Witzko DSA 47: Die Königslarve
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95752-463-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 47
E-Book, Deutsch, Band 47, 379 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-95752-463-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zwei Jahrhunderte lang galt König Dajin als tot - bis vor wenigen Jahren das Gerücht aufkam, er sei am Leben. Der Glaube an seine Rückkehr nahm auch dann nicht ab, als ein gräßliches Ungeheuer Maraskan verschlang. Dem Volk war der Gedanke gänzlich fremd, der König könnte es im Stich gelassen haben ... Der Dritte Teil der Geschichte von König Dajins Leben in Vergangenheit und Zukunft
Karl-Heinz Witzko, geboren 1953 in Stuttgart ist einer der Autoren, die 'Das Schwarze Auge' besonders stark mit ihren Werken geprägt haben. Der Bremer trug von 1984 bis 2002 maßgeblich zur Beschreibung der Insel Maraskan und des Königreichs Nostria bei und entwickelte damit Aventurien zu einer der bekanntesten Fantasywelten des deutschsprachigen Raums.
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2. Kapitel Die Herrin des Hauses lag ausgestreckt auf einem Diwan, über den eine helle Decke mit aufgestickten Jiranblüten und Maranten gebreitet war. Sie trug ein tief ausgeschnittenes Kleid aus hellblauer Seide und mochte ungefähr so alt sein wie ihr Diener. Schwarze Locken fielen ihr über Schultern und Brust. Sie hatte ein unschuldiges Gesicht, auf dem Neugier und Erstaunen zugleich lagen. Als die beiden Männer zu ihr hereintraten, erhob sich die Frau. Die seitlichen Schlitze ihres Kleides offenbarten wohlgeformte Beine. Die Hausherrin streckte ihrem Gast die Hand entgegen. Als dieser jedoch danach greifen wollte, um seine Lippen darauf zu pressen, zog sie sie wieder zurück, neigte den Kopf zur Seite und sprach mit näselnder Stimme: »Seid mir willkommen, mein Teuerster! Ihr mögt kaum ahnen, wie sehr Euer Besuch meine Stimmung hebt!« Wie unbewußt fuhr sie mit der Hand über ihre linke Brust. Ihr Bediensteter warf ihr einen mißbilligenden Blick zu und sah dann unauffällig zu dem Besucher. Angesichts dessen, was aus seinen Augen sprach, war es ein Wunder, daß er nicht gleich ohne Hosen zu der Verabredung erschienen war. »Mhorwedziber!« rief die junge Frau. Sie wedelte mit der Hand und deutete zur Tür. »Sehr wohl, Herrin«, antwortete ihr Diener. Er verbeugte sich knapp und verschwand. Breit grinsend sah sich der Bärtige im Gemach um. Sein Blick verharrte einen Herzschlag lang auf dem Diwan, schweifte dann über die dunklen Ledertapeten, die an einigen Stellen der Ausbesserung bedurft hätten und dem Raum etwas Ernstes gaben, und blieb schließlich an einem Webteppich mit verblaßten Farben hängen. Er zeigte ein zierliches Schlösschen in einer waldbestandenen, bergigen Gegend. Unterhalb des Schlösschens floß ein Bach, an dessen Ufern Rehe ästen. »Das ist nicht hier!« erklärte der Besucher bestimmt. »O nein«, antwortete seine Gastgeberin. »Es ist ... weit weg. Der Teppich hängt hier, solange ich denken kann. Ihr müßt wissen, mein Teuerster, daß dieses Haus früher dem Gesandten des Lieblichen Feldes gehörte. Das ist lange her, war auch damals schon lange her, als das Gebäude in den Besitz meiner Familie gelangte.