E-Book, Deutsch, Band 2, 208 Seiten
Reihe: Monaco-Krimis
Wolff Monaco Infernale
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-492-97639-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Fall für Hans Josef Strauß
E-Book, Deutsch, Band 2, 208 Seiten
Reihe: Monaco-Krimis
ISBN: 978-3-492-97639-8
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Moses Wolff, geboren 1969, ist Autor, Schauspieler und Komiker. Er schreibt regelmäßig für das Satiremagazin »Titanic« und ist Mitveranstalter der erfolgreichen Münchner Lesebühne »Schwabinger Schaumschläger Show«. 2015 erhielt er den Schwabinger Kunstpreis. Gemeinsam mit Arnd Schimkat hat er den mit Christoph Maria Herbst in der Hauptrolle verfilmten Romans »Highway to Hellas« verfasst. Moses Wolff wohnt in der Münchner Isarvorstadt.
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1. Kapitel
»Varoufakis! Hierher, Varoufakis!«, rief Hans Josef Strauß. Er hatte sich bereit erklärt, den Hund seines netten griechischen Nachbarn Yiannis auszuführen, da diesen eine Sehnenscheidenentzündung an der Hand plagte. Varoufakis, ein acht Monate alter, schwarzbrauner Kurzhaardackel, lief gerne an der Isar entlang, schnupperte an den Hinterteilen junger Hündinnen und markierte wie verrückt sämtliche Bäume, Sträucher und Rasenstücke. Weil der Hund eigentlich gut folgte, ließ Hans Josef ihn frei laufen. Aber an diesem Tag war er außer Sichtweite gerannt und kam nicht wieder zurück. Vielleicht hatte er eine charmante Bekanntschaft mit einer kleinen Pekinesin oder einer hübschen Pudelfrau gemacht?
»Varoufaaaakis«, schallte die Stimme des westfälischen Wahlmünchners durch die Auen. Keine Reaktion. Da fiel Hans Josef ein, dass man bei Griechen in der persönlichen Ansprache das »s« am Wortende weglässt. Also, wenn ein Grieche mit Vornamen »Costas« heißt, sagt man, wenn man ihn begrüßt: »Yiassou Costa«, also: »Grüß dich, Costa.« Sagt man in Costas’ Abwesenheit zu einer anderen Person: »Costas wohnt in Athen«, spricht man das »s« aus und sagt: »Costas si stin Athina.«
Vielleicht funktionierte dieses Prinzip ja auch bei Hunden, die von griechischen Besitzern erzogen wurden?
»Varoufaki!«, rief Hans Josef beinahe zärtlich. Siehe da, das war der Trick! Varoufakis rannte freundlich hechelnd auf ihn zu. Einmal mehr kam Hans Josef der Gedanke, dass der Gesichtsausdruck mancher Hunde an Lächeln erinnert. Warum auch nicht? Pferdewiehern klingt ja auch wie Lachen. Und Schimpansen können schöner grinsen als Menschen.
Seit seiner Trennung von Petra ging es Hans Josef Strauß rundum gut. Sein Detektivbüro war bis auf ein paar Schönheitsreparaturen fertig eingerichtet, das Verhältnis zum Vermieter war entspannt, und die Zusammenarbeit und Freundschaft mit seinem Assistenten Quirin Hausner verlief vielversprechend. Der Winter war mild gewesen, es hatte nur ein paar Tage lang geschneit, aber meistens waren die Temperaturen angenehm ausgefallen, man konnte mit dem Rad durch die Stadt fahren, und an Heiligabend hatten Quirin und Hans Josef sogar mittags am Viktualienmarkt im restlos überfüllten Biergarten gesessen. Wie schön München doch war, vor allem, wenn man sich auskannte. Über eigenartige und nur selten vorkommende Erscheinungen wie Schickimickis, Neureiche oder andere Wichtigtuer kann man mühelos hinwegsehen, dachte sich Hans Josef. In diesem Moment war er restlos glücklich, hier an der Isar, mit dem Hund, dem Geruch des klaren Wassers und der frischen Luft.
