Wolkers | Amerikanisch kurz | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 248 Seiten

Wolkers Amerikanisch kurz


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-89581-431-0
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 248 Seiten

ISBN: 978-3-89581-431-0
Verlag: Alexander
Format: EPUB
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Erstmals auf Deutsch: Ein moderner Klassiker der niederländischen Literatur. Kort Amerikaans erschien 1962 in den Niederlanden und machte aus dem talentierten Bildhauer Wolkers auf einen Schlag einen erfolgreichen Schriftsteller. Der Roman rief Entsetzen und Bewunderung hervor. Viele waren von der unverblümten Sprache und der düsteren Thematik schockiert. Niemandem konnte jedoch entgehen, dass mit Wolkers eine neue, authentische Stimme in der Literatur erklungen war. Der Roman avancierte schnell zu einem Klassiker der niederländischen Literatur. Die Geschichte einer Entfremdung Leiden in Südholland, 1944: Die Besatzungsherrschaft der Deutschen ist unerbittlich. Die Einberufungen zum Arbeitseinsatz, die willku?rlichen Verhaftungen und die schlechte Versorgungslage prägen den Alltag und schüren die Angst. Der achtzehnjährige Kunststudent Eric ist untergetaucht, hat seine streng religiöse Familie verlassen und lebt, bedroht vom Kriegsalltag und zerrissen von seinen erotischen Obsessionen, in der verwaisten Akademie. Seit der Kindheit von einer Narbe am Kopf gezeichnet, ist er ein Außenseiter, der sich von seiner Umwelt zunehmend isoliert. Kurz vor der Befreiung durch die Alliierten steuert die Geschichte auf ein dramatisches Finale zu.

Jan Wolkers (1925-2007) war Autor, Maler und Bildhauer. Er gilt als einer der wichtigsten niederländischen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Seine Romane und Erzählungen zeichnen sich durch autobiographische Elemente aus, die u. a. in seiner Auseinandersetzung mit der beklemmenden Atmosphäre seiner Kindheit, intensiven Gefühlen der Einsamkeit und des Hasses, der Erfahrung des Todes und einer enthemmten Sexualität zum Ausdruck kommen. Die Kritik betonte die stilistische Nähe zur amerikanischen Beat-Literatur.

