E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Wischmeyer Ihr müsst bleiben, ich darf gehen
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0620-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zu Besuch bei deutschen Menschen
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0620-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dietmar Wischmeyer, Radiomacher, Autor und Kolumnist, zählt zu den erfolgreichsten Protagonisten der deutschen Humorwirtschaft. Er erfand das legendäre Frühstyxradio, schuf die beliebte Comedy-Serie »Der kleine Tierfreund« und tourt jedes Jahr mit seinem wechselndem Programm durch Deutschland. Er lebt im Landkreis Schaumburg in Niedersachsen.
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Arbeit
Grundübel allen irdischen Seins
Am Totensonntag öffnen sich nicht die Gräber, sondern die Kollegen machen das, was sie immer machen, nämlich: tot bleiben. Warum stehen dann ausgerechnet am Tag der Arbeit landesweit die Räder still? Es ist nur einer der tausend Widersprüche, die an der Erbsünde der Menschheit haften. Als die einstigen Jäger und Beerensammler den Ackerbau entdeckten, war’s mit der Dolce Vita vorbei. Statt dem todbringenden Mammut auf den Pelz zu rücken, zog der alte Kämpe den Hakenpflug durch den Dreck. Dies war die Erfindung der Arbeit und gleichzeitig die Ur-Demütigung des Mannes. Noch bis vor wenigen Jahren gab es auch bei uns Gegenden, in denen Männer, die das Dorf verlassen mussten, um »auf Arbeit« zu gehen, als Versager und Parias galten. Demgegenüber steht die Heiligsprechung des Arbeiters im Sozialismus, der Arbeit als solcher bei den Protestanten und dem Arbeitsplatz als Ort der Sehnsucht im Versorgungsstaat. Gerade gelesen: Eine Stadtverwaltung rechtfertigt das Aufstellen von weiteren schikanösen Radarfallen mit dem Argument, dadurch würden Arbeitsplätze in der Arschbreitsitzerbude gesichert. Anderes Beispiel: Wochenlang ging ein Jammern durch die Medien, als die Drogeriehölle Schlecker endlich pleiteging. Es wurde den Arbeitsplätzen hinterhergetrauert, statt sich darüber zu freuen, dass niemand mehr sein Leben für so einen Scheißladen verschwenden musste. Selbst bei den hedonistischen Grünen rechtfertigt die Schaffung von Arbeitsplätzen fast alles, solange sie nicht selber dort den Tag vergeuden müssen. Auf der anderen Seite wird für bedingungsloses Grundeinkommen und höhere Hartz-IV-Sätze gestritten – Lebensformen, die ohne Lohnarbeit auskommen. Wohin soll’s denn nun gehen? So viel ist gewiss: Die Produktivität unserer Gesellschaft hängt nicht davon ab, dass hunderttausend Spaten-Paulis einen Bahndamm aufschütten, sondern davon, dass wenige hochqualifizierte Kräfte die Innovationsmaschinerie weiter befeuern. Wie also hält man den restlichen Besatz der mitteleuropäischen Taiga bei Laune? Blödmann-Fernsehen, Fußball, Shopping-Sucht hilft – aber der beste Haftplatz für den latent nörgelbereiten Bürger ist immer noch der Arbeitsplatz. Da steht er unter ständiger Aufsicht, sozialer Kontrolle, und der Kopf hat zu tun. Ein ganzes Volk in Lohnabhängigkeit ist deshalb der Traum einer jeden Partei, denn wenn er arbeiten muss, denkt der Mensch nicht darüber nach, wie er um sein kleines Leben beschissen wird.
