Wood Kill Shot
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-12626-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, Band 4, 448 Seiten
Reihe: Victor
ISBN: 978-3-641-12626-1
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
„Dass vier Ihrer Leute tot sind und ich noch lebe, hat nichts mit Glück zu tun.“
„Haben Sie sich deshalb bei mir gemeldet? Um anzugeben? Das wäre ein großer Fehler.“
„Ich mache keine Fehler.“
„Ach, tatsächlich?“
Er sagte: „Wollen wir wetten?“
Sie lachte. „Natürlich, warum nicht? Um welchen Einsatz wetten wir?“
„Um Ihr Leben“, sagte Victor.
Victor ist der perfekte Auftragsmörder. Er ist das anonyme Gesicht in der Menge, der Mann, den man nicht wahrnimmt – bis es zu spät ist. Doch nun bittet ihn ein alter Bekannter um Hilfe, und zum ersten Mal besteht Victors Auftrag nicht darin, jemanden zu töten, sondern zu beschützen: die junge Giselle, Stieftochter einer russischen Unterweltgröße. Von seinen Verfolgern gnadenlos durch ganz London gejagt, muss Victor alles riskieren. Und jeder seiner Schritte lockt die Gefahr näher an Giselle, deren Leben er um jeden Preis schützen muss ...
Tom Wood, der eigentlich Tom Hinshelwood heißt, ist freischaffender Bildeditor und Drehbuchautor. Er wurde in Staffordshire, England, geboren und lebt mittlerweile in London. Sein Debütroman »Codename Tesseract« sowie auch die nachfolgenden Thriller um den brillanten Profikiller Victor wurden von Kritik wie Lesern begeistert gefeiert.
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Kapitel 2
Zwei Tage später schallte die Stimme der Dänin, die Teil des zweiköpfigen Beschattungsteams war, aus dem Lautsprecher des Funkgeräts im Laderaum des gemieteten Lieferwagens.
»Er kauft Campingausrüstung.«
Der Schwede drückte die Sprechtaste des Funkgeräts und sagte in das Mikrofon: »Was denn genau?«
»Einen Gaskocher, Brennpaste, einen wasserdichten Schlafsack, Spanngurte, Isoliermatten, einen Gehstock … lauter solche Sachen. Ich kann nicht alles sehen, was er sich in den Wagen gepackt hat.«
Die Finnin, die die andere Hälfte des Teams bildete, war nicht mit in das Geschäft gekommen. Ihre auffälligen roten Haare steckten unter einer Perücke. »Auch wetterfeste Kleidung?«
Der Schwede wartete ab, bis die Dänin gefahrlos antworten konnte. Nach einer kurzen Stille sagte sie: »Nicht, soweit ich das erkennen kann. Soll ich näher rangehen?«
»Sicherheitsabstand bewahren«, gab der Schwede zurück. »Das könnte auch ein Trick sein, um eventuelle Beschatter aus der Deckung zu locken. Wir spekulieren nicht. Wir gehen bei diesem Typen keinerlei Risiko ein. Okay?«
»Alles klar.«
Die Finnin sagte: »Ich glaube, er bereitet einen Auftrag vor.«
»Aber wir wissen es nicht«, gab der Schwede zurück.
Sie antwortete sofort, ohne Pause, da sie draußen auf der Straße stand und daher keine Gefahr bestand, dass die Zielperson sie identifizierte. »Er geht doch nicht nur zum Spaß campen. Das weiß ich jedenfalls genau.«
»Wir wissen doch noch gar nicht, ob er überhaupt campen will.«
»Geht das nicht ein bisschen leiser?«, sagte der Däne und drehte sich auf die andere Seite.
Am nächsten Tag wieder das Gleiche: warten. Sie beobachteten, wie er bei einem Markthändler gebrauchte Handys kaufte und in zwei verschiedenen Geschäften sein Guthaben auflud. Die Finnin hatte die Beschattung zu Fuß übernommen. Es machte ihr Spaß, ihn aus der Nähe zu beobachten. Es machte ihr Spaß, ihre eigene Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen, bei einer so vorsichtigen Zielperson auszuspielen. Natürlich ging sie dabei kein Risiko ein, egal, wie sehr sie die anderen beeindrucken wollte. Allen voran den Schweden, bei dessen Anblick sie jedes Mal, wenn sie nicht an ihren eigenen Freund oder seine reizende Ehefrau dachte, gleichermaßen Erregung und Enttäuschung empfand.