« Während sie sprach, berührte sie immer wieder kurz mit den Fingerspitzen den Arm ihres Besuchers. »Als ich ein Kind war, saß ich oft vor dem Bild und träumte, ich sei die Herrin des Schlosses. Ich stand auf dem Turm und erwartete meinen Liebsten ...« Sie kicherte und bedachte ihren Gast mit einem tiefen Blick. »Er war selbstverständlich ein tapferer Prinz, der von weit her kam, vom Gestade eines fremden Meeres. Unentwegt stritt er gegen Drachen, der Arme! Gleich hinter dem Berg ...« Die Frau verstummte unvermittelt und trat näher an den Teppich heran, den sie mißtrauisch betrachtete. »Da ist ja ein Fleck!« rief sie erschrocken aus. »Das ist Öl oder Fett! O wie schrecklich! Meinem weitgereisten Prinzen wird doch kein Leid geschehen sein? ... Dieser abscheuliche Drache!« Ein fröhliches Lachen kam aus ihrer Kehle, in das ihr Gast mit einstimmte. Schlagartig wurde die Frau jedoch ernst. »Das war einmal ein sehr volles Haus!« erklärte sie traurig. »Viele meiner Familie starben während des Aufstandes. Denkt nichts Falsches, mein Teuerster! Wir waren stets treue Untertanen des Kaisers! Doch diese scheußlichen, blutgierigen Aufrührer ...« Ihr Besucher machte einen halben Schritt auf sie zu, als wolle er sie tröstend in den Arm nehmen. Plötzlich sah er seine Gastgeberin erstaunt an: »Ich hielt Euch für wesentlich jünger!« Die Frau zog einen Schmollmund: »Ihr seid keck! Ich war damals auch noch sehr jung! Ich erinnere mich eigentlich nicht an die schlimme Zeit. Man erzählte mir davon. Doch ich bin unhöflich!« Sie deutete auf ein niedriges Tischchen mit zwei Sesseln aus geflochtenem Rohr. »Nehmt Platz!« Während sie munter weiterplauderte, kam ihr Bediensteter zurück. Er trug ein Tablett, auf dem eine Karaffe, Zinnbecher und ein paar tönerne Schälchen standen. Als er gerade eingetreten war, ging plötzlich ein Ruck durch den Körper des Bärtigen. Er hob eine Hand, die Finger leicht gekrümmt. »Weg!« brüllte der Diener im selben Augenblick. Ihm entglitt das Tablett, Karaffe, Becher und Schalen fielen zu Boden, als seine Rechte vorschoß und auf den Gast deutete. Fast gleichzeitig stieß sich die Frau kraftvoll vom Tisch ab. Ihr Sessel kippte nach hinten, sie selbst machte eine Rolle rückwärts und war, kaum nachdem die Lehne des Sessels den Boden berührt hatte, schon wieder auf den Beinen. Der Bärtige bekam die seltsamen Laute nicht mit, die der Dunkelhaarige hastig ausstieß, als er auf ihn deutete, wohl aber das, was sie bewirkten: Ein heftiger Schmerz fuhr ihm durch den Kopf. Mit verzerrter Miene, beide Hände ins spärliche Haupthaar gekrallt, sprang er auf. Er hatte die Augen unwillkürlich geschlossen und bemerkte deshalb nicht, daß seine Gastgeberin flink wie ein Wiesel auf Armeslänge an ihn herangetreten war. Ihre Hand, in der wie aus dem Nichts ein schmaler Dolch gelandet war, beschrieb einen weiten Bogen. Die spitze Klinge schlitzte im Vorbeiziehen dem Gast den Hals auf, kehrte ohne innezuhalten zurück und bohrte sich zweimal in seine Brust. »Weg!« brüllte der Diener ein weiteres Mal, als der Sterbende zu Boden sank und im Todeskampf nach dem Kleid seiner Mörderin greifen wollte. Behend sprang die Frau mit dem Unschuldsgesicht aus seiner Reichweite und murmelte: »Begegne der Schwester!« Fragend sah sie ihren Gefährten an: »Was war denn los?