Monogamie
Bei Bier würd’s vielleicht funktionieren
Monogamie: auch so eine lästige Erfindung der Menschheit. Wie die Straßenverkehrsordnung funktioniert sie leidlich gut, weil sie kein Mensch wirklich einhält. Bei einer Autofahrt von mehr als 50 Kilometer im Stadt-Land-Mix hätte der durchschnittliche Deutsche sein Punktekonto vollgeladen – würden denn alle Verfehlungen geahndet. Hier zehn Klamotten zu schnell, dort etwas zu dicht aufgefahren, einem Fußgänger den Vogel gezeigt – was man halt so macht, um im Kreise der anderen Vollidioten nicht komplett durchzudrehen. Da geht’s in der monogamen Verkehrsordnung weniger hektisch zu: Die Übertretungen sind weitaus seltener, wenn sie denn aber ans Tageslicht geraten, hagelt es Breitseiten. Da werden berufliche oder zumindest finanzielle Existenzen vernichtet und Kontaktsperren zum eigenen Fleisch und Blut errichtet – alles nur wegen der beschissenen Natur. Denn damit wir uns überhaupt an ein gleichartiges Säugetier binden, bedarf es der Ausschüttung eines Hormons namens Oxytocin. Mutter und Säugling kleben damit zusammen, aber auch Mann und Frau. Wie’s die Andersrummen zusammenhält, da rätselt der Biologe anscheinend noch. Die monogam lebende Präriewühlmaus hat den Arsch voll Oxytocin, ihre Cousine, die Bergwühlmaus nicht, die nämlich ferkelt rum wie einst im alten Rom. Injiziert man nun dem hedonistischen Kameraden Oxytocin, ist Schluss mit dem wirren Rumgevögel. Der Mensch – namentlich die männliche Version – ist nun ähnlich gestrickt wie die Prärievariante. Nach sieben Jahren Paarbindung geht der Oxytocinwert in den Keller, das hat die Natur mal so eingerichtet, weil im Pleistozän die Blagen dann schon das Abitur hatten und flügge wurden. Heute bleibt die Fruchtfolge länger im Nest, und Elterntiere hält nicht mehr der Hormonspiegel zusammen, sondern der Geist von Stalingrad: durchhalten gegen alle Vernunft. Wenn die Welt dann nach einem weiteren Jahrzehnt sexueller Dürre wieder mehr Vorstellung wird als eiserner Wille, bricht der Trieb durch die Asphaltdecke der Konvention, und angewelkte Politiker oder Generäle bespringen, was ihnen vor die Flinte gerät. Wer will es ihnen verdenken, zu Hause wohnt ein großes warmes Tier, das ihnen vertraut erscheint wie ein altes Sofa – aber wer treibt’s schon mit einem alten Sofa? Um die eruptive Entladung nach Jahrzehnten stählerner Monogamie zu vermeiden, erfand der Mensch die Scheinheiligkeit: Geliebte, Seitensprünge, Eine-Nacht-Ständer oder »Ich-muss-heute-länger-im-Büro-bleiben-Schatz«-Ausflüchte. So funktioniert die monogame Welt bis heute nach dem Prinzip des Sich-nicht-erwischen-Lassens, und ein jeder wurschtelt sich irgendwie durch, genau wie im Straßenverkehr. Doch das moralische Provisorium hat bald ein Ende. Wir alle werden zu monogamen Bergwühlmäusen, denn die Wissenschaft hat festgestellt, dass Oxytocin als Spray, täglich oben in den Zinken reingeblasen, verhindert, dass unten die Gurke sich außerehelich einen blasen lässt. Schöne neue Welt – wieder ein Spaß weniger!