Die Finnin wollte dieses Mal diejenige sein, die den Schlusspunkt setzte. Nicht unbedingt mit der Tötung des Opfers, aber indem sie dem Team die entscheidende Gelegenheit eröffnete, auf die sie jetzt schon so lange hingearbeitet hatten. Vielleicht führte die Zielperson sie, wenn sie sich nicht abschütteln ließ – wie es den anderen oft genug passiert war –, irgendwohin, wo sie zuschlagen konnten. Oder sie konnte dadurch die eine, entscheidende Information in Erfahrung bringen.
Jedenfalls würden sie ihn nicht einfach auf der Straße abknallen. Das war nicht ihr Stil. Sie wollten auch weiterhin in Freiheit leben und ihr hübsches steuerfreies Einkommen genießen. Normalerweise ließen sie nicht einmal eine Leiche zurück. Die Cocktails des Schweden, bestehend aus Enzymen und Säuren, die Gewebe auflösten, sowie die Bereitschaft der Finnin, das eine oder andere leistungsstarke Elektrowerkzeug zum Einsatz zu bringen, sorgten dafür, dass von ihren Opfern normalerweise nichts mehr übrig blieb, was hätte identifiziert werden können. Sie ließen sich für diese Reinigungsarbeiten extra bezahlen, hätten es aber auch ohne Bezahlung gemacht. Die Finnin ließ die anderen drei nicht spüren, wie viel Freude ihr der Gebrauch von Kreissägen und Bandschleifmaschinen bereitete. Als kleines Mädchen hatte sie ihren Vater oft zur Jagd begleitet und sich immer besonders auf das Ausnehmen der Rentiere gefreut.
Als die Zielperson einen Baumarkt betrat, sah sie sich in der Werkzeugabteilung ein wenig um. Da gab es eine Handkreissäge ihrer Lieblingsmarke im Sonderangebot. Das Sägeblatt hatte einen Durchmesser von hundertneunzig Millimetern, die Leistung lag bei dreizehnhundert Watt. Damit konnte man eine Menge Spaß haben, immer vorausgesetzt, man trug die richtige Schutzkleidung. Wegen der Schweinerei.
»Jetzt hat er einen Schweißbrenner gekauft«, flüsterte sie in ihr Knopflochmikrofon. »Und zwar einen ziemlich guten.«
Die tiefe, wohltönende Stimme des Schweden erklang in ihrem Ohr: »Was hat der Kerl bloß vor? Ich weiß, was du sagen willst: Er bereitet einen Auftrag vor.«
»Vielleicht will er ja irgendwas bauen?«
»Aber was?«, erwiderte der Schwede.
Sie sah, wie die Zielperson am Rand ihres Blickfelds eine Schutzbrille, eine Gasflasche und schwere Schutzhandschuhe auf den Wagen packte. Anschließend kamen noch ein kleiner Dieselgenerator und ein zusammenklappbarer vierrädriger Rollwagen dazu, mit dem er seine Einkäufe transportieren konnte. Beim Bezahlen nahm er sich eine ganze Minute lang Zeit, um mit der deutlich älteren Kassiererin zu flirten. Das Lächeln, das noch lange Zeit auf deren Gesicht lag, sagte der Finnin, dass es ihr gefallen hatte.
Die Finnin folgte der Zielperson nicht nach draußen. Sie teilte dem Schweden mit, was er alles gekauft hatte, dann übernahm der Däne die Beschattung. Er war in einen schicken Büroanzug geschlüpft – das genaue Gegenteil der Jeans und der Lederjacke, die er am Tag zuvor getragen hatte. Obwohl er eindeutig attraktiver war als der Schwede, spielte der Däne in ihren Fantasien keine Rolle. Es fehlte einfach dieses elektrisierende Kribbeln. Die Finnin setzte sich ans Funkgerät, damit der Schwede schlafen konnte, und beobachtete, wie seine Brust sich im Schlafsack hob und senkte.
