E-Book, Deutsch, 560 Seiten
Wolfe" "Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel!"
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95690-485-1
Verlag: AuraBooks - eClassica
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 560 Seiten
ISBN: 978-3-95690-485-1
Verlag: AuraBooks - eClassica
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thomas Wolfe: Schau heimwärts, Engel! (Originaltitel: ›Look Homeward, Angel!‹)
Mit verlinkten Fußnoten und eBook-Inhaltsverzeichnis sowie einem aktuellen Vorwort des Herausgebers & Kurzbiographie des Autors
»Einer der bedeutendsten amerikanischen Romane – Ein Befreiungsbuch wie ›Der Fänger im Roggen‹«
Der Erstlingsroman des damals 29-jährigen Thomas Wolfe war ein Fanal, ein »Urknall«, wie der Rezensent Stefan Zweifel in der ZEIT schreibt. Wolfe schrieb sich die Wut von der Seele, in einer »sich aufwölbenden, lavaartigen Sprache«, wie man sie bis dahin noch nicht gehört hatte. Das Buch wurde zur »Bibel aller Pubertierenden«, die sich der Welt bemächtigen wollen – und damit zum natürlichen Vorgänger des ›Fänger im Roggen‹.
Es ist alles andere als eine heile Welt, in die der Romanheld Eugene Gant hineingeboren wird. Trotz oder gerade deswegen bringt der junge Gant, der Schriftsteller werden möchte, eine unbändige Lebenslust mit. Aus einer drei Generationen überspannenden Chronik erwächst ein Sittenbild, eine Art Psycho-Analyse der Vereinigten Staaten. Streckenweise liest sich das Buch wie eine Abrechnung mit dem scheinheiligen ›American Way of Life‹. Aber es ist auch ein Loblied auf die ungebrochene Vitalität des Landes.
© eClassica, 2015
Über den Autor:
Thomas Wolfe (1900–1938) wurde als letztes von acht Kindern in Asheville, North Carolina, als Sohn einer irisch-schottischen Mutter und eines Deutsch-Amerikaners geboren. Nach einer Tätigkeit als Dozent an der Universität New York, brachte er sein erstes Buch ›Look Homeward, Angel‹ heraus, das zu einem gewaltigen Bestseller wurde. – Wolfes unersättlichem Hunger nach Neuem, gepaart mit einem ekstatischem Arbeitstrieb, wurde ein vorschnelles Ende gesetzt. Er starb 1938 an Tuberkulose und wurde in seiner Heimatstadt Asheville im Familiengrab beigesetzt. William Faulkner: »Thomas Wolfe war der überragende Autor seiner Generation.« © eClassica, 2015
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eClassica – Die Buchreihe, die Klassiker neu belebt.
Weitere Infos & Material
Zweites Buch XIV Der Pflaumenbaum wiegt sich steif im Winterwind. Seine kleinen Zweige, schwarz und spröde, sind zu tausendmaltausend Eisspeeren gefroren. Wenn's aber lenzt, wird er wieder jung werden. Schwer und geschmeidig wird er sich unter der Last von Blüte und Frucht biegen. Pflaumen werden reifen. Wenn der Wind in den Obsthag fährt, werden die Pflaumen, verzweifelt von den dünnen Stielchen gerüttelt, geborsten auf die mulmige, warmfeuchte Erde fallen. Die Luft wird voll sein vom Laut fallender Pflaumen, die Nacht wird voll sein vom Laut fallender Pflaumen, und ein ganzer Baum voller Vögel wird singen. Ja, von Keimlauten, Blühlauten, vollen, warmkehligen, pflaumenfallenden Vogellauten wird die Luft erfüllt sein. Die harte Bergscholle ist aufgetaut und locker geworden; weicher, reicher Regen fällt; zarthalmiges, frisches Gras, wie ein dünner Flaum aufgesproßt, bedeckt strichweise das Land. Meines Bruders Ben Gesicht – dachte Eugen – ist wie aus einem Stück leicht angegilbtem Elfenbein geschnitzt. Seine hohe, weiße Stirn ist kühn und knollig, weil er die Brauen herunterzieht wie ein alter Mann. Sein Mund ist wie ein Messer, sein Lächeln wie ein Lichtschein auf einer Klinge. Sein Gesicht ist wie eine Klinge und wie ein Messer und wie ein flackernder Lichtschein; es ist zärtlich und heftig, es blickt immer so schön finster drein, wenn er Dinge, die er sich einprägen will, anguckt oder sie mit seinen harten