Wyss / Stamm | Der schweizerische Robinson. Nacherzählt von Peter Stamm | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Reihe: Die Bücher mit dem blauen Band

Wyss / Stamm Der schweizerische Robinson. Nacherzählt von Peter Stamm


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-10-402262-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Reihe: Die Bücher mit dem blauen Band

ISBN: 978-3-10-402262-8
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Abenteuerklassiker, neu erzählt von Peter Stamm Die Geschichte von Robinson Crusoe gehört zu den packendsten Abenteuern der Weltliteratur - und zu den Klassikern der Kinderliteratur! Vor über 200 Jahren schuf Johann David Wyss auf dieser Grundlage eine Robinsonade für Kinder, die ein internationaler Erfolg wurde. Statt des einsamen Robinsons strandet bei Wyss eine sechsköpfige Schweizer Familie und verwandelt die Inselwildnis in jahrelanger Arbeit zu einem behaglichen Domizil. Als es schließlich die Gelegenheit zur Rückkehr in die Zivilisation gibt, muss die Familie sich entscheiden: Soll sie - wieder einmal - alles zurücklassen? Peter Stamm hat Wyss' Abenteuer-Roman nacherzählt: behutsam und voller Respekt, aber entschlossen und mit der ihm eigenen sprachlichen Feinheit.

Johann David Wyss, geboren 1743 in Bern, lebte als Pfarrer in Bern. Er starb 1818 in seiner Geburtsstadt.
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1. Kapitel Ein Schiff läuft auf Grund. Eine Familie kann sich auf eine Insel retten. Erste Erkundungen der Insel und des Schiffswracks.


Der Sturm hatte sechs lange, schreckliche Tage gewütet. Auch am siebten legte sich das Unwetter nicht, sondern schien nur noch wilder zu rasen. Wir waren so weit von unserer Route nach Südost abgekommen, dass niemand auf dem Schiff mehr wusste, wo wir uns befanden. Ein Teil der Masten war zersplittert und verloren, das Schiff leckte, und immer mehr Wasser drang in den Rumpf. Die Mannschaft war von der harten Arbeit und den langen Wachen erschöpft und mutlos geworden. Die Matrosen, die sonst fluchten und schimpften, machten ihre Arbeit still und mit verängstigten Gesichtern.

Ich hatte mich an Deck begeben, um vom Kapitän Genaueres über unsere Lage zu erfahren, aber er hatte nur ratlos den Kopf geschüttelt. Als ich klatschnass zurück in die Kabine kam, sah ich, wie meine vier Söhne sich eng um ihre Mutter versammelt hatten und mit ihr Lieder aus der Heimat sangen. Mir zerbrach es beinahe das Herz, ihre schwachen Stimmen zu hören, die im Heulen und Brausen des Sturms fast untergingen. Sie hatten die Kabine seit Tagen nicht verlassen und schauten mich flehend an. Ich versuchte, sie zu trösten und ein wenig aufzumuntern. »Der liebe Gott weiß, wo wir sind«, sagte ich, »wenn er will, dass wir gerettet werden, so wird er uns helfen.«

Katharina, meine Frau, wischte sich die Tränen aus den Augen und versuchte tapfer zu sein. Aber in ihrem Gesicht sah ich, dass auch sie das Schlimmste befürchtete.

Plötzlich war durch den Lärm hindurch ein Ruf zu hören: »Land! Land!« Im selben Augenblick ging ein heftiger Stoß durch das Schiff, der mich zu Boden warf. Ein furchtbares Krachen ertönte, ein Ächzen und dann das immer lauter werdende Rauschen von eindringendem Wasser. Jetzt vernahm ich eine andere Stimme, es musste die des Kapitäns sein. »Wir sind verloren«, rief er, »macht die Schaluppen klar!«

Das ängstliche Wimmern der Kinder versetzte mir einen Stich. »Verliert nicht den Mut!«, sagte ich. »Noch ist unser Schiff nicht untergegangen. Und das Land ist nah.«

Ich rannte aus der Kabine und zurück an Deck, ich musste herausfinden, was los war. Sofort wurde ich von einer riesigen Welle umgeworfen. Ich klammerte mich an der Takelage fest, während immer neue Wogen über mich weggingen. Als ich endlich aufblicken konnte, sah ich, dass die Mannschaft in den Rettungsbooten saß und dass eben ein Matrose das Tau des letzten Bootes löste und es vom Schiff abstieß. Ich rief nach ihnen, beschwor sie, mich und meine Familie nicht zu vergessen, aber meine Stimme schien durch das Heulen des Windes nicht bis zu ihnen zu dringen.

