E-Book, Deutsch, Band 47, 220 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
E-Book, Deutsch, Band 47, 220 Seiten, Format (B × H): 155 mm x 230 mm
Reihe: Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
ISBN: 978-3-374-05094-9
Verlag: Evangelische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Mit Beiträgen von Alexander Deeg (Leipzig), Volker Drecoll (Tübingen), Michael Fricke (Regensburg), Jörg Lauster (München), Manfred Oeming (Heidelberg), Ludger Schwienhorst-Schönberger (Wien), Notger Slenczka (Berlin), Thomas Söding (Bochum), Oda Wischmeyer (Erlangen) und Markus Wriedt (Frankfurt am Main).
Die Herausgeber des Bandes, Markus Witte (Berlin) und Jan Christian Gertz (Heidelberg), sind zurzeit Sprecher der Fachgruppe Altes Testament in der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie e. V.
[Hermeneutics of the Old Testament]
The question how we can understand adequately the Old Testament in literary, historical and theological respect, is essential for christian Theology. The volume presents an overview of different innerbiblical ways to understand the Old Testament and a discussion of elected hermeneutics of the Old Testament from the perspective of the various theological disciplines (exegesis, church history, systematic theology and practical theology).
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EINLEUCHTEND
Führt das christlich-religiöse Bewusstsein zur Herabstufung des Alten Testaments? Ludger Schwienhorst-Schönberger Mit der These, »dass das AT in der Tat, wie Harnack vorgeschlagen hat, eine kanonische Geltung in der Kirche nicht haben sollte«,1 hat Notger Slenczka vielfachen Widerspruch hervorgerufen. Die These wurde erst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als der Evangelische Präsident des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Pfarrer Friedhelm Pieper, Slenczka in einer öffentlichen Stellungnahme unverhohlen Antijudaismus vorwarf und sich darüber empörte, dass diesem Ansinnen vonseiten des deutschen Protestantismus nicht energisch entgegengetreten werde. Daraufhin kam eine Debatte ins Rollen, die sich über einige Wochen durch die Feuilletons deutscher Tageszeitungen zog. In einigen Fachartikeln wurde der Vorschlag Slenczkas kritisch kommentiert und zurückgewiesen.2 1. HISTORISCHE KONTEXTUALISIERUNG5 Die von Slenczka vertretene Position ist keineswegs als eine abwegige Sondermeinung anzusehen. Die von ihm – wie er selbst sagt – in einem durchaus provokativen Sinn erhobene Forderung, das Alte Testament aus dem Kanon der christlichen Bibel herauszunehmen und auf das Niveau apokrypher Schriften herabzustufen, wird zwar in dieser Form von kaum einem Theologen geteilt. Die theologischen Voraussetzungen jedoch, die zu dieser Konsequenz führen, sind in der gegenwärtigen evangelischen systematischen Theologie durchaus verbreitet. In ökumenischer Perspektive ergibt sich ein zwiespältiger Eindruck. Auf der einen Seite ist die Einheit der Heiligen Schrift, bestehend aus Altem und Neuem Testament, zwischen den christlichen Konfessionskirchen unstrittig. Sie wurde auch in der Reformationszeit nicht angezweifelt. Auf der anderen Seite bestätigt sich aber die Beobachtung Christoph Böttigheimers: »Während katholischerseits das Alte Testament mit seinem Wortgottes-Charakter unangefochten anerkannt wird, scheint evangelischerseits die theologische Bedeutung des Alten Testaments teilweise immer wieder zur Disposition gestellt zu werden.«6 Friedhelm Hartenstein spricht in diesem Zusammenhang von einer latenten Wunde protestantischer Theologie in der Neuzeit.7 2. KRITISCHE ANFRAGEN Im Folgenden soll lediglich ein Punkt in der von Slenczka angestoßenen Diskussion aufgegriffen und kritisch hinterfragt werden.18 Führt der subjekttheologische Ansatz, so wie Slenczka ihn vertritt, letztlich nicht zur Auflösung des Kanons überhaupt? Ein leitender Gesichtspunkt in Slenczkas Argumentation ist das Motiv des frommen religiösen Selbstbewusstseins. Wird mit dieser Kategorie nicht ein dem Deutschen Idealismus entstammendes Konzept der Heiligen Schrift vorgeordnet und diese somit einem fragwürdigen modernen Verständnis von Subjektivität untergeordnet? Friedhelm Hartenstein spricht von der »Vorordnung des religiösen (Selbst-)Bewusstseins vor die Schrift, mit der das Subjekt erst sekundär Übereinstimmung feststellt«,19 und bemerkt dazu kritisch: »Anstelle der Interpretationsgemeinschaft und ihres Umgangs mit dem Kanon tritt die […] Gewissheit des einzelnen Subjekts, dessen Einsicht in die Wahrheit den Ort der Offenbarung bezeichnet.«20 »Ich frage mich, was uns – als evangelische Kirche und evangelische Theologie – dazu nötigt, die idealistische Religionstypologie im Anschluss an Schleiermacher zur Grundlage unseres Schriftverständnisses zu machen […]. Mir scheint die Emphase auf die ›innere Gewissheit‹ im Selbstbewusstsein des Christenmenschen auch ein pietistisches Erbe zu sein.