Hans Josef Strauß verkehrte am liebsten in urigen und ehrlichen Kreisen, wo man scherzte, trank und die Gemütlichkeit zelebrierte. Das war »sein Wetter«, wie er in gewohnt schlechtem Bayerisch zu verkünden pflegte. »Des ist mei Wetter.« Jeder Bayer bemerkte nach zwei Sekunden, dass er nicht von hier kam, da konnte er sich anstrengen, so sehr er wollte. Er war einfach völlig unbegabt, diesen Dialekt zu sprechen, was seinen Freund Quirin und andere Einheimische regelmäßig dazu verlockte, ihm frei erfundene Wortschöpfungen als bayerische Ausdrücke beizubringen. Die Bayern amüsierten sich dann köstlich, wenn Hans Josef Strauß die neu erlernten Begriffe in seinem unbeholfenen Bayerisch mehrfach wiederholte, um sie sich langfristig einzuprägen. Somit fanden die völlig absurden Kreationen »Roass« statt »Reis«, »Beitzler« statt »Aschenbecher«, »Zuazd« statt »Zimt« und »preimad« statt »lecker« dauerhaft Einzug in Hans Josefs Wortschatz. Er verwendete sie gern in Wirtshäusern oder beim Einkaufen – sehr zur Verwunderung der restlichen Anwesenden. Aber er war so intensiv mit der exakten Aussprache befasst, dass er nicht mal im Entferntesten auf die Idee gekommen wäre, man könnte ihn leicht schadenfroh, aber liebevoll zum Narren halten. Die irritierten Reaktionen schob er auf seine ungenaue Aussprache, an deren Verbesserung er kontinuierlich arbeitete.
Hans Josef Strauß entschied, beim Flaucher kehrtzumachen und denselben Weg wieder zurückzulaufen, nicht zuletzt, weil er sehen wollte, ob Varoufakis die Stellen ein zweites Mal markieren würde. Es war Mitte März, ein paar Bäume schlugen schon aus, und die Isar rauschte heiter vor sich hin.
Im Augenblick arbeitete er mit Quirin an einem Fall von übler Nachrede. Ein Taxifahrer aus dem Landkreis Maisach hatte sie engagiert, um herauszufinden, ob Kollegen aus München bewusst falsche Gerüchte über ihn streuten, um ihm das Leben schwer zu machen und seine Kundschaft abzuwerben. Der Grund für den Verdacht war, dass der Maisacher für seine legere Art geschätzt wurde und daher nie unbesetzt war oder an Taxiständen herumstand. Er freute sich über eine Vielzahl an Stammkunden und hatte somit kaum Leerfahrten oder Umsatzeinbußen, was manch anderen Fahrern ein Dorn im Auge war. Darum wurde ihm unterstellt, er würde Fahrten zusammenlegen und teilweise vier Fahrgäste mit unterschiedlichen Zielen gleichzeitig befördern, um Zeit zu sparen, dann aber alle vier einzeln abkassieren, was ja schließlich Betrug sei. Es hatte diverse anonyme Anschwärzungen bei der Taxizentrale gegeben. Der Maisacher Fahrer, dessen Spitzname aufgrund seiner großen Vorliebe für Oldschool-Hip-Hop »Grandmaster Flash« war, hatte bereits bestimmte Kollegen im Verdacht und beauftragte die beiden extravaganten Detektive mit entsprechenden Testfahrten, um unauffällig herauszufinden, ob schlecht über ihn gesprochen würde oder nicht. Ein kleiner, aber nicht uninteressanter Fall, der den zusätzlichen Luxus kostenloser Taxifahrten für die beiden mit sich brachte.
Hans Josef überlegte gerade, ob er heute Abend mit dem Taxi zu seinem Date mit einer sehr netten Nürnbergerin, die er am Faschingsdienstag im »Valentinstüberl« in der Dreimühlenstraße kennengelernt hatte, fahren sollte, als Varoufakis aufgeregt zu bellen begann.
