E-Book, Deutsch, 496 Seiten
Wood Im Auge der Sonne
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-10-402716-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 496 Seiten
ISBN: 978-3-10-402716-6
Verlag: S.Fischer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
BARBARA WOOD ist international als Bestsellerautorin bekannt. Allein im deutschsprachigen Raum liegt die Gesamtauflage ihrer Romane weit über 14 Millionen, mit Erfolgen wie ?Rote Sonne, schwarzes Land?, ?Traumzeit?, ?Kristall der Träume? und ?Dieses goldene Land?. 2002 wurde sie für ihren Roman ?Himmelsfeuer? mit dem Corine-Preis ausgezeichnet. Barbara Wood stammt aus England, lebt aber seit langem in den USA in Kalifornien. Literaturpreise: u.a. Corine-Leserpreis 2002
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PROLOG
In der Nacht, als Jericho fiel, war ich sechzehn Jahre alt. Ich war unsterblich verliebt.
Meine Gedanken kreisten nicht im Entferntesten um Krieg, als ich mich in meinem Bett hin- und herwarf und die Geräusche der Stadt an mein Ohr drangen – Jericho am Jordanfluss schlief niemals –, sondern kehrten immer wieder zurück zu Benjamin, dessen schönes Gesicht mir den Schlaf raubte.
Aus der Ferne war Donner zu hören. Ein Frühlingsgewitter, das vom Meer her aufzieht, dachte ich. Schwarze Wolken, die sich über den Küstenstädten, über Jerusalem zusammenballen und bald auch Jerichos Durst stillen würden. Dem Allerhöchsten sei Dank, betete ich im Stillen. Die Dattelhaine meines Vaters brauchten dringend Regen.
Er befand sich zu jener Stunde im Tempel, um ein fettes Frühjahrslamm zu opfern und den Allerhöchsten um Erlösung von der Dürre zu bitten. Sein Bruder, mein Onkel und ein angesehener Arzt hier in Jericho, hielt sich im Armenviertel auf, wo das Fieber, das mit der Trockenheit einherging, am ärgsten wütete. Die Armen kannten seine Gestalt und begrüßten ihn mit der Anrede »verehrter Heiler«.
In jener schicksalsschweren Frühlingsnacht kreisten meine Gedanken jedoch nicht lang um die wohltätigen Verrichtungen frommer Männer. Sobald ich die Augen schloss, sah ich Benjamin vor mir, seine Gesichtszüge, sein Lachen, die breiten Schultern, seinen Gang. Oh, er war wunderbar! Ich war jung, und ich träumte vom Heiraten. Benjamin war der Sohn einer wohlhabenden Familie, die das Monopol auf Jerichos florierenden Textilhandel besaß. Sein Vater war ein enger Freund des Königs.
Wir waren uns versprochen.
An jenem Abend hatte Papa mir einen Gutenachtkuss gegeben und versichert, er werde nun mit Benjamins Vater über das Datum für die Hochzeit sprechen. Sie sollte im Sommer stattfinden, die verheißungsvollste Zeit für Eheschließungen. Das Leben konnte nicht schöner sein. Mein Vater war einer der reichsten Bürger von Jericho, meine Mutter von königlichem Geblüt: Sie stammte von einem König aus dem im Norden gelegenen Syrien ab. Wir bewohnten ein palastartiges Haus mit marmornen Säulen innerhalb der hohen Mauern von Jericho. Es war die sicherste Stadt der Welt, und unser hochherrschaftliches Haus, das an Eleganz nur vom Palast des Königs übertroffen wurde, lag im schützenden Schatten von Jerichos mächtigem Südwestturm, von dem aus Soldaten die Mauern seit Jahrhunderten verteidigt hatten. Wir verfügten über Diener und erlesenes Mobiliar, meine Schwestern und ich kleideten uns in weichste Wolle. Wir trugen Goldschmuck, speisten von silbernen Tellern. Gleich einem festlich gedeckten Tisch sah ich deshalb einem Leben in Überfluss und Freude und unbegrenzten Möglichkeiten entgegen.
Kein Mädchen konnte glücklicher sein als ich.
