Wischnewski Pudel, Nerd und Nymphe
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-943876-94-9
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Games of Siggi
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Reihe: Edition Drachenfliege
ISBN: 978-3-943876-94-9
Verlag: Periplaneta
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dieter Wischnewski wurde 1988 in Gelsenkirchen geboren und wuchs am Niederrhein auf. Eigentlich träumte er in seiner Kindheit davon, Jedi-Ritter zu werden, doch nach dem Abitur wurden leider keine mehr gesucht. Daher entschied er sich, erst mal Bankkaufmann zu werden. 2011 zog es ihn dann nach Essen, wo er Volkswirtschaftslehre studiert. Während des Studiums fing er wieder an zu schreiben und so entstanden die ersten Entwürfe für sein Debüt. Seit 2014 bloggt er auf www.dieterwischnewski.de über Politik, Kobolde und das Weltgeschehen. Außerdem ist er auf Poetry Slam Bühnen unterwegs.
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Siggi
Wenn es etwas gibt, das ich wirklich abgrundtief hasse, dann sind es Schnee, Eis und Kälte.
Ich schloss Charley auf, schob meine Aktentasche in den Fond und glitt in einem Haufen dieses weißen Dreckszeugs aus. Nicht mal die Straße anständig räumen konnten die hier.
Während ich mich aufrappelte, fluchte ich einige Mal herzhaft und fragte mich zum tausendsten Male, was ich hier eigentlich verloren hatte. Erst jetzt bemerkte ich, dass Charley in einer Schneewehe versunken war. Zum Kotzen.
Der ganze Winter stank nach Schneetreiben und miesem Wetter, aber der absolute Höhepunkt stand mir nun bevor. Man hatte mich gebeten, einen Vortrag in der niederrheinischen Provinz zu halten. Weil das Honorar sehr großzügig war – und der Dekan meiner Fakultät mir ziemlich in den Ohren gelegen hatte – hatte ich, trotz des ungewöhnlichen Datums, eingewilligt. Die Veranstaltung war tatsächlich auch nicht gerade das gewesen, was ich gut besucht nennen würde.
Schon auf der Hinfahrt war mein kleiner Citroën 2CV mehrfach im Schneegestöber steckengeblieben. Nur meine besondere Begabung hatte Schlimmeres verhindern können und wir waren jedes Mal wieder freigekommen.
Es war ernsthaft damit zu rechnen, dass ich in diesem kleinen Kaff auf unbestimmte Zeit festsitzen könnte. Die Straßen wurden zusehends unbefahrbar und ich konnte unmöglich über Kilometer hinweg den Schnee wegräumen. Meine Gabe hat Grenzen. Der Bürgermeister hatte mir mehrfach versichert, dass er mir ein Zimmer in der „besten Adresse“ der Stadt reserviert hätte.
Das waren großartige Aussichten. Auch jetzt fiel der Schnee in dicken Flocken vom Himmel nieder.
Abgesehen davon, dass die beschissenste Zeit des Jahres vor der Tür stand. Es war der 21. Dezember, der Tag der Wintersonnenwende. Direkt vor den Feiertagen und dem Jahreswechsel. Nicht, dass mir Weihnachten etwas bedeutet hätte. Ich feierte es sowieso nie und ich hatte auch keine Familie, mit der ich es hätte feiern können. Aber normalerweise verschanzte ich mich am heutigen Tage in meiner kleinen, aber luxuriösen Eigentumswohnung, legte mich in eine heiße Wanne, trank Unmengen Sekt, las oder sah fern. Die Welt konnte mich in dieser Nacht einfach mal.
Nun drohte mir eine kleine, miefige Pension ohne Pay-TV, ohne meine Bücher und vermutlich ohne ein heißes Bad. Und das in der verrücktesten Nacht des Jahres. Abgesehen davon, dass die einzige weibliche Bekanntschaft, die sich hier machen ließ, vermutlich schwarzweiße Flecken hatte und herzzerreißend muhen konnte.
