E-Book, Deutsch, Band 1, 267 Seiten
Woodman Die Augen der Flotte - Feuertaufe auf der Fregatte Cyclops
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-69076-065-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman | Ein Nathaniel Drinkwater Roman 1
E-Book, Deutsch, Band 1, 267 Seiten
Reihe: Ein Nathaniel Drinkwater Roman
ISBN: 978-3-69076-065-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Richard Woodman (1944-2024) wurde mit 16 Jahren Fähnrich und fuhr auf einer Vielzahl von Schiffen, wo er vom Lehrling bis zum Kapitän aufstieg. Insgesamt verbrachte er über 30 Jahre seines Lebens auf hoher See. Neben seiner Arbeit als Seemann entdeckte er seine Leidenschaft für das Schreiben. Was mit kleinen Notizen in der Kajüte begann, entwickelte sich zu einer beeindruckenden Karriere als Autor. Er veröffentlichte über 50 Romane und 18 Sachbücher, darunter die gefeierte Seefahrer-Reihe um Nathaniel Drinkwater, die LeserInnen weltweit in den Bann zieht. Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die folgenden Bände seiner Nathaniel Drinkwater Reihe: »Die Augen der Flotte - Feuertaufe auf der Fregatte Cyclops«, »Kutterkorsaren - In geheimer Mission vor Frankreichs Küsten«, »Kurier zum Kap der Stürme - Auf Vorposten im Roten Meer«, »Die Mörser-Flottille - Die Schlacht von Kopenhagen« und »Die Korvette - Die Walfänger von Grönland«.
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ERSTES KAPITEL:
Der Grünschnabel
Oktober–Dezember 1779
Kläglicher Sonnenschein brach durch die Wolkendecke und warf einen bleichen Lichtfleck auf die Fregatte. Der frische Westwind und der gegenanlaufende Flutstrom bauten eine bösartige See auf, als das Schiff unter Mars- und Stagsegeln ostwärts, dem Prince’s Channel folgend, aus der Themse segelte.
Auf dem Achterdeck ließ der Navigator das Ruder aufkommen, um zu verhindern, daß man sich dem Pansand zu sehr näherte. Die vier Rudergänger mühten sich, das Schiff unter Kontrolle zu halten, als die Speichen durch ihre Finger wirbelten.
»Mr. Drinkwater!« Der alte Navigator, dessen weißes Haar im Wind wehte, rief einen mageren Jungen von mittlerer Größe heran. Der Fähnrich hatte feine, fast weibliche Gesichtszüge und einen ungesund blassen Teint. Er trat voll nervösen Eifers vor.
»Sir?«
»Meine Empfehlung an den Kommandanten. Bitte teilen Sie ihm mit, daß wir die Pansand-Bake querab haben.«
»Ja, Sir.« Er wandte sich zum Gehen.
»Mr. Drinkwater!«
»Sir?«
»Wiederholen Sie bitte meine Nachricht, und antworten Sie korrekt.«
Der Junge wurde puterrot, und sein Adamsapfel hüpfte vor Erregung.
»Ihre, äh, Empfehlung an den Kommandanten, und wir haben die Pansand-Bake querab, aye, aye, Sir.«
»Sehr gut.«
Drinkwater eilte ins Achterschiff hinab, wo ein rotuniformierter Posten der Seesoldaten die Anwesenheit des Kommandanten Seiner Britannischen Majestät 36-Kanonen-Fregatte Cyclops anzeigte.
Kapitän Hope rasierte sich gerade, als der Fähnrich an die Tür klopfte. Er nickte, als er die Nachricht gehört hatte.
Drinkwater zögerte unsicher, da er nicht wußte, ob er gehen durfte. Nach einer kleinen Ewigkeit schien der Kommandant mit seinem Kinn zufrieden zu sein, wischte sich den Schaum ab und begann, seine Halsbinde zu knoten. Er fixierte den jungen Fähnrich mit wäßrig blauen Augen, die in einem Gesicht saßen, das von tiefen Falten zerfurcht und leichenblaß war.
»Und Sie sind ...?« Er ließ die Frage unvollendet.
