Buch, Deutsch, 100 Seiten, PB, Format (B × H): 130 mm x 210 mm, Gewicht: 130 g
Erzählung
Buch, Deutsch, 100 Seiten, PB, Format (B × H): 130 mm x 210 mm, Gewicht: 130 g
ISBN: 978-3-941072-12-1
Verlag: Edition 6065
Die Freude, entdeckt zu haben. Das Forscherglu¨ck. Des
Jägers. Meines. Ich hielt einen Brief in Händen. Gutes, altes,
dickes Papier. Die Feder konnte leicht in das Papier eindringen.
Mit der Tinte, die eine nun neue Wahrheit in die Welt
kratzte. Die sie zwar nicht veränderte, aber dem Narzissmus
des Forschers frönte. Der Sehnsucht nach fu¨nfzehn Minuten
Unsterblichkeit. Die auch länger anhalten konnte, Tage,
Monate, als Meldung in Zeitungen, Fachblättern, in
Universitätsseminaren, auf wissenschaftlichen Kongressen:
Lorenzo da Ponte hatte fu¨r Wolfgang Amadeus Mozart ein
weiteres Libretto geschrieben!
Nach „Hochzeit des Figaro“, „Don Giovanni“ und „Cosi fan
tutte“ nun „Requiem auf eine Hand“ ...
Zielgruppe
An moderner, experimenteller Musik und Literatur Interessierte
Weitere Infos & Material
Mein Finderglück, entdeckt zu haben, was unser Wissen über das Surreale in der Kunst erweitern, verändern, revolutionieren würde, bewegte mich so, dass mir nicht bloß der Atem stockte, ich bekam darüber einen Niesanfall. Den ersten in diesem Jahr, obwohl meine Pollen noch gar nicht unterwegs sein konnten. Der Anfall trieb mir den Schweiß auf die Stirn, und das Glück verwandelte sich in pure Anstrengung. Bis ich erschöpft innehalten durfte und mir mein Glück wieder zu Bewusstsein kam, der Forschung nicht nur dienlich sein zu können, sondern sie mit einer Sensation zu bedienen.
Als mir die Pollen mein Hirn zu sprengen drohten, blitzte in mir ein Ton auf, dann weitere Töne, die zu einer Melodie wurden, als hätte ich den Anfang der Ouvertüre zur Oper „Requiem auf eine Hand“ gehört.
Und ich wusste nicht, stammte sie von mir oder war es das Produkt Mozarts? Als fände ich nach der Entdeckung des Librettos auch noch die Musik in mir, die ich bloß noch aufzuschreiben hätte, damit sie der Welt erhalten bliebe. Doch zu meiner Enttäuschung blieb es bei dem Anfang.
Denn die Pollen hatten mich außerplanmäßig im Griff. Der vermeintliche Mozart erstarb unter meinem Niesen. Ich hätte alles so gern notiert und gewusst, stammte es von mir oder von Mozart?
Meine Entdeckung war zumindest so bedeutsam wie die, dass nicht Wassily Kandinsky 1911 das erste abstrakte Bild gemalt hatte, sondern Hilma af Klint bereits 1906. Und wie hier die Kunstgeschichte umgeschrieben werden musste, war die Literatur bereits surreal, als man das Wort noch gar nicht kannte.
Allein der Brief Casanovas, der alles bestätigte, wurde das Einfallstor zur Moderne, der einzige Beleg, der Kronzeuge, dass die Nachfolger zu spät Gekommene waren, nachdem ihnen Gogol und E.T.A. Hoffmann bereits den Weg gewiesen hatten.
Ich lese den Brief wieder und wieder, als wollte ich das Glück dadurch mehren, dass ich es mir immer neu bestätigte.
Ich selbst schrieb einmal ein Libretto für meinen Freund Volker, der eine Kammeroper komponieren wollte, es muss um 1986 gewesen sein. Ich hatte ihm schon drei Entwürfe gemacht zu „Rameaus Neffe“ nach Diderot, zu Urs Graf, dem Maler aus dem Bauernkrieg, und einen weiteren, in dem ich sehr schöne Arientexte geschrieben hatte. Ich bin nur zu träge, sie herauszusuchen. Alles war ihm nicht recht, denn ein erfahrener Opernhase hatte ihm gesagt, eine Oper brauche nur eines, Liebe und Tod, sonst funktioniere sie nicht, weder abendfüllend noch als gut einstündige Kammeroper.
