mann hält seine linke Hand umklammert. Blut tropft von seinem Zeigefinger. Um ihn herum verstreut liegen die Scherben einer Teekanne.

»Was ist passiert?«, frage ich.

»Ich bin ausgerutscht«, sagt er, den Mund zu einer gequälten Linie verzogen.

»Lass mich mal sehen«, sage ich und trete vorsichtig zwischen den Scherben hindurch. Während ich auf ihn zuschreite, scheint sich der goldene Ring an seiner linken Hand mit einem grellen Blitzen über mich lustig zu machen. Bei seinem Anblick kommen mir die wichtigsten Fakten, die ich mit den Jahren über meinen Ehemann gelernt habe, wieder in den Sinn. Name: Mark Henry Evans. Alter: 45. Beruf: Romanautor mit Ambitionen, die Wahl zum nächsten MP von South Cambridgeshire zu gewinnen. Wir haben am 30. September 1995 um 12 Uhr 30 in der Kapelle des Trinity College geheiratet. Neun Personen waren bei unserer Eheschließung anwesend. Marks Eltern hatten sich geweigert zu kommen. Ich musste Kaplan Walters versprechen, mir jeden Morgen aufs Neue zu sagen, dass ich Mark liebe. Die Kosten für die Hochzeit beliefen sich auf 678,29 Pfund. Wir hatten vor mehr als zwei Jahren das letzte Mal Sex, am 11. Januar 2013 um 22 Uhr 34. Er war bereits nach sechseinhalb Minuten fertig.

Ich weiß nicht so recht, ob ich wegen dieser Tatsachen meinen Mann betreffend enttäuscht, traurig oder wütend sein soll.

»Ich hab versucht, sie im Fallen aufzufangen«, sagt Mark, »aber sie ist gegen die Spülmaschine geknallt.«

Ich betrachte die klaffende Wunde in seinem Zeigefinger. Der Schnitt ist fast anderthalb Zentimeter lang. Ich blicke in Marks Gesicht, mustere die tiefen Furchen auf seiner Stirn. Die fächerförmig um seine Augenwinkel angeordneten Sorgenfältchen. Seinen schmerzverzerrten Mund. Ich weiß noch, wie er sich gestern Nacht im Bett hin und her gewälzt hat, als wollte er im Traum vor etwas davonlaufen.

»Sieht schlimm aus«, sage ich. »Ich hole ein Pflaster.«

Schon drehe ich mich um und renne die Treppe nach oben. Tatsache ist: Der Erste-Hilfe-Kasten befindet sich im Badezimmer im Schränkchen gleich neben dem Spiegel. Bevor ich ihn heraushole, betrachte ich mich für einen kurzen Moment darin. Die Augen, die mich daraus anstarren, unterscheiden sich von den schreckgeweiteten Augen, von gestern. Die Pupillen in dem Gesicht von heute sind viel klarer. Nur die Wangen wirken ein klein wenig verquollen, genau wie die Haut um die Augen herum.

Gestern Nacht habe ich mich in den Schlaf geheult. Nachdem ich fast den gesamten Tag im Bett verbracht hatte.

Ich frage mich, warum. Angestrengt starre ich auf mein aufgedunsenes Abbild im Spiegel und versuche krampfhaft, mich an die entscheidenden Fakten zu erinnern. Doch die Ursache für meine gestrige Niedergeschlagenheit entzieht sich mir, flieht flatternd außer Reichweite, ähnlich schwer zu fassen wie die Flügel eines Schmetterlings. Ich weiß nur noch, dass ich mich verkrochen habe, dass ich in mein Kissen schluchzte und das Essen verweigerte. Missmutig verziehe ich das Gesicht; die Person im Spiegel sieht mich stirnrunzelnd an. Vor zwei Tagen muss etwas passiert sein, das die gestrige Verstimmung verursacht hat. Aber was?

Ich habe keine Erinnerung daran, was vorgestern war. Ich weiß es einfach nicht mehr. Ich erinnere mich nur an das, was gestern geschehen ist.

