E-Book, Deutsch, 550 Seiten
Reihe: Systemische Therapie
Wirth / Kleve Lexikon des systemischen Arbeitens
2. Auflage 2023
ISBN: 978-3-8497-8416-4
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Grundbegriffe der systemischen Praxis, Methodik und Theorie
E-Book, Deutsch, 550 Seiten
Reihe: Systemische Therapie
ISBN: 978-3-8497-8416-4
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das "Lexikon des systemischen Arbeitens" ist in seiner aktualisierten und erweiterten Auflage das Ergebnis der fortgesetzten Zusammenarbeit namhafter systemischer Praktiker:innen, Forscher:innen und Lehrender im deutschsprachigen Raum. Es enthält Erklärungen zu 169 Grundbegriffen aus Praxis, Methodik und Theorie und unterstützt damit als transdisziplinäres, praxisorientiertes Nachschlagewerk die alltägliche Beratungs-, Therapie-, Supervisions- und Erziehungspraxis sowie die Organisationsentwicklung.
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Der Aufbau der Artikel folgt einem klaren Schema: Jeder Artikel beginnt mit der mehrsprachigen Nennung des Begriffs und einer Kurzdefinition: Was bezeichnet der Begriff bzw. die Methode? Wie kann an das Phänomen systemisch arbeitend herangegangen werden? Wie wird die betreffende Methode in der Praxis angewendet? Es folgen ausführliche Angaben zu den im Text verwendeten Quellen und eine Liste mit weiterführender Literatur. Querverweise verknüpfen die Stichwörter untereinander.
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Im Anschluss an den Lexikonteil folgt ein Anhang, der deutschsprachige Nachschlagewerke, bedeutende systemische Zeitschriften und aktuelle Internetseiten zum Thema "Systemisches Arbeiten" verzeichnet.
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Mit Beiträgen von: Heinz Abels • Falko von Ameln • Eia Asen • Ulrich Auer • Dirk Baecker • Christiane Bauer • Robert Baum • Jürgen Beushausen • Wolfgang Budde • Peter Bünder • Manfred Cierpka • Edwin Czerwick • Hans-Ulrich Dallmann • Markus Dierkes • Elmar Drieschner • Joseph Duss-von Werdt • Andrea Ebbecke-Nohlen • Peter Ebel • Lothar Eder • Andreas Eickhorst • Mohamed El Hachimi • Günther Emlein • Matthias Freitag • Thomas Friedrich-Hett • Frank Früchtel • Andreas Fryszer • Peter Fuchs • Wolfgang Gaiswinkler • Wolfgang Geiling • Stefan Gesmann • Martin Hafen • Kurt Hahn • Stefan Hammel • Reinert Hanswille • Sigrid Haselmann • Margarete Hecker • Thomas Hegemann • Kai-Uwe Hellmann • Johannes Herwig-Lempp • Rainer Hirschberg • Franz Hoegl • Hans-Jürgen Hohm • Boris Holzer • Bettina Hünersdorf • Oliver Jahraus • Roland Kachler • Andreas Kannicht • Rudolf Klein • Heiko Kleve • Björn Kraus • Wolfgang Krieger • Jürgen Kriz • Sabine Krönchen • Barbara Kuchler • Ludger Kühling • Tanja Kuhnert • Isabel Kusche • Helmut Lambers • Anne M. Lang • Maren Lehmann • Albert Lenz • Tom Levold • Sven Lewandowski • Kurt Ludewig • Olaf Maaß • Johann Jakob Molter • Lina Nagel • Matthias Ochs • Gisela Osterhold • Ulrich Pfeifer-Schaupp • Bernhard Pörksen • Sonja Radatz • Janine Radice von Wogau • Corinna Reinhard-Thursfield • Wolf Ritscher • Marianne Roessler • Steffen Roth • Wilhelm Rotthaus • Albert Scherr • Günter Schiepek • Silke Schippers • Roland Schleiffer • Arist von Schlippe • Bernd Schmid • Johannes F. K. Schmidt • Christian Schuldt • Thomas Schumacher • Marcel Schütz • Rainer Schützeichel • Rainer Schwing • Fritz B. Simon • Ingo Spitczok von Brisinski • Liane Stephan • Rudolf Stichweh • Tilmann Sutter • Veronika Tacke • Svenja Uhrig • Manfred Vogt • Gunthard Weber • Wolf Rainer Wendt • Susanne Wengler • Helmut Wetzel • András Wienands • Rudolf Wimmer • Michael Wirsching • Jan V. Wirth.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Achtsamkeit