Nichtreligiöse Gefühle
Zentralrat der Aufgeklärten in Deutschland
»Ich fühle mich in meinen nichtreligiösen Gefühlen belästigt.« Seltsamerweise hört man diesen Satz nie, obwohl das göttliche Geschwurbel allmählich beängstigende Ausmaße annimmt. Da reden äußerlich ganz normal wirkende Mitbürger in meiner Gegenwart von Wesen, die es offensichtlich gar nicht gibt. Da werden Ansichten und Handlungsweisen damit begründet, dass es genauso irgendwo aufgeschrieben stehe und der Autor gar kein Mensch sei, sondern wieder dieses merkwürdige Wesen. Ich bin ja durchaus bereit, eine gewisse Nähe zum Irrsinn zu tolerieren, aber man muss sich doch nicht vollkommen lächerlich machen! Über das Programm des neuen Papstes wird selbst in seriösen Medien gesagt, es würde in enger Abstimmung mit Gott entworfen. Dass der Papst selber diesen Unsinn glaubt, geht vollkommen in Ordnung, denn sonst wäre er ja arbeitslos, aber mir möge man doch bitte nicht so einen Bären aufbinden. Verarschen kann ich mich alleine. Meinetwegen können Menschen so viel religiöse Gefühle haben, wie in dem Hohlraum zwischen ihren Ohren Platz findet – es gib Schlimmeres. Zum einträglichen Miteinander in einem modernen Gemeinwesen gehört allerdings, anderen nicht mehr als nötig mit seiner spezifischen Jenseits-Macke auf die Nüsse zu gehen. Nicht draußen rumlaufen wie eine Vogelscheuche, keine schwachsinnigen Druckwerke verteilen, keine Menschen in die Luft sprengen, nur von Manitu reden, wenn man ausdrücklich darum gebeten wird. Wird all das eingehalten, bleiben meine nichtreligiösen Gefühle unversehrt. Im Gegenzug bin ich dann auch gerne bereit, diesen ganzen religiösen Kram um mich herum einfach schweigend hinzunehmen. Das Grundgesetz garantiert die freie Religionsausübung, die freie Nichtreligionsausübung allerdings auch. Ein neuer Papst ist eine tolle Sache und für dessen Anhänger bestimmt genauso ein irres Gefühl, wie es der Triple-Sieg für Bayern-Fans war – das freut mich für alle, denen es ein paar Endorphine zusätzlich ins System bläst. Mir ist es aber egal. Da kann man auch mal Rücksicht drauf nehmen.
Dreiste Lüge auf Kosten von Behinderten.
Alkohol
Pro mille contra bonum
Der Widersprüche sind gar viele in unserer trauten Gesellschaft, einen der merkwürdigsten aufzuzeigen ist mein heutiges Begehr. Aber jetzt Schluss mit dem schwülstigen Geblubber: Es geht ums Saufen. Also ums richtige Saufen, das von Alkohol. Wie einige vielleicht aus eigener leidvoller Erfahrung wissen, sinkt der zugestandene Alkpegel beim Chauffieren eines PKW kontinuierlich. Zurzeit sind’s offiziell 0,5 Promille, aber wer sich drauf verlässt, ist der Angeschmierte, so viel zur Rechtsicherheit in diesem Lande. Sollte nämlich ein Schutzmann der Meinung sein, das Fahrverhalten sei auffällig – sagen wir mal tatsächlich 30 fahren, wo 30 auf dem Schild steht –, dann darf schon ab 0,3 Promille die Fleppe kassiert werden. Wird man – beim folgenden Wort bitte laut lachen – unschuldig in einen Unfall verwickelt, womöglich absichtlich übergemöllert, und hat als Opfer schlappe 0,2 Promille auf dem Kessel, dann gilt man als mitschuldig weil zum Teil unzurechnungsfähig. So, und jetzt schauen wir uns die Sache mit dem Alkohol in der Rechtsprechung mal von anderer Seite an. Hat man zum Beispiel seinen Eherochen mit der Axt geviertelt und war so schlau, sich vorher eine Flasche Doppelkorn ins Gedärm zu schütten, dann ist man sogar voll unzurechnungsfähig. Das steigert aber nicht die Strafe, sondern mildert sie. Wie das? Verkehrsopfer mit ein, zwei Bieren im Pansen werden an die Kandare genommen, vollbreite Mörder hingegen in Schutz. Da sträubt sich das Rechtsempfinden des derzeitigen Nichtmörders ein wenig, und er stellt folgende Überlegung an. Sollte ich demnächst von einem Wachtmeister im PKW angehalten werden wegen angeblich beobachteter Verhaltensauffälligkeit und habe leichtsinnigerweise nur ein Glas Wein getrunken, dann wird...