« Er antwortete mit einer Gegenfrage: »Was sollte der dämliche Name? Mhorwedziber! Niemand heißt Mhorwedziber! Das ist überhaupt kein Name!« Die Frau setzte eine zerknirschte Miene auf: »Mir fiel nicht mehr ein, was wir abgesprochen hatten! Ich hatte plötzlich nur noch Mherwed im Kopf! Frage mich nicht, wieso! Ich war nie in Mherwed!« »Ich schon. Lohnt sich nicht.« »Was sollte ich tun? Ich hätte dich schlecht nach einer Stadt nennen können. Also habe ich Mhorwedziber daraus gemacht. Es könnte doch ein Name sein? Meinst du nicht auch? Ich glaube, ihn sogar schon einmal gehört zu haben! Ich bin mir sehr sicher! Jawohl!« Ihr vorgeblicher Diener rollte mit den Augen: »Das ist kein Name, Alryscha! Niemand heißt so, auch wenn du mir das jetzt einzureden versuchst! Vermutlich wirst du gleich noch verlangen, daß ich mich dafür bedanken soll, daß du mich nicht Khunchomijin, Garethomold oder Alanfanziber genannt hast! Ich verstehe nicht, was so schwer daran sein soll, sich auf die Schnelle einen vernünftigen Namen einfallen zu lassen? Ich hatte noch nie Schwierigkeiten damit! Es gibt viele Namen: Alrech, Brindijian, Dajin, Perjin, Frumold, Harlijin ...« »Das sind alles Könige!« maulte Alryscha. »Nicht alle, doch wen schert‘s? Sie haben kein Vorrecht auf diese Namen! Zur Not hättest du auch meinen eigenen nehmen können! Das wäre alles besser gewesen!« »Ach ja?« entgegnete die Frau spitz. »Wie war das denn damals in Alrurdan, bitteschön? Mag mein lieber Freund Scheïjian neuerdings vergeßlich geworden sein? Mag‘s am Alter liegen? Ich erinnere mich noch genau daran. Aber kein Wunder, ich bin ja auch jünger!« Ihr Gefährte seufzte gequält: »Das ist Jahre her, Alryscha! Ich konnte ja nicht wissen, daß der Vetter der Wachtel ebenso hieß wie ich. Ich dachte, es sei ein Stichwort, als ich plötzlich meinen Namen hörte! Wie lange muß ich mir diesen kleinen Irrtum noch vorhalten lassen? Ich bekomme langsam Alpträume! Ich sehe mich in ihnen als gerade wiedergeborenen Säugling in den Armen meiner Mutter. Da erklingt eine Schlangenstimme: ›Wie war das damals in Alrurdan, Schnurzelchen?‹« »Schlangen haben überhaupt keine Stimmen!« protestierte Alryscha. »Nun, sie zischt eben: Ssnursselchen oder so ähnlich! Ssnursselchen, Vinsssaltomold. Außerdem hat der Kerl gesagt, daß du ganz schön alt seist!« »Das hat er nicht gesagt!« widersprach Alryscha. ›Ich hielt Euch für jünger‹, meinte er! Ein bedrohliches Glimmen trat in ihre Augen. »Du hast uns belauscht!« »Das tue ich oft«, erwiderte Scheïjian. »Also gut! Wörtlich sagte er: ›Ich hielt Euch für wesentlich jünger!‹ Wesentlich, Alryscha, wesentlich! Was sollte das denn anderes bedeuten als ... sagen wir mal: ›Ich ahnte ja gar nicht, daß Ihr Dajin den Frommen persönlich kanntet?‹ Schätzchen, ich war noch nicht einmal drei Jahre alt, als der Aufstand in Tuzak ausbrach! Von dir wollen wir gar nicht reden.« »Ich war immerhin schon zwei!« begehrte seine Komplizin auf. »Natürlich! Du warst eine aufgeweckte Zweijährige, die auf ihrem Stühlchen stand, Wandteppiche anstarrte und von den starken Armen prinzlicher Liebhaber träumte!« »Ich war stets reifer als andere Mädchen!« beharrte Alryscha mit trotziger Kleinmädchenstimme. Dann wurde sie ernst: »Du hast mir immer noch nicht eröffnet, was das vorhin zu bedeuten hatte?« »Ich hatte plötzlich ein schlechtes...