Ulrich Pfeifer-Schaupp engl. mindfulness = »offenes, mitfühlendes Gewahrsein für die gegenwärtige Erfahrung«, Sanskrit Smriti, Pali, Sati = »Besinnung, Gedächtnis, Erinnerung (an das, was heilsam ist)«. Achtsamkeit ist das Bewusstsein, das entsteht, indem man der sich entfaltenden Erfahrung von einem Moment zum anderen bewusst seine Aufmerksamkeit widmet, und zwar im gegenwärtigen Augenblick und ohne dabei ein Urteil zu fällen (Kabat-Zinn 2019). Sie ist gekennzeichnet durch 3 Elemente: 1) Aufmerksamkeit für das, was im Moment geschieht, 2) die Fähigkeit, diese Aufmerksamkeit über längere Zeit aufrecht zu erhalten, 3) nicht Beurteilen der Erfahrung bzw. (Selbst-)Mitgefühl. Achtsamkeit gewinnt in Medizin, ? Gesundheitswissenschaft, Psychotherapie, Pädagogik und im ? Management zunehmend an Bedeutung. Auch in der systemischen Praxis wird die Relevanz von Achtsamkeit für Haltung, Methode und Theoriebildung erkannt und z. T. in systemische Weiterbildungen integriert. 1) Wurzeln: Im Buddhismus ist Achtsamkeit das siebte Glied von Buddhas edlem achtfachem Pfad zum Erwachen. Achtsamkeit wird geübt als Aufmerksamkeit auf den ? Körper, die ? Gefühle bzw. Empfindungen, den Geist und die Wahrnehmungen bzw. Geistesobjekte. Rechte Achtsamkeit unterscheidet sich von falscher Achtsamkeit dadurch, dass sie gegründet ist auf sila, die Ethik von ? Verstehen und Mitgefühl. Achtsamkeit ist also immer verbunden mit mitfühlendem Engagement (Hanh 2004). Auf diese buddhistischen Wurzeln wird in Publikationen häufig verwiesen. Kaum thematisiert hingegen werden die Wurzeln in der christlichen Überlieferung: Jesus selbst kann als »verkörperte Achtsamkeit« bezeichnet werden (Boff 1999). Bei den Wüstenvätern und -müttern des zweiten und dritten Jh. n. Chr. werden die Grundübungen der Achtsamkeit ebenfalls geübt: das bildlose und wortlose Gebet, Schweigen während der Aktivitäten des ? Alltags, achtsames Gehen (z. B. im Kreuzgang) und ? Beobachtung der eigenen »Dämonen«: Belastende Gefühle und Gedanken werden wahrgenommen. Dies führt zur Erlangung inneren Friedens – apatheia = »Gleichmut« – und zur Grundhaltung der Barmherzigkeit (Grün 2012). In der mittelalterlichen Mönchstradition ist die achtsame Arbeit eine Form des Gebets – ora et labora. In der Regel des hl. Benedikt werden die Mönche zum achtsamen Umgang mit Werkzeug angehalten: Sie werden aufgefordert, jeden Topf und jede Pfanne als heiliges Altargerät zu behandeln (Steindl-Rast 2021). Franz von Assisi ermahnt zum achtsamen Umgang mit der Schöpfung: nicht nur die Armen, sondern auch Tiere, Sonne, Mond und Sterne als Brüder und Schwestern zu behandeln (Boff 2010). Bei dieser Vergegenwärtigung der Wurzeln wird deutlich, dass Achtsamkeit ursprünglich keine Praxis individueller Selbstverbesserung oder -optimierung ist und dass sie immer auch eine gesellschaftliche, politische und ökologische Dimension hat. Wird Achtsamkeit individualisiert, instrumentalisiert, losgelöst von der Reflexion der Wurzeln, vor allem von den ethischen Grundlagen, besteht die Gefahr, dass sie trivialisiert und zu einem Produkt auf dem Markt für persönliches Glück und Erfolg wird: der Zuckerguss für beliebige Zwecke und Mittel, um die gesellschaftliche Realität zu verdrängen und noch mehr Stress zu ertragen (Pfeifer-Schaupp 2010). 2) Praxis: Formelle Achtsamkeitsübungen sind v. a. achtsames Atmen, stilles Sitzen, Gehmeditation, Tiefenentspannung (body scan), achtsames Essen und achtsame Körperarbeit, z. B. sanfte Yogaübungen oder Qi Gong. Ziel ist es, dieses achtsame Gewahrsein als informelle Praxis dann auch in den normalen (beruflichen) Alltag zu integrieren und immer stärker im Hier und Jetzt zu leben (Santorelli 2009). Allerdings ist diese Integration eine Herausforderung, die schwierig ist, obwohl sie leicht klingt, weil sie den Tendenzen der Beschleunigung zuwiderläuft, die moderne Gesellschaften charakterisieren (Rosa 2005). Deshalb kommt es darauf an, bei der Implementierung der Praxis in den eigenen Alltag, in Teams oder in den Alltag von Klienten und Klientinnen, wohldosierte Unterschiede zu machen und auf die Alltagstauglichkeit der vorgeschlagenen Übungen zu achten (Pfeifer-Schaupp 2021). 