Immerhin erkannte ich jetzt, dass das Schiff aufgelaufen war und sich so in den Felsen verkeilt hatte, dass es vorerst nicht sinken konnte. Solange es nicht zerbrach, würde der kleine Aufbau mit unserer Kajüte und jener des Kapitäns nicht überschwemmt werden. Für den Moment waren wir sicher. Durch Gischt und Regenschleier hindurch sah ich dann und wann die Silhouette einer Küstenlinie.

Ich kämpfte mich zurück in die Kabine, wo meine Familie mich hoffnungsvoll ansah. »Seid tapfer«, sagte ich, »wir sind nicht verloren. Vorerst müssen wir hierbleiben. Wenn das Wetter sich bessert, werden wir es schon irgendwie an Land schaffen.«

Die Knaben fassten sofort Vertrauen und schienen schon nicht mehr an unserer Rettung zu zweifeln. Aber meine Frau schaute mich an und sah, welch große Sorgen ich mir machte. Sie stellte aber keine weiteren Fragen und schlug vor, wir sollten etwas essen. »Mit dem Körper wird auch die Seele gestärkt«, sagte sie, »es steht uns eine schwere Nacht bevor.«

Sie hatte recht. Draußen war es schon dunkel geworden und der Sturm tobte unvermindert weiter. Die Wellen krachten an die Wände des Schiffes und ließen den Rumpf erbeben. Es klang, als rissen sie Bretter und Balken los. Katharina hatte in der Kombüse Brot und Käse gefunden. Die Jungen aßen mit gutem Appetit, während wir Eltern uns zwingen mussten. Dann legten sich die Kinder in ihre Kojen und waren bald eingeschlafen. Katharina und ich hielten Wache. Es war die schrecklichste Nacht unseres Lebens. Bei jeder großen Welle fürchteten wir, das Schiff würde zerbrechen. Das wäre für uns alle das Ende gewesen.

Gegen Morgen ließ der Wind etwas nach, und auch die Wellen gingen weniger hoch. Als das erste Licht des neuen Tages durch eine offene Luke schimmerte, wagten wir uns gemeinsam an Deck und sahen am Horizont das Morgenrot. Es blies immer noch ein kräftiger, kühler Wind, und auf dem dunklen Wasser waren weiße Schaumkronen, aber er war nicht mehr so böig wie in der Nacht.

»Wo ist denn die Mannschaft?«, fragte Jack.

»Sie hat das Schiff mit den Rettungsbooten verlassen«, sagte ich.

»Und warum haben sie uns nicht mitgenommen?«

Ich wusste nicht, was ich antworten sollte »Lasst uns vorwärts schauen«, sagte ich stattdessen. »Die Hauptsache ist, dass wir am Leben und beisammen sind. Jetzt wollen wir zusehen, wie wir an Land kommen.«

Fritz, mein ältester Sohn, schlug vor, ans Ufer zu schwimmen, sobald die See sich noch mehr beruhigt hätte. »Du hast gut reden«, sagte Ernst. »Aber was sollen wir tun, die nicht schwimmen können? Besser, wir bauen ein Floß und rudern hinüber.«

»Zuerst wollen wir alles zusammensuchen, was wir brauchen können«, sagte Katharina.