»Drinkwater, Sir, Fähnrich zur See.«
»O ja, der Rektor von Monken Hadley ersuchte mich, Sie einzustellen, ich erinnere mich ...« Der Kommandant ergriff seinen Rock. »Tu deine Pflicht, Junge, und du wirst nichts zu befürchten haben. Aber sei ganz sicher, daß du weißt, was deine Pflicht ist!«
»Ja. Ich meine, aye, aye, Sir.«
»Sehr gut. Bestell dem Navigator, daß ich in Kürze an Deck komme, sobald ich mein Frühstück beendet habe.«
Kapitän Hope glättete seinen Rock und wandte sich ab, um aus den Heckfenstern zu schauen, als sich die Tür hinter Drinkwater schloß. Er seufzte. Der Junge schien ihm ziemlich alt zu sein für einen Neueingetretenen, trotzdem konnte er sich nicht von dem Gedanken befreien, daß er eben sich selber vor vierzig Jahren gesehen hatte.
Kapitän Hope war sechsundfünfzig Jahre alt und hatte seinen jetzigen Rang erst drei Jahre inne. Ohne Protektion wäre er wohl als Commander auf Halbsold gestorben, hätte nicht dieser unpopuläre Krieg mit den rebellierenden amerikanischen Kolonien die Admiralität gezwungen, ihn einzustellen. Viele fähige Seeoffiziere hatten sich geweigert, gegen die Kolonisten zu kämpfen, besonders Sympathisanten der Whigs{i} und Freidenker. Als die Rebellen mächtige Verbündete für sich gewinnen konnten, wurde die Royal Navy bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit beansprucht: Zur Überwachung der vorsichtigen, aber feindseligen Holländer, der parteilich »neutralen« Ostsee-Anrainer und der offen feindlichen Franzosen und Spanier. In dieser Notlage hatten Ihre Lordschaften wohl den Topf ausgekratzt und im Bodensatz den lieben alten Henry Hope entdeckt.
Hope war ein überaus fähiger Seemann. Er hatte als Leutnant die Schlacht in der Quiberon-Bucht mitgemacht und sich mehrfach während des Siebenjährigen Krieges ausgezeichnet. Gegen Ende des Krieges hatte er das Kommando über eine Sloop erhalten; damals war er vierzig und ohne große Hoffnung auf einen weiteren Aufstieg. Er hatte eine verwitwete Mutter, die von einer verwitweten Schwester versorgt wurde, aber keine eigene Familie: ein Mann, der an Pflicht und Leiden gewöhnt war. Also gut dazu geeignet, ein Schiff zu kommandieren.
Aber als er jetzt aus den Heckfenstern in das trübe, brodelnde Kielwasser starrte, das eine glatte Bahn in die Kabbelsee der äußeren Mündung schnitt, dachte er an den jugendlichen Hope, der er einst gewesen war. Nun schien ihm sein Familienname voll heimlichen Spotts zu stecken. Er machte sich noch einige müßige Gedanken über den jungen Mann, der gerade die Kajüte verlassen hatte, verscheuchte sie aber, als sein Steward das Frühstück auftrug.
Cyclops ankerte drei Tage lang in den Downs, während sich ein kleiner Konvoi von Handelsschiffen um sie sammelte. Sie wartete auf günstigen Wind, um ihre Reise nach Westen fortsetzen zu können. Als sie dann mit ihren Schutzbefohlenen auslief, sah es so aus, als würde sie ein günstiger Ostwind durch den Kanal schieben; doch er drehte, und eine Woche lang kämpfte sich Cyclops gegen den letzten Äquinoktialsturm nach Westen.
Nathaniel Drinkwater mußte eine gründliche, aber harte Ausbildung über sich ergehen lassen. Er enterte mit den Toppsgästen auf, zitternd vor Kälte und Angst, wenn die widerspenstigen Bramsegel um ihn herum schlugen und knallten. Es gab keine Beschwerdemöglichkeit, wenn ihn ein übereifriger Bootsmannsmaat mit dem »Starter« prügelte. Grausamkeit gehörte zum täglichen Leben und wurde in den stinkenden, überbelegten Decks nur noch gefördert. Ausgelaugt durch die unaufhörliche Arbeit einer ganzen Woche in ungewohnter Kälte, entnervt von dem Zwang, mäßiges Essen mit einem Glas schlechten Biers hinunterspülen zu müssen, dazu ständig schikaniert und angebrüllt, brach Drinkwater eines Nachts zusammen.