Mein Mann braucht mich, ermahne ich mich seufzend. Ich hole das Set aus dem Schrank und gehe wieder nach unten. Mark sitzt am Küchentisch und hält den verletzten Finger mit der rechten Hand umklammert. Seine Lippen sind immer noch zu einer gequälten Grimasse verzogen.

»Lass mich das machen«, sage ich und öffne das Erste-Hilfe-Set.

Mark zuckt zusammen, als ich das Blut mit einem Wattestäbchen abtupfe. Der Schnitt ist tiefer als erwartet.

»Erst muss ich das desinfizieren.« Ich hole das kleine Fläschchen mit dem Antiseptikum hervor und ziehe den Stöpsel raus.

»Ist halb so wild.«

»Ich lasse dich bestimmt nicht mit einem entzündeten Finger herumlaufen.«

»Ist nur ein harmloser Schnitt.«

Ich achte nicht auf Marks Worte und tupfe eine großzügige Menge von dem Desinfektionsmittel auf die Wunde (wieder zuckt er vor Schmerz zusammen) und wickle ein Pflaster um seinen Finger. Er öffnet den Mund und will etwas sagen, runzelt dann aber nur die Stirn und macht ihn wieder zu.

Ich drücke ihm einen Kuss auf den Finger, bevor ich mich vom Tisch erhebe und das iDiary hole, das immer noch auf dem Küchentresen liegt. Ich presse meinen rechten Daumen auf den Fingerabdruck-Scanner, woraufhin das violette Blinken und die Worte »GESTRIGEN EINTRAG LESEN« erlöschen. Ich scrolle nach unten zum letzten Eintrag. Folgendes habe ich gestern Nacht geschrieben:

11:12 Uhr. Mit einem niederschmetternden Gefühl aufgewacht. Wissen lastet schwer auf Schultern. Stunden weinend im Bett verbracht. Mark um 12 Uhr 25 schlafend im Arbeitszimmer vorgefunden; habe ihn aufgeweckt und ihm Geschenk gegeben, das ich gekauft hatte – dabei ist sein Geburtstag erst in einer Woche. Wieder in Tränen ausgebrochen, zurück ins Bett. Haushalt vollkommen vernachlässigt – selbst Gartenarbeit blieb liegen. Mittag- und Abendessen ausfallen lassen. Mark kam wiederholt ins Schlafzimmer, um mir mit besorgter Miene zu versichern, morgen wäre alles wieder in Ordnung. Er hat recht. Der gestrige Albtraum ist bis zum Morgen vergessen. Um 21 Uhr 15 aufgestanden, um eine Banane zu essen, die üblichen Pillen zu schlucken und zwei große Single Malt zu trinken. Dann wieder zurück ins Bett.

Dies ist ein recht präziser, wenn auch stichpunktartiger Abriss der gestrigen Ereignisse. Doch der Eintrag liefert keine Erklärung für die vergossenen Tränen. Er suggeriert lediglich, dass mein gestriges Unglück durch etwas ausgelöst wurde, das vor zwei Tagen geschehen ist. Etwas, das einem Albtraum gleichkommt. Ich scrolle weiter zum vorletzten Eintrag:

Gewitter bis 9 Uhr 47. Anschließend Spaziergang mit Nettle. Um 13 Uhr 30 Roastbeef mit Kartoffeln zu Mittag, allein im Wintergarten. Mark wollte im Arbeitszimmer essen, um weiterzuschreiben. Rüber in die Grange Road um 16 Uhr 50 für längeres Schwätzchen mit Emily bei Tee und Gebäck. Ereignisloser Abend. Mark im Arbeitszimmer beim Schreiben. Vor dem Fernseher gemütlich gemacht mit aufgewärmten Resten von Mittag.

