E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Wolf Etzel Zauderkern und die Macht der Wünsche
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7641-9318-8
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7641-9318-8
Verlag: Ueberreuter Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Gregor Wolf, 1977 geboren, hat Ägyptologie studiert und über das Reich der Pharaonen geforscht und geschrieben. Jetzt schreibt er fantastische Geschichten für Kinder und Jugendliche. Er lebt mit seiner Familie zwischen Lavendel und Himbeersträuchern in der Nähe von München. https://www.gr-wolf.de/
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Der Bote
, dachte Etzel, während er den moosigen Boden des Buchenwaldes absuchte. Die Sonne schickte ihre Strahlen durch die lichte frühherbstliche Laubdecke und ließ Tausende Tauperlen glitzern. . Etzel schob seine Wollmütze zurecht, kratzte sich am Kopf und sah sich um. .
Über ihm sang ein Vogel sein und ganz in der Nähe hämmerte ein Specht zwischen den Stämmen. Etzel liebte den Wald und dessen Ruhe, gerade wenn die Tage so schön waren wie heute. Dann nutzte er jede Gelegenheit, um durch das Dickicht zu streifen, Tiere zu beobachten oder einfach nur auf einer Lichtung in der Sonne zu liegen und nachzudenken.
Aber dafür war heute keine Zeit. Meister Graufels hustete und seine Stirn glühte. Etzel musste die Heilkräuter finden. Plötzlich schlug er sich an die Stirn. . Er schob die Ärmel zurück und raffte seinen weiten Mantel. Dann stapfte er mit großen Schritten über Pilze und Wurzeln, immer bedacht, nichts zu zertreten. Das gehörte sich nämlich nicht für einen Zauberlehrling. , schoss ihm Graufels’ Rat durch den Kopf. . Nach all den Jahren kannte er die Sprüche seines Meisters in- und auswendig. Etzel hatte sich immer gefragt, warum ausgerechnet er von Meister Graufels als Lehrling angenommen worden war. Er, dem ohne Hilfe bisher nicht der einfachste Zauber gelungen war. Gut, er hatte ein Händchen für Pflanzen, aber er wollte ja Zauberer und nicht Gärtner werden.
»He!« Etzel drehte sich um. Etwas zerrte an ihm. Ein Brombeerbusch. Sein Mantel hatte sich darin verfangen. Der war einfach zu groß, aber für eine ordentliche Zaubererrobe musste Etzel erst Zauberer werden. Dann durfte er auch den spitzen Hut tragen und die Welt würde ihn als Gelehrten erkennen. Mit einem Ruck riss er den Mantel los und stapfte eilig weiter.
Endlich drang das Plätschern von Wasser an sein Ohr und die Bäume gaben den Blick auf einen kleinen gurgelnden Bach frei, der in der Sonne goldbraun glitzerte. Etzel kniff die Augen zusammen und suchte die schmale Uferböschung ab. Da! Im Schatten eines Felsens blühte ein kleines, unscheinbares gelbes Kraut. Etzel schlug den Mantel zurück und öffnete seine Ledertasche, die am Gürtel hing. Er holte ein kurzes Messer hervor, bückte sich und grub damit vorsichtig das Kraut frei, bis er es mühelos samt Wurzeln herausziehen konnte. Sanft schüttelte er die Erde ab, richtete sich auf und zog einen Lappen aus der Manteltasche hervor. In diesen wickelte er das Fingerkraut und verstaute das Bündel wieder in der Gürteltasche. Dann stieg er die Böschung hinauf. »Glück muss man haben«, strahlte er und lief direkt auf ein paar Bäume zu. Dünne Ranken, an denen feine weiße Blüten und kleine rote Beeren wuchsen, umschlangen die Stämme und kletterten an ihnen empor. , dachte Etzel und betrachtete die Zaunrübe, während er aus seiner Manteltasche ein kleines Holzkästchen herausnahm. Er pflückte ein paar Beeren, zählte sie und legte sie hinein. Dann verschloss er das Kästchen und schob es zu dem Bündel in seine Manteltasche.
In dieser Sekunde zerriss ein Schrei die Idylle. Etzel erstarrte. , dachte er und spähte in den Wald. Er konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. Seine Hand fand den rauen Stamm einer Buche. Vorsichtig schob er sich an ihr vorbei. »Ich werde mal lieber beim Bach bleiben und mich verstecken«, murmelte er. Trotzdem siegte die Neugier über die Vorsicht. Langsam trugen ihn seine Schritte weg vom Bach und tiefer in den Wald, direkt auf den Schrei zu. Bewegte sich da nicht etwas zwischen den Bäumen? Etzel hielt inne und lauschte. Kein raschelndes Laub, keine knackenden Äste. Wieder setzte er einen Fuß vor den anderen. Auch wenn seine Vernunft ihn zurückhalten wollte, sein Herz musste wissen, was da war, und trieb in vorwärts.
»Bleibt mir vom Leib, ihr Teufel!«
Etzel hielt den Atem an. Da vorne rief jemand mit zitternder Stimme. Ein Pferd wieherte. Wieder dieser große Schatten, der zwischen den Bäumen tänzelte.
