E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Wondratschek Mara
19001. Auflage 2019
ISBN: 978-3-8437-2070-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-2070-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wolf Wondratschek wuchs in Karlsruhe auf. Von 1962 bis 1967 studierte er Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten in Heidelberg, Göttingen und Frankfurt am Main. Seit 1967 lebte er als freier Schriftsteller zunächst in München. In den Jahren 1970 und 1971 lehrte er als Gastdozent an der University of Warwick, Ende der 1980er-Jahre unternahm er ausgedehnte Reisen unter anderem in die USA und nach Mexiko. Er lebt seit 1996 in Wien.
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Cremona war eine Kleinstadt. Bauern, Weinbauern, Geigenbauer, andere Handwerker natürlich, Apotheker. Was einer wußte, erzählte er seinem Sohn oder seinen Söhnen bei der Arbeit. Es war Gefühlssache, Fingerspitzengefühlssache, Intuition, was einem Wissen seinen Schliff, seinen Sinn gab. Vollkommenheit ist nicht das Resultat einer Wissenschaft, sondern Gnade, flüchtig, unerklärlich. Oder Fluch, Pakt mit einem Teufel, der Worte einer Sprache spricht, die keiner kennt und niemand wiederholen würde.
Man hatte vor allem die Apotheker im Verdacht, nicht immer ganz von dieser Welt zu sein. Waren sie nicht Gottesleugner, Adepten geheimer Lehren, von der Magie überzeugte Narren? Jedenfalls waren sie nicht auf die gleiche Weise Bürger unseres Städtchens, nicht wie die anderen, sondern besondere Wesen, Sympathisanten des Okkulten, Heiler, Alchimisten, Schamanen, Mystiker. Sie gaben einsilbige Antworten und konnten, während sie einem zuhörten oder nachdachten, ohne Schaudern, ja sogar mit einem Gesichtsausdruck konzentrierten Wohlgefallens, die Hand auf die Schädeldecke eines Totenkopfes legen. Auch wenn jemand nur eintrat in eine Apotheke, eine Mutter, um die zerschundenen Knie eines ihrer Kinder zu zeigen und die richtige Wundsalbe zu erbitten, ein Mann, an Brustwasser oder einem Kropf leidend oder auch nur die Wirksamkeit seines Schlafpulvers anzweifelnd, das er gekauft hatte, wagte kaum einer, ruhig zu atmen. Es gingen den Menschen, die kamen, beunruhigende Gedanken durch den Kopf, die nichts Gutes bedeuten konnten. Die Fertigkeiten so manches Apothekers streiften, wie sie glaubten, zu sehr das Undeutliche, das Dunkle, das Verbotene. Sie teilten Substanzen, destillierten, dosierten, mischten. Sie kannten die Pflanzen, ihre Wirkung, ihr Gift. Und immer war Feuer, wo sie waren.
Man erzählte sich viel. Nur sie selbst erzählten nichts.
Die Geigenbauer waren, auch die gesunden unter ihnen, gute Kunden der Apotheker. Mit dem Teufel ging es nicht zu. Aber manchmal wunderte sich einer dann doch, wie das eine oder andere Instrument nach dem Trocknen aussah, obwohl er, wie er schwören konnte, weiter nichts getan hatte, als den Öllack wie üblich auf das Holz aufgestrichen zu haben. Wieso war die Farbe dann aber plötzlich dunkler als sonst? Woher kam der unerklärlich rotfeurige Glanz? War etwas mit der Mischung? Und wenn ja, wer hatte sie zusammengerührt?
Daß Musiker, boshaft wie sie sein können, nicht nur gern Witze erzählen, sondern Geschichten, die ihr Metier betreffen, ist bekannt. Zum Beispiel die, wie es einmal auch unseren Vater erwischte, der gerade an der Arbeit an einem Cello saß. Er hatte die Teile geschnitten, zusammengeleimt, das Holz grundiert, danach bestrichen, einmal, zweimal, den Corpus auf dem Dachboden dann zum Trocknen aufgehängt und am Abend, wie er das vor dem Abendessen immer tat, noch einmal nachgeschaut – und festgestellt, daß es strahlte. Seltsam! Der Lack, dessen genaue Zusammensetzung er kannte, leuchtete. Aber warum? Er war doch mit dem Holz verfahren wie immer?