Während der Däne sie über die Richtungswechsel der Zielperson auf dem Laufenden hielt, lenkte die Dänin den Lieferwagen durch die Stadt, immer mindestens ein, zwei Querstraßen von der Zielperson entfernt, aber immer so nahe, dass sie eine plötzlich sich bietende Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen mussten. Natürlich ergab sich keine einzige solche Gelegenheit, oder besser gesagt, die Zielperson gestattete ihnen keine.
Wie anstrengend muss so ein Leben sein, dachte die Finnin. Wenn man ununterbrochen auf der Hut sein muss, wenn jede einzelne Bewegung genauestens überlegt und mit absoluter Perfektion ausgeführt werden muss. Die Finnin hätte das niemals durchgehalten, und sie war dankbar, dass sie es nicht musste. Sie würde niemals allein arbeiten. Das war der reinste Selbstmord. Zu mehreren war man sicherer. Kein Einzelkämpfer, egal, wie gut er war, konnte es an Effektivität mit einem Team aufnehmen. Und genau das würden sie in diesem Fall wieder unter Beweis stellen.
»Ich glaube, jetzt wird es spannend«, ertönte die Stimme des Dänen aus dem Lautsprecher.
»Lass hören«, erwiderte sie.
»Er ist jetzt in einer von diesen Hallen, wo man Lagerräume mieten kann.«
Die Finnin setzte sich auf. »Interessant.«
»Genau das habe ich auch gedacht. Er steht jetzt schon ziemlich lange beim Empfang.«
»Dann will er sich wahrscheinlich einen Lagerraum mieten.«
»Dann sind wir ja schon wieder einer Meinung«, meinte der Däne. »Warte mal … ja, jetzt geht er hinter einem Angestellten raus. Der hat Schlüssel und Papiere in der Hand. Er bringt ihn zu seinem Lager.« Er konnte seine Aufregung nicht verbergen.
Die Finnin klatschte in die Hände.
»Was ist denn los?«, sagte der Schwede schlaftrunken und richtete sich auf.
Die Finnin lächelte ihn an. Er sah so süß und zerzaust aus. »Könnte sein, dass endlich was passiert.«
Die Dänin nahm sich einen Laptop und hackte sich in das Reservierungssystem der Lagerhalle. Dabei kamen etliche nützliche Informationen ans Tageslicht. Der gemietete Raum hatte ein Volumen von 11,3 Kubikmetern und lag in der Mitte einer ganzen Reihe mit ähnlich großen Einheiten. Insgesamt gab es in der Halle zweihundert solcher Boxen, alle im Erdgeschoss. Sie wurde von einer Kette betrieben und war eher im unteren Preissegment angesiedelt. Die Sicherheitsmaßnahmen waren angemessen, doch nichts Besonderes. Ein paar Kameras, aber jede Menge toter Winkel, weil die Firma nicht mehr Geräte installiert hatte als unbedingt notwendig. Die Zielperson hatte einen Standard-Mietvertrag über zwölf Monate unterzeichnet, und zwar mit einem anderen Namen als dem, den sie im Hotel benutzte.
»Nimm dir mal die Flugpassagierlisten vor«, sagte der Schwede.
Die Dänin machte sich an die Arbeit und erfuhr, dass die Zielperson für den Tag nach ihrer Abreise aus dem Hotel ein Economyticket gebucht hatte.
»Er muss um 11 Uhr auschecken«, sagte sie, »und sein Flug geht erst am nächsten Tag, abends um 19 Uhr. Wenn er zwei Stunden vor Abflug einchecken muss, dann hat er dazwischen genau einunddreißig Stunden Zeit.«
»Zu viel«, murmelte der Schwede.
Die Dänin sagte: »Er will so lange in dem Lagerraum untertauchen. Darum hat er sich die Campingausrüstung besorgt.«
Die Finnin nickte. »Er braucht den Raum, um unauffällig von der Bildfläche zu verschwinden.«
»Aber warum hat er die ganze letzte Woche im Hotel gewohnt, wenn er bloß hier war, um eine sichere Unterkunft herzurichten?«
Die Finnin zuckte mit den Schultern.
Der Schwede schnippte mit den Fingern. »Weil er noch einmal in die Stadt kommt. Er hat hier einen Auftrag zu erledigen. Und zwar einen ziemlich aufwendigen oder einen, der mit einem sehr hohen Risiko verbunden ist. Jedenfalls kann er danach nicht gleich aus der Stadt verschwinden, und in einem Hotel oder einer Pension...