3) Forschung und Anwendung: Viele Studien zeigen, dass die längerfristige Übung der Achtsamkeit vielfältige positive Auswirkungen auf den Gesundheitsstatus und auf das subjektive Wohlbefinden haben kann. Belegt sind auch reduzierte Burn-out-Werte, erhöhte Lebenszufriedenheit und eine deutliche Stärkung der Immunabwehr. Besonders gut empirisch belegt ist die Wirksamkeit der Achtsamkeitsbasierten Stressreduzierung (Mindfullness-Based Stress Reduction, MBSR; vgl. Kabat-Zinn 2019). Neurowissenschaftliche ? Forschungen zeigen, dass v. a. langdauernde Achtsamkeitspraxis aufgrund der neuronalen Plastizität messbare und dauerhafte positive Veränderung im Gehirn bewirkt (Siegel 2014; Hanson u. Mendius 2010). Achtsamkeit erweist sich auch als wichtiges Element in der Psychotherapie psychischer Störungen (Übersicht z. B. bei Germer u. Siegel 2018; Heidenreich u. Michalak 2004). Wichtige klinische Anwendungen sind z. B. die Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie zur Rückfallprophylaxe bei Depression (Mindfullness Based Cognitive Therapy, MBCT; Segal, Williams u. Teasdale 2008), die Dialektisch-Behaviorale Therapie bei Borderline-Störungen (DBT; vgl. Linehan 2008) und die Acceptance and Commitment Therapy (ACT), die bei unterschiedlichen Störungen gute Wirkung zeigt (Hayes, Strohsal u. Wilson 2014). 4) Auch im systemischen Feld gewinnt Achtsamkeit zunehmend an Bedeutung (Schmidt 2016; Aguilar-Raab 2020). Die Integration von Achtsamkeit kann als Erweiterung und Systematisierung der Grundhaltung der Allparteilichkeit dienen. Mitgefühl und Wertschätzung werden damit besser lehr- und lernbar (Pfeifer-Schaupp 2012). Achtsamkeitsübungen können gut in die systemische Praxis integriert werden und sie bereichern und vertiefen. Insbesondere bekommen Klienten und Klientinnen »Werkzeuge« an die Hand, vor allem für die achtsame Beobachtung von Gedanken und Gefühlen, um ihre erstarrten Wirklichkeitskonstruktionen (? Konstruktion) selbständig zu transformieren bzw. sie zu »verflüssigen«. Der Ansatz kann hilfreich sein für Self-Care und Aufbau einer positiven Teamkultur (Juchmann 2012). Achtsamkeit lässt sich bereits in das grundständige Studium psychosozialer Berufe sinnvoll und mit Gewinn integrieren (Pfeifer-Schaupp 2017) und kann ebenso in systemischen Weiterbildungen fruchtbar sein, wie erste Erfahrungen zeigen (z. B. beim Institut Tandem in Freiburg). Auch auf der Ebene der Theoriebildung könnte Achtsamkeit wichtige Impulse geben. Varela forderte bereits 1992 die Integration buddhistischer Achtsamkeits- und Gewahrseinsübung und der systematischen Beobachtung des eigenen Geistes als »First-Person-Science« in die Kognitionswissenschaft (Varela u. Thompson 1994). Damals blieb sein Plädoyer weitgehend ohne Echo. Sein Ansatz der Kognition als Inszenierung erscheint allerdings nach wie vor sehr fruchtbar und der Anspruch bislang uneingelöst. Er integriert auf sinnvolle Weise achtsame Beobachtung des Geistes bei der Wirklichkeitskonstruktion und weist einen mittleren Weg zwischen Objektivismus und Subjektivismus. Er eröffnet damit neue Chancen für die systemische Theoriebildung und zeigt Möglichkeiten auf, mithilfe von Achtsamkeit und offenem Gewahrsein als Forschungsprinzipien über den (radikalen) ? Konstruktivismus hinauszudenken (Pfeifer-Schaupp 2011). Verwendete Literatur
Aguilar-Raab, Corinna (2020): Systemische Praxis und Buddhismus. Ein Wegweiser für achtsame Therapie und Beratung. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht). Boff, Leonardo (1999): Die Logik des Herzens. Wege zu neuer Achtsamkeit. Düsseldorf (Patmos). Boff, Leonardo (2010): Franz von Assisi und die Liebe Gottes zu den Armen. Kevelaer (topos). Germer, Christopher u. Ronald Siegel (Hrsg.) (2018): Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie. Freiburg (Arbor). Grün, Anselm (2012): Der Himmel beginnt in dir: Das Wissen der Wüstenväter für heute. Freiburg (Herder), 2. Aufl. 2019. Hanh, Thich Nhat (2004): Das Herz von Buddhas Lehre: Leiden verwandeln – Die Praxis des glücklichen Lebens. Freiburg i. Br. (Herder), 8. Aufl. 2013. Hanson, Rick u. Richard Mendius (2010): Das Gehirn eines Buddha. Die angewandte Neurowissenschaft von Glück, Liebe und Weisheit. Freiburg (Arbor), 2. Aufl. 2017. Hayes, Steven C., Kirk D. Strosahl u. Kelly G. Wilson (2014): Akzeptanz- & Commitment-Therapie: Achtsamkeitsbasierte Veränderungen in Theorie und Praxis. Paderborn...