E-Book, Deutsch, 108 Seiten
E-Book, Deutsch, 108 Seiten
Reihe: Fortschritte der Psychotherapie
ISBN: 978-3-8444-3079-0
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Band beschreibt Instrumente, mit deren Hilfe postpartale Depressionen zuverlässig diagnostiziert werden können. Zudem wird ein multifaktorielles Entstehungsmodell dargestellt, das neben psychosozialen und physiologischen Vulnerabilitätsfaktoren auch potenziell auslösende Stressoren berücksichtigt. Praxisorientiert werden evidenzbasierte psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten geschildert. Besonders wird dabei die kognitiv-verhaltenstherapeutische Behandlung der postpartalen Depression in den Blick genommen. Neben der Darstellung spezifischer Interventionsmethoden und Hinweisen zu deren Indikation wird deren konkrete Umsetzung anhand von Fallbeispielen verdeutlicht. Das Buch geht auf häufig auftretende Probleme in der Behandlung der postpartalen Depression ebenso ein wie auf hilfreiche Lösungsmöglichkeiten. Weiterhin enthält der Band Materialien, die bei der Arbeit mit Patientinnen, die unter einer postpartalen Depression leiden, genutzt werden können – z.B. im Rahmen von Erstgesprächen, Paargesprächen, Therapiegesprächen oder zur Beobachtung der Mutter-Kind-Interaktion.
Zielgruppe
Ärztliche und Psychologische Psychotherapeut_innen, Fachärzt_innen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Klinische Psycholog_innen, Hausärzt_innen, Gynäkolog_innen, Hebammen, Kinderärzt_innen, Studierende und Lehrende in der psychotherapeutischen Aus-, Fort- und Weiterbildung.
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2 Störungstheorien und -modelle
Die Tatsache, dass ein Großteil der Frauen, die eine PPD entwickeln, auch zuvor bereits depressive Episoden durchlaufen hat, verdeutlicht, dass letztlich alle Störungstheorien und -modelle, die im Zusammenhang mit Depressionen, die unabhängig von Schwangerschaft und Wochenbett auftreten, diskutiert werden, auch auf die PPD Anwendung finden können (Hautzinger, 2023). Allerdings haben Studien gezeigt, dass es eine Subgruppe von Frauen zu geben scheint, die nicht grundsätzlich ein erhöhtes Depressionsrisiko aufweist, sondern lediglich spezifisch in Folge einer Geburt oder im Zusammenhang mit anderen Phasen starker hormoneller Veränderungen. Darüber hinaus wurde bereits deutlich, dass die Peripartalzeit mit einem deutlich erhöhten Risiko für psychopathologische Entwicklungen ganz allgemein assoziiert ist. Daher erscheint es sinnvoll, den Blick auf Faktoren zu richten, die spezifisch für die Entstehung der PPD relevant sind.
Aus heutiger Sicht können multifaktorielle Vulnerabilitäts-Stress-Modelle die Ätiologie der PPD am besten erklären. Diese gehen davon aus, dass Frauen bereits mit vorbestehenden physiologischen und psychologischen Vulnerabilitäten in die Schwangerschaft bzw. die Postpartumperiode eintreten, auf deren Boden die mit der Geburt und Postpartalzeit verbundenen Stressoren schließlich die Entwicklung einer depressiven Symptomatik begünstigen. In Übereinstimmung mit diesen Modellen zeigt sich, dass die Interaktion depressiver Vulnerabilitäten und belastender Lebensereignisse die Entstehung einer PPD und auch deren Symptomschwere prädiziert.
Die depressive Symptomatik selbst kann sich ihrerseits wiederum negativ auf verschiedene auslösende und aufrechterhaltende Faktoren auswirken. Beispielsweise ziehen sich Frauen mit PPD in vielen Fällen stark zurück, was die Qualität bestehender Beziehungen negativ beeinträchtigen kann. Auch an der |26|Vulnerabilität beteiligte Prozesse können durch die depressive Symptomatik verstärkt werden. So kommt es zu einer für Depressionen typischen Abwärtsspirale, in der sich die Symptomatik zunehmend verschlechtert. Abbildung 1 stellt diese Annahmen in vereinfachter Weise dar. Im Folgenden wird erläutert, was über die einzelnen im Modell enthaltenen Faktoren bis dato bekannt ist.
2.1 Psychosoziale Vulnerabilitätsfaktoren
Diejenigen psychosozialen Risikofaktoren für eine PPD, die in der Regel bereits vor der Schwangerschaft und Geburt des Kindes bestehen, lassen sich im Wesentlichen vier Bereichen zuordnen (vgl. auch Tabelle 4).
Ganz zentral erscheint zunächst die psychische Vorbelastung der Mutter. Wiederholt konnte gezeigt werden, dass insbesondere vorbestehende Depressionen, aber auch Angststörungen, das Risiko für eine PPD deutlich erhöhen.
Ein weiterer zentraler Faktor ist das Umfeld der Frau. So ist das Risiko einer PPD dann besonders erhöht, wenn die Qualität einer bestehenden Paarbe|27|ziehung schlecht und das Ausmaß an Unterstützung, das die Frau durch ihr Umfeld erfährt, gering ist. Dabei ist wahrscheinlich nicht das objektive Ausmaß der Unterstützung entscheidend, sondern vielmehr die Frage, ob ein „Mismatch“ zwischen der von einer Frau gewünschten und der tatsächlichen sozialen Unterstützung nach der Geburt des Kindes besteht. Darüber hinaus erhöhen belastende Erfahrungen über die Lebensspanne hinweg das Risiko für die Entstehung einer PPD.
Auch die Persönlichkeit und die Einstellungen einer Frau nehmen Einfluss auf die Entwicklung einer PPD. Beispielsweise wirken sich ein ausgeprägter Neurotizismus und ein negativer Attributionsstil ungünstig aus.
In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass soziodemografische Variablen wie etwa das Alter einer Frau weit weniger prädiktiv sind als noch vor einigen Jahren angenommen. Dennoch finden sich auch hier Assoziationen zur PPD.
Risikofaktoren im Zusammenhang mit der physischen und psychischen Gesundheit der Mutter
Frühere depressive Episoden,
prämenstruelle dysphorische Störung,
vorbestehende Angststörung,
Substanzmissbrauch,
allgemein psychische Störungen in der Vorgeschichte,
familiäre Belastung mit Depression,
chronische körperliche Erkrankung.
Umfeldbezogene Risikofaktoren
Geringe soziale Unterstützung,
konfliktreiche Paarbeziehung,
(Vorgeschichte) häusliche(r) Gewalt,
Migration,
belastende/stressreiche Lebensereignisse (u.?U. mit der Schwangerschaft assoziiert oder auch kindbezogen),
Missbrauchserfahrungen,
Probleme in der frühen Kindheit der Mutter,
allgemein gestörte Sozialbeziehungen,
ungünstige Wohnverhältnisse.
Risikofaktoren im Zusammenhang mit der Persönlichkeit und den Einstellungen der Mutter
Neurotizismus,
Persönlichkeit mit hohem Selbstanspruch,
geringes Selbstwertgefühl,
unsicheres Bindungsmuster der Mutter,
negativer Attributionsstil,
negative Einstellung gegenüber der Schwangerschaft.
Soziodemografische Risikofaktoren
Höheres Lebensalter der Mutter (bei Frauen mit Depression in der Vorgeschichte),
junges Lebensalter (bei Müttern ohne Depression in der Vorgeschichte),
Singlestatus.
|28|2.2 Physiologische Vulnerabilitätsfaktoren
Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion um die...