E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Wöller / Lampe / Schellong Psychodynamische Therapie der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung
3. Auflage 2020
ISBN: 978-3-608-11632-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Manual zur Behandlung nach Kindheitstrauma
E-Book, Deutsch, 210 Seiten
ISBN: 978-3-608-11632-8
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
- Relevant: Häufige Störung nach Gewalterfahrung in der Kindheit
- Praxisnah: Manual für den Praxisalltag
- Autoren: Renommierte Fachexperten
- Aktuell: An der neuen ICD-11-Klassifikation orientiert
Traumatisierungen in Form physischer, sexueller oder emotionaler Gewalt in der Kindheit und Jugend bilden den Hintergrund des in der ICD-11 neu definierten Störungsbildes der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung (kPTBS).
Bei einer Vorgeschichte von Kindheitstraumatisierungen weist das Störungsbild der PTBS Besonderheiten auf: Die Pathogenese ist komplexer und die Symptomatik breiter als nach Traumatisierungen im Erwachsenenalter, es besteht häufig eine hohe Komorbidität, dies stellt besondere Anforderungen an die Therapie. Die in diesem Manual vorgestellte Konzeption folgt einem Verständnis psychodynamischer Behandlung als einem ressourcenbasierten integrativen Verfahren, wie es durch die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie vermittelt wird.
- Relevant: Häufige Störung nach Gewalterfahrung in der Kindheit
- Praxisnah: Manual für den Praxisalltag
- Autoren: Renommierte Fachexperten
- Aktuell: An der neuen ICD-11-Klassifikation orientiert
Dieses Buch richtet sich an:
- Ärztliche und psychologische (psychodynamische orientierte) PsychotherapeutInnen
- TraumatherapeutInnen
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3 Therapeutische Möglichkeiten
3.1 Störungsspezifische Besonderheiten und Herausforderungen bei der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung
Wegen der umfangreichen Veränderungen im Bereich der Repräsentanzen, der Ich-Funktionen und der Bindungs- und Beziehungsfähigkeit sind andersartige therapeutische Ansätze notwendig als bei PTBS-Symptomen nach Traumatisierungen im Erwachsenenalter (Cloitre 2009). Ohne Berücksichtigung dieser Störungsbereiche ist eine Vorgeschichte von Kindheitstraumatisierungen in der Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung ein Prädiktor für einen weniger günstigen Therapieverlauf (Ford & Kidd 1998). Vor allem wegen dieser Aspekte sehen wir ein weites Anwendungsfeld für psychodynamische Ansätze (Schottenbauer et al. 2008): Die Störungen der interpersonellen Beziehungsmuster erfassen typischerweise auch die therapeutische Beziehung. Unterschiedliche Übertragungsmuster können die Herstellung eines therapeutischen Arbeitsbündnisses erschweren und belastende Emotionen in der Gegenübertragung der Therapeutinnen hervorrufen (Bohleber 2000; Wöller 2015b). Behandlungstechniken zum Umgang mit Phänomenen der Übertragung und Gegenübertragung, die zum Kernbestand psychodynamischer Therapie zählen, sind besonders geeignet, um die Auswirkungen der traumabedingten Bindungsstörungen auf die therapeutische Allianz abzumildern (Dalenberg 2000; Gabbard 1995; Wilson & Lindy 1994). Bindungsstörungen und Defizite im Bereich der Mentalisierung können erfolgreich mit psychodynamischen Ansätzen behandelt werden (Bateman & Fonagy 2004; Solomon et al. 1998). Therapieansätze auf der Basis der psychoanalytischen Ich-Psychologie (Hartmann 1939/1958) stellen ein breites Spektrum von Interventionen bereit, um komplex traumatisierte Patienten mit defizitären Ich Funktionen, insbesondere mit einer eingeschränkten Emotionsregulierung und einer problematischen interpersonellen Regulation, zu behandeln (Bellak et al. 1973; Blanck & Blanck 1980; Leichsenring et al. 2010; Rudolf 2013; Streeck & Leichsenring 2011). Obwohl sich die psychodynamische Psychotherapie bei einer Vielzahl von Erkrankungen als wirksam erwiesen hat (Leichsenring 2001; Leichsenring 2009; Leichsenring & Rabung 2008; Leichsenring et al. 2004; Shedler 2010; Leichsenring & Steinert 2018), mangelt es noch immer an Nachweisen der Wirksamkeit psychodynamischer Psychotherapie bei PTBS auf der Ebene randomisiert kontrollierter Studien (Bradley et al. 2005; Cloitre 2009; Ponniah & Hollon 2009). Gleichwohl wird psychodynamische Therapie bei Patienten mit komplexer PTBS nach Kindheitstrauma in breitem Umfang praktiziert (Schottenbauer et al. 2006). Allerdings entwickelte sich unter den Praktikern psychodynamischer Therapie bei Traumafolgestörungen ein zunehmender Konsens, dass ein »traditioneller« Behandlungsansatz tiefenpsychologisch fundierter oder analytischer Prägung (Greenson 1981; Luborsky 1999) der Problematik dieser Patientengruppe nicht ausreichend gerecht wird. Hinzu kommt, dass die verfügbaren PTSD-spezifischen Kurzzeit-Psychotherapiemodelle von Lindy (1993), Horowitz (1997) und Krupnick (2002) vor allem für hochfunktionelle Patienten gedacht waren, die einem einzigen traumatischen Ereignis ausgesetzt gewesen sind. Somit ergab sich ein erheblicher Bedarf an neuen Konzeptionen, die auch die psychobiologische Natur der veränderten Informationsverarbeitung bei PTBS ausreichend berücksichtigen. 3.2 Traumaorientierte psychodynamische Konzepte