weißen Fingern anfaßt. Ganz gesammelt und scharf zieht er die Luft durch die lange spitze Nase. So kommt's, daß Frauen, die ihn ansehn, eine aufwallende Zärtlichkeit für ein spitzes, knolliges, stets finster dreinblickendes Gesicht empfinden. Sein Haar glänzt wie das Haar eines kleinen Jungen, es ist kraus und spröd wie Endiviensalat. In die aprilnen Vortagstraßen geht Ben. Die Nacht ist hell, von kühlen, zarten Sternen besät. Ben schleicht sich leis aus dem Haus. Sein helles Gesicht steht dunkel unter den Obstbäumen; ein Geruch von Nikotin und Schuhleder kommt zu den jungen Blüten. Ben setzt die Füße einwärts beim Gehen. Sein Tritt hallt wie Musik durch die leeren Straßen. Im Springbrunnen am Stadtplatz schwappt träge das Wasser. Alle Feuerwehrmänner schlafen; aber Big Bill Merrick, der brave Nachtschutzmann mit dem Schweinskopf, lehnt an der Theke in der Frühstücksbar, trinkt Kaffee und ißt Mince-Pie. Der gute, warme Geruch der Druckerschwärze weht in Wolken auf die Straße. Ein Zug, der in den Frühlings-Süden fährt, pfeift lang. Die Zeitungsträger gehen ins Dunkel, an den kühlen Obstgärten vorbei. Negerinnen dehnen erwachend ihre kupfernen Glieder in den dunklen Verschlagen. Reinlich murmelt der Bach in der Schlucht. Ein Neuer, Nummer 6, hörte, wie die Buben von Foxie sprachen. »Wer ist Foxie?« fragte Nummer 6. »Ein Aufpasser! Gib acht, daß er Dich nicht erwischt, der Bastard!« »Vorige Woche hat er mich dreimal ertappt, jedesmal im griechischen Lunch-Room. Nicht mal essen können sie einen lassen!« Nummer 3 dachte an Freitag – er hatte die Route im Negerviertel. »Wieviele, Nummer 3?« »162.« »Wieviele Totenköpfe hast Du darunter?« fragte Mister Randall zynisch. »Hebst Du je das Geld dort ab?« fügte er hinzu, während er im Buch nachschlug. »Er läßt sich in Poon-Tang bezahlen«, sagte Foxie grinsend. »Eine Woche freie Zustellung für die Dosis.« »Was willst Du denn überhaupt?« bockte Nummer 3 streitsüchtig auf. »Seit sechs Jahren machst Du Stunk wegen dieser Leute.« »Mach mit den Niggern, was Du willst«, sagte Mister Randall. »Aber das Geld für die Zeitung muß her.« Randall wandte sich an Ben. »Hör mal, Ben, nächsten Samstag gehst Du mit ihm auf die Route.« Ben lachte still, zynisch. »Ach, Du mein Gott!« sagte er. »Ich soll also diesem kleinen Gauner mal auf die Pfoten schauen. Na, ich kann Dir's von vornherein verraten, Randall, er beschummelt Dich seit einem halben Jahr.« »Schon gut!« sagte Randall verärgert. »Das sollst Du jetzt endgültig klarstellen.« »Bei Gott«, sagte Ben verächtlich, »dieses Früchtchen hat Nigger auf der Liste, die seit fünf Jahren tot sind. Das hast Du davon, daß Du jeden hergelaufenen kleinen Gauner anstellst.« »Nummer 3«, sagte Randall, »wenn Du die Sache nicht in Ordnung bringst, dann gebe ich die Route einem andern Buben.« »Zum Teufel«, maulte Nummer 3, »tun Sie's doch! Mir ist's schnuppe!« »Um Gottes willen, nun hör Dir das an, bitte«, wandte sich Ben leis lachend an seinen Engel und deutete mit einer Kopfbewegung auf Nummer 3. »Ja, hör Dir das Ding an, das sag ich auch«, begehrte Nummer 3 rauflustig auf. »Schon gut, Kleiner, lauf und trag Deine Zeitungen aus, eh Dir was wehtut«, sagte Ben und sah den Buben finster an. »Du Gauner«, bemerkte er angewidert, »ich hab 'nen kleinen Bruder zu Haus, der taugt mehr als sechse von Deiner Sorte.