E-Book, Deutsch, 720 Seiten
Wolfe Schau heimwärts, Engel!
1. Auflage 2016
ISBN: 978-80-268-5138-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klassiker der amerikanischen Literatur
E-Book, Deutsch, 720 Seiten
ISBN: 978-80-268-5138-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Schau heimwärts, Engel!' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Thomas Wolfe versuchte in seinem Roman 'Schau heimwärts, Engel!' hinter die Geheimnisse des Lebens zu kommen. Dieses stark autobiographische Zeugnis ist der bedeutenste Roman von Thomas Wolfe. Der Titelheld Eugene Gant wächst in der amerikanischen Kleinstadt Catawba auf. Doch der Schein des häuslichen Lebens trügt... Thomas Wolfe (1900-1938) war ein amerikanischer Schriftsteller. In dem expressionistischen Dichter Hans Schiebelhuth fand er für seine ersten beiden Romane einen kongenialen Übersetzer, der dazu beitrug, dass Wolfe sich zeitweise in Deutschland höher geschätzt fühlte als in seiner Heimat. In Amerika gehörte William Faulkner, in Deutschland Hermann Hesse zu seinen Bewunderern. Aus dem Buch: 'Gant schob seine schwere Reisetasche mit dem Knie vor sich her, stellte sie einen Augenblick hin, ehe er das Stück bergab zu seinem Haus ging. Die Straße war ungepflastert, die lehmige Erde war in Klumpen gefroren. Der Weg war abschüssiger, kürzer, näher als Gant gedacht hatte. Nur die Bäume sahen groß aus. Gant sah, wie Duncan in Hemdsärmeln die Morgenzeitung von seiner Veranda hereinholte ... Werde ihn später sprechen. Jetzt dauert's zu lang ... Ganz wie er erwartet hatte, stieg eine dicke Rauchsäule aus dem Schornstein des Schotten, aber sein Schornstein rauchte nicht.'
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III
Inhaltsverzeichnis In der Prozession der Jahre, in denen die Geschichte der Familie Gant sich vollzog, sind nur wenige mit Schmerz, Schrecknis und Elend so beladen gewesen wie das, mit dem das 20. Jahrhundert begann. 1900 wurde Gant fünfzig. Er wußte, daß er halb so alt war wie das ausgegangne Jahrhundert, daß Menschen nur selten ein Jahrhundert alt werden. Eliza, die mit dem letzten Kind, das sie gebären sollte, schwanger ging, überstand ihre letzte verzweifelte Angst. In der üppigen Dunkelheit von Sommernächten, als sie ausgestreckt, die Hände auf dem verschwollenen Leib, im Bett lag, begann sie, ihr Leben für die Jahre, in denen sie nicht mehr Mutter werden würde, zu planen. Der Golf, an dessen gegenüberliegenden Küsten ihr und Olivers Leben gegründet waren, lag weit offen vor ihr. Mit unendlicher Geduld und instinktiv prophetischer Gefaßtheit spähte sie aus. Die fast buddhistische Stille ihres Wesens, die sie weder unterdrücken noch verleugnen konnte, brachte Gant, da er sie am wenigsten verstehen konnte, am meisten in Wut. Er war fünfzig, war sich seines Alters tragisch bewußt. Er sah, daß die leidenschaftliche Fülle der Lebenskraft für ihn entschwand, und benahm sich sinnlos wie ein gereiztes Biest. Eliza hatte vielleicht mehr Grund zur Stille als er. Sie hatte von Kind auf Schweres durchgemacht, hatte in der Ehe Tod und Elend, Kinderkriegen und Krankheit überstanden. Nun war sie zweiundvierzig. Das letzte Kind regte sich in ihrem Leib. Sie war abergläubisch davon überzeugt – und die blinde Eitelkeit der Pentlands, die aller Welt Ende, nur nicht das ihrer Sippe, voraussahen, bestätigte sie hierin –, daß sie zu etwas Besonderem bestimmt sei. Da lag sie in ihrem Bett und sah durchs Fenster einen großen Stern am Westhimmel brennen. Sie bildete sich ein, daß der Stern langsam steige. Und obschon sie unmöglich zu sagen vermocht hatte, zu welchem Gipfel ihr Leben nun führte, so sah sie doch in der ungekannten zukünftigen Freiheit die Fülle von Besitz und Wohlstand für sich. Die Lust danach brannte ihr unauslöschlich im Blut. Sie erging sich in der Vorstellung, sie schürzte die Lippe im Dunkeln, sie schaute sich selber im Geiste, wie sie im Karneval des Lebens aus den Händen der Narrheit leichthin das Gut nahm, das noch nie ein Mensch zu halten wußte. »Ich werd' es kriegen, ich werd' es kriegen!