E-Book, Deutsch, 258 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
Wonschewski Blaues Blut
mit digitalen Inhalten (Audio, Video)
ISBN: 978-3-95996-220-9
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Biedermeiersehnsucht
E-Book, Deutsch, 258 Seiten
Reihe: Edition Periplaneta
ISBN: 978-3-95996-220-9
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der verhaltensauffällige Abiturient Frankenfelder begeht im Jahr 1997 eine extraordinäre Anzüglichkeit. Was dazu führt, dass die Organisation rechtschaffener kontinentaleuropäischer Männer (OrkM) ihren Undercover-Mitarbeiter Krebs mit der „zeitnahen Entsorgung“ Frankenfelders beauftragt.
Allerdings sieht IM Krebs in Frankenfelder keine große Gefahr für die Nation, sondern einen theatralischen Jüngling, der nur etwas zurechtgebogen werden muss. Ein kleiner weiblicher Anreiz hier, ein wenig kapitalistische Sehnsucht dort und schwupp würde er zu einem vollwertigen Mitglied des Staates werden. Hinbiegen könnte Krebs das – schließlich sind die IMs auf Gedankenmanipulation spezialisiert. Ein zu Gefährlichkeit neigender Charakter wird so lange beschattet und mental drangsaliert, bis er in sich zusammenfällt und in der Masse untergeht.
Doch Frankenfelder entpuppt sich als harter Brocken, der in seinem Denken stetig weiter eskaliert. Eine „zeitnahe Entsorgung“ wird Krebs 20 leidvolle Jahre kosten.
Eines Tages ist Frankenfelder endlich weg. Und plötzlich ist es Krebs, der sich beobachtet fühlt, und eine Angst überkommt ihn, dass Frankenfelder gar nicht tot ist, sondern das Spiel einfach rumgedreht haben könnte …
David Wonschewski ist zurück. Sieben Jahre nach „Zerteiltes Leid“ erschafft der Meister des psychisch auffälligen Kammerspiels einen neuen, verstörenden Mikrokosmos, in dem nicht nur seine Protagonisten auf der imaginären Psycho-Couch liegen.
Liedermacher Christoph Theussl hat dem Roman einen sechs Lieder umfassenden Soundtrack spendiert, der, neben weiteren digitalen Inhalten, via QR-Codes abrufbar ist..
Weitere Infos & Material
Vorspiel
Und nun schau dich an. Wie du hier liegst, mit Messer im Körper. Hinterhältig darniedergestochen wie Julius Cäsar. Oder Marat. Nein, warte, viel zu heroisch. Du denkst schon wieder zu groß. Nimm eine andere Vergleichsgröße. Eine, die sich besser geziemt. Nimm Kaspar Hauser. Ein linkisch durch die Welt stolpernder Blödmann er, ein linkisch durch die Welt stolpernder Blödmann du. Abgestochen von düsteren Mächten, denen das, was aus euch hätte werden können, ein Dorn im Auge gewesen ist. Eine Situation, so vorhersehbar wie unappetitlich: das Messer, dein aufgeschlitzter Bauch. Die übelriechenden Innereien, die zwar nicht zum Vorschein kommen, ihr ekelhaftes Dasein aber nicht länger verheimlichen können. Ein Pflaster wird nicht helfen. Nähen ebenso wenig. Ist die Bauchdecke erst einmal auf, ist sie auf. Das unrühmliche Ableben deiner Person ist eingeleitet. Dir steht der Sinn nach Drama und Verzweiflung. Auch das ein eitler Wunsch. Denn du bist die Ruhe selbst. Was für ein Betrug. Wie oft hast du im Fernsehen jemanden, von einem Messer tief und heimtückisch getroffen, niedersinken sehen. Zu einer schmerzverzerrten Fratze entstellt die Züge, weit aufgerissen die Augen. Mit Pupillen, die aus dem Schädel zu springen scheinen. Dass jeder andere Tod besser ist als der durch Erdolchen, hast du gedacht, wann immer du es vor der Mattscheibe hattest mit ansehen können. Doch nun, da dir selber ein Messer im Leibe steckt, erweist sich diese Art des Dahinscheidens als geradezu unprätentiös, an Beiläufigkeit kaum zu überbieten. Das hattest du dir bedeutend spektakulärer vorgestellt. Hattest mit mehr Horror, mehr Schlitzerromantik gerechnet. Zersplitternde Knochen, ein zerberstender Brustkorb, schlangenhaft aus deiner Leibesmitte emporschießende Eingeweide, singende Englein, brüllende Agonie. Zeter und mordio, das große „Vater, warum hast du mich verlassen?