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1
»Splitternackt, nur hier so ’n Fummel«, sagte Peter und fasste sich genüsslich in den Schritt. Eric schaute hoch zum Kinotransparent über dem Eingang des Trianon auf der anderen Seite der Bree-straat. Eine Frau war darauf zu sehen, die auf den ersten Blick nackt schien. Ihr Schamhaar sah aus wie ein falscher Bart, der mit Bindfäden an Ort und Stelle gehalten wurde. Auf den Brüsten, mit Warzen wie fleischige Stempel, klebten Blütenblätter. Zuckende Blitze schossen aus dem Nabel über ihren Bauch: Radiowellen, ausgestrahlt an alle männlichen Antennen. Triumphierend hielt sie mit beiden Händen eine Boa Constrictor über ihrem Kopf. »Im Nabel hat sie einen Diamanten«, fuhr Peter fort. »Der bewegt sich und glitzert, wenn sie tanzt. Du glaubst es nicht.« »Wann warst du denn da«, fragte Eric abwesend. »Gestern Abend. Ich geh noch mal hin. Und vielleicht sogar ein drittes Mal.« »Ferkel!« »Ist doch klasse, so ne Frau‚ die keine Angst hat, auch bei einer Schlange so richtig zuzupacken.« Sie lachten und blieben vor dem Postamt stehen. »Ich muss einen Brief an meinen Bruder einwerfen, brauch aber noch Briefmarken«, sagte Eric. Geschickt manövrierte er sich mit seiner Zeichenmappe – er war auf dem Weg zur Kunstakademie – durch die Drehtür. In dem von zahllosen Handabdrücken fettigen Glas spiegelte sich das Kinotransparent. Er sah eine nackte Tänzerin im grünen Schatten eines bedrohlichen Männerkopfes, darunter den Titel, der in Spiegelschrift aussah wie ins Griechische übersetzt. Im Postamt saßen nur ein paar vor sich hin dösende oder schlafende alte Männer auf den Bänken an der Wand. Eric trat an einen Schalter, aber niemand saß dahinter. Auch die anderen Schalter waren verwaist. »Kann man hier noch Briefmarken kaufen«, rief er ungeduldig. Er steckte den Kopf durch die Luke: Das Personal stand auf Stühlen und schaute durch die hohen Fenster hinaus. »Dass diese Idioten noch auf die Straße gehen«, sagte ein Mädchen. »Warum bleiben sie nicht da, wo sie sind«, sagte ein älterer, fast kahler Mann im grauen Kittel. »Die fordern es doch geradezu heraus.« Eric rannte zur Drehtür. Durch den Spalt zwischen Bürstendichtung und Türpfosten konnte er hinausschauen, ohne selbst gesehen zu werden. Deutsche Soldaten kamen mit Gewehren unterm Arm vorbei. Wie Jäger in einem Rübenacker schritten sie, langsam und aufmerksam, und starrten aufs Straßenpflaster, als könnte jeden Moment ein aRebhuhn oder ein Fasan aufflattern. Plötzlich bückte sich einer, schaute noch mal genauer hin und kratzte dann mit der Innenkante seiner Stiefelsohle über den Boden. Er rief den anderen etwas zu und winkte. Vier Soldaten stellten sich um ihn herum. Er zeigte auf den Boden, als verliefe da eine Spur. Mit gesenkten Köpfen gingen sie auf die andere Seite. Eric sah, dass die Gewehrkolben, die sie unter den Arm geklemmt hatten, wie auf Kommando Richtung El-lenbogen rutschten. An der Bordsteinkante vor dem Foyer des Kinos machten sie Halt. Zwei Soldaten traten nach rechts, zwei nach links. Das Kino war geschlossen, das Foyer menschenleer. Vor der Kasse stand ein mannshoher, verglaster Aufsteller mit den Anfangszeiten der Vorstellungen und einigen Zeitungsausschnitten. Der Soldat, der in der Mitte des Foyers stehengeblieben war, ging vorsichtig da-rauf zu. Dann machte er einen Satz nach vorne und schlug mit dem Gewehrkolben gegen den Aufsteller. Er fiel um, die Glasscheibe zersprang mit lautem Klirren. Er gab den Blick frei auf einen Mann, der mit dem Rücken zur Straße auf dem Boden kniete. Es sah aus, als würde er beten. Der Soldat drückte ihm den Gewehrlauf in den Rücken. Der Mann hob die Hände und stand mühsam auf. Vor dem Soldaten humpelte er aus dem Foyer. Auf seiner Hose war am Oberschenkel ein großer roter Fleck. Die anderen Soldaten klopften ihn ab und durchsuchten seine Taschen. Dann packten sie ihn an den Handgelenken und zerrten ihn mit. »Der arme Kerl«, hörte Eric jemanden am Fenster sagen. »Guck dir das an, wie sie den ins Auto treten.« »Die haben wieder ganz schön viele eingesammelt. Stell dir vor, dein Sohn wäre darunter.« Eric dachte erschrocken an Peter, der vor dem Postamt auf ihn wartete. Hatte er sie gesehen und noch weglaufen können? Fast unmöglich, alles war so rasend schnell gegangen. Er traute sich nicht, durch die Drehtür zu gehen, um nachzusehen. Langsam ging er zu den Schaltern zurück. »Haben die auch einen mit nem langen Regenmantel geschnappt«, rief er. Sie blickten sich verstört um, als sei die Gefahr von draußen ins Postamt eingedrungen. Der ältere Mann im grauen Kittel stieg steif vom Stuhl herunter und trat an den Schalter. »In meinem Alter ungefähr«, sagte Eric. »Er hat einen langen Regenmantel an.