« dachte sie. »Will hat es. Jim hat es. Und ich bin gescheiter als sie.« Mit bitterem, peinigendem Bedauern dachte sie an Gant. »Schauderhaft! Nicht einen Nickel hätte er, wenn ich mich nicht um ihn gekümmert hätte. Um jede Kleinigkeit habe ich kämpfen müssen. Sonst hätten wir nicht einmal ein eignes Dach überm Kopf und müßten auf unsre alten Tage in Miete wohnen.« In Miete wohnen müssen aber war für sie die endgültige Schande, die Verschwender und unfürsorgliche Menschen befällt. »Für das Geld allein, das er jährlich für Whisky ausgibt«, dachte sie weiter, »könnte man einen schönen Bauplatz kaufen. Ach, wir könnten es zu wahrem Wohlstand gebracht haben, wenn wir gleich angefangen hätten. Aber er hat immer schon den bloßen Gedanken an Besitz gehaßt. Er sagte mir einmal, er könne ihn nicht ertragen, seit er bei dem Handel in Sidney all sein Geld verlor. Wenn ich nur damals schon bei ihm gewesen wäre! Meinen letzten Dollar will ich wetten, daß die andern statt seiner verloren hätten«, fügte sie trotzig hinzu. Da lag sie, die Frühherbstwinde fegten mit dem Rauschen ferner großer Bäume und welkem Laub ins nächtige Tal. Sie dachte an den Fremdling, der in ihrem Leib zu leben begonnen hatte, und an den anderen Fremdling, den Urheber von so viel Leid, der nun fast zwanzig Jahre mit ihr gelebt hatte. So oft ihre Gedanken auf Gant kamen, spürte sie ein schmerzlich-elementares Wundern über die wüste offne Fehde und den großen heimlichen Kampf, den ihre Habgier gegen seinen unverständlichen Haß auf Besitz führte. »Ich schwör' es«, flüsterte sie, »einen solchen Menschen gibt es nicht zweimal.« An ihrem Endsieg zweifelte sie nicht. Gant stand dem Abklingen seiner sinnlichen Genußfähigkeit gegenüber. Er merkte, daß dem Unmaß im Essen, Trinken und Lieben nun Dämme gesetzt waren, und wußte um keinen Gewinn, der diese Einbuße aufwiegen könne. Audi er spürte den Stachel der Reue. Er hatte Kraft vergeudet. Er hatte gute Gelegenheiten – zum Beispiel die Partnerschaft mit Will Pentland, die ihm Ansehen und Reichtum gebracht hätte – verpaßt. Die besten Jahre seines Lebens waren vertan. Mehr denn je empfand er die Fremdheit und Einsamkeit unsres kleinen Abenteuers auf Erden. Er dachte zurück an seine Kindheit auf der Farm bei den Pennsylvania-Deutschen, an seine Lehrzeit in Baltimore, an seine ziellosen Wanderjahre über den Kontinent, an die auffallende Verknüpfung seines Daseins mit einer Kette von Zufällen. Die riesenhafte Tragödie des Zufalls hing wie eine graue Wolke über ihm. Klarer denn je sah er ein, daß er fremd unter Fremden in der Fremde lebte. Am fremdesten aber kam ihm seine Ehe vor, in der er Kinder, abhängiges Leben, gezeugt hatte, diese Verbindung mit einer Frau, die ihm so völlig wesensfern war. Er wußte nicht, ob das Jahr 1900 einen Anfang oder ein Ende für ihn bedeute. Mit der bekannten Schwäche des Sensualisten beschloß er, es als ein Ende zu betrachten und die Reste der Lebenskraft in einer lodernden Flamme zu verbrennen. In der ersten Hälfte des Januar zeugte er ein Kind. Im Frühling, als Elizas Schwangerschaft offenbar war, stürzte er sich in eine heftige Whiskyorgie, mit der verglichen selbst seine sechzehnwöchige Sauferei im Jahre 1896 nichts war. Tag um Tag war er wahnsinnig besoffen, die Trunksucht artete in dauernde Raserei aus. Im Mai schickte ihn Eliza in eine Heilstätte in Piedmont. Die Kur bestand darin, daß er sechs Wochen lang schlechtes billiges