«21 Kritisch merkt auch Konrad Schmid an, dass sich Slenczka mit seinem in der Tradition Schleiermachers stehenden subjekttheoretischen Ansatz in einen Selbstwiderspruch begebe. Damit werde das Christentum auf ein frommes Bewusstsein zurückgeführt »und nicht auf die Bibel selbst«.22 Das Neue Testament werde zum Ausdruck dieses Bewusstseins und damit »nur norma normata und nicht norma normans«.23 »Um es zugespitzt zu sagen: Das Neue Testament dient so nur noch zur Selbstbespiegelung des frommen Individuums, das nun selbst ›kanonisch‹ geworden ist, dies jedoch nicht offenlegt, sondern dazu dem Neuen Testament einen Mantel exklusiver Pseudo-Kanonizität umlegt.«24 Das Wort Gottes – im Allgemeinen, nicht einfach die Schrift – erleuchtet. Es wird damit ein Identifikationskriterium für das Wort Gottes genannt, an dem es als solches erkennbar ist: dass es erleuchtet und Verstehen gibt. Das heißt: Wenn die Schrift, die Bibel, Wort Gottes ist, dann muss sich das daran zeigen und daran ausweisen, dass sie selbst Einsicht und Verstehen gibt, dass sie erleuchtet und sich selbst auslegt. Die Klarheit der Schrift in diesem Sinne ist der Ausweis dafür, dass sie Wort Gottes ist […]. Die Schrift erschließt sich selbst, wenn ein Mensch sie befragt, bei ihr anklopft. Dann wird sie zum Ausleger ihrer selbst, dann setzt sie selbst ihren Sinn aus sich heraus und erweist sich demjenigen, der sie in der Hoffnung auf Antwort befragt, als keiner Auslegungsinstanz bedürftige Quelle von Verständnis und Erleuchtung; und so weist sie sich als Wort Gottes aus. Dann wäre also nicht als schiere Behauptung oder aufgrund der kirchlichen Tradition (die auf die Schrift als ihre Quelle verweist) vorausgesetzt, dass die Schrift klar ist und dass die Schrift das Wort Gottes ist, sondern dann wird es gleichsam überprüfbar und verifizierbar: Wer die Schrift befragt, zu dem beginnt sie selbst zu reden; sie wird zur Quelle von Verständnis und Erleuchtung und weist sich damit als Wort Gottes und als in sich klar aus.29 Es überrascht, dass Slenczka bei der inneren Klarheit davon spricht, dass hier etwas »überprüfbar« und »verifizierbar« wird. Allerdings handelt es sich hierbei um einen Zirkelschluss. Die Schrift erweist sich dadurch als klar, dass sie ihren Sinn aus sich heraus freisetzt. Doch hier muss in aller Nüchternheit gefragt werden, welches denn der Sinn ist, den der Leser als einen aus der Schrift freigesetzten Sinn erfasst. Auch innere geistige Erfahrungen und Einsichten bedürfen der »Unterscheidung der Geister«. Die Erfahrung von Klarheit und Befreiung kann Ausdruck einer subtilen Selbsttäuschung sein. Auch der Teufel kann als »Engel des Lichtes« in Erscheinung treten. Dann aber stellt sich die Frage nach den Kriterien der Unterscheidung. Die geistliche Tradition der Kirche hat aus der Heiligen Schrift selbst heraus Kriterien erarbeitet, die – auch von außen – an solche Erfahrungen herangetragen und mit deren Hilfe derartige Erfahrungen und Einsichten auf ihre Echtheit hin überprüft werden. Auf die differenzierte Lehre von der Unterscheidung der Geister soll und kann hier nicht näher eingegangen werden.30 Es sei lediglich erwähnt, dass sich hier eine Leerstelle im hermeneutischen Konzept Slenczkas zeigt. Sobald sich das Bewusstsein ausbildet, dass dieses Buch [scil. das Alte Testament] nicht von der Kirche, sondern von einer Religionsgemeinschaft handelt und zu ihr spricht, von der sich die Kirche getrennt hat, wird das Verhältnis der Kirche zu diesem Schriftenkorpus hochproblematisch: Es handelt sich eben von vornherein nicht mehr um ein unmittelbar in die eigene Geschichte hineinredendes Buch, sondern um die Identität stiftende Urkunde einer anderen Religionsgemeinschaft. Dieses Bewusstsein der Unterscheidung von Kirche und Judentum als zweier Religionsgemeinschaften hat sich – jedenfalls in der abendländischen Christenheit – durchgesetzt und auch in der Deutung des Verhältnisses der Urchristenheit zum zeitgenössischen Judentum niedergeschlagen. Damit wird aber das Alte Testament zu einem Dokument einer Religionsgemeinschaft, die mit der Kirche nicht identisch ist. Die Kirche ist sich dessen bewusst […], dass sie dieser Religionsgemeinschaft entsprungen ist und zum Verständnis ihrer eigenen Texte des religionsgeschichtlichen Hintergrundes der alttestamentlichen Überlieferung bedarf. Gerade um des Respektes vor dem Selbstverständnis des Judentums willen identifiziert sich die Kirche aber nicht mit dem Judentum in der Weise, wie Paulus das für die Kirche seiner Zeit in Anspruch nimmt: Mit der Behauptung, dass die Erwählungsgeschichte Gottes mit seinem Volk über das Judenchristentum in der Kirche aus Juden und Heiden sich fortsetze und (vorläufig) nicht in der Geschichte des Teils des Judentums, das nicht zum Glauben an Christus gekommen ist. Damit ist aber das AT als Grundlage einer Predigt, die einen Text als Anrede an die Gemeinde auslegt, nicht mehr geeignet: Sie – die christliche Kirche – ist als solche in den Texten des AT nicht angesprochen. […] Vollends mit dem christlich-jüdischen Dialog und der damit verbundenen Anerkennung des Selbstverständnisses des Judentums als Volk eines Bundes, der nicht ohne weiteres christologisch...