»Was ist los, Varoufakis?«, fragte er, besann sich dann aber und wiederholte die Frage noch einmal korrekt: »Was ist los, Varoufaki?« Der Hund schien etwas entdeckt zu haben. Hans Josef eilte zu ihm und stellte fest, dass Varoufakis einen bestimmten Punkt im Gebüsch anbellte. Was war da bloß? Eine Maus? Oder eine Katze? Nein, da lag nur eine leere Bierflasche. Vielleicht hatte Varoufakis Durst? Aber die Isar war ja nur wenige Meter entfernt. Hunde wittern und finden Wasser sofort. Diese Möglichkeit schied also aus. Man kann ja die Gedanken von Hunden nicht immer erahnen, also entschied Hans Josef, dass es sich bei Varoufakis’ Aufregung wohl um ein unergründliches Tier-Phänomen handeln müsste. Aber das Bellen war auf die Dauer etwas nervig, dagegen wollte er etwas unternehmen. Er überlegte, welche griechischen Wörter er kannte. Sigá, das hieß: Immer mit der Ruhe oder Mach mal halblang. Vielleicht funktionierte das ja.
»Sigá!«, rief er, aber Varoufakis bellte unaufhörlich weiter. Was gab es noch für Möglichkeiten? Vielleicht Sitz? Was hieß denn noch mal Sitz? Setz dich hin hieß katse kato, was so ähnlich klang wie Kater Karlo, darum hatte er es sich merken können. Sitz hieß dann vermutlich nur katse. Oder nur kato. Je nachdem. Er versuchte die erste Variante und sagte laut und deutlich: »Katse!« Und tatsächlich – Varoufakis sah ihn an, setzte sich und hörte auf zu bellen. Na also, geht doch! Hans Josef war zufrieden mit sich selbst. Es ist schon besonders blöd, wenn man zu einem Hund »Katze« sagen muss, dachte er, als sein Smartphone klingelte. Er hatte eine neue Melodie eingestellt, »Gsund gstorbn« des österreichischen Liedermachers Christoph Theussl, von dem er zwei Alben besaß. Er holte sein Handy hervor und spähte auf das Display. Es war Quirin.
»Bei der Arbeit«, meldete sich Hans Josef und versuchte damit originell zu sein.
»Hans Josef, Servus!«, begrüßte Quirin seinen Freund und Kollegen. »Du, ich hätt was Interessantes. Grad hat mich ein befreundeter Schriftsteller angerufen. Da ist eine junge Frau in einer Künstlerwohnung an einer Rauchvergiftung gestorben. Kurz bevor sie im Finale bei einem großen Poetry Slam auftreten sollte. Angeblich ein Unfall, aber die Geschichte hört sich komisch an. Die Polizei hat das wohl als Unfall abgestempelt und wird daher keine weiteren Untersuchungen anstellen. Wir sollten also tätig werden.«
»Was ist denn ein Poesie-Tramp?«
»Poetry Slam, das sind Dichterwettstreite, die so seit zwanzig Jahren auch bei uns stattfinden. Das stammt, glaub ich, aus Amerika.«
»Und war das dann eine Dichterin, die da gestorben ist?«
»Ja, so was Ähnliches. Das sind nicht zwangsläufig Dichter, sondern manchmal einfach kreative Menschen, die Texte schreiben und vor Publikum vortragen.«
»Ah, ich glaub, ich hab schon mal von so einer Veranstaltung gehört. Da entscheidet dann das Publikum durch Klatschen, wer gewonnen hat, oder?«
»Genau. Und die Verblichene ist ins Finale geklatscht worden. Aber anderthalb Stunden vor ihrem Auftritt hat sie auf unerklärliche Weise das Zeitliche gesegnet.«
»Interessant«, murmelte Hans Josef Strauß, legte den Kopf leicht schief und blickte in Münchens nachmittäglichen Himmel. Es waren viele Wolken aufgezogen, und es roch nach Regen. Ach, wie er diese Stadt liebte! Und wie schön, dass immer und immer wieder von selbst Mandanten auf sie zukamen und sie mit höchst spannenden Fällen versorgten.
»Wer ist denn dieser Freund von dir, der dich angerufen hat?«, fragte Hans Josef weiter.
»Ein Autor und Kolumnist, den ich schon lang kenn. Arbeitet für die Süddeutsche. Der war an dem...