Wolfe | John Sinclair - Folge 1906 | E-Book | www2.sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 1906, 64 Seiten

Reihe: John Sinclair

Wolfe John Sinclair - Folge 1906

Fenster zur Vergangenheit
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-0832-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Fenster zur Vergangenheit

E-Book, Deutsch, Band 1906, 64 Seiten

Reihe: John Sinclair

ISBN: 978-3-7325-0832-7
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Richard Norwood stieg über einen löchrigen, fleckigen Schlafsack und ein paar Bretter, die von der Decke herabgestürzt waren. Er kam an einem Gang vorbei, der tiefer in das verfallene Haus führte. Richard leuchtete hinein und erstarrte, als der Lichtstrahl über einen haarigen Lumpen auf dem Boden glitt. Was, zum Henker, war das? Ein zerfetzter Pelzmantel? Ein Überbleibsel aus der Garderobe der Menschen, die hier einst gelebt hatten? Richard Norwood ging langsam auf das Fellbündel zu. Als er erkannte, was da vor ihm lag, wurde ihm schlecht. Das war kein Pelzmantel ...

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Richard Norwood zuckte zusammen, sah von Carl zu Toby und wieder zu Carl. »Das ist nicht dein Ernst!«

»Aber klar doch.« Carl lachte. »Henrys Party war der totale Reinfall. Eine Tour durch das alte Spukhaus könnte die Nacht noch retten.« Er wedelte mit einem Sixpack. »Ein oder zwei Bierchen in der Gesellschaft von Geistern. Was gibt es Schöneres?«

Norwood hatte Henry Snyders Geburtstagsfeier auch nicht gefallen. Das lag aber nur daran, dass er in die Küche geplatzt war, als Chrissy, Carls Schwester, dem Gastgeber dort einen Kuss gegeben hatte.

Klar, Chrissy wusste nicht, dass er in sie verschossen war, weil er noch nie auch nur ein einziges Wort mit ihr gewechselt hatte. Außerdem hatte sie sich vielleicht nur auf besonders nette Weise bei Henry für die Einladung bedankt. Trotzdem: Sie hatte ihn geküsst! Und das schmerzte Norwood bis ins Mark.

Im Gegensatz zu Carl hatte er sich aber nicht volllaufen lassen, ins Aquarium gekotzt und sich dann gewundert, dass Henry gebeten hatte, Carl möge nach Hause gehen. Dabei war es gerade mal zehn Minuten nach Mitternacht!

Richard Norwood hatte Carl begleitet, weil er keine Lust verspürte, Chrissy noch einmal in den Armen eines anderen zu finden.

Na ja, und Toby Fenderbaum schlich Carl sowieso überallhin nach, also hatte er sich ihnen angeschlossen.

Nun standen sie zu dritt vor dem verfallenen Kendrick-Haus, weil Carl unbedingt die etwas »längere Abkürzung« hatte nehmen wollen. »Schließlich habe ich Henry noch dieses Sixpack aus dem Kreuz geleiert, das wir auf dem Nachhauseweg leeren sollten.«

Das Anwesen lag auf einem kleinen Hügel. Der fast volle Mond, der hinter dem linken Gebäudeflügel am Himmel stand, ließ es wie einen Schattenriss mit Giebeln und Türmchen und Erkern erscheinen. Von dem schmiedeeisernen Zaun, der das Grundstück umgab, war kaum mehr etwas zu sehen, weil die sicherlich einst sorgfältig getrimmten Hecken die Streben umwucherten.

Von dem schweren Tor hing ein Flügel schief in den Angeln, der zweite war verschwunden. Darüber spannte sich ein ebenfalls schmiedeeiserner Bogen, der zwei verschnörkelte Buchstaben zeigte. Ein J und ein F. Richard Norwood hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten.

Die Leute der Gemeinde Welmington beschwerten sich häufig über den Schandfleck am Stadtrand. Eigentlich gehörte die Ruine abgerissen, aber der momentane Eigentümer ließ nicht mit sich reden. Anthony Norwood, Richards Vater und Mitglied im Gemeinderat, schimpfte beim Abendessen gelegentlich über den »reichen Sack aus Manchester«, der jede Kommunikation verweigerte.