Das Donnern in jener Nacht kam näher, rollte über die Hügel im Westen. Als ich Rufe und Geschrei auf den Straßen unter meinem Balkon hörte, wunderte ich mich, warum sich irgendwer vor einem Frühlingsregen fürchtete.
Aber dann schrie jemand direkt unter mir laut auf. Ein Poltern. Schritte, die über den polierten Sandsteinboden stampften. Ich sprang aus dem Bett, rannte auf die Galerie, die um das Innere des oberen Stockwerks verlief, schaute hinunter in die große Halle, in der wir Gäste empfingen und üppige Bankette ausrichteten. Entsetzt riss ich die Augen auf, als ich sah, wie dort Soldaten hereinstürmten und rücksichtslos vorandrängten. Sie trugen nicht die grünen Tuniken der Kanaaniter-Truppen, sondern weiße Faltenröcke, lederne Bruststücke und eng anliegende Helme. Den Befehlen nach, die sie den verschreckten Dienern entgegenbellten, schien es sich um Ägypter zu handeln.
Jetzt begriff ich endlich, dass der Donner, den ich gehört hatte, nicht Regen für Jericho versprach, sondern vom Lärm der Streitwagen herrührte, die über die Ebene auf die Stadt zuhielten.
Wie versteinert beobachtete ich, wie ein Soldat eine unserer Dienerinnen an den Haaren packte und sie über den Boden schleifte, obwohl sie sich verzweifelt zu wehren versuchte. Wie eine Amme unten auftauchte, mit einem Baby auf dem Arm, meiner jüngsten Schwester, die noch keinen Namen erhalten hatte. Ein Soldat riss ihr den Säugling aus den Armen, umfasste mit einer Pranke die winzigen Füßchen und schleuderte ihn an die Wand. Ich sah, wie der weiche Schädel aufplatzte, Gehirnmasse und Blut herausspritzten.
Als ich Schritte hinter mir hörte, fuhr ich herum. Es war Tante Rakel, die sich mit einer Lampe näherte. Ihre Sandalen glitten lautlos über den Marmorfußboden. Ihre weißen Gewänder umwogten sie wie eine Wolke. Ihr Gesicht war kreidebleich.
»Rasch, Avigail«, sagte sie. »Zieh dich an. Wir müssen uns in Sicherheit bringen.«
Hastig kleidete ich mich an, und wir verließen über eine Hintertreppe das obere Stockwerk. An der Tür zu einem Geheimgang wartete bereits die restliche Familie. Meine Mutter hatte die Arme um meine beiden jüngeren Schwestern gelegt. Die Angst, die aus ihren Augen sprach, verriet mir den Ernst der Lage. Meine Mutter war eine Schönheit und von königlichem Geblüt. Jeder rühmte ihr selbstsicheres Auftreten, ihre Eleganz. In jenem Augenblick strahlte sie jedoch nichts als Entsetzen aus.
Zitternd und bebend hörten wir mit an, wie Geschrei unser Haus erfüllte, wie Gegenstände zerschmettert wurden, wie auf Ägyptisch herumgebrüllt wurde. Bestimmt war das nur ein Traum. Ein Albtraum, aus dem ich bald erwachen würde. Der König hatte uns Frieden zwischen Jericho und Ägypten zugesichert. Man hatte ein Abkommen unterzeichnet.
Unser Hausverwalter Avraham, der seit zwei Generationen unserer Familie diente, erschien. Sein langes schwarzes Gewand war ramponiert, die rote Schärpe hing nachlässig herunter. »Das Haus bietet keinen Schutz mehr, Herrin«, sagte er zu meiner Mutter. »Die Ägypter dringen in alle Wohnstätten ein. Außerhalb der Mauern sind wir sicherer. Ich werde euch zu den Hügeln führen.«
»Aber mein Gemahl …«
»Rasch, Herrin.«
Tante Rakel fasste mich am Arm. »Komm, Avigail, wir müssen uns in Sicherheit bringen.«
Ihr Gesicht war leichenblass. Furcht brannte in ihren Augen. Ihr Mann – mein Onkel – hielt sich im Armenviertel auf, mein Vater im Tempel. Würde der Allerhöchste sie beschützen?