« Der Frühling lag wie ein Duftschleier auf der Erde. Die Nacht war wie eine kühle Schale, mit fliederfarbnem Dunkel, mit jungem Gartengeruch gefüllt. Gant schlief schwer. Er schnarchte, daß die Fenster schepperten. Und mit kurzen Explosionsdonnern schickte sich die Kleinbahn Nummer 36 an, die Saluda Avenue hinaufzufahren. Die Lokomotive bockte, die Räder sausten, ohne die Spur zu fassen. Der Maschinist Tom Cline starrte mit ernstem Gesicht hinunter in den milchigen Nebelbrodem der Schlucht und wartete ab. Die Lokomotive lief an, blieb stehen, faßte die Fahrspur und pflügte langsam, wie ein in den Harnisch gesträngtes Maultier, bergan. Zufrieden lehnte sich Tom Cline hinaus und schaute. Das Sternenlicht glomm matt auf den Schienen. Er aß ein dickes, mit kaltem Braten belegtes Butterbrot; er zerriß es mit seinen großen, rußigen Fingern. Ein Geruch von Lorbeer und Hundsholz kam durch die Kühle. Die Anhängewagen klapperten auf dem Geleis. Der Weichensteller, trübe gebadet im gelben Licht seiner gefährlich am Steilhang lehnenden Hütte, stand stur am Stellblock. Tom, nachdenklich kauend, stierte durch seine Schutzbrille lange auf den Weichensteller herab. Er hatte noch nie ein Wort mit ihm gesprochen. Dann wandte er sich ab, nahm stillschweigend die mit kaltem Kaffee halbgefüllte Flasche, die ihm sein Heizer reichte, und schwenkte sich die Gurgel mit großen Schlucken. Das Haus Valley Street Nummer 18 ist eine rotgestrichne, gelbschleimige Holzhütte mit einer baufälligen Veranda vor der Tür. Nummer 3 warf die frischgedruckte, zu einem rechteckigen Block gefaltete Zeitung flach gegen die Tür. Das Bündel schlug wie ein Holzscheit auf, das morsche Bretterwerk knarrte. In der Stube regte sich May Corpening, sie reckte ihre kupferfarbnen Beine in der fötiden Bettwärme und murmelte etwas, als wäre sie betäubt. Harry Tugman zündete eine Zigarette, Marke Camel, an und zog den Rauch tief in die mächtige, von Druckerschwärze gefleckte Lunge, während er zusah, wie die große Presse langsam stoppte. Seine Arme waren nackt, er hatte Muskeln wie Maschinenkolben. Er ließ sich faul in einen knarrenden Korbsessel fallen und überflog das warme scharfriechende Blatt. Tabakrauch kräuselte langsam aus seinen Naslöchern. Er warf die Zeitung weg. »Teufel, was für ein Umbruch!« sagte er. Ben kam die Treppe herunter, mißlaunisch, die Brauen finster gerückt, und latschte durch den Druckersaal zum Eisschrank. »Um Gottes willen«, rief er dem Mann, der den Umbruch machte, gereizt zu, »hast Du denn nie was anderes in diesem alten Eisschrank außer Wurzelbier und Sauermilch, Mac!« »Herrgott, was verlangst Du eigentlich?« sagte Mac. »Na, ab und zu möchte man mal 'ne Flasche Coca Cola vorfinden. Der alte Mister Candler in Atlanta stellt dieses Gesöff nämlich immer noch her«, sagte Ben bissig. Harry Tugman warf die Zigarette weg. »Diese Nachricht ist hier noch nicht eingelaufen, Ben«, sagte er. »Du mußt warten, bis die Leute die Aufregung des Bürgerkriegs überstanden haben. Hopp!« rief er und sprang plötzlich auf, »gehn wir 'rüber in den ›Fettlöffel‹!« Er ging ans Waschbecken und hielt seinen großen Kopf unter den Hahn. Erfrischend lief ihm das Wasser über den breiten Nacken, das weißblaue, übernächtig-fahle, hungrig zähe Gesicht. Er wusch sich die Hände, daß der Schaum schlabberte; seine Armmuskeln spielten wie Schlangen. Er sang in seinem dröhnenden Quartettbariton: »Gib acht, gib acht, gib acht,
Manch tapfres Herz liegt in der Tiefe und ruht.
Gib acht, gib acht, gib acht.« Es war vollkommen still geworden im warmen Druckersaal. Die Büros im ersten Stock schliefen, in gelbgraues Licht gebadet, wie übermüdete Männer. Die Zeitungsträger waren auf ihren Routen. Es schien, als ob der ganze Bau langsam und schwerfällig atme. Der Himmel war mattperlgrau am Horizont. Sonderbar, scharf, bruchstückweise erwachte das Leben im fliederfarbenen Dunkel. Klapp-klapp-klapp hallte es gemächlich auf der Straße. Mistress Goulderbilts Milchgaul Nummer 6, eine stattliche bräune Stute, zog den kremfarbnen, glasklinkernden, mit extrasahniger, teurer Flaschenmilch vollbeladnen Molkereiwagen. Der Fahrer, der gesund nach frischem Schweiß und Milch roch, eine Haut wie Milch und Blut hatte, war ein junger Farmerbursch. Zwölf Kilometer war er von Biltburn her über die sternhellen betauten Felder und durch die Wälder zur Stadt gefahren. Im Pisgah-Hotel,...