Ich bin enttäuscht, fast schon ein wenig erbost wegen des Eintrags. Ich hatte erwartet, dass das Tagebuch etwas Licht in die Sache bringen und ich die Gründe für mein gestriges Elend erfahren würde. Der Text allerdings ist ziemlich knapp gehalten, fast schon geheimniskrämerisch. Noch einmal überfliege ich die Zeilen, werde aber auch diesmal nicht schlau daraus. Möglicherweise kann Mark mir sagen, was vor zwei Tagen vorgefallen ist. Im Gegensatz zu mir ist er nämlich ein Duo, und als solcher erinnert er sich an gestern und an vorgestern. Das unterscheidet ihn vom Großteil der Bevölkerung. Und deswegen hält er sich für was Besseres.

»Ich weiß noch, dass ich gestern den ganzen Tag in Tränen aufgelöst war«, sage ich und stelle fest, dass Mark immer noch die Stirn runzelt. »Ich komme aber nicht drauf, warum.«

Unsere Blicke begegnen sich. Da ist ein düsteres Funkeln in Marks Pupillen, das ich nicht so recht zu deuten weiß. Ist es Wut? Schmerz? Oder Furcht?

Er wendet sich von mir ab und starrt einige Sekunden auf meine Orchidee, ehe er antwortet.

»Du hast vorgestern Abend vergessen, deine Medikamente einzunehmen«, sagt er. »Das hat bei dir gestern einen Rückfall ausgelöst.«

Er hat vermutlich recht. Tatsache ist: Seit dem 7. April 2013 nehme ich zwei verschiedene Medikamente ein, die mir Dr. Helmut Jong vom Addenbrooke’s Hospital verschrieben hat: Jeden Tag zwei Pillen Lexapro und eine Pristiq. Ich strecke die Hand nach dem Medikamentenbehälter auf dem Küchentresen aus und durchforsche mein Gehirn nach den entscheidenden Details. Tatsache ist: Am 1. Juni 2015 um 14 Uhr 27 war ich mit einem neuen Rezept von Dr. Jong in der Newnham Pharmacy, um meine Tabletten abzuholen. Sechzig beziehungsweise dreißig Stück, genug für einen Monat also.

Ich zähle die Pillen in den grauen Behältern. Eigentlich sollten fünfzig von den einen und fünfundzwanzig von den anderen übrig sein. Stattdessen zähle ich zweiundfünfzig und sechsundzwanzig.

»Du hast recht«, sage ich seufzend. »Ich habe tatsächlich vergessen, meine Tabletten zu schlucken.«

Mark grunzt, ehe er sich von seinem Stuhl hochhievt. Die Anspannung in seinen Schultern löst sich etwas.

»Ich räume dann mal auf«, sagt er.

Während Mark in der Küche mit Kehrschaufel und Besen zugange ist, gehe ich zum Kühlschrank und hole eine Flasche Milch raus. Mir knurrt der Magen. Ich schütte Cornflakes in eine Schüssel. Dann lehne ich mich mit einem Löffel in der Hand gegen den Küchentresen und stelle das Radio an. Statisches Rauschen macht sich im Raum breit; Augenblicke später erklingt der Werbejingle einer Vergleichswebsite für Autoversicherungen. Mark hat die restlichen Scherben beseitigt. Da er nach wie vor gern Tee hätte, holt er einen Becher aus dem Schrank und gibt einen Beutel Earl Grey hinein.

»Guten Morgen, East Anglia«, verkündet eine männliche Stimme im Radio. »Willkommen zu den Acht-Uhr-Nachrichten. Die Queen hat ihre königliche Zustimmung zu einem Gesetzesentwurf gegeben, der Eheschließungen zwischen Monos und Duos erleichtern soll. Wie die Volkserhebung von 2011 gezeigt...


Yap, Felicia
Felicia Yap wuchs in Kuala Lumpur auf, studierte Biochemie in London und erwarb ihren Doktor der Geschichte an der University of Cambridge. Sie arbeitete bereits als Biologin, Historikerin, Dozentin, Kritikerin und Journalistin, unter anderem für The Economist und Business Times. Sie lebt in London, wo sie vor kurzem ein Programm zu Kreativem Schreiben an der Faber Academy abschloss. Memory Game – Erinnern ist tödlich ist ihr Debüt.



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