Er weinte in seiner Hängematte vor Verzweiflung und Einsamkeit. Seine Träume von Ruhm und dem Ehrendienst für ein dankbares Vaterland lösten sich auf in einem Tränenstrom, und in seinem Unglück suchte er Trost im Gedanken an zu Hause. Er dachte an seine gramgebeugte Mutter, die energisch versuchte, ihren Söhnen einen festen Platz im Leben zu sichern; an ihre Freude, als sie vom Rektor erfuhr, daß der Bruder seines Freundes, ein gewisser Kapitän Hope, Nathaniel als Fähnrich einstellen wolle. Wie sehr hatte sie frohlockt, als ihr ältester Sohn schließlich den respektablen Rang eines Offiziersanwärters in der Kriegsmarine erreicht hatte.
Nat weinte auch aus Sehnsucht nach seinem Bruder, dem sorglosen, unbezähmbaren Ned, der immer in Schwierigkeiten steckte; Ned, den der Rektor selber für den Diebstahl von Äpfeln verhauen hatte; Ned, mit dem er Stockfechten geübt hatte; seine Mutter pflegte von ihm zu sagen, daß nur die starke Hand des Vaters aus ihm einen Gentleman hätte machen können. Ned hatte den Kopf zurückgeworfen und darüber gelacht, während Nat auf der anderen Seite des Zimmers den Blick seiner Mutter suchte und sich für die Gefühllosigkeit seines Bruders schämte.
Er hatte nur eine schwache Erinnerung an seinen Vater: Er war für ihn eine schattenhafte Gestalt, die ihn in die Luft geworfen hatte, nach Wein und Tabak riechend, mit einem wilden Lachen. Bald danach hatte er sich den Hals bei einem Reitunglück gebrochen. Ned hatte das leidenschaftliche Ungestüm und die Liebe zu Pferden von seinem Vater geerbt, während Nat die stille Stärke seiner Mutter besaß.
In dieser schrecklichen Nacht, als Hunger, Krankheit, Kälte und Hoffnungslosigkeit seine Moral zermürbten, griff das Schicksal nach ihm; denn in der Dunkelheit wurde sein Schluchzen von seinem Nachbarn, dem ältesten Fähnrich, gehört.
Während des Dinners am folgenden Tag, als acht oder neun der zwölf Fähnriche sich durch ihren Erbsenbrei kämpften, erhob sich der Messevorstand, Fähnrich zur See Augustus Morris, langsam von seinem Platz am Kopfende des schmutzigen Tisches.
»Wir haben einen Feigling unter uns, meine Herren«, gab er bekannt, ein eigentümlich bösartiges Leuchten in den überschatteten Augen. Die Fähnriche, deren Alter zwischen zwölf und vierundzwanzig lag, blickten abschätzend in die Runde. Auf wen würde sich der Zorn des Mr. Morris entladen?
Drinkwater krümmte sich bereits, denn er wußte instinktiv, daß die Anklage auf ihn gemünzt war. Als Morris’ Blick langsam über die ihm zugewandten Gesichter glitt, wandte sich eins nach dem anderen wieder den Zinntellern und den Bierkrügen vor ihnen zu. Keiner würde Morris unterstützen, aber keiner würde ihn daran hindern, eine Bosheit in die Tat umsetzen.
»Mister Drinkwater«, Morris betonte sarkastisch die Anrede, »ich werde mich bemühen, Ihrer Vorliebe für Tränen zu entsprechen, indem ich Ihrem Hintern Scharfes zu kosten gebe – legen Sie sich über jene Seekiste!«
Drinkwater wußte, daß es sinnlos war, sich zu sträuben. Schon als sein Name genannt wurde, hatte er sich unsicher erhoben. Er blickte dumpf zu der bezeichneten Kiste hin, seine Beine zitterten und verweigerten ihm den Dienst. Dann ließ ein gefühlloser Zufall Cyclops hart überholen, und Drinkwater wurde von den Naturgewalten über die Kiste geworfen. Mit unnatürlichem Eifer stürzte sich Morris auf ihn, schob die blauen Rockschöße beiseite, griff in den Bund und entblößte mit einem Ruck, der den Kattun der Hose zerriß, die Hinterbacken seines Opfers. Dieser erniedrigende Akt brannte sich tiefer in Drinkwaters Gedächtnis ein, als die sechs kräftigen Stockschläge, die Morris ihm versetzte.
Seine Mutter hatte diese Hose genäht, die Nadel mit ihren gichtigen Fingern sorgfältig führend, in...