Vorhang auf. Irgendwo in Norddeutschland. Ein Alchimist – Henning Brand mit Namen – hantiert mit unedlen Metallen, auf der Suche nach dem Stein der Weisen, nach Gold, nach Silber. Dann muß er mal. Der Einfachheit halber nimmt er eine Phiole und strullert hinein. Hm, denkt er, nur sich das nicht angewöhnen – und hält die Phiole über die Flamme seines Brenners. Er sieht, wie die Flüssigkeit verdampft; und das soll sie gefälligst auch.
Auch in dieser Geschichte wird es schließlich Abend. Und siehe da, etwas in der Phiole ist nicht verdampft, ein kleiner, minimaler Rest – und dieser Rest leuchtet. Es dauert eine Weile, bis er sich auf seine Entdeckung wieder konzentrieren kann. Der ausgeglühte Rückstand, gewonnen durch die Destillation von menschlichem Harn, enthält eine leuchtende Substanz, kaltes Feuer, wie er sie nennt, griechisch phosphorus.
Vorhang auf. Kaum hatte der Apotheker (der »Zu den drei Feuern«) die Flaschen mit den Mischungen seiner Öle abgestellt, sich die Lieferung quittieren lassen, sich verabschiedet und die Werkstatt wieder verlassen, hatten Antonios Kinder (und der eine oder andere ihrer Freunde) schon wieder weiter nichts als Unsinn im Kopf, was sonst. Ließ sich mit dem, was da herumstand, denn nicht leicht ein Spiel erfinden? Was, wenn sie die Flaschen entkorkten und einen kleinen Wettbewerb starteten, wer mit seinem Strahl am genauesten in die Öffnung traf? Sie gaben sich wirklich Mühe, die Kleinen, stellten sich brav im Kreis auf, ließen die Hosen herunter, holten ihre Pißzipfel heraus und zielten – mit Erfolg, wie die Musikwelt bis heute bestätigen kann. Es müssen jedenfalls genug Tropfen getroffen haben, wie sonst erklärte sich das (immer noch) rotfeurige Leuchten eines meiner Brüder, der dann, sehr viel später, ausgerechnet auch noch den Namen Feuermann-Stradivari erhalten sollte, wie ich auf den Namen eines Cellisten getauft?
In einem Labor haben sie Mitte des vorigen Jahrhunderts, als das technisch möglich war, eine Lackanalyse durchgeführt. Sie haben doch tatsächlich die Frechheit besessen, etwas von dem Lack des Instruments abzukratzen, minimale Mengen natürlich nur, aber immerhin. Haben den so gewonnenen Staub chemisch untersucht. Und siehe da: Spuren von Phosphor.
Oder war es, von seinem Harn- und Wissensdrang gleichermaßen heftig in Anspruch genommen, am Ende der Apotheker?
Ich verstehe nichts von Geheimnissen, aber mit rechten Dingen kann es nicht zugehen, daß die Menschen darauf bestehen, es gäbe eines, was mich (und meine großen und kleinen Geschwister) betrifft. Ich weiß nicht. Sehen kann man Geheimnisse nicht, natürlich nicht, und trotzdem werde ich angestarrt, bestaunt, berührt, beklopft, ja, auch gestreichelt, in jedem Fall aber wie eine über alle Maßen kostbare Seltenheit behandelt.
Ich werde mit jedem Jahr, das es mich gibt, seltener. Wechselt mein Besitzer, steigt mein Preis. Im Augenblick bin ich fünf bis sechs Millionen wert, US-Dollar-Millionen wohlgemerkt. Eine Stange Geld, weiß Gott.