Besorgt sah ich auf die Uhr. Noch fünf Stunden bis zur Dämmerung. Nein, zur Not würde ich schon dafür sorgen, dass die Straßen vor mir frei würden. Ich schwang mich also auf den Fahrersitz, steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte die Zündung.
Charley gab nur ein heiseres, gurgelndes Geräusch von sich, als würde eine sterbende Stromleitung gegen einen Eisberg knallen, während jemand auf einer einsaitigen, verstimmten Geige Mendelssohns Streichersinfonie rückwärts spielte. Auf den Zähnen. Stockbetrunken.
Und wieder. Und wieder. Und wieder.
Eine Kakophonie des Grauens. Armer Charley. Er tat mir fast so leid wie ich mir selbst.
„Jetzt komm schon! Antworte wenigstens! Charley! Was soll das? Warum springst du verdammt noch mal nicht an? Wenn das einer deiner üblen Scherze ist …“
Aber Charley sagte nichts, er gab nur ein leises, warnendes Brummen von sich.
Jemand näherte sich. Es klopfte an die Scheibe.
Nachdem ich das Fenster heruntergekurbelt hatte, schob sich ein verlebtes Gesicht zu mir rein. Wangen und Nase waren von einem aschgrauen Bart verdeckt, der mit dem Haupthaar darum wetteiferte, möglichst ungepflegt und ungekämmt zu erscheinen. Ich befürchtete fast, dass sich ein Teil des Frühstücks irgendwo in dem Gespinst zwischen Mundwinkel und Kinn versteckte und mir freundlich entgegenlachen würde, sollte es die Chance dazu bekommen.
„Herr Doktor Antiopus, selbst wenn der Wagen startet, werden Sie nie aus der Schneewehe rauskommen.“
Der Bürgermeister. Wie hieß er noch gleich? Ach ja.
„Aber ich muss nach Hause, es wartet noch wichtige Arbeit auf mich, Herr Meyers. Ich muss noch einen weiteren Vortrag ausarbeiten und …“
Sein warmer, ranziger Atem fuhr mir ins Gesicht. Frühstückskorn. Wunderbar. Wenn es etwas gibt, was ich abgrundtief hasse, dann Schnaps aus einer Dorfbrennerei im Odem eines alten Mannes. Direkt nach Schnee, Eis und Kälte!
„Wenn Sie nicht im Auto übernachten wollen, bleibt Ihnen kaum etwas anderes übrig, als auf mein Angebot zurückzukommen. Ich lade Sie auch gern heute Abend zu unserem Wintersonnenwendfest ein!“
Wie verlockend. Vermutlich mit selbstgebranntem Schnaps. Ich würde einen Teufel tun und heute nach Anbruch der Dämmerung draußen rumhängen.
„Nun, ich, äh … dringende Angelegenheit …“
„Frau Weiß, vielleicht können Sie unseren Gast überzeugen, noch ein wenig in unserem wunderschönen Mühlenstedt zu bleiben! Frau Weiß ist unsere Kulturreferentin.“
Der Bart und der Odem verließen das Fenster, stattdessen schoben sich eine frische Meeresbrise und ein rot gelocktes Engelsgesicht zu mir hinein. Nicht, dass es Engel geben würde. Diese langweiligen Harfenspieler auf ihren öden Wolken. Das wusste ich nun wirklich besser. Dennoch … die Symmetrie, die Sommersprossen selbst im tiefen Winter. Sie war … göttlich.
„Angenehm“, sagte ich. Meine Sinne schlugen auf seltsam vertraute Weise an, mein Verstand und mein Körper riefen zeitgleich Bingo. Mein Entschluss, Mühlenstedt heute zu verlassen, geriet arg ins Wanken.
Charley ließ seine Kupplung warnend knacken. Er kannte mich.
„Wir haben per Mail die Details zu Ihrem Vortrag ausgemacht, erinnern Sie sich?“, hauchte sie mit dunkler Stimme. Mir wurde schlagartig einige Grad wärmer.
Ines Weiß. Ich erinnerte mich schwach. Hätte ich das geahnt … ich konnte mich des Gefühls nicht erwehren, dass sie mir irgendwie bekannt vorkam. Nein, an sie würde ich mich erinnern. Garantiert.