Vor diesem Hintergrund wurden in den letzten 20 Jahren verschiedene psychodynamische Therapiekonzepte zur Behandlung komplex traumatisierter Patienten entwickelt, die Befunde der affektiven Neurowissenschaften, der Psychotraumatologie und der Resilienzforschung integrieren. Dazu zählen die Psychodynamisch-imaginative Traumatherapie (PITT), die sich auf hypnotherapeutische und lösungsorientierte psychotherapeutische Ansätze stützt (Reddemann 2017), und diesem Ansatz verwandte Konzeptionen, teilweise mit störungsspezifischer Ausrichtung für Patienten mit dissoziativen Störungen und traumaassoziierten Persönlichkeitsstörungen (Boon et al. 2013; Gast & Wabnitz 2017; Huber 2011; Kluft 1991; Putnam 1989; Reddemann et al. 2011; Reddemann & Wöller 2017; Sachsse 2004; Wöller 2013; Wöller 2014; Wöller 2020). Die Konzepte berücksichtigen die hohe Komorbidität und die oft ausgeprägten Störungen im Bereich der Selbst- und Beziehungsregulation, die typischerweise bei PTBS nach Kindheitstraumatisierungen auftreten. Besondere Beachtung finden darin Patienten mit traumabedingten dissoziativen Störungen. Heute sind diese Ansätze im deutschsprachigen Raum weit verbreitet. Es gibt jedoch drei kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit dieses psychodynamischen Ansatzes belegen (Kruse et al. 2009; Lampe et al. 2008; Sachsse et al. 2006). Außerdem wurde kürzlich eine randomisiert-kontrollierte Studie zu einer psychodynamisch-kurztherapeutischen Intervention bei komplex traumatisierten Patienten in Kambodscha veröffentlicht, die zeigen konnte, dass eine signifikante Reduktion der PTBS-Symptomatik durch ein beziehungs- und ressourcenorientiertes Therapieangebot ohne Konfrontation mit traumatischen Erinnerungen möglich ist (Steinert et al. 2016)[2]. Die Möglichkeit der Modifikation tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie mit dem Ziel der Integration traumatherapeutischer Interventionen wird neuerdings von den deutschen Psychotherapie-Richtlinien ausdrücklich eingeräumt (Dieckmann et al. 2018; Jungclaussen 2018). 3.3 Behandlungstechnische Aspekte
Das vorgestellte Konzept, das in seinen Grundzügen bereits veröffentlicht wurde (Wöller et al. 2012), versteht sich als eine störungsorientierte Modifikation strukturbezogener Psychotherapie (Arbeitskreis OPD 2014; Rudolf 2013), die ergänzt wird durch ressourcenaktivierende Aspekte und durch im engeren Sinne auf traumatische Erinnerungen und Erinnerungsfragmente bezogene Interventionen. Dem Grundsatz strukturbezogener Psychotherapie folgend, sind auftretende Problem- oder Symptommuster nicht primär unter dem Gesichtspunkt der Klärung ihrer unbewusst konflikthaften Motivierung, sondern unter der Perspektive unzureichend verfügbarer Ich-Funktionen zu betrachten – wobei die Einschränkung der Ich-Funktionen sowohl konflikthaften wie auch traumatischen Ursprungs sein kann. Strukturbezogenes Arbeiten ist immer auch mit der Vermittlung einer positiven Beziehungserfahrung verbunden, die auf dem Wege der Introjektion Teil der verinnerlichten Objektwelt werden kann. Mit der Entscheidung für ein strukturbezogenes Vorgehen ist eine deutlich aktivere therapeutische Haltung verbunden, die – über die »klassischen« einsichtsfördernden Interventionen der Klarifizierung, Konfrontation und Deutung hinaus – ein breites Spektrum bestätigender, entlastender, ermutigender und erklärender Interventionen und auch konkrete Erläuterungen, Anleitungen und Vorschläge einschließt. Das Konzept geht davon aus, dass der in Kap. 6.1 genannten Beziehungsorientierung eine strukturierte Anleitung zum therapeutischen Vorgehen an die Seite gestellt werden sollte. In aller Regel besteht bei Patienten mit komplexen Traumafolgestörungen ein dringendes Bedürfnis nach einem besseren Verständnis der eigenen Reaktionsmuster und nach konkreter Unterstützung bei der Emotionsregulierung und der Kontrolle dissoziativer Symptome. In einem spezifischen Sinne folgt die hier vorgestellte Konzeption einem Therapieverständnis, bei dem die in den Psychotherapie-Richtlinienverfahren verankerte tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als ein ressourcenbasiertes psychodynamisches Verfahren aufgefasst wird (Wöller 2015a; Wöller & Kruse 2018; Wöller & Kruse 2020). Bei dieser Variante psychodynamischer Therapie wird – anders als in der analytischen Behandlung – keine regressive Übertragungsbeziehung hergestellt; vielmehr verbindet sich das psychodynamische Beziehungsverständnis mit den Prinzipien der Regressionsbegrenzung und der Ressourcenaktivierung. Es gestattet ausdrücklich den Einbezug...