“ Doch nichts von dem will eintreten. Stattdessen liegst du einfach da. Verreckst in aller Seelenruhe. Das immerhin ist verblüffend. Da durchdringt dir ein blitzescharf geschliffener Fremdkörper aus Stahl dein Haut-, Muskel- und Fettgewebe. Touchiert die Leber, tranchiert die Milz. Und alles, was du dafür übrig hast, sind nüchterne Betrachtungen. Weder Schmerzen noch Panik wollen aufsteigen in dir. Du fahndest nach einem Hauch von Bedauern in deinen Gedanken. Und findest nicht einmal den. Ob die Reibungslosigkeit dieses gewaltsam an dir vorgenommenen Aktes nun deiner körperlichen Weichheit zu verdanken ist oder der Qualität des Messers, das weißt du nicht. Es machte flutsch, die Klinge steckte, du fielst hin, bliebst liegen. Das einzige, was dir nun schmerzt, ist dein Hinterkopf, derbe aufgestoßen beim Fall. Eindruck hinterlassen will der sterbende Mensch. Doch das sieht schlecht für dich aus, Frankenfelder. Keinerlei Action fürs reichlich gezahlte Lebenslehrgeld steht in Aussicht. Einer sticht. Ein anderer fällt um. Bumm. Aus die Maus. Ende im Gelände. Sollte dir in den letzten Minuten deiner Existenz nicht noch ein feiner Kniff einfallen, ein weiterer grenzgenialer Dreh, dein Tod wird wie dein Leben gewesen sein: ganz spannend, summa summarum aber für die Katz. Sicherlich, du könntest schreien, den Atem hast du noch. Vor Wut, vor Freude, egal. Hauptsache Performance, Hauptsache Music for the Masses, Hauptsache Opium fürs Volk. Wie am Spieß losbrüllen könntest du. Und niemand nähme es dir krumm, so mit Messer im Bauch. Doch das wäre Theater, wäre viel Lärm um nichts. Denn dir tut gar nichts weh. Und überrumpelt worden bist du auch nicht, so hinterhältig war die Attacke auf dich gar nicht. Du hast es kommen sehen. Sogar zur Seite hättest du noch springen, es auf einen Kampf hinauslaufen lassen können. Das war dir aber irgendwie blöd erschienen. Hatte sich nicht plausibel angefühlt, so als Reaktion auf einen tätlichen Angriff auf deine Person. Nein, neben dem ausbleibenden Schmerz wird auch der ausbleibende Schock dich nicht ins lautstarke Wehklagen bringen. Wirkung zeigt er dennoch, der mit kräftigem Schwung ausgeführte Hieb, der knapp oberhalb deines Bauchnabels in dich hineindrängte. Wie ein Betonblock liegst du auf dem Teppichboden, kalt und schwer und bewegungslos. Die Klinge steckt dir tief im Leib. Du kannst sie nicht sehen, spüren schon gar nicht. Du schlussfolgerst sie. Anhand des Griffs, der dir aus der Bauchdecke ragt und den du so eben noch erkennen kannst in dem knapp bemessenen Sichtfeld, das dir dein steifer Hals und dein starres Gesicht noch gestatten. Nun ist es keine Paranoia, keine Wahnvorstellung mehr. Sondern Tatsache. Du wurdest verfolgt! Und dieser Verfolger spürte dich auf, holte dich ein, stach zu! Jubeln möchtest du nun. Immerhin als Rechthaber darfst du sterben! Niemand hat dir geglaubt, wenn du ihnen von den Schatten und den Träumen erzähltest. Von den Männern ohne Gesicht, immer hinter dir; von den heuchlerisch mit den Gesäßen wackelnden Frauen, immer vor dir; von der Übelkeit, die all das in dir erzeugte. Du weißt, dass dir nicht mehr viel Zeit bleibt. Die Gedanken, die du jetzt denkst, werden auch die sein, die du mit ins Grab nehmen wirst. Was Epochales willst du darum denken. Nicht zürnend nach hinten schauen. Wie ein beim Duell erschossener Gentleman willst du sie angehen, deine letzten Minuten. Nicht auf Rache sinnen. Dich viel lieber an deinem Widerstandsgeist erfreuen, der sie so viele Jahre gekostet hat, dich zu beseitigen. Doch, oh weh, es ist nur abgegriffener Schmarrn, der dir einfallen will. Krieg den Palästen. Wir sind