Der Umriss eines Nachtvogels tauchte vor der Mondscheibe auf und verschwand.

»Ich weiß nicht recht«, sagte Richard Norwood. »Was wollen wir denn dort drinnen?«

»Mit den Geistern anstoßen.« Wieder lachte Carl White auf, als habe er einen Mordswitz gerissen. »Oder hast du etwa Angst, Richy?«

»Quatsch!« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. »Aber du weißt ja, was sich die Leute erzählen. Sag doch auch mal was, Toby.«

Toby Fenderbaum zuckte nur mit den Schultern und gab ein Brummen von sich. Natürlich wagte er es nicht, Carl zu widersprechen. Die beiden verband eine Freundschaft, die Norwood nicht nachvollziehen konnte.

Carl war ein Aufschneider, ein Rüpel, einer, der Schwächere zu gerne ausnutzte und sie herumschubste. Obwohl er, wie sie alle, gerade erst siebzehn Jahre alt war, trug er einen beachtlichen Bauch vor sich her. Toby hingegen war ein muskulöser Typ mit breiten Schultern. Warum ausgerechnet er Carl hinterherlief wie ein Schoßhündchen, konnte sich wohl niemand in Welmington erklären.

»Genau, Toby«, stachelte Carl seinen Freund an. »Sag auch mal was. Gehen wir rein, oder gehen wir rein?«

»Ich würde sagen, wir gehen rein«, antwortete Toby Fenderbaum.

Carl grinste Norwood an. »Siehst du, Richy? Du bist überstimmt.«

»Na und? Ich finde es albern und gefährlich, nachts in einem baufälligen Haus herumzuspazieren.«

»Du kannst auch gerne draußen bleiben, Schisser. Aber ob mein Schwesterlein jemals mit so einem Weichei ausgehen würde?«

Richard fühlte, wie er rot anlief, und war erleichtert, dass niemand im kärglichen Licht der Straßenlaternen und des Mondes etwas davon bemerkte. »Was soll das heißen?«

»Was soll das heißen?«, äffte Carl ihn nach. »Glaubst du, mir ist nicht aufgefallen, wie du Chrissy angaffst? So besoffen kann ich gar nicht sein. Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn du dich als meiner Schwester würdig erweist, indem du Mut zeigst und mitkommst, lade ich dich nächste Woche zu uns ein. Wir gucken ein paar Filme, trinken das eine oder andere Bier – oder beide – und ich stelle dich ihr vor. Was sagst du?«

Norwood atmete tief durch. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, das Spukhaus zu betreten. Aber wenn er dadurch Chrissy näherkommen konnte, war es dann das Risiko nicht wert?

»Na, von mir aus, du Nervensäge«, sagte er schließlich. »Gehen wir rein.«

***

Sie stapften durch den verwilderten Garten. Falls es früher einen Weg vom Tor zur Villa gegeben hatte, war dieser längst von Gras überwuchert. Die Silhouetten der Bäume wirkten im fahlen Mondlicht wie Monster, die verkrümmten Astarme zum Schlag erhoben.

Ein Windhauch strich über Richy hinweg, die Haare in seinem Nacken stellten sich auf. Mit jedem Schritt kam ihm die Idee, das Haus zu betreten, schlechter vor. Aber er wollte keinen Rückzieher mehr machen.

Kurz bevor sie das Gebäude erreichten, knipsten sie die Handy-Taschenlampen an und richteten die Lichtstrahlen auf die Fassade. Die Fenster waren zum Teil mit verwitterten oder zersplitterten Brettern vernagelt, die Farbe an den Wänden blätterte ab, Moos bedeckte die Ecken und Kanten. Oh nein, das Haus wirkte kein bisschen einladend.

Richys Lampenstrahl glitt über ein Fenster im Obergeschoss hinweg. Hinter den Latten zuckte etwas – jemand? – zurück. Sofort richtete Norwood das Licht erneut auf das Fenster, doch da war nichts mehr zu entdecken.

