Worden | Beratung und Therapie in Trauerfällen | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Worden Beratung und Therapie in Trauerfällen

Ein Handbuch

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-456-76338-5
Verlag: Hogrefe AG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Kummer, Schmerz und Verzweiflung nach dem Verlust eines geliebten Menschen sind natürliche Reaktionen. Oft sind Hinterbliebene fähig, eine solche Krise mit der Zeit zu überwinden und schließlich Trost zu finden. In manchen Fällen kann es jedoch hilfreich sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Fachkräfte in der Trauerberatung und -therapie können dabei helfen, Verluste zu verarbeiten und einen Weg durch die Trauer zu finden.

Die sechste, überarbeitete Auflage des Standardwerks von

J. William Worden bietet Fachpersonen einen fundierten Einblick in die Diagnose und Behandlung unterschiedlicher Arten von Verlusterfahrungen.

Darüber hinaus enthält das Werk aktualisierte Informationen zu den Traueraufgaben, zur Bedeutung sozialer Medien für die Trauerarbeit und zur Ausbildung in der Trauerbegleitung. Neue Fallvignetten, Reflexions- und Diskussionsfragen am Ende der Kapitel sowie digitales Zusatzmaterial ermöglichen eine strukturierte, praxisnahe Vertiefung der Inhalte.



Das digitale Zusatzmaterial zu diesem Buch

kann nach erfolgter Registrierung von der Hogrefe Website heruntergeladen werden.
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Zielgruppe


Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen, Psychiater*innen, Lehrkräfte, Seelsorgende, Sozialarbeitende, Angehörige und Freund*innen von Trauernden.