« »Etwa auch mit so ner schönen Haarpracht«, fragte der Mann missbilligend. Eric sah ihn scharf an und strich sich die Haarlocke von seiner Stirn über die Narbe an der linken Schläfe. »Nein, er hat eine Glatze«, antwortete er. »Der Überfallwagen war schon ziemlich voll«, sagte das Mädchen. »Sie haben nur noch einen aus dem Kino rausgeholt. Der war übel zugerichtet.« »Der war’s nicht.« »Wie hast du’s denn geschafft, hier reinzukommen«, fragte der Mann und setzte sich auf den Hocker hinter dem Schalter. Mechanisch schlug er die Mappen mit Briefmarken auf. »Ich war gerade drin, als sie kamen«, antwortete Eric. »Die hätten verdammt noch mal hinter dir herkommen können. Dann hätten wir hier auch diese Sche-rereien gehabt. Warum bleibt ihr nicht zu Hause?« »Zehn Graue mit dem Wasserpferd«, sagte Eric und zog den Brief an seinen Bruder aus der Innentasche. »Du bist ja ein ganz Abgebrühter«, sagte der Mann. Widerwillig riss er einen Streifen Briefmarken ab und schob sie über den Schalter Eric zu. Ohne den Mann weiter zu beachten, klebte Eric fünf Marken auf den Umschlag und ließ die anderen in seine Zeichenmappe gleiten. Die Straße war ausgestorben wie nach einem heftigen Unwetter. Die Soldaten waren verschwunden. Eric ging zu der Stelle, wo sich der Soldat gebückt hatte. Auf dem Boden war Blut. Blutstropfen, die eine Spur bis zum Kino zogen. Er folgte der Spur bis zum Kinoeingang und bog dann links in die Gasse ein. Ich muss gleich zu Peters Eltern, dachte er. Aber vielleicht hatte er die Moffen ja doch kommen sehen. Vielleicht hatten sie es wirklich nur auf diesen einen Mann abgesehen. Vielleicht ist er doch zur Kunst-akademie gegangen. Auf der Pieterskerkgracht blieb er stehen und blickte auf die Fassade der Kunstakademie gegenüber. Auf zwei Schmucksteinen direkt unter der Dachrinne stand auf samtenem Grund in goldener Versalschrift: RUST BAART LUST UND LUST MET GOD IS RUST (RUH’ GEBIERT LUST UND LUST MIT GOTT IST RUH’). Langsam überquerte er die Straße. Links von der grünen Tür befand sich eine Tafel mit der Inschrift: Zeichen- und Malakademie ARS AEMULA NATURAE. Er suchte eine Klingel, konnte aber nirgends eine entdecken. Dann schlug er mit der Faust ein paar Mal gegen die Tür, die unter den Schlägen nachgab. Er stieß sie auf und trat in eine große Marmorhalle, von der fünf Türen abgingen, vier ockerfarbene, rechts zwei, und links zwei, und hinten zwischen zwei Bogenfenstern, durch die kaltes Licht einfiel, eine grüne. Über dieser Tür hing eine Plakette mit goldener Aufschrift: Gestiftet von Jan Kneppelhout. Plötzlich sah er, dass links eine der Türen aufgegangen war. Jemand blickte ihn aus dem Dunkel an. Als er darauf zuging, öffnete sich die Tür weit, und ein großer Mann in weißem Kittel und mit Schlapphut stand auf der Schwelle. Er sah aus wie Benitos Onkel aus dem Bilderalbum von C. Johan Kieviet Benito der junge Vagabund. Dessen Gesicht war so rot eingefärbt, dass es immer aussah, als hätte er gerade geweint. »Haben Sie geklopft«, fragte der Mann finster. »Ja, an die Eingangstür«, sagte Eric. »Aber keiner hat aufgemacht, und da bin ich halt reingegangen. Ich wollte hier malen. Nackt, wenn möglich.« »Nackt…komm lieber angezogen«, sagte der Mann laut lachend und schob unverwüstliche falsche Zähne hinter seinen wulstigen schlaffen Lippen hin und her. »Ich weiß schon, was du meinst!« fügte er hinzu. »Aber Akt, das ist schwierig. Wird einfach zu teuer. Hier arbeitet nur noch ein einziger Student, der ist ein bisschen sonderbar. Wenn ich mich nicht irre, interessiert der sich nicht für nackte Frauen. Und außerdem, die Modelle sehen alle aus wie Hungerhaken, so mager sind sie geworden. Sie schämen sich, sich auszuziehen. Kannst du nicht eine Freundin mitbringen, die nicht so...


Jan Wolkers (1925–2007) war Autor, Maler und Bildhauer. Er gilt als einer der wichtigsten niederländischen Schriftsteller der Nachkriegszeit. Seine Romane und Erzählungen zeichnen sich durch autobiographische Elemente aus, die u. a. in seiner Auseinandersetzung mit der beklemmenden Atmosphäre seiner Kindheit, intensiven Gefühlen der Einsamkeit und des Hasses, der Erfahrung des Todes und einer enthemmten Sexualität zum Ausdruck kommen. Die Kritik betonte die stilistische Nähe zur amerikanischen Beat-Literatur.



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