Wright | Tony & Susan | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Wright Tony & Susan

Roman
1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-641-06901-8
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-641-06901-8
Verlag: Luchterhand Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein literarischer Thriller, der einen nicht mehr loslässt!
Susan Morrow hat gelernt, immer ja zu sagen. Nicht aufzubegehren, mitzuspielen, die Dinge hinzunehmen, wie sie sind: den Ehemann, der Herzchirurg ist, nur seine Karriere im Blick hat und sie wahrscheinlich mit einer Arzthelferin betrügt. Die Ehe, die unbemerkt immer mehr in die Brüche geht. Ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter.
Da erhält sie eines Tages Post von ihrem Exmann Edward, von dem sie seit zwanzig Jahren nichts mehr gehört hat. Als sie ihn damals verließ, war er ein angehender Schriftsteller, voller hochfliegender Pläne. Jetzt hat er ihr das Manuskript eines Romans geschickt, und widerstrebend beginnt sie, es zu lesen. Es ist die zutiefst verstörende Geschichte des Mathematikprofessors Tony Hastings, dessen Frau und Tochter auf der gemeinsamen Fahrt in den Urlaub entführt und grausam ermordet werden. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen ganzes Leben zerbricht, weil er gelernt hat, immer vernünftig zu bleiben. Weil er verlernt hat, sich zu wehren. Und weil er nicht glauben will, dass seine schlimmsten Ängste wirklich wahr werden könnten. Unaufhaltsam gerät Susan in den Sog dieses beklemmenden Romans. Und je weiter sie liest, desto mehr beginnt sie zu ahnen, dass Edward vielleicht gar nicht ihre Meinung über sein Manuskript einholen will. Dass er vielmehr auf raffiniert verschlüsselte Weise von ihr selbst erzählt ...

Austin Wright wurde 1922 in New York geboren. Er war Schriftsteller, Literaturkritiker und -wissenschaftler und lehrte lange Jahre als Professor für Englische Literatur an der Universität von Cincinnati. Sein Hauptinteresse galt den Prinzipien des Erzählens und der Wechselwirkung zwischen Phantasie und Realität. Er lebte mit seiner Familie in Cincinnati und starb 2003 im Alter von achtzig Jahren.
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Eins

Als sich Susan Morrow an diesem Abend mit Edwards Manuskript hinsetzt, durchfährt Furcht sie wie eine Gewehrkugel. Ein Moment äußerster Anspannung, der zu schnell vergeht, um zu haften, aber zurück bleibt ein Bodensatz vager Angst. Gefahr, Bedrohung, Desaster, sie weiß nicht, was. Sie versucht zu rekonstruieren, woran sie gedacht hat, vorhin in der Küche, Töpfe, Kochzubehör, Geschirrspüler. Dann das plötzliche Herzrasen auf der Wohnzimmercouch, wo der bedrohliche Gedanke sie überfallen hat. Drüben im Arbeitszimmer sitzen Dorothy und Henry mit Henrys Freund Mike auf dem Boden und spielen Monopoly. Ihre Einladung mitzuspielen lehnt sie ab.

Vor ihr der Christbaum, Weihnachtskarten auf dem Kaminsims, die Couch übersät mit Spielen, Anziehsachen, Geschenkpapier. Ein Chaos. Der Fluglärm von O’Hare klingt immer mehr ab, Arnold ist inzwischen in New York. Sie kommt nicht darauf, was die Angst ausgelöst hat, also versucht sie sie zu ignorieren, legt die Füße auf den Couchtisch, haucht ihre Brille an und wischt sie sauber.

Das Beklommenheitsgefühl hält an, so stark, dass es in keinem Verhältnis steht. Arnolds Reise, wenn es das ist, erfüllt sie mit abgrundtiefem Grauen, aber sie weiß keine logische Begründung dafür. Flugzeugabsturz, aber Flugzeuge stürzen nicht ab. Gegen die Tagung ist nichts einzuwenden. Die Leute werden ihn erkennen oder auf sein Namensschild linsen. Er wird wie immer hochzufrieden entdecken, wie wichtig er ist, und entsprechend blendend gelaunt sein. Das Chickwash-Gespräch kann nichts schaden, auch wenn es zu nichts führt. Und sollte es wider Erwarten doch zu etwas führen, dann erwartet sie ein neues Leben und die Chance, nach Washington zu ziehen, falls sie das will. Er ist unter Kollegen und alten Mitarbeitern, Menschen, denen sie eigentlich trauen sollte. Wahrscheinlich ist sie einfach nur müde.