Also musste ich etwas Neues suchen, und wir fanden schließlich zu Judith und Holofernes. Dieser Stoff wurde akzeptiert, und ich machte mich an die Arbeit zu „Deinen Kopf, Holofernes“.
Es blieb mein bisher einziges Libretto.
Casanova schrieb in „meinem“ Brief an eine alte Freundin, dass er sich mit Lorenzo da Ponte getroffen habe, und dieser ihm dabei von seinem Plan gesprochen. Alles drehte sich um eine im Krieg gegen die Türken vor Wien abgeschlagene Hand, die durch die Welt reiste und überall wie eine Persönlichkeit empfangen wurde. Eine possierliche Geschichte nannte sie Casanova, der den Plan da Pontes lobte, wie er diesen überhaupt auch der alten Freundin wärmstens anempfahl.
Casanova sah sich erneut durch die Welt reisen, man empfing ihn überall, er sah sich als seine eigene Hand in Mozarts Oper. So redete er auf da Ponte ein, seine Hand in den Mittelpunkt zu rücken, und der lehnte dies zumindest nicht ab. Casanova hatte schließlich bei ihm noch etwas gut, hatte er da Ponte doch kurz vor der Französischen Revolution den Rat gegeben, sich beruflich nicht nach Paris, sondern nach London hin zu orientieren.
Durch Mozart ein weiteres Mal unsterblich zu werden, und sei es auch bloß als seine eigene Hand, gefiel Casanova über alle Maßen. Dafür wäre er sogar bereits vor seiner Geburt als Krieger gegen die Türken gezogen, ein weiterer hübscher Scherz, wie er schrieb. Er und da Ponte hatten vereinbart, in Kontakt zu bleiben und ihm nach seinem Alterssitz in Dux Kopien seines Textes zuzusenden.
Er bliebe also im Spiel. Mozart hatte sicher auch nichts gegen seine Hand. Im Gegenteil. Dem Geschäftsmann Mozart würde dies gefallen. Schließlich war er, Casanova, jemand, mit dem sich werben ließ.
Die Vorstellung entzückte den alten Galan, der sich in den Stoff hineinträumte und bald schon anfing, selbst ein Libretto auf seine Hand zu schreiben, nur so zum Spaß. Schließlich wusste er mehr über sich als da Ponte. Und wer konnte wissen, ob sein Text vielleicht doch noch einmal gebraucht werden würde? Wo aber war dieser Text Casanovas geblieben?
Da Ponte und Casanova waren alte Freunde, Mozart und Casanova miteinander gut bekannt. Er hatte ihn 1787 in Prag getroffen, als der seinen „Don Giovanni“ in Prag uraufführte. Damals sah sich Casanova bereits von Mozart vertont. Er war es natürlich, von dem die Oper handelte. Selbst den Schluss akzeptierte er, schließlich handelte es sich ja nur um eine Oper. Seinem Freund da Ponte hatte er Texte zur Zauberflöte beigesteuert, die aber in der Endfassung nicht berücksichtigt wurden. Diesmal würde er da Ponte mehr unter Druck setzen. Nach dem Don Giovanni nun seine Hand. Dies war Balsam gegen die Langeweile seiner alten Tage in Dux.
Soweit aus dem langen Brief Casanovas an seine vertraute Freundin.
Mich reizt es, auch ein Libretto zu Mozarts Oper zu schreiben, einen nachträglichen Text zu einer nicht geschriebenen Oper. Vielleicht hatten sie die Sache am Ende aufgegeben, weil es damals zu ungewöhnlich war. Vielleicht versprachen sie sich davon kein Geschäft. Schließlich ging es nicht um Liebe, Schmerz, Leid, ohne die eine Oper bekanntlich nicht funktioniert. Wäre diesen alten Hasen solch ein handwerklicher Fehler unterlaufen? Es blieb undenkbar und dennoch, vielleicht wollten sie sich das gönnen, wie Beethoven sich seine späten Klaviersonaten oder seine Diabelli – Variationen gegönnt hat.
Casanova schreibt nicht, dass das Libretto bereits fertig war, als er sich mit da Ponte traf. Es war in Arbeit.