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


|29|1  Bindung, Verlust und Trauererfahrung
1.1  Bindungstheorie
Um die Auswirkungen eines Verlusts und die damit verbundenen menschlichen Verhaltensweisen vollständig erfassen zu können, müssen wir zunächst ein Verständnis dafür entwickeln, was Bindung bedeutet. In der psychologischen und psychiatrischen Literatur ist viel über das Wesen von Bindungen geschrieben worden – was Bindungen sind und wie sie sich entwickeln. Zu den Schlüsselfiguren und Vordenkern auf diesem Gebiet gehört der inzwischen verstorbene britische Psychiater John Bowlby. Einen großen Teil seines Berufslebens widmete er der Erforschung von Bindungen und veröffentlichte mehrere substanzielle Werke sowie zahlreiche Artikel zu diesem Thema. Bowlbys Bindungstheorie bietet uns eine Möglichkeit, die Neigung des Menschen zur Schaffung starker affektiver Bindungen zu begreifen und die starke emotionale Reaktion zu verstehen, die eintritt, wenn diese Bindungen bedroht sind oder aufhören zu existieren. Bei der Entwicklung seiner Theorien bezieht Bowlby Erkenntnisse aus Ethnologie, Kontrolltheorie, kognitiver Psychologie, Neurophysiologie und Entwicklungsbiologie ein. Er setzt sich bewusst von den Vertretern der Auffassung ab, Bindungen zwischen Individuen entstünden nur, um bestimmte biologische Triebe, z.?B. den Nahrungs- und Sexualtrieb, zu befriedigen. Mit Bezug auf Lorenz’ Arbeiten mit verschiedenen Tieren und Harlows Untersuchungen an jungen Affen weist Bowlby (1977a) auf die Tatsache hin, dass Bindungen auch ohne die Verstärkung solcher Primärbedürfnisse entstehen. Nach Bowlbys These entspringen diese Bindungen einem Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit; sie entwickeln sich früh im Leben, richten sich in der Regel auf einige wenige, spezifische Individuen und bleiben über einen großen Teil der Lebensspanne hinweg bestehen. Bindungen zu wichtigen Bezugspersonen herzustellen, |30|gilt als normales Verhalten, nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen. Nach Bowlby sichert das Bindungsverhalten das eigene Überleben, was sich auch daran ablesen lässt, dass es bei den Jungen fast aller Säugetierarten auftritt. Bowlby trennt jedoch deutlich das Bindungsverhalten vom Nahrungs- und Sexualverhalten. Bindungsverhalten lässt sich am besten am Beispiel junger Tiere und kleiner Kinder veranschaulichen, die sich mit zunehmendem Alter für immer größere Zeiträume von der primären Bezugsperson entfernen und den Radius ihres Umfelds immer weiter ausdehnen. Hilfe und Schutz suchend kehren sie jedoch immer wieder zur Bezugsperson zurück. Ist diese verschwunden oder in ihrer Existenz bedroht, reagieren sie mit großer Angst und starker emotionaler Gegenwehr. Nach Bowlby bieten die Eltern ihrem Kind eine sichere Ausgangsbasis für seine Erkundungen. Die Beziehung zwischen Eltern und Kind bestimmt über die spätere Fähigkeit des Kindes, tragfähige Bindungen zu anderen aufzubauen. Dies entspricht Erik Eriksons (1950) Konzept des Urvertrauens: Durch eine zuverlässige elterliche Betreuung sieht sich das Kind im späteren Leben imstande, sich selbst zu helfen und im Bedarfsfall von anderen Hilfe zu empfangen. Dass in diesem Prozess pathologische Abweichungen entstehen können, leuchtet unmittelbar ein. Eine unzulängliche elterliche Betreuung kann zu ängstlichen oder spannungsreichen Bindungen führen (Winnicott, 1953, 1965). In Kapitel 3 werden verschiedene Bindungsstile behandelt. Besteht das Ziel des Bindungsverhaltens in der Aufrechterhaltung eines starken affektiven Bands, rufen Situationen, die dieses Band gefährden, ganz spezifische Reaktionen hervor. Je größer der potenzielle Verlust, desto stärker und vielfältiger die Reaktionen. „Unter solchen Umständen werden die stärksten Formen des Bindungsverhaltens aktiviert – Anklammern, Weinen, möglicherweise wütende Anwendung von Zwang … Sind diese Formen erfolgreich, wird die Bindung wiederhergestellt, die Reaktion ebbt ab, Stress und Kummer werden entschärft“ (Bowlby, 1977b, S. 429). Bleibt die Gefahr bestehen, folgen Rückzugsverhalten, Apathie und Verzweiflung. Dieses Verhalten zeigen sowohl Tiere als auch Menschen. In seinem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfassten Buch Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren beschreibt Charles Darwin (1872, 2000), dass Tiere ebenso wie Kinder und erwachsene Menschen ihr Leid zum Ausdruck bringen. Konrad Lorenz (1963) schildert das trauerähnliche Verhalten einer Graugans anlässlich der Trennung von ihrem Weibchen oder Männchen: Als erste Reaktion auf das Verschwinden versucht die Graugans mit aller Macht, ihr Weibchen oder Männchen wiederzufinden. Tag und Nacht läuft die Gans rastlos hin |31|und her, fliegt weite Strecken und sucht Plätze auf, an denen das Weibchen oder Männchen sich aufhalten könnte, stößt fortwährend den dreisilbigen Distanzruf aus … Die Suchflüge werden immer weiter ausgedehnt und häufig verirrt sich die suchende Gans selbst oder erleidet einen Unfall … Alle objektiv beobachtbaren Charakteristika des Verhaltens der Graugans beim Verlust ihres Partners finden sich in weitgehend analoger Weise bei trauernden Menschen wieder. (Lorenz, 1963, zitiert in: Parkes, 2001, S. 44) Es gibt in der Tierwelt viele andere Beispiele für Trauerverhalten. Vor einigen Jahren erschien ein interessanter Bericht über Delfine im Zoo von Montreal. Nachdem eines der Delfinweibchen gestorben war, wollte das Männchen nicht mehr essen und die Zoowärter hatten die schwierige, wenn nicht gar unmögliche Aufgabe, es am Leben zu erhalten. Indem der Delfin die Nahrungsaufnahme verweigerte, zeigte er Anzeichen von Trauer und Depression, die dem menschlichen Verhalten angesichts eines Verlusts weitgehend ähneln. Der Psychiater George Engel schilderte im Rahmen der „Psychiatric Grand Rounds“ am Massachusetts General Hospital ausführlich einen Fall schmerzlicher Trauer. Es schien sich genau um die Reaktionen zu handeln, die man bei einem Menschen nach dem Verlust der Partnerin oder des Partners typischerweise erwarten würde. Erst nachdem er einen langen Zeitungsbericht über den Fall verlesen hatte, eröffnete Dr. Engel seinen erstaunten Zuhörerinnen und Zuhörern, dass es sich bei dem Trauernden um eine Straußenhenne handelte, die ihr Männchen verloren hatte! Angesichts der zahlreichen Beispiele aus der Tierwelt folgert Bowlby, dass es triftige biologische Gründe dafür geben müsse, warum eine Trennung automatisch und instinktiv so heftige Verhaltensweisen auslöst. Seiner Ansicht nach werde der Verlust zunächst nicht für unwiderruflich gehalten und die Reaktion ganz darauf ausgerichtet, die Trennung zu überwinden. Daraus habe sich im Laufe der Evolution ein entsprechendes, instinktgesteuertes Verhaltensrepertoire entwickelt, das auf der Annahme basiert, die Bindung lasse sich wiederherstellen. Aus diesem Grund sei auch ein Teil der im menschlichen Trauerprozess beobachteten Reaktionen darauf abgestellt, die Beziehung zu dem verlorenen Objekt wieder aufzunehmen (Bowlby, 1980). Diese „biologische Theorie des Trauerns“ hatte großen Einfluss auf das Denken vieler Fachleute, so auch auf das des britischen Psychiaters Colin Murray Parkes (1972; Parkes & Stevenson-Hinde, 1982; Parkes & Weiss, 1983). Bekannte Bindungstheoretikerinnen sind Mary Ainsworth (Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978) und Mary Main (Main & Hesse, 1990). Die Trauerreaktionen von Tieren zeigen, welche primitiven biologischen Prozesse auch bei uns Menschen am Werk sind. Allerdings gibt es Merkmale der Trauer, die nur für Men|32|schen spezifisch sind. Diese normalen Trauerreaktionen sollen in diesem Kapitel beschrieben werden (vgl. Kosminsky & Jordan, 2016). Es gibt Hinweise darauf, dass alle Menschen einen erlittenen Verlust in einem gewissen Ausmaß betrauern. Ethnologinnen und Ethnologen, die andere Gesellschaften, ihre Kulturen und ihre Reaktionen auf den Verlust geliebter Menschen studiert haben, berichten, dass es in jeder der von ihnen untersuchten Gesellschaften ein nahezu universelles Bemühen um das Wiedererlangen des verlorenen Liebesobjekts gibt, bzw. dass der Glaube an ein Leben nach dem Tod besteht, sodass ein Wiedersehen mit...


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