Wir folgten Avraham durch einen schmalen Gang, den man vor langer Zeit als Fluchtweg innerhalb der Mauern angelegt hatte, war doch Jericho im Laufe der Jahrhunderte häufig überfallen worden. Wir rannten los, verängstigt, mit pochendem Herzen, in den Ohren die Schreie unserer Dienerschaft.
Wir gelangten ins Freie, in eine Nacht voller Chaos und Grauen. Menschen hetzten durch die Straßen, gejagt von feindlichen Soldaten hoch zu Ross. Wir drängten uns aneinander, warteten darauf, dass Avraham eine günstige Gelegenheit abpasste, um uns auf die Felder jenseits der Mauern zu bringen. Die Stadttore standen weit offen, und dort bot sich uns ein grauenvoller Anblick … lodernde Fackeln, Soldaten im Kampf Mann gegen Mann, Generäle in vergoldeten Streitwagen, ohrenbetäubendes Geschrei und Blut, entsetzlich viel Blut …
Wir rannten los.
Die Bewohner von Jericho flohen in alle Richtungen, die Straßen entlang, über Felder, die der Frühjahrsernte entgegensahen, mit Kindern und Besitztümern bepackt, einige nur notdürftig bekleidet, gejagt von den Schwertern und Speeren ägyptischer Soldaten.
Als unsere Gruppe im Licht des Vollmonds über ein Zwiebelfeld hastete, tauchte aus dem Nichts ein ägyptischer Kavallerist auf und lenkte sein Pferd im Galopp auf uns zu. Ich wich seitwärts aus, entkam um Haaresbreite den donnernden Hufen. Meine Mutter sprang zur anderen Seite, aber da senkte sich das Schwert des Soldaten in einem unheilvollen Bogen, die Klinge durchtrennte den Hals meiner Mutter so sauber wie eine Sichel eine Garbe Weizen. Ich sah ihren Kopf in die Luft fliegen, den überraschten Ausdruck auf ihrem Gesicht. Das Kriegsross stürmte weiter, während der weißgekleidete Körper meiner Mutter gleich einer umstürzenden Statue zu Boden sank.
Mit offenem Mund stand ich da. Ich konnte in jenem Augenblick nicht begreifen, was sich da abspielte, was gerade geschehen war. Wie betäubt sah ich mich nach Mutters Kopf um. Warum, weiß ich nicht. Aber es schien mir wichtig festzustellen, wo er hingeflogen war.
Alles, woran ich mich danach erinnere, ist, dass ich von starken Armen umfangen wurde, dann wurde es dunkel um mich herum.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich inmitten einer Gruppe von Flüchtlingen in den Bergen westlich von Jericho. Noch war es Nacht. Viele hatten Zuflucht in Höhlen oder in dicht bewaldeten Hainen gesucht, wo sie aneinandergeklammert voller Entsetzen mit ansahen, wie Jericho der Armee des Pharaos erlag.
Aus der Dunkelheit tauchte eine hochgewachsene Gestalt auf. Dem Allerhöchsten Preis und Dank, es war Rakels Sohn, mein Vetter Yacov. Er war es, der mich zu den Hügeln getragen hatte, ehe er wieder in die Stadt zurückgekehrt war, um sich ein Bild von der Lage zu machen. »Sprich ein Gebet«, sagte Yacov. »Die Männer sind tot. Sie wurden zusammengetrieben und zum Tempel des Mondes gebracht und dort erschlagen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.«
»Papa?«, fragte ich.
Aus Yacovs Blick sprach Hoffnungslosigkeit. »Ja, Avigail. Und meinen Vater haben sie von der Bettkante eines Patienten gezerrt und zum Schlachten abgeführt. Dafür sind sie jetzt beim Allerhöchsten, gepriesen sei Sein Name.«
Tante Rakel schlug die Hände vors Gesicht. »Allerhöchster«, murmelte sie, »nimm ihre Seelen gnädig bei dir auf.« Ihr Schleier war verrutscht, gab volles kastanienbraunes Haar preis. Die gleiche Farbe wie die von Yacovs Haar und...