Essen bekam und jeglichem Alkohol ferngehalten wurde. Er kam Ende Juni zurück, äußerlich gebessert, innerlich wütend vor Hunger und Durst. Am Tag vor seiner Heimkehr ging die hochschwangere Eliza mit entschlossenem Gesicht in jede der vierzehn Bars im Städtchen, suchte den Eigentümer oder Schankhalter hinter der Theke auf und sprach laut und vernehmlich vor der dumpfen Gesellschaft der Gäste: »Hören Sie, ich bin hereingekommen, um Ihnen zu sagen, daß Mister Gant morgen zurückkehrt, und ich möchte Sie alle wissen lassen, daß ich jeden, der ihm etwas ausschenkt, vor Gericht und ins Gefängnis bringen werde!« Diese Drohung, das wußten sie alle, war hochstaplerisch. Aber das strenge weiße Gesicht, die gedankenvoll geschürzte Lippe, die männisch-gehaltene Hand mit dem ausgestreckten Zeigefinger verliehen der Ankündigung einen unheimlichen Nachdruck. Bierdumpf hörten die Männer sie an; höchstens daß einer oder der andre eine überraschende Zustimmung ihr nachmurmelte, während sie hinausging. »Wahrhaftiger Gott!« bemerkte ein Mann aus dem Gebirg und sandte einen langen Kautabakspritzer aus dem Mundwinkel in den hohen Messingspucknapf, »die wär dazu imstand! Die macht Ernst.« »Teufel auch«, sagte Tim O'Donnell und wackelte komisch mit seinem Affenkopf hinterm Schanktisch, »ich würde mich nicht trauen, dem Gant was auszuschenken, und wenn der Whisky nur fünfzehn Cents das Quart wäre und es säßen keine Zeugen dabei. Ist sie weg?« Die Männer lachten angeheitert und laut. »Wer ist sie?« fragte jemand. »Will Pentlands Schwester.« »Bei Gott, dann macht sie Ernst!« riefen mehrere, und die Bar dröhnte vor Gelächter. Will Pentland saß in Loughrams Bar, als Eliza eintrat. Sie grüßte ihn nicht. Als sie hinausgegangen war, wandte er sich an einen der Herumsitzenden und bemerkte nach einem vogelhaften Nicken und Zwinkern: »Ich wette, daß Sie das nicht fertigbrächten.« Dem heimgekehrten Gant wurde in den Bars nichts ausgeschenkt. Er tobte vor Wut. Natürlich war es ihm ein leichtes, sich Whisky holen zu lassen: er schickte einen Fuhrmann, der bei ihm zu tun hatte, oder irgendeinen Neger danach. Aber er war mit den Jahren, obschon er wußte, daß sein Benehmen eine klassische Mythe für die Kinder im Städtchen war, äußerst empfindlich für jeden Hinweis auf seinen Leumund geworden. Auch schämte er sich insgeheim seiner Trunksucht, besonders wenn er verkatert war. Nun war sein Stolz aufs bitterste verletzt. Er schrie, daß Eliza ihn böswillig vor aller Öffentlichkeit herabgesetzt und gedemütigt hätte, und schimpfte maßlos mit ihr. Den ganzen Sommer lebte Eliza in einer weißen, ahnungsvollen Stille dahin. Sie war nun schon an die Schrecken gewöhnt. Mit furchtbarer Ruhe erwartete sie allabendlich die Wiederkehr ihrer Angst. Gant, den ihre Schwangerschaft verdroß, ging jeden Abend in Elisabeths Freudenhaus in Eagle Crescent, wo er dann in später Stunde von ein paar verbrauchten und erschreckten Huren der Obhut seines ältesten Sohns Steve übergeben wurde. Steve verstand bereits, mit den Weibsleuten dieses Distrikts frech und frei umzugehen. Sie verhöhnten ihn mit vulgärer Gutmütigkeit, lachten über seine schlüpfrigen Anspielungen und machten sich nichts daraus, wenn er ihnen einen festen Klaps auf den Hintern gab und dann ihren plumpen Haschversuchen gewandt entschlüpfte. »Junge, Junge«, sagte Elisabeth und gab Gants Kopf einen Stoß, daß er wackelte, »gib ja acht, daß Du nicht nach diesem alten Gockel gerätst. Er kann auch ganz nett sein, wenn er sich Müh gibt«, fuhr sie fort, und während sie Gant auf die Glatze küßte, ließ sie die gefüllte Brieftasche, die er ihr zuvor in heftig aufwallender Freigebigkeit geschenkt hatte, in Steves Hand gleiten. Sie nahm's mit der Ehrlichkeit sehr genau. Steve wurde auf...