Trotzdem wagt sie sich noch nicht an Edward heran. Sie liest kürzere Sachen, die Zeitung, Leitartikel, Kreuzworträtsel. Das Manuskript sträubt sich noch, oder sie sträubt sich, mag nicht recht beginnen, aus Angst, über dem Buch ihre Gefahr zu vergessen, worin immer die Gefahr besteht. Bücher kosten sie anfangs immer Überwindung, weil sie ihr so viel Zeit abverlangen. Weil sie möglicherweise verschütten, was sie gedacht hat, manchmal endgültig. Bis Susan mit einem Buch durch ist, könnte von ihrem alten Ich nichts mehr übrig sein. Diesmal ist es schlimmer als sonst, denn Edwards Auftauchen aus der Versenkung bringt neue Ablenkungen mit sich, die nichts mit Susans Gedanken zu tun haben. Auch er ist eine Gefahr, wenn er hier sein Hirn entlädt, seine inneren Bomben abwirft. Egal. Wenn sie ihrem Unbehagen nicht auf die Spur kommt, soll doch das Buch es übertünchen. Bald wird sie nicht mehr aufhören wollen. Sie klappt den Karton auf, betrachtet den Titel – Nachttiere. Im Geist kommt sie aus dem Tunnel in das Haus im Zoo, sieht trüb-violett beleuchtete Glaskäfige, in denen seltsame emsige kleine Geschöpfe mit übergroßen Ohren und Augenbällen den Tag für die Nacht halten. Schluss jetzt, fang einfach an.

Nachttiere 1

Ein Mann, Tony Hastings, seine Frau Laura und seine Tochter Helen fuhren nachts im nördlichen Pennsylvania auf der Autobahn nach Osten. Ihr Urlaub begann, und sie fuhren in ihr Ferienhaus in Maine. Sie fuhren nachts, weil sie spät losgekommen waren und noch einen neuen Reifen gebraucht hatten. Es war Helens Idee gewesen, als sie nach dem Abendessen irgendwo in Ohio wieder ins Auto stiegen. »Was wollen wir mit einem Motel«, sagte sie, »fahren wir einfach die Nacht durch.«

»Meinst du das ernst?«, fragte Tony Hastings.

»Klar, wieso nicht?«

Der Vorschlag widersprach seinem Ordnungssinn und rüttelte an seinen Gewohnheiten. Er war Mathematikprofessor und stolz auf seine Zuverlässigkeit und Vernunft. Seit einem halben Jahr rauchte er nicht mehr, steckte sich aber manchmal noch eine Pfeife in den Mund, weil sie etwas Stetiges ausstrahlte. Seine erste Reaktion, red keinen Unsinn, unterdrückte er, weil er ein guter Vater sein wollte. Er hielt sich für einen guten Vater, guten Lehrer, guten Ehemann. Für einen guten Mann. Trotzdem fühlte er auch etwas von einem Cowboy und Baseballspieler in sich. Er war zwar nie geritten und hatte seit der Kindheit nicht mehr Baseball gespielt, und sonderlich groß oder stark war er auch nicht, aber er trug einen schwarzen Schnurrbart und sah sich als legeren Typ. Die Ferienstimmung und die Ungebundenheit des nächtlichen Unterwegsseins machten ihn übermütig, es war ein befreiendes Gefühl, Verantwortung abzugeben, nicht nach einer Unterkunft suchen zu müssen, bei keinem Schild halten, zu keiner Rezeption gehen und nach Zimmern fragen zu müssen, und die Vorstellung, auf dem Highway in die Nacht zu brausen und seine Gewohnheiten einfach hinter sich zu lassen, beschwingte ihn.

»Und du löst mich nachts um drei ab?«

»Wann immer du willst, Daddy, wann immer du willst.«

»Was meinst du, Laura?«

»Bist du dann morgen früh nicht zu müde?«

Er wusste, dass er die exotische Nacht mit einem grauenhaften Tag würde büßen müssen, dass er heftig zu kämpfen haben würde, damit er am Nachmittag nicht einschlief und wieder in den normalen Rhythmus zurückzufand, aber er war ein Cowboy auf Urlaub, und wann sollte er leichtsinnig sein, wenn nicht jetzt?

»Okay«, sagte er. »Dann mal los.«

Also fuhren sie weiter, schnurrten in der herabsinkenden Junidämmerung an großen Industriestädten vorbei, sausten um Kurven, die kein Ende nehmen wollten, schnitten auf langen Steigungen und Gefällen durch Ackerland zu beiden Seiten, während die letzten Sonnenstrahlen in den Fenstern der Farmhäuser auf den hochgelegenen Wiesen vor ihnen blinkten. Eltern wie Tochter waren wie berauscht von diesem neuen Erlebnis, konnten sich gar nicht beruhigen über den Zauber der Landschaft in diesem Licht, das in flachem Winkel von hinten kam und die gelben Felder, grünen Waldstücke und Häuser verwandelte und in trügerischen Glanz tauchte, und auch der Asphalt der Straße war trügerisch, silbern im Rückspiegel und schwarz vor ihnen.