»Was ist denn?«, fragte Carl.

Richy schluckte. »Da oben war was. Eine Bewegung oder so.«

Carl und Toby leuchteten in die gleiche Richtung. Aber hinter den Brettern war nichts als pure Finsternis zu sehen.

»Huu-uuh!«, machte Carl White und fuchtelte mit den Händen vor Richys Gesicht umher. »Die Geister der Ermordeten warten auf uns.«

»Hör auf mit dem Scheiß.«

»Dann hör du auf, dich vor Angst anzupissen.«

White stieg die flachen, breiten Stufen zum Eingang hoch. Toby Fenderbaum folgte ihm. Schließlich, wenn auch widerwillig, ging Richard Norwood ihnen nach.

Die zweiflügelige schwere Holztür stand einen Spaltbreit offen. Carl drückte den linken Flügel ein Stück weiter auf, und ein erbärmliches Quietschen erklang.

Billigstes Horrorfilmklischee, dachte Richy. Dennoch konnte er ein Schaudern nicht unterdrücken.

Carl schlüpfte durch die Tür.

»Wow!«, ertönte seine Stimme von innen. »Was für ein Schuppen!«

Richy und Toby schoben sich ebenfalls durch den nun größeren Spalt. Sie fanden sich in einer riesigen Halle, in der links und rechts zwei geschwungene Treppen zu einer Empore im Obergeschoss führten. Neben den untersten Stufen standen Kerzenleuchter, zwischen deren Armen Spinnweben hingen. Zu beiden Seiten befanden sich mehrere Türen, die in die einzelnen Räume führen mussten.

Oder in den Keller, kam es Richy in den Sinn. Ein neuerlicher Schauder lief ihm über den Rücken. Jetzt reiß dich mal zusammen! Carl hat recht, du bist ein Weichei.

In der Luft lag ein feuchter, modriger Geruch.

»Seht euch den Burschen an!« Carl leuchtete gegen eine Wand, an der ein gigantisches Porträt hing.

Auf dem verschnörkelten Rahmen türmte sich fingerdick der Staub. Das Bild zeigte das Ganzkörperporträt eines Mannes im schwarzen Anzug. Die Hände hatte er auf den Knauf eines Spazierstocks gelegt. In dem hageren Gesicht mit den eingefallenen Wangen saßen helle Augen, die den Besuchern neugierig entgegenzustarren schienen. Die schmalen Lippen umspielte ein kleines Lächeln. Allerdings eher boshaft oder schelmisch und keineswegs freundlich, wie Richy fand.

Carl löste eine Dose aus dem Sixpack, riss sie auf und prostete dem Mann im Porträt zu. »Auf dein Wohl, alter Bursche.«

Von der Empore erklang ein Geräusch. Ein Knacken. Leise Stimmen.

Norwood fuhr herum. Der Strahl seiner Handylampe zuckte in die Höhe. »Was war das?«

Auch Carl und Toby sahen hoch, was Richy einerseits erleichterte, weil es bedeutete, dass er es sich in seiner Nervosität nicht eingebildet hatte. Andererseits erschreckte es ihn. Jemand beobachtete sie! Dessen war er sich nun ganz sicher.

»Wir sollten gehen«, schlug er vor. Er versuchte, die Stimme fest klingen zu lassen, merkte aber selbst, wie jämmerlich ihm das misslang.

»Mann, Mann, Richy, was bist du nur für eine Memme?«, sagte Carl. »Kein geeigneter Umgang für meine Schwester. Echt nicht.«

»Aber …«

»Ein Vogel wird sich in das Haus verirrt haben und flattert nun dort oben herum.«

Norwood war nicht überzeugt. »Und die Stimmen?«

»Stimmen?« Carl lachte. »Hör doch genauer hin! Das ist der Wind, der durch die Löcher in der Wand bläst.«

Richy Norwood lauschte erneut. Konnte Carl recht haben? Möglich, ja, aber beschwören würde er es nicht.

»Sehen wir doch einfach nach«, sagte Toby Fenderbaum, vermutlich um...



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