das Volk. Du bist Deutschland. Peinlich für einen, der sich so gern als originärer Kämpfer ausgab, jedoch nichts zuwege brachte. In Würde sterben geht anders. Was einem doch so an Unschicklichkeiten widerfahren kann, hier in der Provinz, denkst du stattdessen. Dass es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, zurückzukehren, mitten hinein in die westfälische Einöde. Dich mit Frau und Kindern zu umgeben, als seien sie Tarngestrüpp. Und du ein untergetauchter Soldat, auf ewig unauffindbar. Nein, du bist nicht allein. Das wäre ja noch schöner. Gestalten bevölkern den Raum, in dem du stirbst. Neugierig blickst du zu ihnen empor. Ist es euer Wohnzimmer? Ist es das Bad? Oder bereits die Leichenhalle? Du weißt es nicht. Nur, dass es sich, bedenkt man, wie übel du zugerichtet worden bist, gar nicht unübel hier liegenlässt. Du hättest deinen Arsch darauf verwettet, dass sie dich mit einem Genickschuss richten und dich dann einen Abhang hinab in ein Massengrab hinabrollen lassen. Das ist es, worauf du dein Leben lang hingearbeitet hast. Doch du liegst sanft gebettet auf einem Teppich. Flokati. Und ereilt hat dich auch keine Kugel der Juntasystemfaschisten. Nein, ein Messer von derart erlesener Qualität erstach dich, dass du es, nun im Sterben liegend, auf einen Warenwert von gut und gerne achtzig bis hundertzwanzig Euro taxierst. Wie wenig klassenkämpferisch sich das doch ausnimmt. Und wie sehr nach Mord in besserer Gesellschaft es ausschaut. Du liegst ruhig, du liegst gemütlich. Wie betäubt hinwegdösen könntest du nun. Wenn doch diese Bambule um dich herum nicht wäre. Dieses dich umlagernde Tohuwabohu. Jemand weint. Und jemand anderes schreit. Hektisch wird nach einem Krankenwagen telefoniert. Ein großer Aufruhr herrscht, neben dir, über dir, rings um dich herum. Chaotisches Treiben. Das muss die Action sein, die du dir für deinen Todeskampf bestellt hattest. Nur dass sie nicht dich erfasst, sondern die Deinigen. Sieh sie dir an! Alle sind sie da. Alle sind sie gekommen, um angesichts deiner Niedergestochenheit quer durch die Bank sauber die Fassung zu verlieren. Doch du willst nicht schlecht denken über die Deinigen. Ihre Anwesenheit in deinen letzten Lebensminuten ehrt dich. Ihre Bereitwilligkeit, sich durch zielloses Herumgehopse und seihendes Wehklagen bereitwillig zu Trotteln zu machen, tut ihr Übriges. Sterbebegleitung der unterhaltsamen Art, so von unten betrachtet. So also bringt man die, die man liebt, zum Tanzen. So hilft man ihnen auf die Sprünge. Mord zahlt sich aus. Schau, deine Frau ist da – die Schöne! Die Kinder sind da – die Süßen! Und sogar der Hund, der blöde. Springt um dich herum, schnüffelt an dir. Kratzt dir, wie du siehst, den Unterarm blutig, leckt dir, wie du siehst, den Hals ab. Jault das Jaulen, das dir in diesem Augenblick viel besser zu Gesicht stünde. Will Leckerlis haben. Will Gassi gehen. Ist und bleibt Dreckstöle. Kann nicht hinaus aus seiner Dreckstölen-Rolle. Erschießen wollen hast du das Viech, mit jedem neuen Tag, den der nichtexistente Gott anbrechen ließ, wurdest du von einer größeren Lust erfasst, dieses so sklavisch um Liebe bettelnde, dauerkackende Sabbertier über den Haufen zu schießen, einen Abhang hinunterrollen und in einem Erdloch verrecken zu lassen. Oh, das Recht dazu hättest du gehabt, schließlich hast du nie einen Hund gewollt! Die Kinder, die du auch nie wolltest, die wollten den Hund. Dass du die Töle nicht auf einem Acker erschossen und in irgendeine Grube hinabkullern lassen hast, ist keineswegs deinem großen Herzen zu verdanken, sondern einzig und allein deinem Wissen, dass ein Hundemord sie auf den Plan gerufen hätte. Ihnen unbotmäßig früh einen Hinweis darauf gegeben hätte, wo du ein Versteck gefunden, wo du vor ihren Häschern in...