In der Dämmerung tankten sie, und als sie in die Auffahrt zur Autobahn einbogen, sah der Vater, Tony, am Straßenrand einen zerlumpten Anhalter stehen. Er beschleunigte. Der Anhalter hatte ein Schild: bangor me.

Die Tochter, Helen, rief ihm ins Ohr: »Schau, der will auch nach Maine, Daddy. Nehmen wir ihn mit.«

Tony Hastings drückte das Gaspedal durch. Der Anhalter trug einen Overall, der die Schultern freiließ, einen langen blonden Bart und ein Haarband. Ihre Blicke trafen sich, als Tony vorbeifuhr.

»Mann, Daddy!«

Er sah über die Schulter und fuhr auf die Autobahn.

»Er wollte nach Bangor«, sagte sie.

»Möchtest du ihn zwölf Stunden hier im Auto haben?«

»Nie nimmst du irgendwelche Tramper mit!«

»Fremde«, sagte er, zur Warnung an Helen, dass die Welt ein gefährlicher Ort war, aber es klang mehr moralinsauer als sonst irgendwas.

»Manche Leute haben es einfach nicht so gut wie wir«, sagte Helen. »Hast du kein schlechtes Gewissen, wenn du sie so stehenlässt?«

»Schlechtes Gewissen? Keine Spur.«

»Wir haben ein Auto. Wir haben Platz. Wir fahren in seine Richtung.«

»Ach, Helen«, sagte Laura. »Jetzt sei nicht kindisch.«

»Meine Freunde, die von der Schule heimtrampen. Was würden die machen, wenn jeder so wäre wie du?«

Kurze Stille. Dann sagte Helen: »Der war total nett. Das hat man gleich gesehen.«

Belustigt dachte Tony an den zerlumpten Aufzug des Mannes. »Er wollte gebangort werden!«

»Daddy!«

Er fühlte sich ausgelassen in dem dichter werdenden Dunkel, auf der Schwelle zum Unbekannten.

»Er hatte ein Schild«, sagte Helen. »Das war sehr höflich und rücksichtsvoll von ihm. Und er hatte eine Gitarre dabei. Hast du die Gitarre nicht gesehen?«

»Das war keine Gitarre, das war eine Maschinenpistole«, sagte Tony. »Alle Gangster packen ihre Maschinenpistolen in Instrumentenkästen, damit man sie für Musiker hält.«

Er spürte die Hand seiner Frau, die ihm über den Hinterkopf strich.

»Er sah aus wie Jesus, Daddy. So edle Züge.«

Laura lachte. »Mit einem wallenden Bart sieht jeder wie Jesus aus«, sagte sie.

»Sag ich doch«, sagte Helen. »Wenn er einen wallenden Bart hat, heißt das, er ist in Ordnung.«

Lauras Hand an seinem Hinterkopf, und zwischen ihnen Helen, die sich vom Rücksitz vorbeugte und das Kinn auf die Lehne stützte.

»Daddy?«

»Ja?«

»War das ein unanständiges Wortspiel vorhin?«

»Ich hab keine Ahnung, was du meinst.«

Nichts. Schweigend fuhren sie in die Dunkelheit. Später sang die Tochter, Helen, Lagerfeuerlieder, und die Mutter, Laura, fiel ein, und sogar der Vater, Tony, der nie sang, brummelte dazu, und so nahmen sie ihre Lieder auf der weiten leeren Autobahn mit hinein nach Pennsylvania, während die Farben sich verdickten und zu Nacht gerannen.

Dann war draußen nur noch Schwärze, und Tony Hastings fuhr allein, keine Stimmen jetzt, nur das Rauschen des Fahrtwinds, das das Rauschen von Motor und Reifen überlagerte, während seine Frau Laura stumm im Dunkeln neben ihm saß und seine Tochter Helen auf der Rückbank außer Sicht gerutscht war. Es war nicht viel Verkehr. Ab und zu flackerten entgegenkommende Scheinwerfer durch die Bäume auf dem Mittelstreifen. Wenn die Fahrbahnen auseinanderliefen, sah es wie ein Steigen oder Fallen aus. Auf seiner Seite überholte er ab und zu ein Paar roter...


Wright, Austin
Austin Wright wurde 1922 in New York geboren. Er war Schriftsteller, Literaturkritiker und -wissenschaftler und lehrte lange Jahre als Professor für Englische Literatur an der Universität von Cincinnati. Sein Hauptinteresse galt den Prinzipien des Erzählens und der Wechselwirkung zwischen Phantasie und Realität. Er lebte mit seiner Familie in Cincinnati und starb 2003 im Alter von achtzig Jahren.



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