Aber geht mich das eigentlich was an? Verblüfft war ich, was diese Summen betrifft, schon vor hundertfünfzig Jahren, als es damit anfing, daß sich nicht nur der eine oder andere Hofmusiker, sondern sehr bald dann auch Sammler und Händler für mich interessierten, und das immer mehr, immer hungriger und mit jedem Mal gerissener. Plötzlich war ich als Aktie entdeckt, als Geldanlage, ein Objekt der Begierde nicht nur für Enthusiasten musikalischen Wohlklangs.
Als ich meine Lage begriff, beruhigte ich mich wieder. Mir gaben diese Summen, die ich nicht kommentieren will, jedenfalls die Sicherheit, daß auf mich aufgepaßt wird. Ich bin zu wertvoll für Schlampereien. Keine Zugluft, keine Unbequemlichkeiten, nicht das geringste Risiko. Auf mir liegen Tücher, weich wie die Abendsonne über den Feldern meiner Heimat. Wie ein rohes Ei werde ich behandelt. Allein der Name, den ich trage, ein brand name, wie das heute heißt, garantiert mir beste Pflege. Daß er den Leuten, die ihn lesen oder hören, den Kopf verdreht, ist nicht mehr zu ändern. Was soll ich tun? Die Mode ist ja nicht neu.
Hatte Antonio den Punkt getroffen? Hören die Menschen, was sie hören, tatsächlich nur, weil sie glauben wollen, es zu hören? Ich bin aber ein Cello, keine tönende Hostie! Ist denn das Absolute am Ende doch nichts anderes als eine Krankheit der Sinne derer, die sich wünschen, sich zu verwandeln, Ballast abzuwerfen, allen Ballast am besten, alles Sterbliche, alles Verderbliche, alles Fleisch? Enorm, die Materialschäden an Leib und Seele der Menschen, die sich mit ihrem Leben herumquälen. Es quält sie der Zustand ihrer Ermüdung – und gleichzeitig haben sie es mit dem Gemurmel ihrer Gedanken zu tun, das keinem von ihnen einen gesunden Schlaf garantiert. Wie ein Morphinist dem Gift ist der vom Musikgenuß Besessene seiner Droge hörig. Er verbraucht das Zeug tonnenweise und kommt doch nie ans Ende seines Glücks. Und so schleicht dieser Mensch, veredelt vom Erlebnis symphonischer Vollendung, hinaus in die Nacht, allein und ruhmlos, und erwartet vom nächsten Tag, dem er hellhörig entgegendämmert, nichts weiter als die schnelle nächste Lieferung. Und das einer Idee zuliebe, die wir Musik nennen.
Das Entzücken, daß es etwas wie mich, ein so altes Stradivari-Cello (das immer noch reist und alles andere ist als ein Museumsstück), auf dieser Welt überhaupt noch gibt, befällt selbst Leute, die mich – wie soll ich das nennen? – amerikanisiert haben. Oder wie hört sich die international auf ›Strad‹ beschleunigte und inzwischen allgemein gebräuchliche Abkürzung meines Namens an in Ihren Ohren? Meinen jedenfalls tut dieser Slang weh, mag er auch als Kompliment gedacht sein. Hat das Wall Street Journal ein Gofriller jemals Gof oder ein Montagnana Monty genannt? Aber trotzdem, ich kann mir nicht helfen, wird mir regelmäßig leicht schlecht, wenn einer dieser Auktionäre bei einer Versteigerung in Fahrt kommt mit seinem Kehlkopf, seinem Zungenflattern und dem Singsang seiner Zahlenreihen, die er wie Schneegestöber über die Köpfe der Leute im Saal niedergehen läßt, um dann, die Reliquie eines ebenholzglänzenden Hammers in der erhobenen Hand, zum Schlußakkord auszuholen. Peng! Das aufgerufene Objekt Nummer soundsoviel geht an diesen Herrn dort!
Auch das gehört zu meiner Biographie.
Wer zahlt, ist um keine eigene Hoffnung reicher. Es ging alles drunter und drüber und kaputt in Kriegen und Weltkriegen, nur nie die Kunst. Alles war Krieg und Krepieren auf Erden, und dann tauchen aus den Verstecken wir auf, die Zerbrechlichsten, jedes Instrument kostbar wie...