„Herr Meyers möchte, dass ich Sie gleich bis in die Gaststätte bringe, sie ist etwas schwer zu finden.“
„Oh, ja, natürlich. Wissen Sie was, ich bin schon überzeugt. Ich muss nur noch ein dringendes Telefonat führen. Dürfte ich kurz?“
Das Gesicht verschwand, die Scheibe kurbelte hoch. Fräulein Weiß drehte mir kurz den Rücken zu. Dieser Hintern! Schlank, aber so unglaublich rund! Und das trotz ihrer winterfesten Kleidung.
Ich griff demonstrativ zu meinem Mobiltelefon, tippte eine willkürliche Tastenkombination und hielt es ans Ohr. Wenn ich mit Charley sprach, wirkte das auf die meisten Leute sehr irritierend und ich wollte nun wirklich nicht das Bild eines skurrilen Sonderlings abgeben. Zumindest nicht mehr als unbedingt notwendig.
„Siggi, lass es!“, fuhr Charley mich direkt an. Seine Stimme erklang direkt in meinem Kopf, so dass nur ich ihn hören konnte. Haha. Sein französischer Akzent machte es immer sau komisch, wenn er sich über etwas aufregte. Und das tat er verdammt oft.
„Hey, sie ist absolut heiß. Und du bist selbst schuld. Wärst du rechtzeitig angesprungen …“
„Ich kann nichts dafür. Diese scheiß Kälte hat meine Batterie erledigt. Und wenn du mich hier stehenlässt, frier ich mir meine verdammten Zylinder ab! Ich will in meine Garage, hörst du? Hast du vergessen, welcher beschissene Tag heute ist? Geht das in deinen dämlichen Schädel, Casanova? Lass dir Starthilfe geben, räum den Schnee weg und wir verziehen uns ins Warme!“
„Charley, mach keinen Stress. Eine Nacht, okay? Morgen kriegst du deine Starthilfe. Sei lieber froh, dass ich mit der Schönen nicht deine Stoßdämpfer austeste, Kumpel.“
„Du kannst mich doch nicht hier stehenlassen! Nicht heute!“
Ich überlegte einen Moment. Sollte ich ihm recht geben? Er war ein verdammter, rostiger Kleinwagen. Nein, mein Stolz verbot mir, jetzt einzuknicken.
„Nur eine Nacht. Ich bin nach Sonnenuntergang in bester Gesellschaft. Und dich lass ich abholen, die haben sicher eine schicke kleine Tiefgarage hier irgendwo, in der du den einen oder anderen hübschen Mini Cooper vernaschen kannst.“ Er fuhr total auf diese Dinger ab.
Ich legte deutlich sichtbar auf, unser Zeichen, dass das Gespräch beendet war.
Charley grummelte noch etwas von „Libido eines verfluchten Zwergkaninchens“ und gab seinen Widerstand auf. Der pure Neid.
Charley hatte schon nichts mehr mit einer Frau gehabt, seit er irgendwann – vermutlich um 1980 herum – bei der Produktion eines 2CV ums Leben gekommen und fortan seine Existenz an diese Blechkiste gebunden war. Nachdem ich ihn vor einigen Jahren quasi aus der Schrottpresse gerettet hatte, war er mir als Diener verpflichtet. Irgendein alter Spuk-Kodex oder so was.
Damals wünschte ich mir, mein Geld hätte für einen schicken Sportwagen ausgereicht. Jetzt sprach er ein akzeptables Deutsch und ich brachte es nicht mehr übers Herz, ihn wegzugeben. Da er ein Modell der Reihe Charleston war und er, wie jeder Spuk(1), seinen früheren Namen vergessen hatte, hatte ich ihn kurzerhand Charley getauft. Und irgendwie war er auch mein bester, weil einziger Freund. Wir haben schon eine Menge Scheiß erlebt, wir zwei.
Gerade als ich ausstieg, stieß Charley plötzlich seine rechte Hintertür ruckartig auf...