»Verschwindet!«, schrie die Stimme verzweifelt.
Da brauchte jemand Hilfe. Vorsichtig näherte sich Etzel einer kleinen Lichtung. Der Geruch von verbranntem Holz stieg ihm in die Nase und er vernahm eine zweite, raue Stimme.
»Wir haben den ganzen Tag ausgeharrt und am Feuer auf dich gewartet. Glaubst du wirklich, dass du davonkommst, ohne uns deine Tasche zu überlassen? Also, her damit!«
Etzel schlich näher, seine Augen fest auf die Lichtung gerichtet. Er presste die Zähne aufeinander, spürte die Anspannung von den Zehen bis in die Haarspitzen.
»Lasst mich ziehen. Ich stehe unter dem Schutz der Königin«, schrie die angsterfüllte Stimme.
Noch zwei Schritte. Das Pferd schnaubte.
»Zier dich nicht und steck das Schwert weg, wenn dir dein Leben lieb ist«, zischte jetzt eine dritte Stimme.
Etzel duckte sich hinter einen Strauch, teilte diesen mit seiner Hand und hatte freie Sicht auf die Lichtung. In der Mitte tänzelte aufgeregt ein dreckig-braunes Pferd mit grauen Flecken und hellgrauer Mähne. Der Reiter hielt die Zügel und ein Schwert fest in Händen. Er hatte eine Tasche umgehängt, die das Wappen der Königin zeigte. Ein Bote. Der Pfad vor ihm war versperrt. Ein stämmiger Kerl, der langsam und mit vorgestrecktem Arm auf den Boten zukam, nahm den Weg ein. Er hatte ebenfalls seine Klinge gezogen. Ein anderer versperrte den Rückweg. Mit seinem Bogen zielte er auf den Reiter. Der Bote saß in der Falle. Die zwei Kerle trugen kein Wappen, sahen aber im Umgang mit ihren Waffen erfahren genug aus. Etzel schluckte. , schoss es ihm durch den Kopf. Er musste etwas unternehmen. Aber was?
»Steig ab und gib uns deine Tasche«, knurrte nun der Stämmige durch seinen struppigen Vollbart. Das tänzelnde Pferd hatte er fest im Blick.
Etzel sah zu Boden. . Schließlich entdeckte er ein paar Steine, die er mit einer raschen Handbewegung einsammelte.
»Runter mit dir, Mistkerl«, zischte der Bogenschütze. »Sonst fließt Blut.«
Das Pferd wieherte und bäumte sich auf. Der Bote konnte sich gerade noch so im Sattel halten.
, dachte Etzel. Seine Gedanken rasten, aber ihm wollte nichts Passendes einfallen. Meister Graufels wüsste, was jetzt zu tun wäre. , schimpfte er mit sich selbst. . Sein Blick fiel auf das kleine Lagerfeuer, das neben dem Pfad züngelte. Wie sollte er aus dem kleinen Feuer eine Wand machen? Etzel grübelte, spürte die Unruhe, die mehr und mehr in ihm aufstieg. »Schütz mich, Wand aus Feuer«, flüsterte er, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. »Nicht mich, den Boten.«
»Mir reichts«, zischte der Bogenschütze. »Machen wir dem ein Ende, Raffinger.«
Etzel sah auf. Er musste handeln. Jetzt. Eine Flammenwand. Welche Worte waren die Richtigen? Was sagte Meister Graufels immer? »Emotion und Aufregung schaffen keine Magie. Ruhe ist unsere Kraft. Nur mit Ruhe kannst du den Dingen deinen Willen aufzwingen. Prüfe deine Umgebung, forme deine Vorstellung und verwirkliche sie mit Wort und Geste.«
Etzel schloss die Augen und atmete tief ein. In seiner Vorstellung zwang er das wild und frei prasselnde Lagerfeuer in eine lodernde Flammenwand, die schützend vor Pferd und Reiter sprang. Er konnte es sehen, vor seinem geistigen Auge, streckte die Hand aus, deutete mit zwei Fingern auf das Lagerfeuer und erhob die Handfläche wie eine Wand.
Nun flüsterte er schnell: »Schütze ihn, Feuerwall, rette ihn, Flammenwand, behüte den Boten mit lodernder Hand. Ich befehle es dir!« Er riss die Augen auf, aber nichts geschah.
In diesem Augenblick zerschnitt ein Pfiff die Luft. Der Stämmige blickte zum Bogenschützen. Die Sehne schnalzte, ein Pfeil surrte und traf die Schulter des Boten. Der schrie auf. Die Wucht warf ihn vom Pferd, das verschreckt ausbrach.
Etzel schluckte. Wieder zeigte er auf das Feuer und streckte seine Handfläche nach vorne. »Schütze ihn, Feuerwall, rette ihn, Flammenwand.« Ach, das half doch nichts. Ja, Kräuter schneiden, das konnte er. Aber zum Zaubern war er zu blöde. Etzel biss sich auf die Unterlippe. . Wütend sah er von...