Die Knaben und ich schwärmten aus, um nachzusehen, was von der Ladung für uns nützlich sein könnte. Ich stieg hinunter in die Speisekammer. Katharina und Fränzchen, der Jüngste, sahen nach dem Vieh, das auf einem der Decks im Schiffsbauch untergebracht war. Fritz eilte in die Waffen- und Munitionskammer, Ernst in die Werkstatt des Schiffszimmermannes und Jack in die Kajüte des Kapitäns. Als er diese öffnete, schossen zwei gewaltige Doggen heraus. Vor Freude, einen Menschen zu sehen, sprangen sie so ungestüm an ihm hoch, dass er hintenüberfiel und vor Schrecken schrie, als hätten ihn Raubtiere angefallen. Die Hunde winselten und leckten dem um sich schlagenden Jungen Gesicht und Hände ab. Ich hatte den Lärm gehört und war ihm zur Hilfe geeilt. Schnell sprang er auf die Beine, packte den größeren der Hunde an den gestutzten Ohren und schüttelte ihn wütend. »Lass ihn los«, sagte ich, »sie haben es nicht böse gemeint. Bestimmt sind sie nur hungrig.«

Nach und nach brachten alle die Dinge zusammen, die sie im Moment für die brauchbarsten hielten. Fritz schleppte zwei Jagdgewehre herbei, samt Pulver, Schrot und Blei. Ernst brachte einen Hut voll Nägel, ein Beil, einen Hammer und weiteres Werkzeug. Der kleine Franz hatte eine ziemlich große Schachtel gefunden, mit Häkchen, wie er sagte. Ich entdeckte mit Freude, dass es Angelhaken waren.

»Ich bringe gute Nachrichten«, sagte Katharina. »Manche der Tiere sind noch am Leben, eine Milchkuh, ein Esel, zwei Ziegen, sechs Schafe mit einem Widder und ein trächtiges Schwein. Wir haben sie gefüttert und getränkt.«

»Das ist alles wunderbar«, sagte ich, »die Frage ist nur, wie wir unsere Schätze an Land bringen.«

»Können wir uns nicht in alte Zuber setzen?«, sagte Jack. »Ich bin so einmal bei meinem Patenonkel auf dem Teich herumgerudert, und es war prächtig.«

»Das Meer ist dafür viel zu unruhig«, sagte ich, »aber du bringst mich auf eine Idee.«

Wir stiegen in den Laderaum, der halb unter Wasser lag, und fanden einige leere Fässer. Mit viel Mühe sägten wir vier davon in der Mitte entzwei, so dass wir acht kleine Schifflein erhielten. Aber Katharina seufzte und sagte: »Nie und nimmer setze ich mich in so ein Ding.«

»Nicht so voreilig«, sagte ich, »unser Schiff ist noch gar nicht fertig.«

Wir suchten ein paar lange, biegsame Bretter zusammen. Auf einem nagelten wir die halben Fässer fest, die anderen Bretter befestigten wir an den Seiten der Fässer, so dass vorne und hinten ein paar Fuß überstanden. Die Enden der Bretter bogen wir zu einem Bug und einem Heck zusammen und banden und nagelten alles fest. Es entstand ein Schiff, das uns zumindest bei ruhiger See sicher an Land bringen konnte. Allerdings war das Gefährt so schwer geworden, dass wir es auch mit gemeinsamen Kräften nicht bewegen konnten. Aber Fritz hatte in der Waffenkammer eine Seilwinde entdeckt. Ich hatte inzwischen von einer Segelstange ein paar Walzen abgesägt. Mit Hilfe der Winde hoben wir das Vorderteil unseres Schiffs etwas in die Höhe und schoben ein Rundholz nach dem anderen darunter, bis wir es ins Meer schieben konnten. Es lag ganz gut im Wasser, aber es war leicht zu sehen, dass es bei der kleinsten Welle zur Seite kippen würde. Um das zu verhindern, banden wir zwei leere Fässchen an lange Stangen und befestigten diese seitlich am Schiff.

»Die Polynesier haben solche Ausleger an ihren Booten, damit sie nicht kentern«, sagte ich und betrachtete unser seltsames Gefährt. Wir suchten Ruder, aber als wir endlich zur Abfahrt bereit waren, war es schon Abend geworden. So beschlossen wir, wenn auch ungern, eine weitere Nacht auf dem Wrack zu verbringen. Der Himmel war immer noch voller dunkler Wolken, doch die Luft war jetzt klar, und in der Ferne sahen wir eine abweisende Felsenküste.

Wir aßen ausgiebig, nachdem wir tagsüber vor lauter Arbeit nur dann und wann ein Stück Brot gegessen und ein Glas Wein getrunken hatten. In der Nacht quälten mich wilde Träume von einer Insel voller Gefahren, von Eingeborenen und wilden Tieren, die uns bedrohten. Mehrmals schreckte ich vom Lärm der Wellen hoch, die an den Rumpf des Wracks schlugen. Dann hielt mich die Ungewissheit unseres Schicksals wach, und ich machte mir alle möglichen Sorgen. Erst gegen Morgen fand ich wieder in den...


Glasauer, Willi
Willi Glasauer, 1938 in Böhmen geboren, arbeitet als freier Künstler für Fernsehen, Zeitschriften, französische sowie deutsche Verlage, mit dem Schwerpunkt Buchillustration. Er schuf Illustrationen zu zahlreichen Büchern, darunter Werke von Heinrich von Kleist, Daniil Charms, Hans Fallada, Edgar Allen Poe und Hans Christian Andersen. Er lebt und arbeitet im Wechsel in den Pyrenäen und in Berlin.

Wyss, Johann David
Johann David Wyss, geboren 1743 in Bern, lebte als Pfarrer in Bern. Er starb 1818 in seiner Geburtsstadt.

Stamm, Peter
Peter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt 'Agnes' 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken, zuletzt die Romane 'Weit über das Land', 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt' und 'Das Archiv der Gefühle' sowie die Erzählung 'Marcia aus Vermont'. Unter dem Titel 'Die Vertreibung aus dem Paradies' erschienen seine Bamberger Poetikvorlesungen. 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt' wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018.

Literaturpreise:

Rheingau Literatur Preis 2000
Bodensee-Literaturpreis 2012
Friedrich-Hölderlin-Preis 2014
Cotta Literaturpreis 2017
ZKB-Schillerpreis 2017
Solothurner Literaturpreis 2018
Schweizer Buchpreis 2018

Johann David WyssJohann David Wyss, geboren 1743 in Bern, lebte als Pfarrer in Bern. Er starb 1818 in seiner Geburtsstadt.
Peter StammPeter Stamm, geboren 1963, studierte einige Semester Anglistik, Psychologie und Psychopathologie und übte verschiedene Berufe aus, u.a. in Paris und New York. Er lebt in der Schweiz. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Er schrieb mehr als ein Dutzend Hörspiele. Seit seinem Romandebüt 'Agnes' 1998 erschienen sechs weitere Romane, fünf Erzählungssammlungen und ein Band mit Theaterstücken, zuletzt die Romane 'Weit über das Land', 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt' und 'Das Archiv der Gefühle' sowie die Erzählung 'Marcia aus Vermont'. Unter dem Titel 'Die Vertreibung aus dem Paradies' erschienen seine Bamberger Poetikvorlesungen. 'Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt' wurde ausgezeichnet mit dem Schweizer Buchpreis 2018.


Literaturpreise:

Rheingau Literatur Preis 2000
Bodensee-Literaturpreis 2012
Friedrich-Hölderlin-Preis 2014
Cotta Literaturpreis 2017
ZKB-Schillerpreis 2017
Solothurner Literaturpreis 2018
Schweizer Buchpreis 2018
Willi GlasauerWilli Glasauer, 1938 in Böhmen geboren, arbeitet als freier Künstler für Fernsehen, Zeitschriften, französische sowie deutsche Verlage, mit dem Schwerpunkt Buchillustration. Er schuf Illustrationen zu zahlreichen Büchern, darunter Werke von Heinrich von Kleist, Daniil Charms, Hans Fallada, Edgar Allen Poe und Hans Christian Andersen. Er lebt und arbeitet im Wechsel in den Pyrenäen und in Berlin.



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